Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Narr

Es war zu der Zeit, da die Könige noch fröhlich waren und Vatermörder trugen. Zu der Zeit, wo ihnen der Hofmedikus gegen die allzu rundlich werdenden Körpermittelstücke ein tägliches Gelächter verordnete: zu verabreichen vom Hofnarren.

Zu der Zeit also lebte im südlichen Deutschland ein Hofnarr. Und dieser Hofnarr hatte einen König . . . Wie? Nein nein, nicht umgekehrt. Der Hofnarr hatte den König am Bändel. Er machte ihn froh, er machte ihn traurig mit seinen Reden, gerade wie's ihm gefiel. So oder so. Was immer auch der Minister Stirnen umwölken oder entrunzeln machte – der Hofnarr machte das Wetter im Reiche.

Alle kannten seine Macht im Reiche und alle respektierten seine Macht. Das aber kam daher, weil seine Reden, seine Witze keine Absicht hatten. Seiner Rede Blasen sprangen auf wie Blasen im See. Jetzt sieh da . . . Jetzt nicht. Warum? Aus keinem andern Grunde, als weil es ihnen so gefällt. Und ohne Zweck und Ziel. So auch der Narr. Er wollte nichts für sich. Und darum war er obenauf, was immer kam und ging.

Und noch eine ganz besondere Eigenschaft hatte der Narr. Er wußte immer, wo er ging und stand, einen Witz. Keinen alten Witz, nein, jedesmal einen funkelnagelneuen. Kein Narr in Deutschland machte ihm das gleich. Witze wußten 12 freilich alle andern Narren auch. Aber sie mußten sie extra machen oder aus dem Stapelvorrat nehmen, wenn sie welche brauchten.

Dieser Narr indessen machte keine Witze. Hielt kein Lager von ihnen. Beides hatte er nicht nötig. Seine Witze sprangen aus ihm selber wie der Funke aus der Leydener Flasche. Man brauchte nur den Fingerknöchel nahe zu bringen – flugs sprang mit knisterndem Gelächter ein Funke über.

Einmal hatten Königs späte Gäste. Die wollten an die Witzebereitschaft dieses Narren nicht recht glauben. Und ein König aus dem Nachbarland sagte:

»Wo ist der Narr, daß ich ihn prüfe?«

»Schon zu Bett, mein lieber Schwager; es ist ja drei Uhr morgens und . . .«

»Desto besser, so wecken wir ihn plötzlich. Wecken ihn mit einem Witze, und er soll dann, wenn er kann, gleich wenn er aufwacht, mit einem neuen Witze replizieren.«

»Einverstanden, lieber Schwager. Jedoch mit welchem Witze willst du meinen Narren wecken?«

»Laßt mich nur machen. Gebt mir eine Kerze . . . Nein, eine brennende Kerze. Und begleitet mich. Wo schläft der Narr?«

Da gaben sie ihm eine brennende Kerze und folgten ihm.

Sie mußten viele Stufen steigen. Hoch oben unterm Dache war des Narren Lagerstatt. Auf den Zehen traten sie ein. Da lag der Narr und schlief. Und noch im Schlafe hatte er ein witziges Gesicht. Jetzt eben warf er sich im Schlaf herum, so daß er mit der Nase auf dem Kissen lag. Sicher plagte ihn ein Traum.

13 Da nahm der Nachbarkönig seine Kerze, zog des Narren Decke ganz behutsam von seinem bloßen Körper und neigte das Wachslicht ein wenig schräge, so daß ein heißer Tropfen auf des Narren rundeste Stelle fiel.

Voller Spannung wartete der König mit den Gästen, daß der Narr erwache. Aber der schlief ruhig weiter.

»Noch einmal,« flüsterten sie alle.

Wieder wollte der Königsschwager seine Kerze neigen – da, auf einmal war die Kerze ausgeblasen, und die ganze Gesellschaft, zwei Könige und eine ganze Reihe Fürstlichkeiten, stand im Dunkeln da und flüsterte:

»Wer blies die Kerze aus?«

»Ich nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Wir nicht, wir nicht.«

»Wer denn?«

»Das hat der Narr getan.«

»Der Narr, der schläft ja wie ein Murmeltier und noch dazu verkehrt.«

»Da hat er eben die Kerze auch verkehrt ausgeblasen, versteht ihr. Das ist ja doch der Witz. Ein Witz im Traum, meine Herren. Mein Narr braucht gar nicht wach zu sein zum Witzemachen. Er kann das auch im Schlafe.«

»Na, aber . . .«

»Jetzt, das ist . . .«

»Da hört sich doch . . .«

Halb scheppernd vor Gelächter und halb entrüstet schlichen sie sich wieder aus des Narren Zimmer, die Treppe hinunter und in den Saal zurück. Der Königsschwager aber mit der 14 ausgelöschten Kerze, die er noch immer in seiner Hand hielt, bekam ein unauslöschliches Gelächter . . .

Des Narren Ruf vermehrte sich jedoch von Stund' an so, daß man von weither kam, um den Narren zu sehen und zu hören. Gar einmal kam der Kaiser zu Besuch.

»Ich habe Wunderdinge von Eurem Narren gehört, wo ist er denn?«

»Ich gab ihm Urlaub; seine Mutter ist gestorben. Er wird jetzt an ihrem Grabe sein, an der Dreifaltigkeitskirche . . .«

»Laßt uns hingehen. Ich will sehen, ob er auch da noch Witze machen kann . . .«

»Er kann immer Witze machen.«

»Gut, so laßt uns sehen.«

Da gingen sie in die Stadt und fanden den Narren vor dem Gottesacker der Dreifaltigkeitskirche.

»Der Kaiser will, daß du auf der Stelle einen Witz machst,« sagte der König.

Da verzog der Narr ein wenig sein Gesicht und sagte:

»Das ist die Dreifaltigkeitskirche, nicht?«

»Wird schon so sein,« sagte der Kaiser.

»Wir sind auch dreifältig, nicht wahr?« fuhr der Narr fort.

»Natürlich.«

»Wenn aber der König fortgeht, was sind wir dann, Eure kaiserliche Majestät?«

»Zweifältig eben,« sagte der Kaiser, »aber das ist doch kein Witz.«

»Wenn ich nun aber auch noch fortgehen würde,« fuhr der Narr fort, »was sind Kaiserliche Majestät dann?«

15 »Einfäl . . .« sagte der Kaiser und verkniff gleich darauf sein Gesicht zu einem schmerzhaften Lächeln. Dann aber besann er sich auf seine Würde und schrie den Narren an, er sei ein Hanswurst, und er werde schon sehen . . .

Der Narr aber ging seiner Wege. Unterdessen verabredeten der König und sein kaiserlicher Gast, jetzt den Spieß einmal umzukehren und den Narren hineinzulegen. Und sie machten einen feinen Plan.

Noch spät abends kam der Hausminister zu dem Narren und eröffnete ihm in des Königs Namen, er habe sich so schwer an dem kaiserlichen Gaste versündigt, daß dieser sein Leben gefordert hätte, widrigenfalls . . . hier machte der Hausminister eine dunkel drohende Geste. Und der König habe es dem Kaiser zugesagt. Des Narren Streiche seien ohnehin in den letzten Jahren über alles Maß und Ziel gegangen, keinen Menschen habe er geschont mit seiner spitzen Zunge, nun würde seiner auch nicht mehr geschont . . . Und morgen früh um zehn Uhr sei die Hinrichtung auf dem Marienplatz neben dem Metzgerbrunnen.

Da fiel des Narren Unterkiefer stark nach unten und seine Witze griffen in das Leere. Er bat um Gnade. Doch der Hausminister zuckte nur die Achseln. Das sei nicht seine Sache.

Zum König selber rannte dann der Narr, beschwor ihn, erinnerte ihn an manche frohe Stunde, die ihm, dem König, seines Narren Witz gebracht. Vergeblich. Hart blieb der König und sagte, er habe es dem Kaiser fest versprochen. Und wenn er dieses Versprechen nicht halte, so sei das Land in Gefahr. Und das Land sei doch immerhin ein 17 wenig mehr wert als ein Narr, das müsse er doch selber sehen.

Da sah der Narr keine Rettung mehr.

Traurig ging er des Morgens noch einmal an das Grab der toten Mutter, betete und ließ sich gesenkten Kopfes nach dem Richtplatz führen.

Wenn er's recht bedachte: er hatte dieses Leben selber leid, dieses Leben voller Witze, die er immer für die anderen machen mußte, Tag und Nacht. Nach alledem war ja das Sterben nicht so schwer. Wenn es nur rasch ging und kein langer Schmerz . . .

»Wie werde ich hingerichtet?« fragte er den Richter.

»Mit dem Schwerte.«

Da waren sie schon bei dem Metzgerbrunnen angekommen. Das Schafott, mit rotem Tuche ausgeschlagen, stand im Sonnenlichte da. Und eine summende Menge füllte den Platz und gaffte.

Weiß der Teufel, die waren gar noch fröhlich.

Man konnte es deutlich hören an den hohen Lauten.

»So ist das Volk,« ging's dem Narren durch den Sinn; »das ganze Leben ihm zu Spaß und Kurzweil gelebt und am Ende lacht es auch noch, wenn man selber hingerichtet wird.«

Da kam der König mit dem Kaiser zu seiner Rechten. Gefolge. Trompetenstöße. Die Majestäten hatten Platz genommen.

Noch einmal trat der Herold mit dem Todesurteil an den Rand der Estrade und las es vor mit lauter Stimme.

Dem Narren ward es dunkel vor den Augen.

18 Ein Brausen drang an seine Ohren. Die klatschten gar noch Beifall. Mochten sie. Er war bereit.

Zitternd legte er sein witzemüdes Haupt auf das Schafott und der König winkte.

Da trat der Scharfrichter heran mit einem breiten Schwerte in der einen Hand, in der anderen hielt er etwas unter seinem Mantel verborgen, was man nicht sehen konnte.

Der Narr sah noch das Richtschwert blitzen, dann schloß er die Augen und sah es nicht mehr, wie der Henker sachte das Schwert auf die Seite legte und eine lange Kette Regensburgerwürste aus dem Mantel hervorholte.

Die schwang er in der Luft und hieb sie dem Narren fröhlich um den Hals.

Das war ein Jubel über dem großen Platze. Das war ein Dröhnen in der Königsloge. Endlich hatte man den Narren, der schon so viele zum besten hielt, auch einmal hineingelegt.

Es war nur sonderbar, daß der Narr den Kopf vom Richtblock nicht erhob.

»Narr, steh' auf!« rief der Kanzler.

Aber der Narr rührte sich nicht.

»Narr,« rief auch der König, »wenn das ein Witz sein soll? – Aufstehn sollst du, befehle ich dir.«

Aber immer noch blieb er unbewegt, der Narr. Da kann sich der Kanzler nicht mehr länger halten. Er stieß den Narren heftig an. Der schlug auf die Erde – tot.

Der Schrecken hatte ihn getötet. Noch im Sterben hatte er die Welt – zum besten gehalten. 19

 


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