Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Kapferer

Der Kapferer aus Hinterstetten war ein Bauer in den Bergen. Daneben hatte er ein Laderl. Die Klingel ging darin stundaus, stundein. Hätte der Kapferer eine Buchführung gehabt, so wäre offenbar geworden, wievielmal mehr das kleine Laderl Geld verdiente als die große Oekanamie, wie er sie nannte. Aber dieser Offenbarung ging er aus dem Wege: »Jojo, der Kapferer bin i, mit soviel Küh' im Stall vorn und soviel Tagwerk' drumherum und das kloa' Laderl hintenaus geht d'rein.«

Dieser Kapferer war einer der besten Kunden der Großfirma Kramer & Friemann. Ich mußte das wissen, denn als Lehrling hab' ich in Statistik machen dürfen.

Eines Tages stand er im Kontor, mit der Krachledernen und dem langen dünnen Stecken. Hatte ihn kein Mensch hereingebeten. Stand einfach da: So, da bin i.

Der Hausverwalter Vogel schwirrte aufgeregt um ihn herum: »Erlauben Sie, Sie sind wohl irr gegangen –«

»Nein, aber du, mein Lieber: Irrgäng', Bittgäng' und Schneidergäng' sind die einzigen drei Gäng', die ich nicht gehn mag, mit Verlaub.«

Jetzt wurde unser Vogel giftig: »Mit Verlaub ist hier keine Oekonomie, mit Verlaub!«

»Oekanamie? was verstehst du von Oekanamie, ha?« Er ließ den dünnen Haselstecken vielverheißend pfeifen. Der Vogel entfloh. Wir im Kontor hatten einen Heidenspaß. Aber da ging das Schubfenster im Prokuristenkontor auf: »Was ist denn das für ein Heidenlä–«

Da fing der Kapferer zu strahlen an, hoch gingen seine Aermel, an denen die silbernen Bauernknöpfe klirrten: »Jesses, der Kleine!« Denn man konnte streiten, ob Herr Mathis kleiner von Statur war oder tüchtiger von Geist. Er überdachte seine Augen, wie er's im letzten Sommer im Gebirg von Hinterstetten tat, wenn er ein Wanderziel ins Auge faßte: »Ah, du bist's, komm nur 'rein zu mir!« winkte er dem Bauern zu.

Der stapfte in das Allerheiligste. Türe zu und Fenster. Lachen klirrte, Silberknöpfe tickten drein. Uns draußen wob 141 sich ein Geheimnis. Die Köpfe steckten wir zusammen über Büchern: »Habt Ihr's gesehn, wie familiär . . . da steckt was dahinter . . . sicher ein Verwandter . . . so so, einen Bauernvetter hat er also . . . na, ist wenigstens vernünftig, daß er 'n nicht verleugnet . . . hm, oder meint ihr nicht, daß da ein ledig's Kind dazwischen spielen könnte . . .« Hu, ihnen gruselte ganz wohlig vor Geheimnis. Gar zu gern hätten sie dem Ueberragenden was Menschliches hinaufgepappt.

Aber da erschienen beide wieder in der Türe. »Vogel«, rief der Prokurist, »he, nehmen Sie Herrn Kapferer doch Hut und Stock ab!«

Kapferer? Das ledige Geheimnis riß. Klar und sonder Romantik stand ein Konto vor den Augen: Alois Kapferer, Hinterstetten, älteste und beste Landkundschaft, Zahlungsweise prima, prima . . .

»So, mein lieber Kapferer«, sagte der Prokurist – denn mit Gebirglern war man du und du – »jetzt willst du natürlich das Hofbräuhaus besuchen?«

»Da kimm i grad her«, stapfte der Kapferer lachend mit dem Stecken auf.

»Oder die Pinakothek?« scherzte der Prokurist.

»Da gehn wir dann am Ab'nd hin, soviel Bier vertrag' i in der Fruh net«, spektakelte der Kapferer.

Herr Mathis war verlegen: »Dann – dann vielleicht ein wenig in die Isarlandschaft, Kapferer?«

»Mich stimmts, Landschaft hab' i 's ganze Jahr, mei' Lieber – was extrig's möcht' i sehn, das i sonst net sehn kann, weißt.«

»Was extrig's? hm, wir haben weltberühmte Kirchen in der Stadt –«

»Laßts mich aus, beten kann i z'Haus.«

Der alte Endres war hinzugetreten. Derselbe, der die Kreditwürdigkeit der Konten zu überwachen hatte: »Darf ich einen Vorschlag machen?«

Herr Mathis atmete auf: »Freilich – muß nämlich fort – Aufsichtsratssitzung –«

»Da geh' i mit«, entschied der Kapferer.

Lächelnde Verlegenheit. Endres schlug ihm auf die 142 Schulter: »Geht nicht, Kapferer, dort fallst durch – dort wird geprüft – Kontorwissenschaften –«

»Dann – dann zeigts mir erst die Wisselschaften«, versteifte sich der Kapferer.

»Gern – fangen wir bei der Registratur an – G–H–I–K«, klopfte Endres auf die Fächerdeckel, »da haben wir den Akt Kapferer.« Auf dem blauen Aktendeckel leuchtete in Rundschrift: »Alois Kapferer, Hinterstetten.«

»Hätt' mir nicht 'denkt, daß ich so schön g'schrieb'n werd'n könnt'«, kraute er sich hinterm Ohr.

»Im Hauptbuch stehst noch schöner – schau.« Er schlug ein Konto mit roter Kopfschrift auf: »Alois Kapferer«, buchstabierte der aus Hinterstetten fast ehrfürchtig. Aber dann wurde er kritisch: »Warum schreibts mich denn gleich zweimal auf, ha?«

»Das eine ist die Korrespondenz –«

»Ha?«

»Die Korrespondenz«, sagte Endres lauter, als verstünde das der Kapferer besser, und blätterte im Akt.

»Kospenz, was ist denn dös? – also, Schriebischreibi, – warum sagst denn nicht gleich: Brief?«

»Ja, so könnte man auch sagen.«

»Aha, mir scheint, bei den Wisselschaften red't man g'schwoll'n daher, damit man wunder glaub'n soll, was dahintersteckt.« – »Bitte, 15 Pfund Dreireiterrauchtabak zu schicken«, las er seine eigne Karte ab – »so so, das ist also a Kospenz?«

»Ja, und hier im Hauptbuch wird hineingeschrieben, was Ihr zahlen müßt – zum Beispiel 136,95 –«

»Du, das hab' i sei' scho' lang g'schickt!«

»Stimmt«, nickte Endres.

»Warum tuts mich dann net aus – warum streichts mich denn net durch?« sagte der Kapferer mißtrauisch.

»Bitte, hier im Haben ist die Zahlung eingeschrieben: 136,95.«

»Was, jetzt habts es mir gleich zweimal 'naufg'haut!«

»Nein, das zweitemal bedeutet es: bezahlt – habt Ihr denn in Hinterstetten keine Buchführung?«

»Buchführung? meine Küh' brauchen keine –«

143 »Aber im Laden –«

»Wird alles bar 'zahlt – mir scheint, mir scheint, Eure Wisselschaften sind in der Hauptsach' für die Schlawiner, die wo net bar bezahl'n woll'n.«

Ei, auf einen Hinterstettner Eindruck zu machen, hatten wir uns leichter vorgestellt. Endres versuchte es mit einer Schreibmaschine, die gerade aufgekommen war. Aber unbestochen schaute der Kapferer zu, und zur Druckschrift schüttelte er den Kopf: »Jetzt wo man schreiben kann, als wenn's gedruckt wär', wird g'wiß noch mehr gelog'n.« Aber als die Schreibmaschine am Ende einer Zeile läutete, sprang er doch zurück: »Jesses«, sagte er, »i hab' mir 'denkt, es kommt am Bahnübergang a Lokomotiv' daher! – derweil' ist's bloß a Dreschmaschin'!«

Dann wurde ihm der große Kassenschrank vorgeritten. Geheime Türen schlugen daran auf und zu, silberne Schlösser spiegelten. Er aber sah unsre eigne Ehrfurcht vor dem Riesenmöbel: »Da habts aber a hübsch Trumm Hausaltar!« sagte er.

Endres ärgerte sich: »Kapferer, kann dir denn gar nichts imponieren?«

»Ha?«

»Ob gar nichts Eindruck aus dich machen kann?«

»Ha?«

»Warum du deine Aug'n net aufreißt?!«

»I hab' g'meint, Ihr habts a bissel an' Oekanamie aa?« Das also war's: Kaufmannschaft ohne Oekonomie hielt er nicht für voll. Damals lachten wir. Heute, nach dem Weltkrieg, wissen wir es besser. Im Weltkrieg hätte Endres nicht spöttisch zu ihm gesagt: »Meinst wohl, daß wir eine Kuh an jedes Konto stellen sollten und unsre Lehrlinge an Butterfässer – aber komm nur her, jetzt hab' ich noch was, was dir deine Augen wie Salzbüchseln aufreißt.«

Er führte ihn in eine Zelle, wo die neue Wundertat des Telephons erglänzte: Glotzender Schalltrichter, funkelnde Hörrohre und darunter ein damals noch mächtiger Kasten mit den eingesperrten Elementen. »Schau, Kapferer, von hier aus könntest bis nach Hinterstetten sprechen.«

144 Kapferer blinzelte ihn listig an: »Da mußt einen andern Dummen suchen.«

»Nein, Kapferer, 's ist mein Ernst.«

»Also gut«, blinzelte er weiter, »dann will ich dischkurier'n mit mei'm Wei'.«

»Das könntest du, wenn sie auch ein Telephon hätte.«

»Ha?«

»Ein – ein solches Dischkurierkastl.«

Kapferer lachte dröhnend. Er hatte es heraus: »Das ist kein Kunststück, dann dischkurieret' sie und dischkurieret' i, ein jeder in sei'm Kastl, und keiner könnt' den andern hör'n hoho –«

Endres war beleidigt: »Herr Mathis erzählte mir, Ihr hättet einen Vetter hier im Magistrat?«

»Jo, den Bampfer Josef.«

»Ihr kennt doch seine Stimme?«

»Jo, er bampft halt.«

Mit Kurbeln, Drücken, Rufen wurde umständlich die Verbindung hergestellt. Der Kapferer blinzelte von Zeit zu Zeit in die Zelle: »Plagts Euch nur, Ihr stimmts mich net . . .«

»So, Kapferer, jetzt ist dein Vetter da.« Er drückte ihm das Hörrohr an: »Kannst ihn hörn?«

Jetzt riß es dem Kapferer wirklich die Augen auf: »Kruzitürken!« murmelte er, »der Seppl bampft.«

»Jetzt sprich, Kapferer.«

»Was denn?« zitterte er, so hatte ihn die Ehrfurcht vor der Erfindung jetzt gepackt.

»Was dir grad' einfallt, Kapferer.«

Da nahm der Kapferer mit der Lunge einen Anlauf, als wenn er ohne Telephon über die halbe Stadt ins Rathaus hätte schrein müssen: »Ja, Seppl, Teifelslackl, bischt es oder bischt es net!«

»Freilich bin ich's, Alois«, piepte es durchs Telephon.

»Ja, also dann«, brüllte der Kapferer, »das ist ja eine Viecherei – eine Viecherei!«

Eine Viecherei, das war die höchste Eigenschaft, zu der sich seine ökanamische Anerkennung aufschwingen konnte.

Er schnaufte noch lange nach Beendigung des Gesprächs.

145 Wir zeigten ihm noch allerlei. Im hydraulischen Fahrstuhl ließen wir ihn in den Keller fahren. Die pneumatische Postkugel ließen wir von der Buchhalterei in den Kassenraum hinunterrollen und zurück. Er ließ alles schweigend und schnaufend über sich ergehen. Man sah's ihm an, nur das Telephon hatte es ihm angetan. Immer wieder wanderten seine Gedanken nach dem Dischkurierkastl. Wie es auch über sein gescheites Bauerngesicht hin- und widerzuckte: Mit dem Wunder wurde er nicht fertig.

Aber auf einmal hatte er's. Auf einmal lief er von uns fort. »Halt, Kapferer, wohin?« rief Endres.

Er hörte nicht. Quer lief er durchs Kontor. Einen Stuhl warf er um. Bücher wischte er vom Tisch. Schnurstracks auf die Telephonzelle steuerte er. Das Türchen riß er auf. Pfiffig fing er an zu lachen: »Haha, da müßts früher aufstehn, wenn Ihr den Kapferer aus Hinterstetten reinleg'n wollt, haha.«

»Aber Kapferer, du irrst dich –«

»Nix da – derwuschen hab' ich Euch«, schrie er und deutete auf den großen Elementenkasten unterm Telephon, »dadrinn' steckt er!«

»Wer, Kapferer, wer?«

»Der Bampfersepp – laßt 'n 'raus, sag' ich . . .!«

 


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