Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Gleiham

Den Mathias Staudinger lernte ich auf der Straße kennen. Denn er war ein Dienstmann und Dienstmänner werden einem nicht im Ballsaal vorgestellt. Ganz abgesehen davon, daß man im Ballsaal überhaupt niemand richtig kennen lernt. Viel eher auf der Straße. Gar wenn die Straße auch die Werkstatt ist, wie für meinen Dienstmann.

Mir war damals mein Rad in eine Schiene geglitscht. Tüchtig verbogen sah es aus. Ratlos stand ich da. »Dös wern ma glei ham,« sagte da jemand neben mir. Das war der Dienstmann Mathias Staudinger. Das Vorderrad hatte er zwischen die Knie gestemmt und Lenkstange und alles im Nu zurechtgebogen. »So, hamma's scho,« setzte er hinzu, »wissen S', a bisserl muß unsereins von allem verstehen, sonst wär's g'fehlt.«

Den Dienstmann habe ich mir gemerkt. Er wurde »unser« Dienstmann. Wenn man verreiste, wenn etwas Besondres zu besorgen war, schickten wir nach ihm. Immer mit gesenktem Kopf hörte er den Auftrag an, und immer sagte er dasselbe:

»Dös wern ma glei ham.« Natürlich bekam er danach diesen Übernamen. »Kathi, ich muß verreisen,« hieß es, »holen Sie den Dienstmann.«

»Den nächsten, nicht wahr?«

»Ach was, den nächsten – unsern Dienstmann.«

142 »Aha, den ›glei ham‹.«

Was hat der Gleiham nicht alles für uns besorgt! Es ist schon wahr, übermäßig schnell war er nicht. Das sind Münchener Dienstmänner grundsätzlich nicht. Aber zuverlässig war er, unbedingt zuverlässig. Und er war immer an derselben Ecke zu finden. Immer war er dabei, von dieser Ecke ab zehn Schritte der Müllerstraße oder zehn Schritte der Holzstraße abzuschreiten. Wenn er nicht unterwegs war, hatte sein Eckreich unsichtbare, feste Grenzen. Und war er unterwegs, so warteten wir lieber, als den Gleiham durch einen andern Dienstmann zu ersetzen. Treue um Treue gilt auch für einen Dienstmann. Er war oft unterwegs. Andere schätzten ihn auch. Umgekehrt nicht immer.

»Wiss'n S' Herr,« sagte er einmal zu mir, »Aufträg kriegt ma oft, Aufträg!«

»Aha, Sie meinen Liebesbriefe?«

»Liebesbrief? Dös is nöt so schlimm. Es san halt junge Leut.«

»Sie meinen also, die Liebe sei nur bei den Alten schlimm?« scherzte ich.

»D' Lieb net, aber's Gegenteil davon.«

»Das Gegenteil?«

»Ja, wenn sie sich nimmer mög'n, wenn sie sich nimmer trau'n.«

»Aber damit haben doch Sie nichts zu tun?«

»Ma red't net gern davon, Herr. Aber lustig is net, wenn mi' der oane zum aufpass'n umananderschickt, was der andre treibt.«

»Das sind also Ihre schlimmsten Aufträge?«

»Na, die schlimmsten sind die mit die Hund, mit die Herr'n Hund,« betonte er.

143 »Aha, Sie können keine Hunde leiden?«

»Da teisch'n S' Ihnen aber, Herr. Die san mir oft zwanz'gmal lieber als die Menschen. Nana, die Hund san scho' recht für sich allein und ohne Leine. Aber wenn ma s' im Auftrag von die alten Frauenzimmer spazierenführ'n soll, stundenlang, damit's derweil ihre – G'schäft' b'sorg'n –«

»Wer?«

»D' Hund bei mir und die Damen in die Kaufläden, wohin s' ihre Hund net mitnehmen derf'n – da könnt ei'm der Dienstmannberuf scho' manchmal z'wider wern, wissen S'.«

»Aber Sie brauchen doch solche – solche Hundeaufträg nur einfach abzulehnen – dös wern S' doch glei ham?« zwinkerte ich.

»Da kennen S' aber 's G'setz schlecht, Herr,« sagte er ernst und setzte hochdeutsch hinzu, als läse er es aus dem Gesetzbuch ab: »Ein Dienstmann hat alle ihm erteilten Aufträge treu und gewissenhaft auszuführen und im Interesse seiner Auftraggeber zu erledigen.« So trottete der Dienstmann Mathias Staudinger gewissenhaft durch die Jahre und durch seine Aufträge, selber treu begleitet von seinem Geleitspruch »Dös wern ma glei ham – glei wern ma dös ham – glei ham wern ma dös . . .«

Unzählige Male wurden seine dicken Dienstmannsstiefel neu besohlt. Das leuchtende Rot auf seiner Dienstmannsmütze blaßte niemals ab, niemals brauchte künstlich aufgefärbt zu werden sein zugriffsfreudiges »Dös wern ma glei ham – glei wern ma's ham«.

Immer wieder sah ich neue Auftraggeber über 144 die Straße auf seine angestammte Ecke zusteuern, eilige Auftraggeber, schlendernde Auftraggeber, schüchterne Mädchen, routinierte Damen, ängstliche Dienstmädchen vom Lande, mit allen Wassern gewaschene Reisende von der Stadt – alle landeten sie mit einem Auftrag bei der Dienstmannsmütze Nummer 77 –

»Wiss'n S',« sagte er einmal zu mir, »mei Nummera 77 kennen S' Ihnen leicht merken – dös wern S' glei ham, da brauch'n S' nur an a paa Bäckerhaxen z' denken.«

»An Bäckerhaxen?«

»Ja, weil die grad aa so bog'n san, als wie die zwoa Sieb'ner nebeneinand',« lachte er. Er konnte die Bäcker nicht leiden und gab einem Bäcker gerne eines auf das Dach. Nämlich, es hatte ihn auch einmal einer ausgespottet.

»So a Dienstmann,« hatte der gesagt, »hat gar kein richtiges Gewerb, weil er der Hansdampf für alle Leit sein muß.«

»So und du, ha?«

»I hab nur ei'n oanzigen Meister, und du hast siemazwanz'gtaused, du mit deiner Nummera 77 am Kopf.«

»Is mir alleweil no' lieber, i hab mei Nummera 77 am Kopf als an die Haxen, wie ös Bäcker,« hatte er schlagfertig erwidert und ihn als erledigt stehen lassen, weil sich eben vertrauensvoll eine Bauersfrau an ihn wendete, die sichtbarlich zum erstenmal in der Stadt war:

»Sie, Herr Korporal,« – wahrscheinlich hatte ihr's die rote Mütze angetan – »Sie, Herr Kaporal, i sollt halt d' Frau Strohhofer b'suchen.« Fiel meinem Gleiham gar nicht ein, zu lachen.

146 »So, so, d' Frau Strohhofer,« sagte er teilnahmsvoll.

»Ja, wiss'n S', die wohnt allaweil im Summer bei ins draußen auf'm Land und hat mi scho gar aso oft eingladen – da hab i halt do amal kemma müss'n, net?«

»Ja freili; aber dös is fei net schö' von Ihrer Frau Strohhofer, daß s' net amal auf'n Bahnhof kommen is zum Abhol'n von Eahna.«

»Aber wenn i s' doch überrasch'n will, Herr Kaporal,« sagte die Bäuerin vorwurfsvoll, setzte aber bekümmert hinzu: »Wenn 's nur net gar so viel Leit in der Stadt gebat – jetzt lauf i scho a halbe Stund umanand, ohne daß i s' g'sehn hätt, die Frau Strohhofer.«

»Ja, wo wohnt sie denn, Ihre Frau Strohhofer?« sagte ich, der ich dabeistand.

»In der Stadt halt, in der Stadt – Sie wer'n s' scho kennen, Herr Kaporal – a bisserl kloaner und a bisserl dicker is's, als wie i, und wenn s' lacht, zwickt s' immer das oane Aug zua, wiss'n S'.«

»Dös wern ma glei ham.« Der Dienstmann Gleiham war in den Eckladen hineingetreten, hatte das Adreßbuch aufgeschlagen und berichtet:

»Es gibt drei Strohhofer. Der oane is a Friseur, der wird kaum Zeit ham, alle Jahr zu Eahna aufs Land z' gehn. Der zwoate is a bensionierter Brofessor, der is's aa net, denn da hätten S' net nach der Frau Strohhofer, sondern nach der Frau Brofessor g'fragt. Also is's der dritte, – komman S' nur mit mir, Frau, dös wern ma jetzt glei ham.« Und schon trottete er mit der Bäuerin über die Straße. Sein dünner grauer Dienstmannsbart wehte schief im Wind.

147 Dann brach der Krieg aus. Er hat den Dienstmann Mathias Staudinger nicht verändert.

»Dös wern ma glei ham,« sagte der und stellte sich freiwillig. »Zu alt – der nächste,« hieß es.

»Dös wern ma glei ham,« murmelte der Dienstmann, ging hin, färbte sich seinen grauen Bart kohlschwarz und stellte sich nach einer Weile wieder.

»Nicht tauglich – der nächste, bitte,« hieß es wieder. Damals sah ich den Dienstmann Mathias Staudinger wirklich traurig. Kein Wunder, schien doch zum erstenmal sein Zauberwort zu versagen.

Und als er eines Tages wieder den Köter einer alten Dame spazieren führen sollte, hielt er's nicht mehr aus und rannte zum dritten Male auf die Kommandantur, immer murmelnd: »Dös wern ma glei ham – dös wern ma glei ham . . .«

Mächtig hat er aufbegehrt auf der Kanzlei: »Wenn i als Dienstmann heit noch die schwersten Sachen trag'n kann, nach werd i in Gottznamen doch auch noch was für eich taug'n, Deixel überanander!« Der Beamte überhörte den milden Dienstmannsfluch. »Die schwersten Sachen?«

»Natürli', was moanen S', wieviel Leit i in der Salvatorzeit heimg'schleppt hab'!«

»Auch auf dem Rücken, he?«

»Jawohl, auch auf dem Rücken, wenn s' der Salvator ganz umg'schmisssen g'habt hat.«

»Und wenn sie nun nicht der Salvator, sondern die Kugel umg'schmissen hätte?«

»Dös is gleich, mei' Rücken tragt s' aso oder aso – dös wern ma glei ham.«

»Ich denke, Sie können bei der Sanität eintreten, Mathias Staudinger.«

148 »Zu Befehl, dös wern ma glei ham.«

Der Dienstmann Gleiham hat da draußen seine Pflicht getan. Kaum, daß das letzte Sturmhurra seines Regiments verklungen war, stand er bereit, ein wenig vorgebeugt, ein wenig geneigt das dienstwillige Ohr, als höre er einem unhörbar erteilten Auftrag an seiner alten Ecke zu:

»Dös wern ma glei ham.« Und schon ging er mit seinem gleichmäßigen Schritte als Erster übers Feld hin, das noch umpfiffen war von Kugeln. Schon hatte er den ersten Stöhnenden auf seinen breiten Dienstmannsrücken geladen und geborgen.

Seltsam verweht stand sein dünner Graubart in der Luft. Schon stapfte er zum zweiten Male über den brüllenden Acker, hatte den zweiten, hatte den dritten aufgeladen. –

»Allen Respekt, Sanitäter Staudinger, vor den Leistungen Ihres Rückens.«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann, als alter Dienstmann muß ma halt ein eisern's Kreuz ham.«

»Dös wern ma glei ham,« scherzte der Hauptmann und schlug ihn vor zum eisernen Kreuz.

Lang hat er's nicht getragen, der alte Gleiham. Die Russen haben ihn auf einem seiner eisernen Kreuzgänge während eines Waffenstillstandes weggeschossen. Er hatte das Glück, in ein Münchner Lazarett zu kommen. Ich habe ihn besucht.

»Wir haben Ihnen ein Leben lang so viele Aufträge gegeben, Mathias Staudinger,« sagte ich, »vielleicht darf ich auch einmal für Sie eine Besorgung machen?« Er lächelte in den Kissen wie 149 von ferne. Als sei er schon auf seiner neuen himmlischen Dienstmannsecke angelangt.

»Ich meine, oh Sie nicht noch irgend einen Wunsch haben?« wiederholte ich beharrlich. Er lächelte wieder. »Dös wern ma glei ham,« sagte er, drehte sich um und war tot. Seltsam verweht züngelte sein dünner Graubart aus den Kissen. 150

 


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