Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Seraphim

Im Gewürzkeller hatten wir einen, den hießen sie den Idioten. In der Lohnliste war er mit Kumpf eingetragen, S. Kumpf.

115 »Den hat die Firma sicher aus Mitleid eingestellt?« fragte ich, der Lehrling.

»Dummes Zeug«, sagte Hüttelmann, der Lagerhalter, »Mitleid gibt es nicht im Kaufmannslexikon. Jeder Mensch ist brauchbar. Der Kumpf mahlt Singaporepfeffer hell. Wir hatten früher einen andern an der Mahlmaschine, der war hell. Aber sein Pfeffer wurde dunkel. Umgekehrt ist's besser.«

Jetzt sah ich den verkrüppelten Kumpf anders an. Daß er ins Getriebe seiner Mahlmaschine kroch und es beredete und streichelte, kam mir nicht idiotisch vor. Der wußte schon warum.

»Kumpf«, sagte ich vertraulich, »wie kommt es, daß bei dir der Singapore weiß wird?«

Er schaute etwas blöde. »Wird halt so wollen«, krächzte er. Seine Stimme war mit der Zeit geworden, wie sein Singaporepfeffer, wenn er in der Mahlmaschine zerrieben wurde.

»Was hat der Kumpf für eine grauenhafte Stimme«, sagte ich zum Lagerhalter.

»Nur wenn er spricht, nicht wenn er singt.«

»Haha, singen, der Kumpf und singen!«

»Da ist nichts zum Lachen. Man kann ihn nur nicht hören. Die Mahlmaschine rattert so und schluckt sein Singen.«

Da schrieb eines Tages die Fabrik für Mahlmaschinen, man könne jetzt das Rattern ganz verschwinden machen. Ein Monteur kam und fing an, die Mahlmaschine vom Fundament loszuschrauben. Aber da packte ihn Kumpf am Arm: »Laß, oder –!«

»Aber Mensch, ich will's ihr ja bequemer machen – schau.« Er zeigte ihm die schalldämpfenden Filzunterlagen: »Wie ein feiner Herr im Polsterstuhl soll's deine Mahlmaschine künftig haben.« Da ließ er's geschehen. Aber mißtrauisch wandte er kein Auge ab, bis der Monteur sagte: »So, jetzt laß sie laufen.«

Kumpf schaltete in der Nebenkammer den Strom ein. Als er kein Rattern hörte, verzerrte es ihm das Gesicht: »Sie läuft nicht mehr!« krächzte er, »sie läuft –« Da blieb ihm der Mund offen stehen. Die Maschine lief. Allen Lärm trank der Filz.

116 »He bist du nun zufrieden?« sagte der Monteur stolz zu dem Verkrüppelten.

Aber dem verzog es weiter das Gesicht. Am liebsten hätte er geheult. Sie hatten seine Singapore bestohlen. Das altvertraute Rattern hatten sie ihr abgeluchst.

Ein paar Tage malte er den Singapore stumm und traurig. Aber auf einmal –

»Horch«, sagte Hüttelmann, »jetzt kann man's hören.«

Aus dem Gewürzkeller kam ein fernes Summen herauf.

»Am Bestellrohr kann man's besser hören – na, was singt er?«

Ich preßte mein Ohr ans grüne Schallrohr. Eine weiche Stimme sang im Keller:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer,
Und –

Dann war eine Pause. Von vorne fing es wieder an:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer,
Und –«

Dann wieder eine Pause. Dann wieder der König. Und so immerzu. Mir rutschte das Lachen von der Pulverpfanne. »Ist das – ist das –?«

»Ja, der Idiot«, nickte Hüttelmann, »er hat's in einem alten Schmöker aufgelesen. Er singt immer nur das eine.«

So einfach der Gesang war, so bezwingend war er. Ich brütete still über meinen Lohnlisten. Aber vor den inneren Augen schoben sich die Kellergewölbe auseinander. Es rauschte das weite, weite Meer. Ein Schiff kam gezogen, ein altes Schiff aus Singapore. Vorn am Bugspriet saß ein verkrüppelter König und sang. Ohne daß ich's wollte, brummte ich die Melodie leise mit:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer . . .«

»Aha«, sagte übers Pult herüber Hüttelmann, »aha, hat Sie's auch gepackt – ja ja, steckt an – nu, brauchen sich nicht zu schämen – mir scheint, das ganze Kontor brummt's mit.«

117 Ich hob den Kopf. Ueber allen Pulten wiegten Köpfe, über allen Pulten brummte es rhythmisch in die Arbeit:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer . . .«

Von der Kasse kam Herr Brandmann hergelaufen und machte seitwärts geballte Hände: »Unfug – Singerei – wer – wo!«

Wir wiesen nach dem Gewürzkeller. Er rannte hinunter. Er kam aufgeblasen wieder 'rauf. Auf seinem Gesicht stand: Na, dem Idioten habe ich das Handwerk gelegt!

Als er in seine Kasse zurückgestelzt war, war es eine Weile still. Dann fing es wieder an, ganz fein:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer,
Und –«

Gleich kam der Brandmann wieder hergeschossen, funkelnd:

»Die Herren in diesem Kontor ermuntern wohl den Idioten, wie?«

»Wir haben weder zu ermuntern, noch zu untersagen«, gab Hüttelmann zur Antwort.

»Es muß Sie doch in Ihrer Arbeit stören!«

»Ich glaube nicht. Im Gegenteil –«

»Aber die Geschäftsordnung –«

»In der Geschäftsordnung steht nichts, daß Singen im Gewürzkeller verboten ist.«

»Aber Ihr gesunder Sinn müßte Ihnen doch sagen –«

Er war ganz nahe an den grünen Schalltrichter herangekommen, aus dem's vernehmbar stieg:

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer . . .«

Er stutzte. Dann streckte er wieder die geballten Hände seitwärts: »König! – welch ein Blech – weite, weite Meer! – welch ein Blödsinn – wenn draußen das bekannt wird, daß in unserer Firma gesungen wird – na, ich danke – einer singenden Firma würde ich nicht so viel Kredit –«

»Was gibt's?« Der Prokurist stand in der Türe.

Erst berichtete Kassierer Brandmann aufgeregt, dann ruhig Hüttelmann. Der Prokurist stand unentschlossen und 118 machte ein paar Schritte. Dabei kam er an das grüne Schallrohr.

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer –«

kam's vom Keller herauf.

»Es muß eine alte Ballade sein«, sagte der Prokurist ruhig und ging in sein Kontor zurück.

Brandmann stand verdutzt. »Skandal!« murmelte er und stampfte in seinen Kassenraum.

Der Idiot hat nicht mehr lang gesungen. Ein Vierteljahr später starb er. »Zu enge Brust«, sagte der Arzt. »Ja«, sagte Hüttelmann, über das »und« ist sie nicht hinausgekommen.«

Wieder ein Vierteljahr später starb des Kassierer Brandmanns Frau. Brandmann stampfte nicht mehr durchs Kontor. Einmal in der Mittagspause fand ich ihn im leeren Kontor am grünen Schallrohr stehen, ein wenig geneigt das Ohr. »Wie hat es doch geheißen?« fragte er.

»Und der König kam gezogen
Uebers weite, weite Meer,
Und –«

»Ja, und«, sagte er langsam»und –« Dann setzte er hinzu: »Merkwürdig, daß er Kumpf hieß.«

»Er hatte auch einen Vornamen«, sagte ich.

»Ja, S. stand immer in den Lohnlisten, glaube ich. Warum der niemals ausgeschrieben –?«

»Ich habe in den Akten nachgesehen«, sagte ich, »S. hieß Seraphim.«

 


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