Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Zum ersten, zum zweiten und zum . . .

Nach zehnjährigen treuen Diensten ächzte mein Schreibtischsessel auf und war kaput. Flicken lohnte sich nicht mehr, also einen neuen. Neue aber waren unerschwinglich.

»Weißt du was,« sagte meine Frau, »wir steigern einen.«

»Aber ich habe keine Ahnung von der Technik.«

»Hm, ich auch nicht, schau im kleinen Meyer nach.«

Ich schlug ihn auf: »Versteigerung ist die freiwillige oder unfreiwillige Vergantung von beweglichen oder unbeweglichen öffentlich aufgerufenen Gegenständen mit dem Zuschlag des Auktionators zum Höchstangebot.« – »Schön,« sagte meine Frau, »jetzt gehen wir. In der Löwengrube ist eine ausgeschrieben.«

Unterwegs fragte sie mich: »Hast dir's ordentlich gemerkt?« – »Versteigerung ist die freiwillige oder unfreiwillige – Ver – Ver – ich habe das Wort vergessen.« – »Dachte mir's. Kehr um und nimm den kleinen Meyer mit.« – Ich kehrte um und nahm den kleinen Meyer mit.

Unterwegs trafen wir den langen Meyer, unsern Vetter. »Na, wohin?« fragte er. – »Einen Schreibtischsessel wollen wir einsteigern.« – »Steigern? Wißt ihr denn Bescheid?« – »Freilich. Eine Versteigerung ist die freiwillige oder unfreiwillige Vergantung beweglicher oder 208 unbeweglicher –« – »Quatsch!« – »Bitte sehr, im kleinen Meyer hier –« – Er wollte sich totlachen. »Aufs Bieten kommt es an und nicht aufs Definieren. Der mit dem Hammer will viel haben. Ihr wollt wenig geben. Andere mehr. Ihr müßt ihnen zuvorkommen oder den Appetit verderben, das ist die Kunst.« – »Aber im kleinen Meyer –« – »Der kleine Meyer ist ein theoretisches Lamm, sagt ihm das mit einem schönen Gruß vom langen Meyer, guten Morgen . . .!«

»Das mit dem Appetit verderben leuchtet mir ein,« sagte meine Frau. »Aber wie?« sagte ich. »Laß mich nur machen.«

In der Löwengrube wimmelte es. Eine Menge Hausrat stand zum Aufruf. Ein Sessel stand auf einem Tisch. »Sag ihm,« flüsterte meine Frau, »daß der zuerst dran kommt.« Eine dicke Frau drehte den Kopf herum: »Alles nach der Reihe, erst kommt der Tisch, auf dem der Sessel steht.« – »Warum nicht erst der Sessel, der auf dem Tisch steht?« sagte ich hartnäckig.

»Ein Tisch!« brüllte der Mann mit dem Hammer, »fünfzig Mark zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Sechzig!« schrie die dicke Frau. – »Siebzig!« rief ein kleiner Mann. – »Achtzig!« schrie die Frau. Und so ging's weiter, bis der Tisch versteigert war.

»Jetzt der Sessel!« rief ich. – »Ein Spiegel, ein schöner Spiegel, ein sehr schöner Spiegel!« brüllte der Hammermann, »hundertfünfzig Mark zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Hundertsechzig!« schrie die dicke Frau. – »Hundertsiebzig!« rief der kleine Mann. – »Hundertachtzig!« schrie die Frau. Und so weiter.

209 Meine Frau hatte einen roten Kopf. »Jetzt aber den Sessel!!« rief sie. »Was die nur mit dem Sessel hat!« brummte es hinter uns.

»Ein Kleiderschrank!« brüllte der Versteigerer, »zweihundert Mark zum ersten –« Es wurde schwül. Dann kam eine Kommode an die Reihe. Es wurde schwüler. Schließlich war alles versteigert. Nur der Sessel stand noch in der Ecke. Der Hammermann mußte ihn übersehen haben. »Ich schließe hiermit die Versteigerung,« sagte er.

»Und der Sessel!« schrie ich. – »Ach so, der Sessel – na, schön – – vierzig Mark zum ersten –« – »Nimm ihn,« sagte heiser meine Frau. »Ich nehme ihn zu vierzig!« schrie ich aufgeregt. – »Zum ersten, zum zweiten und zum –«

»Einundvierzig,« sagte die dicke Frau geringschätzig und gähnte. – »Unverschämt!« entfuhr es meiner Frau. – »Was, unverschämt!? Ich geb' Ihnen gleich unverschämt! Eine solche Unverschämtheit –!«

»Einundvierzig zum ersten,« brüllte der Hammer gleichmäßig. »Zweiundvierzig,« rief ich. – »Dreiundvierzig!« schrie meine Frau. – »Vierundvierzig!« schrie ich und schlug mit dem kleinen Meyer aufs Geländer. – »Fünfundvierzig!« schrie meine Frau. – Der Hammer schmunzelte: »So ist's recht, wenn Mann und Frau zusammenhalten.«

Die Leute lachten. Jemand schlug mir auf die Schulter: »Ihr treibt ja einander selber in die Höhe – übrigens ein ganz schöner Sessel – Fünfzig Mark biete ich.« – »Fünfundfünfzig!« rief meine Frau. – »Sechzig!« rief der Herr. – Ich fing zu zittern an. Was hatte der lange Meyer 210 gesagt: Appetitverderben? »Sechzig für den Sessel?« schrie ich, »ist ja Unsinn!«

»Aha,« hörte ich es raunen, »die wollen ihn um jeden Preis. Mit dem Sessel ist was los. Historisch oder sowas –« – »Sollt' mich wundern, wenn der nicht vom Herzog Karl Theodor –« – »A was, Herzog! Da ist ganz was anderes –«

»Sechzig zum ersten, zum zweiten, zum –« – »Siebzig!« rief meine Frau. – »Aber Frau,« flüsterte ich. – »Laß mich,« zischte sie aufgeregt, »ich muß ihn haben!«

»Hört ihr's,« murmelte es hinter mir, »sie muß –«

»Siebzig zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Achtzig!« schrie meine Frau – – »zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Neunzig!« rief meine Frau.

Gelächter und Gemurmel: »Die sind verrückt –« – »Verrückt? Die wissen ganz genau –« – »Und ich sag' Ihnen, Herr Nachbar, mit dem Sessel ist was los.« – »Was soll denn mit dem Sessel los sein?« – »Was weiß ich – aber hat man nicht schon g'hört, daß unterm Polster oft ein ganzes Bündel Banknoten –«

»Neunzig zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Hundert!« schrie jemand. – »Zweihundert!« ein anderer.

Stille. Dann wieder ein Gemurmel: »Hab' ich's Ihnen nicht g'sagt mit die Banknoten –?«

»Dreihundert!«

Meine Frau war weiß geworden: »Wir können nicht mehr mit, Mann.« – »Jetzt grad extra!« rief ich erbost, »dreihundertfünf!«

211 »Vierhundert!« – »Fünfhundert!« – »Fünfhundert zum ersten, zum zweiten und zum –« – »Tausend!«

»Ah – aah – hab' ich's Ihnen nicht gesagt – wenn man nur wüßt', wie dick das Banknotenbündel –« – »Lassen S' mich aus mit die Banknoten – was sind Banknoten heutzutag gegen einen festen Sessel –«

»Tausendzweihundert!« – »Tausendfünfhundert!« – Eine wilde Erregung ging um. Gerüchte schwirrten durch den Saal. Auf siebentausend Mark wurde der Sessel hinaufgetrieben. Langsam zog der Sieger mit ihm ab. Hundert Augen folgten ihm.

»Was wetten wir,« sagte jemand, »in fünf Minuten hat er'n aufgeschnitten, und wenn dann wirklich hunderttausend Mark –« – »Dumm's Zeug, die haben in dem Sessel gar nicht Platz.« – »Haben Sie eine Idee! Hunderttausend Mark in Tausender sind nicht dicker wie mein Daumen, in so einem Sessel hat eine Million Platz, sag' ich Ihnen.«

Draußen auf der Straße umklammerte meine Frau meinen Arm: »Denk mal, Mann, eine Million –«

»Beruhigen Sie sich,« sagte ein junger Mann, »Sie erlauben, daß ich mich vorstelle: Maier, Student der Medizin. Drei Semester hab ich noch. Aber Geld hab' ich keines mehr. Da hab' ich überflüssiges Erbmobiliar versteigern lassen. Jetzt langt's außer zu den drei Semestern noch zu einem extra ins Gebirge. Das verdank ich Ihnen –«

»Mir?«

212 »Ohne Sie wäre der alte Sessel nicht auf siebentausend Mark gekommen –«

»Aber ich verstehe nicht –«

»Das war's ja gerade. Ich habe einen zweiten – kommen Sie – den schenk ich Ihnen . . .«

Und jetzt steht wieder ein Sessel vor meinem Schreibtisch. Der kleine Meyer blickt zufrieden darauf herab, nur der lange Meyer, der Vetter, ist neidisch-mißvergnügt: »Hm, einen Sessel ganz umsonst – ich hab's ja immer gesagt, am billigsten kaufen auf Versteigerungen die, die nichts davon verstehen.« 213

 


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