Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Halbe und ganze Pfunde

Richtig rechnen ist eine Kunst, eine kaltnasige. Falsch rechnen ist ein Fehler, ein vergnügter.

Mit dem Rechnen hatte es die Glasscherbenzenzi nie gehabt. Zusammenzählen, wenn sie auf großes Geld herausgab, das ging noch. Aber schon das Abziehen trieb den Schweiß auf ihre gute alte Stirne. Beim Dividieren streckte sie die Waffen.

Mit dem Dividieren wartete sie an ihrem alten Obstkarren, die Kreide in der Hand, bis die Schule drüben aus war. Dann griff sie sich den mit dem hellsten Gesicht aus dem Jungenhaufen: »Büaberl, magst dir was verdienen?«

»Dös glaubst,« bekannte der Schreinertoni und schielte nach den Kirschen.

»Eine Handvoll?«

Der Schreinertoni schaute seine kleine Hand an, schaute auf die großen Zenzlpratz'n: »Die da oder die da?«

»Bist ein Schlauer. Also, paß auf: Fünfzehnhundertfünfzig Mark kostet das Pfund, was kost's halbe?«

»Siebenhundertfünfundsiebzig« hat der Schreinertoni sagen wollen. Aber da waren nur Siebenhundertfünfzig in der Hosentasche vom gestrigen Geburtstag her und fünfundzwanzig Mark waren festgelegt für eine grüne Zuckerstange. Also hat er frank und frech gesagt: »Macht siebenhundertfünfundzwanzig! Geb'n S' mir gleich ein halbes.«

120 »Macht siebenhundertfünfzig«

»Fünfundzwanzig,« verbesserte Toni.

»Bei die halben Pfund muß ich fünfundzwanzig Mark draufschlag'n, aber weil du's bist, wieg ich ein bisserl gut, schau her.«

Kirschenessend trollte sich der Toni und errechnete sich ein gut Gewissen: »Ich habe falsch halbiert, sie hat mich um mein Zuckerstangerl 'bracht, also sind wir quitt.«

Inzwischen malte die Glasscherbenzenzi auf die Karrentafel:

Härzkirschen schene
1 Pfund 1550 M
½ " 750 M

Leute kamen, Leute gingen, Leute blieben stehen, Leute bewegten rechnend die Lippen, Leute schmunzelten, Leute zogen ihre Börse: »Ein halbes Pfund, bitte.« – »Mir auch ein halbes Pfund.« – Und mir, bitte.« – »Mir auch, mir auch . . .«

Kleiner wurde der Herzkirschenberg und kleiner. Leute, die sonst niemals Kirschen kauften, beim Lesen der Preistafel kamen sie ins Schwanken und verlangten doch ein halbes Pfund. Leute, die es in Geschäften eilig hatten, waren plötzlich nicht mehr eilig. So eilig hat es keiner, daß er im Vorübergehen nicht von einem Rechenfehler seines Nächsten profitieren möchte. Selbst wenn er Durchfall hat. Wo Vorteil winkt, fällt keiner durch. Im Gegenteil, man sucht den Vorteil zu vergrößern. –

»Mir, bitte, zwei halbe Pfund.

»Also, a ganz's Pfund?«

»Nein, zwei halbe, jedes extra, bitte.«

»Aber dann muß ich für ein jed's den halben Pfundpreis –«

122 »Selbstverständlich.«

Die Zenz schüttelte den Kopf. Die Zenz wog. Der Käufer log:

»Wissen S', meine beiden Kinder streiten sonst.«

Der nächste Käufer hatte gleich drei streitlustige Kinder, denen er drei einzelne halbe Pfund kaufen mußte.

Dann kam einer, der kaufte zehn halbe Pfunde. Von allen Seiten eilten sie herbei, ein Geriß und Gerauf gab's um die halben Pfunde. Und zwischen Wiegen, Füllen, Geldeinnehmen wackelte der Kopf der alten Zenzi mehr und mehr verwundert: »I weiß net, was die Leut' heut' hab'n, daß s' auf die halben Pfund' so narrisch sind!«

»Das will ich Ihnen sagen,« polterte ein Ehrlicher, »wenn Sie die halben Pfunde um –«

»Tut mir leid, 's Papier kost't extra, beim Kleinauswiegen geht was verlor'n, von der Arbeit will ich gar net reden –«

»Aber liebe Frau, ich meine ja –«

»Liebe Frau hin und her, ich kann's net billiger –«

»Teurer, mein' ich, teurer!«

»Hör'n S' mir auf, die Leut' in d' Taschen 'neinsteig'n mag i a net.«

»Aber, beste Frau, man steigt ja Ihnen in die Tasche, wenn Sie –«

»Verkaufen Sie d' Kirschen oder verkauf's i?«

»Aber so lassen Sie sich doch erklären –«

»Kaufen S' was oder kaufen S' nix?« fuhr ihn die Zenz an.

Er mußte lächeln: »Ich wette meinen Kopf, Sie haben heute nur halbe Pfund verkauft, nicht wahr?«

123 Sie sieht ihm ganz erschrocken nach: »Woher der Mensch nur weiß?«

Und die Zenz verkaufte weiter ihre halben Pfunde, bis der Karren leer war. Von benachbarten Obstständen wurde eine finstere Frauenkommission herübergeschickt, wie es komme, daß man selber nichts verkaufe, während die Zenz –«

»Wenn die uns unterbiet't –,« drohend schürzten sich die Ärmel, »wie verkauft s' das Pfund?«

»Wie wir, zu Fünfzehnhundertfünfzig, aber's halbe –«

»Neue Kirschen, neue Kirschen!« rollten Karren von der Markthalle her.

Der Kirschenmarkt spitzte die Ohren. Der Kirschenmarkt zitterte. Große Zufuhren waren eingetroffen.

»Neue Kirschen,« brüllten die neuen Händlerinnen durch die Straße, »neue Kirschen, das Pfund zwölfhundert Mark, das halbe sechshundertfünfzig Mark!«

Im Nu war die Zenz umringt: »Die hat's g'wußt . . . die ist a g'wasch'ne . . . die hat uns alle ausg'schmiert! . . . Jetzt sitzen wir auf uns're teuern Kirschen! . . . Eine Gemeinheit ist's! . . . Pfui Deifi, schaam' di, alte Zenz!«

Sie begriff nicht. »Spinnt's ihr?« sagte sie und schob den Karren weiter, »was ist denn los?«

Erregte Weiberhände trommelten auf der Preistafel: »Hineing'legt hat s' uns, sauber 'neing'legt!« – »Stellt sich an, als könnt' sie net bis fünf zähl'n –!«

Gutmütig wendet sie den Kopf: »Bis fünf? dös kann i – nur mit dem Dividier'n, da hat's ein' Haken!« und entschwindet. 124

 


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