Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Was gibst ma?

Als ich klein war, wußte ich nicht, was Gewissen war. Ich war also gewissenlos. Oder wie soll man es sonst heißen? Ich weiß wohl, es gibt auch große Leute, die sind gewissenlos. Also wären sie wie die Kinder? Aber es ist doch ein Unterschied, ein großer Unterschied. Denn die großen Gewissenlosen haben das Gewissen gehabt, und die kleinen Gewissenlosen kriegen's erst.

Ich habe es durch den Peter Munzinger bekommen. Er hat es mir durch »Was gibst ma?« beigebracht. Und ich habe es auch wieder durch »Was gibst ma?« angebracht. Das Gewissen muß eine homöopathische Krankheit sein, weil man sie durch sich selber wieder austreibt.

Der Peter Munzinger und ich sind auf der grünen Wiese bei den Heuschrecken gelegen und hatten auf der Herrgottswelt nichts zu tun. Es sei denn, daß sich der Peter Munzinger mit einem Grashalm aus Langeweile selber in der Nase kitzelte, hoch hinauf und niesen mußte. Und mit dem »Hazi!« ist ihm eine Frage herausgefahren:

»Was gibst ma, wenn ich's deiner Mutter net sag?«

»Was sag?« erwiderte ich erstaunt.

»Das wirst nacha schon sehn, wenn ich's ihr g'sagt hab,« drohte er.

Ich war mir freilich keiner Schuld bewußt 34 und hätte ruhig sagen können: »Sag's, sag's immerzu.« Aber in jenem Alter begann ein Wald von vielerlei Verordnungen und Verboten um uns aufzuwachsen. Möglich war es immerhin, daß irgend etwas vorlag, dessen Schwere ich mir selber nicht bewußt war. Und ehe dieser Peter Munzinger meine Mutter betrübte –

»Da hast a neue Feder,« sagte ich und hatte das Gefühl, als räkelten sich meine Schultern aus den Maschen eines Netzes.

Einen Tag lang blieben diese Maschen locker. Dann zogen sie sich wieder enger:

»Was gibst ma, wenn ich's deiner Mutter net sag?«

»Ich hab' dir doch erst gestern eine neue Feder geb'n,« sagte ich empört.

»Die ist schon verschrieb'n. Also, was gibst ma, wenn ich's deiner Mutter net sag?« Innerlich schrie es in mir: »Eine Watsch'n, daß d'n Himmel für a Baßgeig'n anschaust!« Aber nebenher lief die Erwägung: Und nach der Watsch'n? – Sagt er's doch der Mutter, und die schöne Feder ist dazu verloren –

»Da hast einen neuen Federhalter,« murkste ich heraus und warf das neue Holz der alten Feder nach.

Natürlich war es damit nicht getan. Am dritten Tage knöpfte mir der Peter Munzinger den schönsten Bleistift ab. Am vierten Tage mußte ein Indianerbüchl daran glauben. Am fünften ging ein Weihnachtskreisel diesen Weg. Am sechsten Tage lief ich ihm wie ein Lichtscheuer aus dem Weg. Am siebenten Tage war meine bis dahin so glatte Jungenseele ganz zerfetzt von Zorn und Kummer.

35 Da kam er schon die Allee herab, der Peter Munzinger. Ich hatte ihm schon alles gegeben. Er hätte mir nur noch die Seele oder die Mutter nehmen können.

»Was gibst mir, wenn –,« fing er unerbittlich an.

»Geh mit, geh mit, ich zeig dir's,« sagte ich kochend. Ich lief voraus. Zögernd kam er nach. Auf einmal standen wir vor meiner Mutter.

»Mutter,« schrie ich, »Mutter, der Peter Munzinger will mich verklag'n – aber ich sag's dir lieber selber – selber!«

»Was hast du angestellt?« fragte Mutter ernst.

»Ich hab – ich bin – ich weiß nicht,« stotterte ich erglühend. Es muß so ausgesehen haben, als reue mich plötzlich das Geständnis. Und ich selbst war so verwirrt. Etwas getan mußte ich wohl haben, schoß es mir dunkel durch den Sinn. Für nichts und wieder nichts gibt man doch nicht Feder, Federhalter, Indianerbüchl und Weihnachtskreisel her.

»Dann sag's du, Peter,« hörte ich Mutter wie aus einer Nebelferne sagen.

»Er hat – er ist – er hat,« hörte ich den Peter in derselben Ferne stottern. Es fiel ihm nicht gleich eine ordentliche Schlechtigkeit ein. Ha, hier klaffte eine Lücke für mein Schwert. Wehe, wenn der Schlechtigkeit die Phantasie ausgeht.

Peter Munzinger war davongerannt. Ich ihm nach. Wieder lagen wir auf der Wiese. Aber nicht nebeneinander, sondern ich oben und er unten. Meine Knie stemmten sich auf seine Arme. Er wollte brüllen. Ein dicker Heuschreck hüpfte ihm auf den Mund. Wenn der jetzt aufging, mußte 36 er den Heuschreck schlucken. Darum hielt er die Lippen zugebissen. Und ich sagte ganz ruhig:

»Was gibst ma, wenn ich –«

Er blinzelte hilflos gegen seine obere Rocktasche, aus der mein Federhalter heraussah. Ich holte mir ihn mit den Zähnen.

»Was gibst ma, wenn ich –«

Seine linke Tasche zuckte. Ich ersetzte meinen linken Kniedruck durch die linke Hand und half dem Indianerbüchl aus seiner Tasche.

»Was gibst ma, wenn ich –«

Seine rechte Tasche blähte sich. Der Weihnachtskreisel rollte heraus. Während dieser ganzen Zeit saß der Heuschreck seelenruhig auf Peter Munzingers festgeschlossenem Mund und sondierte bedächtig mit den Fühlern, ob es jetzt genug sei.

»Was gibst ma, wenn ich dir den Heuschreck vom Maul wisch?« lachte ich und ließ den Peter los. Brüllend trollte er sich fort.

Als er weit fort war, fiel mir noch die Feder ein. Na, die mochte auf unserm Konto vorgegetragen werden. Es dämmerte mir die Erkenntnis, daß es gut sei, wenn man einen letzten Rest nicht einkassiert. Der stopfte Peter Munzinger ein für allemal den Mund. 37

 


 << zurück weiter >>