Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Blau – Gold – Violett

Bei Kramer & Friemann war Inventur. Wir Lehrlinge wurden scharf herangeholt. Todmüde kam ich heim zur Mutter. Da saß Franz Mark da.

Heimlich spielte Mutters Lampenlicht unter seinen aufgeknöpften Rock und enthüllte die verbotene Verbindung Marizalia. Kein Mensch hat je gewußt, was Marizalia heißt. Ich vermute heute, daß in grauer Vorzeit ein Pennäler diesen Namen versehentlich gestottert hat. Vielleicht 162 hat er vernünftig sagen wollen: »Marie, zahlen!« Aber weil es hinterm sechsten Liter Bier war, wurde Marizalia draus. Ist aber erst ein solcher Volltonname da, so muß auch der zugehörige Inhalt hineingelegt werden. Und darum wurde die geheime Handelsschulverbindung Marizalia um den Namen herumgegründet. Das mächtigste an ihr war das Geheimnis und die Gefahr. Laut Schulstatut stand der Ausschluß hinter ihr. Unzähligen Müttern hat sie Kummer gemacht, die Marizalia. Ich kenne Mütter, die abends ins erschnüffelte Kneipzimmer der Verbindung stürzten. »Der Rektor folgt mir auf dem Fuße!« Aber kein Rektor folgte. Nur Verfolgtenruhm ging um und hob junge Stirnen, straffte junges Rückgrat in der Richtung nach der Männlichkeit. Heute habe ich den Rektor mit dem gütigen Gesicht im Verdacht, er hat Jahr für Jahr um Blau-Gold-Violett gewußt.

Blau-Gold-Violett waren nämlich bei Gründung der Marizalia die einzigen noch verfügbaren Farben. Alle andern waren von den offiziellen Verbindungen des Landes schon belegt.

Mit einem blau-gold-violetten Hängeband an der Westentasche saß also Franz Mark da und schwang eine offizielle Ansprache an mich im Telegrammstil: »Marizalia hohe Ehre schätzen, mich als ehemaliges heimliches Verbindungsmitglied in ihrem Schoße willkommen heißen – heutige Schlußkneipe – übermorgen Schulentlassungsfeier – 'n ja, 'n ja –«

Ich war hundemüde von der Inventur. Aber die Ehre – 'n ja, 'n ja. Mutter sah besorgt nach: »Wenn du nur beim Zeug bist morgen –?«

Franz Mark kratzte kavalierartig hintenaus: »Gestatten, gnädige Frau – wir übernehmen jede Responsabilität – 'n ja, 'n ja.«

Im Hinterzimmer des »Grünen Krokodils« war großer Tag. Die Marizalia war vollzählig. Sie wären alle durchgekommen, hatte sie der Rektor morgens nach dem mündlichen Examen wissen lassen. Die große Nervenspannung war gelöst. Jubel hätte herrschen sollen.

Statt dessen war die Stimmung ernst. Der heimliche 163 Flimmermantel der Marizalia war gefallen. Nackt stand sie da vor einem großen Tor. Und hinterm Tor das große schulbanklose Unbekannte. Wie wird's da draußen sein? Erlöst von einer Prüfungsangst, reckte sich ihnen die neue Prüfung auf, dunkel, drohend, um und um bespickt mit so viel unregelmäßigeren Verben als »falloir« und »naître«. Falloir ist müssen, naître ist geboren werden: »Junger Mann, du mußt – junger Mann, du kannst aufs neu geboren werden, junger Mann jetzt gilt es, zwischen Pflicht und Drang den einen schmalen Weg zu steuern!«

Nicht daß ich damals so gescheit gewesen wäre. Gott bewahr' mich. Jung und dumm war ich und ließ mir Weihrauch streuen von der Marizalia. Rechts vom Präsidenten saß ich würdevoll und ließ es ölig auf mich niedertropfen: »Ehrengast in unserer Mitte . . . Sturm und Drang der Schulbank hinter sich . . . Mitarbeiter einer Weltfirma . . . Mitschaffer am, wie der Dichter sagt, sausenden Webstuhl der Zeit (er stieß ein wenig mit der Zunge an und sagte »saufenden«, was niemand störte) . . . beantrage kolossalen Begrüßungsschluck.«

Mächtig mußte ich Bescheid tun. Dann tat sich ein Silentium auf für meine Gegenrede. Ich ließ mich treiben und durchstreifte wehmütig-selige Schulerinnerungen. »'n ja, 'n ja«, stand auf den Gesichtern, »aber wie sieht's hinterm dunklen Tor aus? Von den Erfahrungen deiner Weltfirma möchten wir was hören.«

Ich schwankte. Von Kramer & Friemann erzählen? Von dem alten Buchhalter und dem jungen Volontär? Zwischen einem Achtungsschluck und einem Anerkennungsschluck der Marizalia meinen Lehrlingskampf hineinzutragen? Kämpfe, die man kämpfen muß und nicht erzählen.

»Freunde«, sagte ich, »Freunde –«

»Kommilitonen«, wurde ich verbessert.

»Dummes Zeug!« fuhr's mir heraus, »draußen ist man Freund oder Feind, in beiden Fällen aber ist man deutsch!«

Die Marizalia war betroffen. Jemand beantragte in der Verlegenheit einen honorablen Riesenschluck zu meinen Gunsten. Jetzt aber war ich schon im Zuge –

»Dummes Zeug, bei Kramer & Friemann wird auch nicht 164 gesoffen, nicht mal honorabel, wenn man vorwärtskommen will. Gearbeitet wird fürs erste, wenn ich's denn schon sagen soll, und fürs zweite wird wieder gearbeitet, haben sie mir beigebracht, und fürs dritte wird erst recht gearbeitet nach der Lehrzeit, sagen sie voraus –«

»Na, arbeiten mußten wir auch in der Schule«, knurrte ein Marizalia-Muttersöhnchen, ein dickes.

»Stimmt«, rief ich, »aber glaubt einem ›alten Herrn‹: jene Schularbeit ist weiter nichts als eine schwache Vorbereitung auf . . .«

Ich sah's an ihren Mienen: Das große, dunkle Tor hatte sich ein wenig aufgetan. Durch einen schmalen Lehrlingsspalt hab' ich ihnen ein Gesicht gezeichnet, ein strenges, das sich mir selber erst mit dünnem Umriß aufgetan.

Das Bier verschäumte in den Krügen. Der Stahl des Schlägers lief so matt an. Schlaff hingen blau-gold-violette Bänder aus erschrockenen jungen Westentaschen. Franz Mark saß begossen da. Einer flüsterte ihm zu –, ich konnte es hören: »Hast uns einen netten Moralfatzken eingeladen – pfui deixel, speib' Hering', ich komm dir einen Verachtungsschluck!« Aber niemand hielt mit, er selber nicht.

»Moralfatzke hängt!« sagte ich mutig, »nach eurem ersten Lehrjahr sollt ihr mich drum hängen, wenn's euch dann noch danach ist – die Marizalia möge trotzdem wachsen, blühen und gedeihen, prosit!«

Sie taten man Bescheid. Da wurde mir flau. Ich war ein Dummkopf gewesen, beim letzten Freiheitskommers von der Arbeit große Töne aufzuspielen. Die kam von selber. Die brauchte keinen Kündiger, am wenigsten einen, der noch nicht das erste Tänzchen mit ihr fertig hatte. Mir geschah schon recht. Sie würden sicher über mich den Bierverruf –

»Ich beantrage das Bundeslied!« schmetterte der Präsident in die Schwüle, »Musik spiele die Weise vor!«

Sie sangen das Bundeslied, das ein Marizalier selbst gedichtet hatte. Erst klang's dünn, dann mächtiger von Strophe zu Strophe. Ich spürte es wohl: Ein Protest war's, ein Protest gegen den Moralfatzken.

». . . für Blau-Gold-Violett
in Kampf und Tod zu gehn!«

165 brüllte der Chor. Ich hatte es wieder gutmachen wollen wegen meiner Predigt. Aber jetzt bockte der Satir in mir:

»Ich bitt' ums Wort!« rief ich.

»In welcher causa?« fragte mißtrauisch der Präsident.

»Causa Bundeslied der Marizalia.«

»Habeas!«

»Freunde«, sagte ich, »ich kann mich aus meiner Marizaliazeit erinnern, daß in die Statuten ein Satz hineinkam: Wahrheit über alles. Ist der Satz gestrichen?«

»Nein, gilt noch«, sagte der Präsident unwirsch, »heraus mit Ihrem Flederwisch, alter Herr!«

»Nun gut, das neue Bundeslied in allen Ehren. Aber ich für meinen Teil könnte für Blau-Gold-Violett nicht in Kampf und Tod gehn.«

»Pereat!«

»Für Blau? na ja, das ginge noch. Für Gold natürlich auch. Aber für Violett, nee –«

Tumult. Zwei Lager schieden sich. Die Minderheit stimmte mir nachdenklich bei: »Nein, für Violett kann man in der Tat nicht sterben.« Die Mehrzahl aber brüllte: »Wir gehn in den Tod für Violett . . . in den Tod . . . in den Toood!«

»Silentium!« schrie der Präsident, »ich kann aus der Verbindungsgeschichte erhärten, daß in der Tat im Gründungsjahre der Marizalia nicht für Blau-Gold-Violett in Kampf und Tod gegangen wurde –«

»Aaah!«

»Sondern für Blau-Gold-Weiß. Aber die Hermanduren zogen ins Grüne Krokodil und zerschmissen unsre Humpen: Blau-Gold-Weiß hätten sie, nicht wir. Sie seien eine schlagende Verbindung. Wenn wir uns nicht fügten, würden sie vom Leder ziehen, daß uns vor den Augen blau und rot –«

»Stimmt: Blau und Rot gemischt gibt Violett –«

»Kommilitonen, was blieb uns übrig, als für Blau-Gold-Violett zu –«

»Und Blau-Gold-Rot zum Beispiel?«

»– hatten die Sigambrier –«

»Und Blau-Gold-Grün?«

166 »– hatten die Markomannen. Es nützt nichts, Kommilitonen, wir müssen für Blau-Gold-Violett –«

»– leben!« rief ich, »nicht sterben! Für Violett sterben ist abscheulich. Aber violett zu leben, soll so übel nicht sein . . .«

Sie sahen mich mißtrauisch an. Aber da entschloß ich mich, von meinem Lehrlingstaschengeld eine Runde zu »schmeißen«, um zu beweisen, daß man leben kann für Blau-Gold-Violett.

Die Runde fuhr auf. Das Mißtrauen schmolz. Die Marizalia ließ mich leben. In später Stunde wurde ein Antrag gestellt, das Bundeslied nach der violetten Lebensseite umzuformen.

Aber der Wirt der Marizalia schmiß den Antrag untern Tisch: »Meine Herr'n zwoa Stunden is 's über d' Bolzeistund' – Marie, ham s' 'zahlt, die Herr'n?«

»Jawoi, Herr Bimpfinger, jawoi.«

»Nacha dreh' 's das Gas aus – wohl zu ruhn, meine Herr'n.«

Die Marizalia hat mich heimbegleitet, Arm in Arm. Als ich den Schlüssel ins Tor steckte, deutete einer stumm die Straße hinauf nach Osten. Die Sonne ging auf. Seidigblau das Firmament. Golden rollt hinein der Sonnenball. Violett schoß es auf im Kampfe mit der Nacht.

Mich überkam die Rührung. Oben klirrte ein Fenster. Durchwachte Mutteraugen schauten herab. Auch ich wies nach dem Himmel: »Mutter«, rief ich, »für Blau-Gold-Violett!«

Sie lächelte und nickte: »Weil d' nur wieder da bist.«

»Jawohl, Mutter«, schrie ich, übermannt vom Abend, und der Inventuranstrengung, »jawohl, aber nur für Blau-Gold-Violett!«

»Freilich, freilich«, winkte sie gütig.

Darauf brachte der Präsident der Marizalia ein Hoch auf meine Mutter aus. Mich aber umarmte er mit undeutlichem Gemurmel: »Für Blau-Gold-Violett, so sei es, alter Herr und Bruder . . .« 167

 


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