Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heier wern d' Baam deier

Ich wanderte mit einem norddeutschen Professor der Philologie durchs bayerische Hochgebirge.

Er war begeistert von den urwüchsigen Menschen, wie er sie nannte.

»In ihrer Sprache muß sich mancher alte Sprachschatz erhalten haben,« sagte er, »nur schade, daß ich den Dialekt nicht recht verstehe.«

»Ich will es Ihnen gerne übersetzen,« sagte ich.

»Nein, beim Übersetzen geht das Beste doch verloren; als Philologe fühle ich ja schließlich, was dahintersteckt, auch wenn ich es nicht wörtlich verstehe.«

Ich schwieg.

Gesellte sich ein alter Holzbauer unterwegs zu uns. Er trabte mit und half uns schweigen. Aber einmal blieb er stehen, fuhr mit der Hand über die alte Stirn, bekam einen fast prophetischen Glanz in die Augen und rief so melodisch, als es ein alter bayerischer Holzbauer eben kann: »Heier wer'n d' Baam' deier!«

»Wie?« sagte der Professor.

»Heier wer'n d' Baam' deier!«

Der Professor schien zu schwanken: Sollte er mich dennoch fragen? Aber er bezwang sich.

»Ja ja,« sagt er zum Bauern.

»Jo jo,« wiederholte er, »heier wer'n d'Baam' deier!«

196 Und diesmal kam ein richtiger Rhythmus herein, wie bei allen Sätzen, die man wiederholt.

»Nur eine Frage, bitte,« wandte er sich doch an mich, »nur eine kleine Teilfrage. ›Baamdeier‹, was ist das doch gleich?«

»Ja, das ist so eine Sache,« sagte ich verärgert über die frühere Abweisung.

»Aha, da scheinen Sie Ihre Dialektkenntnisse selbst ein wenig im Stiche zu lassen?« triumphierte der Professor.

»Ja, das ist so eine Sache,« beharrte ich.

Unterdessen trabte der alte Holzbauer, der kein Wort von unserer gebildeten hochdeutschen Unterhaltung verstand, ruhig neben uns her und warf nur ab und zu einen Blick hinauf zu den prächtigen Wäldern.

»Übrigens,« sagte der Professor nach einer Weile, »habe ich das bestimmte Gefühl, als ob es sich um einen Auftakt zu einem uralten Volkslied handelt – auch der Reim weist darauf hin.«

»Ja,« sagte ich, »das ist so eine Sache.«

»Es käme nur darauf an, den Mann zum Fortfahren zu ermuntern; wollen Sie vielleicht so gut sein?«

Wir kamen an einem Wirtshaus vorbei.

Ich machte gegen den Bauern einen Zungenschnalzer und die Bewegung des Geldzählens, wobei ich auf die Biergläser schaute, die im Freien auf den Bänken standen.

Er verstand sofort und ging wortlos mit.

Dann saßen wir beim ersten Glas, und der 198 Professor schaute erwartungsvoll zwischen mir und dem Holzbauern hin und her.

»Ich zahle alles,« sagte er, »im Interesse der Sache, wissen Sie.«

Ich nickte und sagte ermunternd und vorerst ganz allgemein zu dem Holzbauern: »Ja, ja, mei' Liaba, ja, ja.«

Aber er reagierte nicht darauf; denn er war dringend in sein erstes Glas vertieft.

»Ich denke, daß er beim zweiten redseliger wird,« sagte ich zum Professor.

Aber auch das zweite trank er schweigend aus; erst beim dritten legte er die Arme breit auf den Tisch, sah uns beide freundlich an, und während er wieder zu dem herrlichen Hochwald hinaufsah, sagte er abermals prophetisch: »Heier wer'n d' Baam deier!« und schwieg.

»Heierwern – heierwern – wenn ich nur wenigstens das wüßte, was ›heierwern‹ bedeutet,« jammerte der Professor.

»Den Auftakt, Herr Professor,« sagte ich.

»Lieber guter Mann,« wandte sich der Professor jetzt direkt an den Bauern, »fahren Sie doch in Gottes Namen fort!«

»Han S'?«

»Fortfahren sollen Sie.«

»Ja mei', heier wer'n d' Baam deier.«

»Ach Gott, ach Gott, das ist ja dasselbe wieder – es scheint umsonst zu sein – der Mann weiß offenbar nur den Anfang – aber lassen Sie gut sein – ich habe mir die beiden Anfangsverse genau dem Laute nach notiert – phonetisch, verstehen Sie – und wenn ich nach Berlin zurückkomme, so werde ich –«

199 Unterdessen hatte der Holzhauer das vierte Glas auf des Professors Rechnung ausgetrunken und war aufgestanden.

»Jo jo,« sagte er und stampfte mit seinem Stecken davon, »jo jo, heier wer'n d' Baam' deier.« 200

 


 << zurück weiter >>