Fritz Müller-Partenkirchen
Kramer & Friemann
Fritz Müller-Partenkirchen

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Das Zeugnis

Buchhalter Vater hatte mir erzählt, wie man Leute nach Punkt und Komma im Bewerbungsschreiben auswählt. Prokurist Mathis erweiterte mein Lehrlingswissen von diesen Zeichen nach der Seele Seite.

Gegen Ende meiner Lehrzeit war ein Posten von Bedeutung zu besetzen. Unsre Firma schrieb ihn aus, ganz knapp und fest umrandet: Verlangt das und das, gegeben das, Bewerbungen, die dem einen nicht genügen und das andere nicht wollen, zwecklos. Das siebte bis auf eine Handvoll. Diese Handvoll ward bestellt. Immer einer jeden Vormittag. Das gab dann jedesmal eine Vorstellung, auch nach der Theaterseite. Ich weiß es deshalb noch ganz genau, weil ich mitzuspielen hatte. Des Versuchers Rolle war mir eingelernt.

105 »Gescheiter ist es«, sagte Mathis, »vorher eine kleine Komödie, die niemand weh tut, als nachher ein Trauerspiel.« Hinter einer Glastür wartete ich aufs Stichwort.

Ein Bewerber ward hereingelassen. Er verbeugte sich schon dreimal an der Türe. »Auweh«, dachte ich, wie ich den Mathis kenne . . .« Aber Mathis war der Verbeugung wegen lange nicht so oberflächlich, wie ein Lehrling.

Der Bewerber drechselte schwungvoll Satz um Satz. »Auweh«, dachte ich, »wie ich den Mathis kenne . . .« Aber Mathis war der Worte wegen lange nicht so siebengescheit wie ein gewisser Lehrling.

Der Bewerber fing an zu versprechen, dies und jenes, ganze Berge. »Auweh«, dachte ich, »wie ich den Mathis kenne . . .« Aber ich kannte ihn noch lange nicht. Er ließ es alles über sich ergehen.

Der Bewerber begann, mit stolzer Miene Zeugnisse auszupacken. »Ganz vernünftig«, dachte ich, »denn –«

»Lassen Sie die Zeugnisse nur ruhig drinnen«, sagte Herr Mathis lächelnd.

Der Bewerber war schier beleidigt: »Aber Sie müssen doch –«

»Was ich muß, ist vorher schon geschehen. Ich erkundigte mich frischweg bei den angegebenen Firmen. Möglichst mündlich. Geschriebene Austrittszeugnisse – na ja, man weiß ja – wünschen alles Gute und so weiter – oder hätten Sie schon mal ein Zeugnis so gelesen: ›Inhaber dieses ist ein Lump‹ – wohlverstanden, wenn er einer war –«

Der Bewerber war zum andernmal beleidigt.

»Natürlich sind Sie keiner«, lachte Mathis, »ständen sonst nicht hier –nicht in der engsten Wahl – auch sonst stimmt alles: Fähigkeiten und persönliche Gewandtheit, worüber ich in fünf Minuten, Angesicht zu Angesicht mehr erfahre, als was in einem Dutzend Zeugnissen drinsteht, oder vielmehr nicht drinsteht – was gibt es, Müller?«

»Herr Mathis«, kam ich mit der eingelernten Rolle, »Herr Mathis, dieser Wechsel ist zurückgekommen.«

»Warum?«

»Ich vermute, Sie vergaßen ihn zu unterschreiben, als ich den Begleitbrief vorlegte.«

106 »Unsinn, Sie hätten's beim Versenden merken müssen!«

»Ich – ich dachte«, stotterte ich auftragsmäßig, Sie selbst hätten beim Lesen des Briefes, ehe Sie ihn unterschrieben –«

»Ach was, da hätt' ich viel zu tun – man kann nicht alles lesen, was man unterschreibt – nicht wahr, Herr, das finden Sie doch auch?«

Der Bewerber klappte vor eiliger Zustimmung fast zusammen:

»Natürlich – selbstverständlich – überhaupt, diese jungen Leute von heutzutage –«

»– haben recht, verehrter Herr«, sagte Mathis ernst.

Der Bewerder sah verdutzt darein: »Aber Sie selbst haben doch soeben –«

»– Sie soeben auf die Probe stellen wollen – nehmen Sie's nicht ungut – der Posten braucht mehr als Zeugnisse, mehr als Gewandtheit, mehr als Können – er braucht Rückgrat – Charakter auch vor Vorgesetzten – wie sollen wir sonst die Wahrheit hören, die auch uns Vorgesetzten not tut, dann und wann, im Auftrage des Geschäftes, dem wir alle dienen – Sie sehen selbst: das letzte Zeugnis hat nicht ganz genügt – ich bitte sehr, die kleine Komödie zu entschuldigen . . .«

So geschah es einmal, zweimal. Beim drittenmal aber, als Herr Mathis sagte: ». . . nicht wahr, Herr, das finden Sie doch auch?« klappte der Bewerber nicht zusammen. War es der Bewerber, der auf einmal ernst wurde, sehr ernst:

»Nein, ich finde, daß man alle Briefe, die man unterschreibt, erst lesen muß – Verzeihung – ich weiß, mein Freimut ist nicht diplomatisch –«

»Hem.«

»– und meine Aussicht auf die Stelle wird auf Null zusammenschrumpfen –«

Herr Mathis lächelte: »Sie irren, Herr, Sie sind unser Mann. – Charakter ist es, was wir für den Posten brauchen.« 107

 


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