Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Organisator

In meinem dritten Lehrjahr bei Kramer & Friemann sank der Reingewinn. Herr Blunck erfuhr es in der Bilanzsitzung. Er kam wie immer angeschwänzelt, händereibend: »Na, wieder zwölf Prozent?«

Herr Kramer trommelte am Fenster. Der Prokurist sah mir ins Lehrlingsstenogramm: »Kommen Sie mit?«

Herr Blunck hörte mit schwänzeln auf und rieb doppelt schnell die Hände: »Vielleicht fünfzehn Prozent – oder – oder gar zwanzig?« schrillte er. Herr Blunck war »stiller« Teilhaber.

Herr Kramer trommelte rascher. Der Prokurist sagte trocken: »Knapp sechs, Herr Blunck.«

146 Herrn Blunck klappte der Unterkiefer herunter. Er vergaß ihn wieder hochzuklappen. So sieht ein Nußknacker aus, dem die Nuß herausrollt.

»Sechs Prozent, schlechter Witz, was?« schnappte er.

Am Fenster drehte sich Herr Kramer um: »Wir machen weder gute noch schlechte Witze, Herr Blunck, wir arbeiten.«

»Seh' ich, seh' ich an den lumpigen sechs Pro –«

»Lumpig?«

»Na ja, Sie hatten doch schon über zwanzig. Warum ist dieser Satz nicht beibehalten worden, he?«

»Herr Blunck, Sie sind Geldmann. Kaufmann sind Sie nicht. Sonst wüßten Sie, daß es unvermeidbar –«

»Ach was, ich hatte fest mit zwölf gerechnet – im voraus disponiert – Anbau – Landhaus – Badereise – ich kann doch meiner Frau nicht sagen: ›Ottilie, warte, bis wieder zwölf Prozent‹ –«

»Das ist nicht so schlimm, Herr Blunck«, fiel der Prokurist ein.

»Nicht so schlimm!« brauste der stille Teilhaber auf, »wie steh' ich da – lachhaft – Wortbruch –!«

»Nicht unsre Schuld, Herr Blunck. Wir pflegen nicht früher zu versprechen, als wir's halten können«, sagte der Prokurist ärgerlich. Vergeblich hatte der Prinzipal abgewinkt. Es war heraus.

Herr Blunck kriegte Kulleraugen: »So – so behandelt man mich und – und meine Kapitalien – na, schön, ich kann's ja anderswo, wo man mich besser –«

Herr Kramer besänftigte. Geld war knapp, ein Ersatzmann nicht von heute auf morgen zu beschaffen. »Seien Sie friedlich, so war's nicht gemeint, nicht wahr, Herr Mathis?«

Herr Mathis nickte nicht. Herr Mathis las aus einem Büchlein ab: »Wie's gemeint war? Herr Blunck hat laut Statistik in den letzten zehn Jahren 160 Prozent seines Kapitals als Zins erhalten, das macht jährlich sechzehn –«

»Nu ja, nu ja«, murmelte Herr Blunck.

»– sechzehn Prozent, und wird vermutlich in den nächsten zehn Jahren einen ähnlichen Prozentsatz –«

»Nu ja, nu ja.«

»– Prozentsatz kriegen. Wenn er aber glaubt, an andrer 147 Stelle mehr Gewinn zu ziehen, sollten wir ihn nicht hindern –«

»Nu nu, nehmen Sie's nicht tragisch«, schnappte er ab, »man darf doch wohl noch sagen, daß sechs Prozent nicht übermäßig viel – hm, sagen Sie – ist's nicht denkbar, daß ein Fehler der Bilanz –?«

»Herr Blunck, ein Kaufmann pflegt keine Bilanz vorzulegen, die nicht stimmt.«

»Na, ich mein' ja nur: falsche Addition oder so was –«

»Die Addition ist richtig.«

»Dann ist vielleicht das Warenlager zu ungünstig eingestellt.«

»Wir setzen die Werte richtig, das heißt vorsichtig ein.«

»Dann – arbeitet Ihr nicht rationell genug – kennen Sie das neue Taylorsystem? – es soll wunderbar sein – mir ist da ein Organisator empfohlen worden, ein kolossaler Organisator – nur mal probieren bitte – eine Woche etwa – und wenn Sie dann nicht selbst . . .«

Eine Woche später wurde er uns vorgestellt: »Herr Hasenfratz – Organisator – Anordnungen unbedingt Folge leisten . . .«

Er ging von Pult zu Pult. Wie ein Fuchs ging er. Und immer sah er spöttisch aus. Der Stimme nach war er ein Hahn. »Herr«, krähte er den alten Buchhalter Vater an, »Herr – Buch hier falsch eingerichtet – Soll- und Habenspalten nebeneinander, nicht auseinander – spart Bewegung – spart Papier . . .«

Der alte Vater war sprachlos. Er wollte was erwidern. Aber Hasenfratz luchste schon am nächsten Pult ins Versandbuch: »Herr«, krähte er, »Herr – Summenübertrag auf nächste Seite Unsinn – jede Seite wird für sich addiert – reduziert Fehlerquellen – spart Korrekturen . . .«

Hui, war er schon ans dritte Pult gewischt: »Herr, Kassenabschrift ist Blödsinn – Blaupapier, bei Urschrift unterlegt, gibt zwei Fliegen auf einen Schlag – schaltet Fehler aus – spart Arbeitskraft . . .«

Das war ein Summen in der Vesperpause, ein empörtes. Nicht einen hatte er verschont. »Mir sagt er, daß der Zins sofort beim Eintrag eines jeden Postens in die Extraspalte 148 eingesetzt wird, der Depp, der g'schneckelte«, begehrte einer auf.

»Und ich soll bei meinen Briefen »achtungsvoll«, »geehrt« und, was weiß ich noch, unterschlagen, meint der siebeng'scheite Gickel!«

»Und meine Lagerlisten soll ich nicht mehr schreiben dürfen, sie müßten vorgedruckt sein, sagte der Reformmensch, der verrückte! Und seit fünfzehn Jahren hab' ich sie geschrieben.«

»Ja, ich weiß«, pflichtete der alte Buchhalter Vater langsam bei, »die Ueberschrift allein war ein kalligraphisches Kunstwerk.«

»Hm, hm ja, man tut in seiner Firma, was man kann«, sagte der Lagerschreiber geschmeichelt.

»Und zum L war oftmals mehr als eine Viertelstunde nötig.«

Der Lagerhalter wurde unsicher: »Man nimmt sich eben Zeit.«

»›Zeit genommen, Zeit gestohlen!‹ sagt der Katzenfratz, oder Hasenfratz oder was er sonst für ein Fratz ist, ein siebeng'scheiter.«

»Zu blöd, als ob wir nicht machen könnten, was wir wollten, mit unsrer Zeit!«

»Unsre Zeit? mich hat der Hasenfratz angekräht, es sei die Zeit der Firma, nicht die unsre!«

»Das ist wahr.«

Sie starrten den alten Buchhalter an: »Wie – was – für solchen Kerl nehmen Sie Partei – Sie, dem er Soll- und Habenspalten aneinanderpappte –«

»Ich hab' es ausprobiert. Man spart wirklich Zeit, Papier, und es wird übersichtlicher.«

Ich sah ihn an, den Alten. Eine Ahnung überkam mich, was ihn das Geständnis kostete.

»Herr Vater«, sagte einer, »seien Sie nicht dumm. Wenn wir zusammenhalten, schmeißen wir den Kerl 'raus.«

Er wiegte den grauen Kopf: »Es kommt weniger auf den Herausschmiß an.«

»Auf was denn sonst?«

»Ob's der Firma nützt.«

»Dummes Zeug, erst nützen wir uns selber, das ist auch 149 modern!« rief ein neuer, »ist gescheiter, als wenn wir's diesen Kramer, Blunck und Konsorten scheffelweise in den Rachen werfen!«

»Ich spreche von der Firma.«

»Na, daraus besteht sie doch!«

Der Alte sah ihn überlegen an: »Wenn das Ihre ganze Weisheit ist –«

»Na, woraus besteht sie denn nach Ihrer Meinung?«

»Zu einem Teil aus Blunck und Kramer, zu einem Teil aus uns –«

»Nu, noch was?«

»Und zum größten Teil aus etwas, was man nicht erklären kann, nur fühlen.«

»Hurra, es lebe das Gefühl des alten Vater!« spöttelte der Neue.

Niemand hurrate mit. Auf der verrunzelten Buchhaltersstirne glänzte etwas Unbegreifbares, was man nicht verspotten konnte. Etwas, was die Menschen hier zusammenhielt. Etwas, was sie in gut' und bösen Jahren Treu' hieß halten. Etwas, was meilenweit von Geld und Gut entfernt lag, was ihnen draußen stolz den Arbeitsrücken straffte, wenn die Reden draußen gingen: »Kramer & Friemann sind . . . Kramer & Friemann haben . . . Kramer & Friemann werden . . .« Etwas, worin sie sich fühlten, wie Kinder unterm Herzen einer Mutter. Etwas, was nicht sterben konnte, wie ein Mensch – Herr Friemann starb: die Firma blieb. Herr Kramer würde sterben: bleiben wird die Firma. Ja, die Firma war's, ein Stück der unwägbaren Ewigkeit, die den Goldreif zog um arbeitsgebeugte Stirnen. Die die Silberfäden durch die stillen und bescheidenen Teilarbeiten dieser Federn und Gehirne zog und einen Saum der Schleppe wirkte, die – wenn der Feierabend nach getaner Arbeit atmet – leise durch Kontor und Arbeitsstätten rauscht. Was Reingewinn und Lohnkampf, was Salär und Konjunkturen, wenn die Schleppe an Bilanzen streifte, daß sie zitterten vor Ehrfurcht und die Angestellten und die Knechte es im Arbeitsrhythmus raunen hörten: »Euer bestes tut, damit ich euer bestes tun kann.«

150 »Was man als gut erkannt hat, muß man tun, der Eigenlieb' zum Trotz«, faßte Vater jetzt zusammen.

Bedächtig sagte Endres, der Kreditprüfer: »Wenn's einem aber gegen seine Seele geht –«

»Muß man es lassen. Gedruckte Lagerlisten aber und die neue Kontenteilung rühren noch an keine Seele, denk' ich, also . . .«

Also setzte Hasenfratz, der Kräher, die Kontorreformen durch. Das war nicht alles. Auch auf der Laderampe griff er über. Eine Weile war er listig blinzelnd im Betrieb der Rollfuhrwerke dagestanden, rechnend und notierend, als er auch schon krähte: »Spazierenfahren toter Lasten ist ja Unsinn!«

»Mit Verlaub, das Fuhrwerk für den elften Stadtbezirk hat heute eben wenig Ladung –«

»Und der zehnte Stadtbezirk so viel, daß Ihr ein Reservepferd davorgespannt habt«, rief er spöttisch, »das kann man sparen, wenn man –«

»– Sie in das Geschirr spannt, darf ich bitten?« Der ergrimmte Lagerhalter hielt ein Kummet hoch.

Wir dachten, ha, jetzt kracht's. Aber da ergab sich eine neue Eigenschaft von Hasenfratz: Er war unbeleidigbar. »Nee«, lachte er, »ich laufe schon im Kummet – heute in dem, in einem andern morgen – nichts Starres, Herr, elastisch muß man sein – auch die Stadtbezirke – ein drittel 'runter von der Ladung zehn und 'rauf damit auf Ladung elf – in den Stall das zweite Roß – oder besser noch: Ihr kutschiert damit in einer freien Stunde in das Land der Schlauheit, Herr . . .«

Auch im Lagerhaus rumorte es und brummte es gewaltig. Half aber nichts: In der zweiten Woche war es reformierter als die Kontore. In der dritten Woche ächzte zwar die Maschinerie noch in den neuen Gleisen. Aber in der vierten ward sie ausgeglichen, und am Monatsende ging sie glatt.

»Doch 'n famoser Kerl, dieser Hasenfratze«, hieß es beifallsklatschend, »nur daß er einen arg herumhetzt.«

»Ja, wenn er morgen fortgeht, will ich keinen Selbstmord –«

151 »Wie ich höre, hat er sich entschlossen, noch einen zweiten Monat –«

»Blech, sind ja reformiert!«

»Er will uns außerdem auch noch katholisch machen, sagt er. Jetzt käme erst die Seele, sagt er, eine Taylor-System-Seele – oder Sailor Tystem Seele – oder Teele Sailor System – hol's der Taylor – ich vergaß es.«

Diesen Monat werd' ich nie vergessen. Mit vielem guten Willen hat er angefangen, rannte sich in einem Starrkrampf fest und – doch ich will ihn selbst erzählen lassen, unsern zweiten Taylormonat.

Man versammelte das Personal zu einem Vortrag. »Meine Herren«, sagte der Hasenfratz, »die Reform der Dinge hätten wir gemacht. Jetzt kommt das Lebendige daran, Sie selber, meine Herren. So wie der Mensch ist, ist er nichts. Das System fehlt. Die menschlichen Organe, sich selber überlassen, treiben nur Allotria. Die Augen gehen spazieren. Die Lungen pumpen einmal wenig, einmal viel. Die Ohren hören Dinge, die sie nicht zu hören brauchen. Auch das Herz macht Extrasprünge und schlägt Generalgalopp, wo steter, stiller Trab am Platze wäre. Das muß anders werden, meine Herren. In Extravaganzen ist der Mensch nicht auf der Welt, sondern zur Methode. Methodisch muß die Arbeit werden, auch die kleinste. Wie viele Handgriffe werden ganz umsonst gemacht. Wie viele Atemzüge sind nur für die Katz. Wie viele Gedanken laufen, statt auf Arbeitsschienen, nichtsnutzige Geleise, zum Beispiel in der Liebe und in andern Albernheiten. Die größte Energieverschwendung aber ist, daß einer dies und das macht. Das Dies genügt, das Das ist stets vom Uebel, meine Herren!«

Hier riefen welche, die als Drückeberger galten, Bravo. Sie hätten's später gern zurückgenommen.

»Wenn einer ein Journal führt, hat er nur Journale zu führen, nicht zugleich noch andre Bücher.«

»Bravo, bravo!«

»In einem schmalen Bette gräbt der Fluß am tiefsten. Auf eine scharf umgrenzte, ständig nachgeprüfte Arbeit eingestellt, holt man das Letzte aus den Menschen. Die Arbeitsleistung steigt –«

152 »Und der Mensch fällt«, sagte eine ruhige Stimme. Endres war es, der Kreditmann.

»Ruhe, fertigreden lassen!«

»Mit reden bin ich fertig, ich beginne praktisch«, sagte Hasenfratz. Es war, als ob er seine Aermel schürze.

Mit der Uhr in der Hand stellt er sich neben den Buchhalter Niedermeier: »Tragen sie diese hundert Debetposten ein – halt, hierher das Tintenfaß, dorthin das Lineal – Handgriffe ausprobieren – nicht links sehn und nicht rechts – los!«

Niedermeier legte sich ins Schwitzzeug. Blätter flogen, die Posten hagelten ins Buch. Der mit der Uhr nickte befriedigt: »Ich stelle fest, Sie können zwanzig Posten in knapp achtzehn Minuten übertragen, hundert also in einer halben Stunde. Ergibt im Monat – warten Sie – an siebzehntausend Posten Leistungsfähigkeit, wobei ich die Rutine außer Ansatz lasse. Laut Statistik übertrugen Sie bisher im Monat knapp achttausend. Mithin ergibt sich adamriesig, daß Sie noch ein zweites Buch übernehmen können –«

»Aber –«, wehrte sich der grausam enttäuschte Niedermeier.

»Verehrter Herr, wir kennen diese Aber – Zeit lassen – überlegen, nicht wahr – dringt nicht durch – Sie tragen ein – überlegen tut ein andrer – darf ich bitten, Herr Endres, mit mir chronometrisch festzustellen, wieviel Durchschnittszeit die Kreditprüfung eines Kontos in Anspruch nimmt . . .«

Ein jeder wurde eingespannt. Der Schraubstock quietschte. In den Schweiß rann Blut ein, Zorn, Empörung, Kündigungsgemurmel –

Einer ging flüsternd von Pult zu Pult: »Heute abend acht Uhr da und da. Wer ein Fratz ist, kann zu Hause bleiben.«

Keiner blieb zu Hause. Alle protestierten. Endres führte die Versammlung. Jeden, der hereinkam, stellte er ironisch vor:

Buchhalter Niedermeier, Kontokorrentmaschine A–F, leistet mäßig angeheizt, die Stunde x+a/z Einträge, wobei x sein Gewicht in Kilogramm, z sein Zentimeterumfang.«

»Versandapparat Wenzel, hasenfratzisch aufgezogen, soviel Kolli die Minute . . .«

153 Korrespondenzmechanismus Dessauer, funktioniert nur, wenn die Handgelenke mit Eisengallustinte angeölt und mit Formularen angepeitscht . . .«

»Kassiermotor Brandmann, läuft gern heiß, zählt in der Stunde, scharf in Schwung gehalten, achtzig Rollen, elf Pfund Scheine . . .«

Aber als wir alle beisammen waren, wurde er ernst: »Wer klagt an?«

Da trat der alte Vater vor, ausgemergelt, mit verhetzten Blicken: »Wenn ich noch ein Rest von Mensch bin, hört mich an. Wenn nicht, werft mich zum alten Eisen. War ich je grundsätzlich gegen neues? Hab' ich nicht für Hasenfratz Partei genommen, solange er die Sachen unter neuem Winkel angepackt hat? Jetzt aber packt er uns an. Die Seele schindet er uns aus dem Leib. Was bleibt über? Eine seelenlose Profitmaschine. Wenn die des Lebens Zweck ist, rage ich als überzählig in die neue Welt. Laßt mich hinaus. Ich bin zu alt. Ich lerne nicht mehr um. Ich scheue keine Arbeit. Aber zwischen einer und der andern will ich einmal schnaufen können. Er aber bindet mich an eines tollen Rosses Schweif. Als ich nach einer Arbeit bedächtig schnupfen wollte, gab er seinem Taylorroß die Peitsche, hui, bin ich durchs Gestrüpp geschleift worden, zerschunden und zerfetzt. Leute, ich mag unmodern geworden sein. Aber daran halt' ich fest, die knappe Spanne, die für mich noch bleibt: Ich bin nicht für die Arbeit da, die Arbeit ist für mich da. Ich habe meine Arbeit lieb, doch ihr Sklave bin ich nicht. So wie ich in meinem langen Leben Arbeit lieben lernte, war sie deutsch. Doch wie sie uns aufgepackt werden soll – nein, Kinder: lieber deutsch sterben, als taylorisch verderben!«

Bekümmert sahen seine guten Augen in den Saal. Es packte uns mit Macht. »Wir kündigen, wir kündigen!« schrien welche.

Da nahm er noch einmal das Wort: »Kündigen? Ihr mögt das tun. Ihr seid noch jung. Ich kann nicht kündigen. Ich bin in die Firma eingewachsen. Ich bin Blut vom Blut der alten Firma. Wenn ein Glied sich losreißt, kann der Körper weiterleben, das Glied jedoch verdorrt. Tut, was ihr wollt, laßt den alten Vater bleiben und –«

154 Da sprang Endres auf: »Bleiben ist eins, kündigen ein andres, leider gibt es noch ein drittes, Leute: Ich sah auf seinem Taylorzettel die vergleichende Statistik. Uns Alten wird der Atem langsam kürzer. Ein junges Roß rennt vor und wirft um eine Null Komma ix Prozent höhere Rente für die Firma ab. Also, Leute, noch ein drittes gibt's: gekündigt werden.«

Der alte Vater aber machte kein von Kündigungsangst verzerrtes Angesicht. Der alte Vater stand nur langsam auf und hat mit einem Ton, der durch ein Menschenleben Arbeit mir stetig nachgegangen ist, gesagt, lächelnd gesagt: »Gekündigt werden kann mich nicht mehr schrecken. Wenn mir auf den Januar gekündigt wird, so bin ich im Dezember tot.« . . .

Der Organisator Hasenfratz war mit seiner Arbeit fertig. Er hatte seine Abschiedskonferenz beim Prokuristen. »Halt, eins noch«, sagte dieser, »die Kontorkontrolle Ihres Systems –?«

»– wird am besten mittels unauffällig eingebauter Deckenspiegel durchgeführt. Sie können so von ihrem Pult aus jeden Augenblick jeden Federstrich jedes Angestellten kontrollieren – wunderbar, nicht wahr?«

»Schauderhaft –«

»Wie?«

»Ich meine: technisch großartig, Herr Hasenfratz.«

»Und das beste: Sie können mindestens ein Drittel Ihres Personals entlassen – am besten die auf diesem Zettel – ich verglich die Leistungsfähigkeit statistisch – wie zu erwarten, sind's die Alten – ich nehme an, daß Sie im Interesse Ihrer Firma von keinerlei Humanitätsduselei beschwert sind – damit wäre meine Mission erfüllt – den Spiegeleinbau besorgt am besten Matterns Nachfolger – das vereinbarte Honorar erhebe ich an Ihrer Kasse – ich darf mich empfehlen –?«

Der Prokurist starrte auf den Entlassungszettel. Hasenfratz zögerte: »Ich hätte immerhin erwartet, daß mir Dank für meine Tätigkeit –«

»Ich danke – danke dem Himmel – Ihre sachlichen Neuerungen in Ehren – daß wir es nicht nötig haben, unsre Angestellten zu zerfetzen.«

155 Hasenfratz blickte seelenruhig nach der Decke. Er schien zu rechnen: »Die Wahrscheinlichkeit rückständig empfindender Prokuristen kann man mit fünfeinhalb Prozent in Ansatz bringen – ich empfehle mich.«

Kaum war er draußen, kam Endres herein. Er schielte nach dem Zettel, schien aber gefaßt: »Ich vermute, daß ich auf dem Zettel stehe – Herr Vater auch und mancher andre, der im Dienste grau geworden –«

»Ja, Sie stehen drauf, Herr Endres, auch Herr Vater.«

»Schön – ich habe noch vor meinem Austritt eine hasenfrätzische Anweisung ausgearbeitet über rationelles Husten während der Kontorarbeiten und –«

»Einen Augenblick, Herr Endres: ich huste mit –«

Endres strahlte auf: »Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Mathis, wollen Sie damit sagen –«

»– daß wir unsrer Angestellten Hand und Kopf gemietet haben, nicht ihre Seele.«

Endres streckte seine alte Hand aus: »Ich weiß«, sagte er, »denn ein Herzstück dieser Seele schlägt ja ohnehin für unsre Firma.«

 


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