Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Unverbrüchlich.

In meinem Lehrvertrag stand eine Klausel: ». . . und verpflichtet sich der Lehrling, über alle ihm bekanntwerdenden Geschäftsgeheimnisse unverbrüchliches Stillschweigen zu beobachten.«

Die Satzumstellung nach »und« war grammatikalisch falsch. Der Stil war schauderhaft. Aber aus dem Sinn der Klausel strömte große Kraft. Vor allem tat's ein Wort mir an: unverbrüchlich. Wie das dastand, wie es einen ansah: unverwandt. Und wie es klang: geheimnisvoll und drohend. Zum ersten Male in meinem Leben schob sich eine glatte Worthaut auf, eines Wortes Seele wogte bloß: unverbrüchlich. Vom ganzen Lehrvertrage weiß ich heute nur ein Wort: unverbrüchlich. Es ist genug. Von dicken Büchern bleibt uns oft ein Wort. Es ist genug. »Unverbrüchlich« war ein Zellkern. Wenn von einem strengen Tannenwald der ganze Wald vermodert, und es bleibt mir nur ein Zellkern – nicht größer, als daß ihrer dreizehn unter meinen Daumennagel gingen – es ist genug, daß ich den ganzen strengen Wald für meine Kinder neu erstehen lassen könnte.

Mein Sohn ist gestern in die Lehre eingetreten. Mutter meinte, daß ich vorher mit ihm sprechen sollte. »Würdevoll und der Bedeutung dieses Tages entsprechend«, sagte sie. Da nahm ich ihn ins Zimmer. »Junge«, sagte ich, »Mutter sagt, ich müßte mit dir sprechen, würdevoll und der Bedeutung dieses Tages entsprechend.«

»O jee«, machten seine Züge.

»Es handelt sich um einen Schritt, mein Junge«, fuhr ich fort, »der richtunggebend für dein ganzes Leben sein wird.«

42 »Na ja«, wackelten seine Jungenohren.

»Ich hoffe, daß du dir der physischen und der psychischen Tragweite des abgeschlossenen Lehrvertrages voll bewußt bist, Junge.«

Er nickte folgsam. Aber seine Nasenflügel blähten sich – man konnte es erkennen – ein wenig gähnend: »Gott, was macht er wieder für 'ne Sauce, der Alte!«

Ich schnippte ärgerlich den Daumen. Ein winziger Zellkern stäubte unterm Nagel auf. Er schwebte unsichtbaren Flügelschlags vor meines Sohnes Gesicht. Ich spüre leise von der eignen Lehrzeit her sein fernes Wehen. Ein Wort stieg langsam in mir auf, das mich damals angesehen hatte, unverwandt, geheimnisvoll und drohend. Ich machte ihm Bahn, ich räumte auf:

»Betrag dich so in deiner Lehrzeit, Junge, daß ich Freude an dir haben kann und Ehre. Sei mit einem Worte –«

»Gott, ist's noch nicht fertig?« bogen sich ihm ungeduldig unterm Oberleder seine Jungenzehen.

»– und sei mit einem Worte: unverbrüchlich treu!«

Wupp, war ihm der Zellkern flügelschlagend durch die Nase ins Gehirn gezogen, keimte, schlug Wurzel, schoß auf als großer strenger Tannenwald mit grünen Rauschewipfeln: Unverbrüchlich . . . unverbrüchlich . . . Keine Zehe bog sich, keine Ohren wackelten, zum ersten Male in seinem Leben schob sich ihm die glatte Worthaut auf, eines Wortes Seele wogte bloß: unverbrüchlich.

»Bub, willst du das bedenken: unverbrüchlich?«

»Ja, Vater«, klang das Wort aus ihm wie eine große tiefe Glocke.

Wie's ihm weiter gehen wird mit den gelobten Unverbrüchlichkeiten, weiß ich nicht. Vielleicht ähnlich, wie es mir erging . . .

Der Kaffee war eine erste Säule unseres Hauses. Er hat dessen Ruf begründet. Er schaufelte das meiste seines Kapitalzuwachses. Ihm galt das meiste Sinnen unsres Prinzipals. Daraus wuchs ihm eine Blüte: Ein Verfahren fand er, wie durch einen organischen Zusatz beim Rösten das Ergebnis im Gewicht und in der Güte wesentlich verbessert werden konnte. Die Patentierung freilich machte 43 Schwierigkeiten. Briefe über Briefe ans Patentamt wurden mir diktiert. Unterdessen zog der neue Kaffee seine Bahn und holte sich Erfolge auf Erfolge.

Die Konkurrenz war wütend. Es kam ein Angebot ums andre auf Gewinnbeteiligung. Am eifrigsten waren Riesler & Konsorten hinterher. Alles schlug Herr Kramer ab: »Erst sicher patentieren, dann verhandeln«, entschied er.

Es war um diese Zeit, daß mich ein unbekannter Herr auf der Straße zu grüßen begann. Höchst respektvoll, mit einem Zirkelschwung des Hutes und mit einem raschem Ruck zurück in einem Winkel von reichlich fünfundvierzig Graden. Das war der Gruß, der damals unter den Studenten Vorschrift war. Also hält er dich für einen solchen, dachte ich geschmeichelt. Ich grüßte zirkelschwunghaft und mit reichlich sechzig Graden wieder. Einmal bat er mich um Feuer. »Gestatten?« sagte er, »mein Name ist v. Schwindrazheimer.«

Verflucht, da konnte ich nicht hinten bleiben. »v. Miller«, log ich.

»Sehr angenehm – würde mich riesig freuen, einmal abends eine Partie Billard im Kaffee Wittelsbach – nettes Lokal – honette Leute – wie gesagt: sehr freuen, Herr v. Miller.«

Noch am gleichen Abend maßen wir die Billardstöcke. Ich war kein Held im Spiel. Dennoch gewann ich. v. Schwindrazheimer spielte gar zu lässig. Fünf Partien hatte ich gewonnen. Jetzt saßen wir beim Kaffee. Das Gespräch ging erst recht zähe.

»Sie studieren?« fing ich an.

»Ja, botanisches Laboratorium«, warf er hin, »und Sie?«

»Praktische Handelswissenschaften.«

»Sind zu beneiden. Grau alle Theorie, grün des Lebens goldner Baum. Plage mich seit Wochen mit dem Röstprozeß von Kaffeebohnen. Wird Sie wohl kaum interessieren?«

»Im Gegenteil. Das Gebiet ist mir nicht unbekannt.«

»Welcher Zufall. Habe Streit mit einem Herrn Kollegen. Der Mensch behauptet nämlich – nein, erst diesem Herrn hier, bitte – und mir etwas heller, Ober.«

Der Kellner mit dem unbewegten Antlitz goß ihm die Milch nach.

44 »Ich glaube nämlich, daß im allgemeinen Kaffee viel zu dunkel ausgebrannt wird.«

»Ganz meine Meinung, Herr v. Schwindrazheimer«, sagte ich eifrig.

»Freut mich, freut mich sehr. Mein Kollege sagt nun freilich, daß die Ausbeute in Menge und Güte am höchsten ist, wenn der Rohkaffee in der bisher üblichen Weise möglichst dunkel ausgebrannt wird –«

»Ihr Kollege ist ein Dummkopf«, warf ich fachlich ein.

»Wogegen ich behaupte, daß möglichst milder Röstprozeß unter Zusatz irgendeines organischen Unterbrechungsmittels, das ich freilich noch nicht kenne –«.

»Aber ich«, platzte ich großspurig heraus und schob die geleerte Kaffeetasse nervös zum Tischrand.

»Was Sie nicht sagen«, zwinkerte der andere, »da wäre ich Ihnen dankbar – im wissenschaftlichen Interesse natürlich – wenn Sie mir einen kleinen Fingerzeig – den Teufel auch, jetzt hat der Mensch die Tasse untern Tisch gewischt!«

»Macht nichts«, sagte der Ober mit dem unbewegten Gesicht, »unsre dicken Tassen sind ja unverbrüchlich!«

»›Unverbrechlich‹, sagt man«, verbesserte v. Schwindrazheimer.

»Unzerbrechlich«, verbesserte ich die Verbesserung.

»Unverbrüchlich!« beharrte der Unbewegte hoheitsvoll.

»Dummes Zeug«, sagte ich, »eine Tasse ist nicht unverbrüchlich. Unverbrüchlich ist was anderes, wie zum Beispiel in meinem Lehrvertrag –«

»Ah, Sie haben einen Lehrvertrag?« unterbrach v. Schwindrazheimer.

Ich biß mich auf die Lippen: »Gewiß, was jedoch nicht hindert, daß ich heute schon die verantwortlichsten Arbeiten wie Patentbriefe –«

»Vermutlich auch Kaffee betreffend, nicht wahr?«

»Natürlich.«

»Aha, daher wissen Sie Bescheid in wissenschaftlichen Dingen und könnten die Wette zu meinem Gunsten entscheiden, lieber Herr v. Miller.«

»Welche Wette?«

45 »Na, mit meinem Kollegen – immerhin ein paar hundert Mark –«

»Donnerwetter!«

»Wovon gern die Hälfte Ihnen gehören soll, wenn Sie mir jetzt sagen, welchen Zusatz – wissenschaftlich meine ich – was wollen Sie schon wieder, Ober?«

»Ich schlug eben in unserm Duden nach«, sagte der Unbewegte, »es heißt dennoch unverbrüchlich, meine Herren.«

»Schweigen Sie still«, sagte ärgerlich v. Schwindrazheimer.

Stillschweigen? unverbrüchlich? – überfiel es mich heiß. Das Wort in meinem Lehrbrief reckte plötzlich seinen Hals und sah mich an aus strengen Augen: »Hast du stillgeschwiegen – unverbrüchlich?«

Mir wurde heiß, so heiß.

»Oder hast du schon geschwätzt?« fuhr's fort.

»Noch nicht – noch nicht – Herr Ober, zahlen!«

»Aber bester Herr v. Miller, warum so eilig. Sie wollten mir doch eben noch was erzählen von –«

»Ein andermal. Ich muß heim. Ich heiße nicht v. Miller, sondern Müller – guten Abend.«

Am nächsten Morgen ging der Buchhalter Vater an meinem Platz vorbei, blieb stehen, sagte nebenbei: »Was ich sagen wollte – sah Sie gestern Abend im Wittelsbach von fern – nehmen Sie sich vor diesem Menschen in acht.«

»Vor welchem Menschen?«

»Vor diesem Schwindelmeier von unserer Konkurrenz Riesling & Konsorten, der Mensch ist ein Filou.«

 


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