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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Ellenborough.

Eine gute Tagereise von Highways Plantage lag ein Landstädtchen. Ohne wichtigere Handelsbeziehungen nach außen, war es vorzugsweise von Leuten bewohnt, die ihren Unterhalt aus dem Verkehr mit den Pflanzern gewannen, also Gewerbetreibenden, kleineren Kaufleuten und Agenten, die aus der Vermittelung größerer Zucker-, Baumwoll- und Tabakslieferungen nach bedeutenderen Stapelplätzen ihren Vorteil zogen. Einer Eisenbahn verdankte das Städtchen überhaupt sein Bestehen. Seit Aufhebung der Sklaverei war seine ohnehin nicht übermäßige Wichtigkeit indessen erheblich gesunken, indem die Ernten kaum noch den zehnten Teil des Ertrages lieferten, der erforderlich gewesen wäre, alles nach alter Weise in Bewegung zu erhalten. Durch das Einschlummern der Geschäfte hatten sich viele Einwohner bewogen gefunden, anderweitig günstigeren Boden für ihre Tätigkeit zu suchen, Entwertung des Bodens war die nächste Folge, ferner das Leerstehen von Häusern, für die den Nachbarn der billigste Preis noch immer viel zu hoch erschien.

Diejenigen, die Trinkhäuser eingerichtet hatten, waren am wenigsten durch den Wechsel der Zeiten betroffen worden; denn nach wie vor vereinigten sich bei ihnen die Pflanzer, um beim Grog und sonstigen Getränken ihre politischen Ansichten auszutauschen und die ihnen zur Verbesserung ihrer Lage zu Gebote stehenden Mittel zu beraten.

Ein derartiger Zusammenkunftsort lag auf dem äußersten Ende des Städtchens, von diesem sogar durch einen mehrere Hundert Schritte breiten Zwischenraum getrennt. Früher mochte das weiße Bretterhaus den Charakter des vornehm Behaglichen nicht entbehrt haben; heute war es unsauber und verwittert, während die leeren Ställe kaum noch fest genug erschienen, zwei Maultiere zu beherbergen, deren einzige Aufgabe war, die für die Wirtschaft notwendigen Fuhren zu leisten. Abseits von der Trinkhalle lag ein mäßig großes Rauch- und Lesezimmer. In dieses hatten an einem heißen, sonnigen Nachmittage der Wirt und drei Gäste sich zurückgezogen, sogar, um ungestört zu bleiben, die Türen abgeschlossen. Die Gäste waren Highway, Worthleß und ein totbleicher Mann, der sich nur noch mit Mühe auf seinen Füßen aufrecht zu halten schien, dessen leidendes Antlitz aber mit dem starkgebleichten Bart durch eine tiefe Narbe auf seiner Wange einen noch düstereren, unheimlicheren Ausdruck erhielt. Er befand sich im Reiseanzuge, als ob er eben erst eingetroffen wäre.

»Also hier müssen wir uns wiedersehen, Mr. Ellenborough,« bemerkte Highway nach der ersten flüchtigen Begrüßung argwöhnisch und finster zu diesem gewendet, »seit Monaten schauen wir ängstlich nach Euch aus, und das erste, was wir über Euch hören, ist, daß Ihr in nicht allzu großer Entfernung von uns eine Art Einsiedlerleben führt. Wie sollen wir das erklären? Seid Ihr nicht mehr einer der unsrigen? Geht Ihr damit um, zu unseren Feinden überzutreten?«

»Zu euch zähle ich durch die Vergangenheit,« erwiderte Ellenborough mit einem unsäglich bitteren Lächeln, »ich habe es bewiesen, indem ich eurem Rufe Folge leistete; für die Zukunft dagegen möchte ich getrennt von Euch bleiben –«

»Der nächste Schritt zum Verrat, zur Unterbindung der Ader, durch die allein uns noch Arbeitskräfte zugeführt werden,« fiel Worthleß zähneknirschend ein.

»Durch Verrat würde ich mich selbst an den Pranger stellen,« entgegnete Ellenborough ruhig, »das mag euch als Bürgschaft dienen.«

»Daraufhin erwartet Ihr die Herausgabe der fünftausend Dollars Unterpfand?« fuhr Highway auf.

»Behaltet das Geld immerhin,« versetzte Ellenborough, »widerstrebt's euch, es zum eigenen Besten zu verwenden, so laßt's den unglücklichen Ansiedlern in Nailleka zugute kommen.«

»Halloh! Das riecht nach Philanthropie!« lachte Worthleß höhnisch; »bei der ewigen Verdammnis, Mann! Nachdem Ihr eine Reihe von Jahren hindurch Eure Landsleute in die Sklaverei locktet und 'nen guten Vorteil von der Sache hattet, wollt Ihr plötzlich ein anderer geworden sein? Darin liegt keine Vernunft, und steckt kein Verrat dahinter, oder wanderte nicht mindestens 'ne gute runde Summe von den Yankees dafür in Eure Tasche, will ich mir den Tod an diesem Grog trinken,« und das Glas an die Lippen führend, leerte er es in einem Zuge bis auf den letzten Tropfen.

»Ihr täuscht euch,« erwiderte Ellenborough gelassen, »weder Versprechungen noch klingendes Geld sind imstande, mich zum Verrat an denjenigen zu bewegen, mit denen ich so lange an demselben, wenn auch tadelnswertem Werk beteiligt gewesen. Wünsche ich aber, mich zurückzuziehen, so mögt ihr den Grund dafür in andern Verhältnissen suchen. Näher auf diese Verhältnisse einzugehen, fühle ich mich nicht verpflichtet; trotzdem gebe ich zu erwägen, daß oft Umstände stärker, gebieterischer sind, als ein eiserner Wille. Und dann – versteht mich recht – leben in der Brust jedes Menschen Empfindungen, die wohl eingeschläfert, jedoch nur in seltenen Fällen ganz getötet werden können.«

Ein schallendes Gelächter folgte auf diese mit eigentümlich zitternder Stimme gesprochenen Worte. Dann hob Worthleß wieder spöttisch an:

»Ihr haltet uns für Kinder, oder wie soll ich es anders deuten, daß Ihr, der Ihr Eure Landsleute für einen bestimmten Kopfpreis verhandeltet, plötzlich von sanfteren Regungen sprecht? Verdammt! Der Pakt, den Ihr mit uns eingegangen, kann nicht nach Belieben gelöst werden. Wir müssen uns gegen Verrat schützen, frei bleiben von der Besorgnis, von einem Vertrauten aus unserer Mitte hintergangen zu werden und Ihr wißt, wie dies am schnellsten zu bewirken ist?«

»Ein guter Messerstoß, eine Pistolenkugel oder eine hänfene Schlinge, dazu ein Spottzettel mit dem verhängnisvollen K.=K.=C., und alles ist vorbei,« bestätigte Ellenborough mit einem herben Lächeln.

»Und ein solches Verfahren, fürchtet Ihr es nicht?« fragte Highway.

»Für mich selber nicht,« antwortete Ellenborough fest, »für andere dagegen–,« sein Antlitz zuckte und zitterte krampfhaft – »freilich, für andere wäre es ein Unglück, müßte ich die mir bekannten Geheimnisse mit dein Tode besiegeln. Nein, ich muß leben,« fuhr er leidenschaftlicher fort, »und ich hoffe, diese meine Beteuerung beruhigt euch vollständig; sie mag euch als Bürgschaft dienen, daß ich alles vergesse, was in irgendeiner Beziehung zu euch steht, daß ich weiter nichts mehr vom Leben erwarte, als auch von euch vergessen zu werden.«

»Aber wie, wenn derartige glatte Worte uns nicht genügen?« versetzte Worthleß drohend.

In Ellenboroughs Antlitz schoß flammende Glut.

»So werdet ihr dennoch eine Verständigung zwischen uns herbeiführen,« entgegnete er heftig, »denn was ihr auch immer in eurem Argwohn beschlossen haben mögt, mein Leben wird in euren Augen geheiligt sein. In Voraussicht der kommenden Dinge habe ich aus verschiedenen Stellen Briefschaften niedergelegt, die bei der ersten Nachricht von meinem Tode geöffnet werden und dem Ku-Klux-Clan einen schwer zu überwindenden Stoß versetzen dürften. Namen habe ich genannt –«

»Seid Ihr des Teufels, daß Ihr mit Eurem Leben spielt?« fiel Worthleß grimmig ein.

»Nicht um mein Leben spielte ich, sondern um meine Sicherheit, und ich gewann,« versetzte Ellenborough, »mein Gewinn aber beschränkt sich darauf, daß ich von den weißen Brüdern fortan unbeachtet bleibe.«

»Wenn Euch heute der Schlag rührte,« zischte Highway vor Wut zwischen den geschlossenen Zähnen hindurch, »so hätten morgen unsere Feinde die gefährlichsten Waffen gegen den Clan in Händen?«

»Sterbe ich eines natürlichen Todes, so werden jene Papiere ungelesen vernichtet.«

»Durch wen?« fragten Highway und Worthleß gleichzeitig und sogar der Wirt, welcher, offenbar ein Mitglied des verrufenen Clans, bisher nur als stummer Zeuge gehandelt hatte.

»Durch jemand, den ihr nicht kennt, auf dessen unerschütterliche Treue ich dagegen bauen kann.«

Ein kurzes Schweigen folgte. Jeder schien über das Vernommene nachzudenken. Endlich hob Worthleß wieder an:

»Für andere wollt Ihr leben und alle Beziehungen zu uns und Eurer bisherigen Tätigkeit abgebrochen wissen? Gut, uns hindert nichts, gegen ausreichende Bürgschaft auf Euren Vorschlag einzugehen. Wer aber bürgt dafür, daß Ihr uns nicht bereits verrietet?«

»Das Gegenteil wäre längst durch die Folgen bewiesen worden.«

»Und es ist bewiesen,« versetzte Highway mit unterdrückter Wut, »bewiesen durch die nach den Kolonien bestimmten Ansiedler, die von Neuorleans aus die Richtung nach dem Norden einschlugen.«

»Ihr übersehet, daß ich mich in Neuorleans nur allen Geschäften fern zu halten brauchte, um die Eintreffenden zu bewegen, in ihrer Verlegenheit sich an die Konsulate zu wenden.«

»Schickten die Konsulate einen Spion aus, um sich in den Kolonien von dem Wohlbefinden der Leute zu überzeugen?«

»Einen Spion?« fragte Ellenborough erstaunt.

»Nennt ihn, wie Ihr wollt,« erwiderte Worthleß leidenschaftlich, »Spion oder geheimer Agent, die Wirkung bleibt dieselbe. Doch Ihr kennt ihn ohne Zweifel, Gerhard ist sein Name.«

»Gerhard?« wiederholte Ellenborough sinnend, »fremd ist mir der Name allerdings nicht; allein ich weiß nicht, wohin ihn zu bringen. Schwerlich wurde er von der Bank geschickt, denn die ist längst zusammengebrochen.«

»Nein, von der Bank nicht,« gab Highway zu, »so viel lockte ich trotz seiner Schlauheit aus ihm heraus; dagegen handelte er wahrscheinlich im Auftrage derjenigen, die nach Verlust ihres Geldes wenigstens die Landbesitztitel zu verwerten wünschten, aber nicht blindlings ins Unglück stürzen wollten. Rätselhaft bleibt dabei –« und durchdringender richtete er seine Blicke auf Ellenborough – »daß er Euch kennt und dringend eine Zusammenkunft mit Euch wünscht.«

»Mit mir? Ich kenne ihn nicht,« versetzte Ellenborough sinnend, als hätten seine Gedanken in weiter Ferne geweilt, »ist er wirklich im Besitz von Aufträgen, so müssen sie notgedrungen dem Generalbevollmächtigten und nicht meiner Person gelten.«

»Satanshexe!« schrie der alte Sezessionist, und er erhob die Pistole nach dem Haupt der ihn furchtlos anlächelnden Irren.

»Unstreitig,« gab Highway zu, »und zwar, wie ich vermute, um Euch auf die Finger zu sehen – vorausgesetzt, Ihr wißt nicht um die Sache. Jedenfalls begann er damit, daß er Nailleka durchstöberte, unter meinem Dache, sogar in Eurem Zimmer Wohnung nahm und von dort aus sich mit jenen Räubern in Verbindung setzte, die, seit Abschluß des Krieges in fast unzugänglichen Sümpfen hausend, das Land unsicher machen. Genug, der Bursche hat einen zu tiefen Einblick in unsere Angelegenheiten gewonnen, um ihm noch freien Abzug gestatten zu dürfen.«

»Woraus schließt ihr auf feindliche Absichten?« fragte Ellenborough, und auf seinem finstern Antlitz prägte sich aus, wie er seine ungeteilten geistigen Kräfte aufbot, für den jungen Fremden einen Ausweg aus der bedrohlichen Lage zu ersinnen.

Highway lachte gehässig.

»Ein junger Mensch, dem keine glänzenden Mittel zu Gebote stehen, soll sich zwecklos in unserer Gegend umhertreiben?« rief er aus. »Verdammt! Seid Ihr wirklich nicht mit ihm verbündet, so erzeugts wenigstens den Eindruck, als möchte er Euch in die Heimat zurücklocken, wo man mit dem alten Auswandereragenten schwerlich sehr glimpflich verführe, zumal wenn der Bursche keine allzu schmeichelhafte Schilderung der Kolonie beifügte. Bei Gott! Ich durchschaue die Sache: der Nailleka hat Neider, die nach einer geeigneten Handhabe suchen, um einen Kriminalprozeß gegen ihn einzuleiten –«

»Neigung, mich hinüberzulocken, verriet er?« fiel Ellenborough ein. Dann senkte er die Augen, offenbar um den auf ihn gerichteten Blicken auszuweichen. »Nachdem ich mein Verhältnis zu der Zentrifugalbank schweigend löste, gibt es drüben niemand mehr, der noch irgendwelche Teilnahme für meine Person hegen könnte – nein – niemand« – fügte er wie im Traum hinzu, während Frösteln seine Gestalt durchlief.

»Ich müßte mich sehr täuschen, fesselte die Sehnsucht nach Euch den Burschen nicht allein an die Stätte Eurer Tätigkeit,« versetzte Worthleß. Doch die Sache mag einen Verlauf nehmen, welchen sie wolle, dem Urteilsspruche des Clans ist er verfallen – es sei denn, er entpuppte sich schließlich dennoch als Euer Stellvertreter.«

»Stellvertreter?« wiederholte Ellenborough ängstlich, »seit Eingehen der Bank undenkbar!« – er erhob sich, um, auf- und abwandelnd, die ihn fast übermannende Unruhe niederzukämpfen – »sucht er mich wirklich, können nur Privatangelegenheiten zwischen uns schweben – Angelegenheiten, die weit zurückliegen und die – hm – der Zufall spielt oft wunderbar – aber ich bin keinem Menschen Rechenschaft schuldig, und daher – nein, ich will ihn nicht sehen, will ihn nicht kennen lernen.«

»Es scheint, Ihr vollbrachtet in der Heimat Dinge, welche Euch den Boden unter den Füßen zu heiß machten,« bemerkte Worthleß grinsend.

Ellenborough fuhr erschreckt zusammen und blieb stehen. Die in seinen Bart verlaufende Narbe schien sich tiefer in das hagere, bleiche Antlitz einzugraben.

»Was ich vollbrachte,« entgegnete er, »schädigte niemanden. Im Gegenteil, nicht die schlechtesten Zwecke leiteten mich bei meinen Handlungen – freilich – ein Ereignis mag falsch gedeutet werden – doch was kümmerts euch? Treu habe ich zu dem Clan gestanden, und wohl verdiene ich, meinen Lebensabend unbeachtet in der Stille zu verbringen. Den jungen Mann hingegen, auf welchem euer Verdacht ruht, schickt wohin ihr wollt, nur mich verschont mit seinem Besuch. Ich will überhaupt mit niemandem in Verkehr treten, der von drüben kommt, das ist alles, was ich wünsche, zu verlangen gewiß ein Recht habe.«

»Mag's drum sein, erklärte Highway achselzuckend, »die Sicherheit aber, deren Ihr Euch erfreut, erstreckt sich nicht aus den Burschen, welcher sich zum Spion hergab.«

Ellenborough prallte einen Schritt zurück.

»Einen Menschen, welchen vielleicht nur der Zufall hierher führte, wollt ihr –« hob er an; er stockte, als hätte es ihn mit Entsetzen erfüllt, seine Gedanken weiter zu spinnen.

»Wer sich unberufen in unsere Angelegenheiten mischt,« nahm Highway schnell wieder das Wort, »gleichviel, ob mit hinterlistigen Absichten oder vom Zufall gelenkt, der mag es sich selbst zuschreiben, wenn er seinen Untergang findet.«

Ellenborough neigte das Haupt und begann wieder auf- und abzuwandeln.

»Wenn eure Rache einen Unschuldigen träfe?« fragte er plötzlich stehen bleibend.

»Das möchte schwer zu beweisen sein. Ich selber schaute ihm ins Angesicht, als er unter dem Schutze der Nacht eine Ratsversammlung der Clansgenossen belauschte. Verdammt! Ein tiefes Wasser trennte uns, oder er wäre mit seinen Entdeckungen nicht weit gekommen.«

»Wer führte ihn, den Fremdling, dorthin? Ohne Beistand kann er den Weg nicht gefunden haben.«

»Unstreitig die Räuber der Sümpfe, in deren Mitte ihn der böse Feind selber schleuderte.«

»So schont ihn wenigstens, bis ich ihn ausforschte.«

»Ohne ihn selbst zu sprechen?«

Ellenborough versank wieder in sein dumpfes Grübeln.

»Macht überhaupt, was ihr wollt,« rief er nach einer längeren Pause mit gepreßter Stimme aus, »ich habe den Burschen nicht gerufen und trage nicht die Schuld an seinem Verderben,« und den Hut ergreifend, stürzte er ins Freie hinaus.

Highway und Worthleß sahen ihm nach, bis er durch die Hausecke ihren Blicken entzogen wurde; dann rückten sie näher zusammen. Lange sprachen sie noch zueinander mit vorsichtig gedämpften Stimmen. Ihre Augen glühten fanatisch, ihre Gesichter verzerrten sich, indem unaussprechlicher Haß und Rachsucht immer mehr zum Ausdruck gelangten. Wer sie gesehen hätte in ihrem Gespräch, dem wäre wohl begreiflich gewesen, daß eine so geringe Anzahl von Männern, Schrecken unter Millionen ihrer Mitmenschen zu verbreiten vermochte. – –

Es war in den späten Nachmittagstunden des folgenden Tages, als Gerhard, verlockt durch die sich bereits einstellende abendliche Kühle, in den Garten hinaustrat und langsam den schattigen Parkanlagen zuwandelte. In den bitteren Betrachtungen über seine Lage, die ihm durch die aufgezwungene Untätigkeit peinlich zu werden begann, wurde er gestört durch Claudia, die, wie vom Zufall geführt, sich ihm zugesellte. Ihr Antlitz strahlte in den glühendsten exotischen Reizen, allein eine gewisse Befangenheit prägte sich in ihrem Wesen aus, als sie ihn aufforderte, gemeinschaftlich mit ihr den Park bis zu dessen äußerster Grenze zu durchstreifen. Bereitwillig trat Gerhard an ihre Seite, und gleichsam unwillkürlich an seine jüngsten Gedanken anknüpfend, äußerte er ernste Bedenken, auf unbestimmte Hoffnungen hin länger die Gastfreundschaft auf der Plantage für sich in Anspruch zu nehmen.

»Ihr müßt den Verhältnissen Rechnung tragen,« erwiderte Claudia, ihren Arm auf den seinigen legend, eine Vertraulichkeit, deren er sich bisher nie zu erfreuen gehabt hatte; »waren wir früher imstande, die Gastfreundschaft in fürstlicher Weise auszuüben, so sind wir durch den unheilvollen Krieg und die ungerechtfertigte Befreiung der Sklaven fast unseres ganzen Eigentums beraubt worden – denn welchen Wert hätten brache Felder? – so daß die bei uns einkehrenden Gäste gezwungen sind, mit unserem Bettlerbrot vorlieb zu nehmen. Leider erkältet Ihr auch noch unsere Herzen dadurch, daß Ihr Euch zu den Grundsätzen unserer Unterdrücker bekennt.«

»Wäre es Euch lieber gewesen, Miß Claudia, ich hätte versucht, durch Verheimlichung der Wahrheit mir das Vertrauen Eurer Familie zu erwerben?« fragte Gerhard.

»Ja,« versetzte Claudia schnell, »Ihr wäret dadurch in die Lage geraten, da als Freund betrachtet zu werden, wo Euch jetzt feindliche Absichten zugeschrieben werden. Aber auch heute wäre es noch nicht zu spät,« fuhr sie leidenschaftlich fort, und fester lehnte sie sich auf Gerhards Arm, »noch heute könntet Ihr erklären, in Ellenboroughs Stelle einzutreten –«

»Miß Claudia!« rief Gerhard aus, indem er, seinen Arm von dem ihrigen trennend, einen Schritt zurücktrat, »unmöglich erwartet Ihr im Ernst, daß ich mich an einem Verfahren beteilige, durch das Hunderte von Familien ins Verderben hinabgezogen werden!«

Über Claudias Antlitz breitete sich eine tiefe Glut aus, und wie Blitze sprühte es aus ihren dunklen Augen. Sie faßte sich indessen schnell und mit einem erzwungenen Lächeln sich Gerhard nähernd, legte sie ihren Arm wieder auf den seinigen.

»Vermeiden wir Prinzipienfragen,« sprach sie scheinbar sorglos, »Fragen, durch deren Erörterung wir doch nicht einander näher geführt werden. Wie ich selbst davon abstehe, Euch zu bekehren, zu überzeugen, daß mit dem Wachsen des Wohlstandes der Grundbesitzer auch dem Arbeiter reichere Früchte zufließen – Ihr seht, uns südlichen Frauen ist Politik nicht fremd – daß ferner da ein gewisser Zwang ausgeübt werden muß, wo vernünftige Vorstellungen scheitern würden, so mögt Ihr den Versuch aufgeben, Eure idealistischen Anschauungen zu den meinigen zu machen. Beobachten wir aber beiderseits diese Vorsicht, dann mögen wir ein Menschenalter hindurch miteinander verkehren, ohne daß die zwischen uns waltende Harmonie auch nur im Geringsten getrübt wird. Glaubt mir nur, daß einzig persönliche Teilnahme mich dazu bewegen konnte, in solcher Weise zu Euch zu sprechen; doch auch diese Teilnahme gelangte nie laut zum Ausdruck, befändet Ihr Euch in einer weniger gefährlichen Lage.«

»Eure Teilnahme beglückt mich,« versetzte Gerhard, ergriffen durch den innigen Ton, in dem Claudia die letzten Worte zu ihm sprach, »sie bereichert meine Erinnerungen um die schönsten Blüten, und doch liegt die Frage nahe: Warum entscheidet Eure Güte sich nicht dafür, jene Gefahren, die mich gewiß ungerechtfertigt bedrohen, zu beseitigen, zumal kein anderer Zweck mich in diese Gegend führte, als der Wunsch, mit jemandem zusammenzutreffen, von dem ich wichtige, tief in mein ganzes Leben einschneidende Aufschlüsse erwarte?«

»Nun gut,« entgegnete Claudia ernst, »seid Ihr imstande, zu vergessen, was Ihr in den Kolonien sahet?«

»Nimmermehr,« antwortete Gerhard fast rauh, »wie könnt Ihr voraussetzen, daß ich das entsetzliche Elend vergessen könnte, dessen Zeuge ich gewesen bin?«

»Ob ich es voraussetze oder nicht, kommt nicht zur Geltung,« sprach Claudia abweisend, »denn meine Ansichten sind nicht maßgebend für die schmachvoll unterdrückte Bevölkerung der Südstaaten. Doch weiter: Nachdem Ihr diese Gegend verlassen habt, werdet Ihr Euer Bestes aufbieten, die kaum gegründeten und deshalb noch schwer um ihr Fortbestehen kämpfenden Kolonien wieder zu vernichten?«

»Mein Bestes, so wahr mir Gott helfe!«

»Ihr seid also im Begriffe, den ihrer Arbeitskräfte beraubten Pflanzern das letzte Mittel zu entziehen, ihren Feldern einen kärglichen Ertrag zu entwinden.«

»Ihr meint, ich würde sie schädigen? Wohlan, Miß Claudia, gestattet mir eine Gegenfrage: Mit welchem Rechte werden die durch die verworfensten Mittel ihrer Heimat entrissenen Ansiedler nicht nur um ihre letzten Ersparnisse, sondern auch um Gesundheit und Leben gebracht?«

Claudia biß die Zähne zusammen, daß deren Knirschen deutlich zu Gerhards Ohren drang. Eine Strecke legten sie schweigend zurück. Sie erreichten die Grenze des Parks, und umkehrend vertieften sie sich wieder in die schattigen Gänge. Beide schienen die Gegenwart vergessen zu haben, so ernst gaben sie sich den auf sie einstürmenden Betrachtungen hin.

Plötzlich blieb Claudia wieder stehen, und sich Gerhard zukehrend, zeigte sie ihm ein Antlitz, aus dem die letzte Spur von Lebensfarbe gewichen war.

»Ich gehe weiter, als meiner Stellung und meinem Geschlechte geziemt,« sprach sie, und heftige Erregung raubte ihrer Stimme den eigentümlich bezaubernden Wohlklang, »allein das Geschick gebietet es so. Ihr dagegen mögt danach ermessen, wie entscheidend diese Minuten für Euch sind. Hört daher: Die freie Tochter eines freien Mannes bittet Euch, Eure bisherigen Grundsätze, und wäre es nur scheinbar, zu verleugnen und zu uns zu stehen! Beharrt Ihr auch jetzt noch auf Eurem Entschluß?«

»Unerschütterlich!« entwand es sich Gerhards Lippen, während Claudias Blicke sengend in seine Seele eindrangen.

Claudia rang verstohlen die Hände und flammende Röte schoß in ihr Antlitz.

»Ihr seid ein Mann und Eure feste Weigerung stellt Euch in meinen Augen um so höher,« hob sie kaum verständlich an; »Ihr seid ein Mann, vor dem ich offen sprechen darf. So hört denn mein letztes Wort: Die Welt ist groß und es gibt Stätten genug, auf denen man ungestört durch das feindliche Getriebe der Welt zu leben vermag. Nur auf kurze Zeit unterdrückt Eure Anschauungen, die ich im Grunde des Herzens nicht verdamme, nur so lange, bis ich – meine Hand – worüber ich frei zu Euren Gunsten –«

»Haltet ein«, rief Gerhard von einem Taumel ergriffen aus, »haltet ein, Miß Claudia, und zerreißt nicht meine Seele, indem Ihr die Saat zu endlosen Zweifel ausstreut! Eine unübersteigliche Kluft – nein – sagt, daß ich Euch mißverstand – straft mich für die Vermessenheit –«

»Kein Mißverständnis,« fiel Claudia gepreßt ein, und näher neigte sie sich zu Gerhard hin, und angstvoller suchten ihre unheimlich glühenden Augen in seinem Innern zu lesen, »kein Mißverständnis,« wiederholte sie fast atemlos, »kein Mißverständnis, wenn ich Euch meine Hand – und mehr noch – mein Herz anbiete. Ein verwegener Schritt ist es, zu dem ich mich hinreißen lasse, aber nicht zu verwegen für den Preis, um den es sich handelt. Was Euch droht, ich weiß es nicht; wohl aber weiß ich, daß gewaltsam von Euch erzwungen werden soll, was Ihr freiwillig nicht zusagt. Ebensowenig kenne ich die Mittel, die diesen Zwecken dienen sollen: aber eine Gefahr bedroht Euch, eine gräßliche Gefahr; und angesichts derselben frage ich Euch: Wollt Ihr mit mir von dannen ziehen? Wollt Ihr gemeinschaftlich mit mir eine Stätte aufsuchen, auf der Eure Feinde, die alsdann auch die meinigen sein werden, uns nicht mehr zu erreichen vermögen?«

Eine Weile stand Gerhard betäubt da. Seine Blicke ruhten in den Augen der leidenschaftlichen Südländerin. Vor seinen Ohren sauste es, und wie um sie zu sprengen, hämmerte das Blut in seinen Schläfen. Er fühlte, daß er nur die Arme auszustrecken brauchte, um Claudia an seine Brust sinken zu sehen. Seine Sinne umnachteten sich; vergeblich kämpfte er, das holde Bild Esthers heraufzubeschwören. In dem Flammenmeer der ihn durchtobenden Leidenschaften sank alles dahin, was ihn zum Bewußtsein hätte zurückrufen können. Wie von unwiderstehlicher Gewalt gezogen, neigte er sich der von berauschendem Zauber umwobenen Südländerin zu; indem aber seine Blicke absichtslos an dem schönen, ihn mit verzweiflungsvoller Spannung beobachtenden Antlitz vorbeistreiften, prallte er, wie von einer tödlichen Waffe getroffen, zurück. Er hatte im Hintergrunde des schattigen Pfades die im grünen Zwielicht fast verschwimmende Gestalt der jungen Irren entdeckt, wie sie die Hände flehentlich erhob, ihm ein warnendes Zeichen gab und, sobald sie sich bemerkt sah, seitwärts im Dickicht verschwand. Flüchtig, wie der Anblick war, er hatte genügt, ihn zu sich selbst zu bringen und die Zauberbande zu zerreißen, mit denen Claudia ihn umschlungen hielt. Was er aber empfand, bevor er es aussprach, hatte Claudia in seinen Zügen gelesen; denn die Glut ihrer Blicke erlosch und jäh wich das bewegliche Blut aus ihrem Antlitz. Gerhard aber hob an:

»Miß Claudia, ich erkenne dankbar an, daß Ihr Euch selber opfern wolltet, um einem Verbrechen an einem harmlosen Fremden vorzubeugen, allein nichts in der Welt, und wäre mein Leben der Preis, könnte mich bestimmen, ein Opfer anzunehmen, von welchem ich fürchten müßte, daß es, nur ein Kind augenblicklicher Empfindungen, bei ruhiger Überlegung bereut werden könnte –«

»Sehr gewandt sucht Ihr mich vor mir selbst zu entschuldigen«, versetzte Claudia einfallend, und ihre Lippen bebten, während verletzter Stolz aus ihren großen Augen funkelte, »und an mir ist es, mich näher zu erklären: Ich war in der Tat bereit, jenes Opfer zu bringen – die Gründe zu erörtern, erlaßt Ihr mir wohl – aber baut darauf, daß ich in der Tat nur dann mich zu demselben entschlossen hätte, wenn es als ein Glück begrüßt und entgegengenommen worden wäre. Dies geschah nicht, und zertreten und vernichtet ist alles, was bisher freundlich zwischen uns vermittelte.«

»Nicht im Zorn wendet Euch von mir,« flehte Gerhard nunmehr, denn in dem erzwungenen Lächeln Claudias offenbarte sich eine unsägliche Bitterkeit, »nein, ich kann Euer Opfer nicht annehmen, da ich seit Jahren innig verbunden bin mit einem treuen, lieben Wesen –«

»Gut,« lachte Claudia mißtönend, »so begebt Euch zu ihr und triumphiert, daß eine der stolzesten Südländerinnen sich vor Euch erniedrigte und daß Ihr sie verschmäht habt, jedoch großmütig vorgabt, sie nur mißverstanden zu haben, um ihr dadurch ein jungfräuliches Erröten zu ersparen. – Nein, nein, entschuldigt Euch nicht,« und wiederum lachte sie unmelodisch, »Ihr, ein namenloser Fremdling, habt mir eine gute Lehre erteilt, habt mich geheilt von allen kindisch menschenfreundlichen Regungen und dafür bin ich Euch zu Dank verpflichtet.«

»Miß Claudia, ich beschwöre Euch,« hob Gerhard an, als diese ihm wieder stolz ins Wort fiel.

»Was bezwecken Eure ferneren, unverlangten Erklärungen?« fragte sie hoheitsvoll, »unsere Bahnen liegen in verschiedenen Sphären, und bald genug werden wir einer den andern vergessen haben. Doch fast vergaß ich: Ihr verlangtet sehnsüchtig nach Ellenborough, und ich bin beauftragt, Euch jemand zu überweisen, der Euch zu ihm führt – er selber scheint unsere Nachbarschaft mit Überlegung zu meiden – aber bitte – Euren Arm; sehe ich doch keinen Grund, weshalb ich Euch plötzlich fremd gegenübertreten sollte – ein herrlicher Abend, in der Tat; diese Beleuchtung der scheidenden Sonne« – und ihre Schritte beschleunigend, näherten sie sich auf einer andern Stelle der Grenze des Parkes – »und das Laub, welche Pracht! Ein Regen von Gold und Smaragden scheint auf uns niederzuströmen. Und dann die Spottdrossel – hört, wie süß die Töne, die sie der Sonne nachruft.« So plauderte sie mit krankhafter Heiterkeit, daß es Gerhard verwirrte, denn wie seine Blicke gleichsam sprungweise ihren Andeutungen folgten, so beschäftigten seine Gedanken sich bald mit der ihn fast beängstigten Begleiterin, bald mit der in der Nähe weilenden Irren, die offenbar einen Auftrag für ihn hatte, bald wieder mit einem traumähnlichen Himmelsbilde, mit seiner geliebten Esther. Wie aus einem Traume schreckte er denn auch empor, als sie plötzlich aus dem Park aufs freie Feld hinaustraten, wo ein von flinken Maultieren gezogener leichter Reisewagen, der in geringer Entfernung von ihnen hielt, bei ihrem Erscheinen sogleich auf sie zurollte. Zwei Männer saßen auf der vorderen Bank. Der eine hielt Zügel und Peitsche, wogegen der andere zur Erde sprang und das eiserne Trittbrett niederschlug, um Gerhard beim Einsteigen hilfreiche Hand zu leisten.

»Ihr wartet schon lange?« fragte Claudia, die scheinbar ihre heitere Sorglosigkeit zurückgewonnen hatte.

»Beinahe eine Stunde,« antwortete der Diener höflich.

»Ellenborough befindet sich wohlauf?« fragte sie weiter.

»Vollkommen; er erwartet den Herrn.«

»Mr. Gerhard,« wendete Claudia sich an diesen, »Ihr braucht nur den Wagen zu besteigen, um Eure Sehnsucht nach Ellenborough binnen kurzer Frist gestillt zu haben.«

»Ellenborough?« fragte Gerhard bestürzt, denn er traute seinen Sinnen kaum.

»Zu keinem andern,« versetzte der Diener ehrerbietig, obwohl die Frage nicht an ihn gerichtet war; »Mr. Ellenborough ist ungeduldig, zu erfahren, wer ihn so dringend zu sprechen wünscht.«

Gerhard, wenn auch befremdet durch die unerwartete Wendung der Dinge, hatte zu sehr seine Selbständigkeit verloren, um noch irgendwelche Fragen an jemand zu richten. Kaum wußte er, was er tat, als er sich von Claudia verabschiedete und, von dem Diener unterstützt, auf der hinteren Bank des Wagens Platz nahm; ebensowenig achtete er darauf, als jener, anstatt vom zum Kutscher, sich neben ihn setzte und gleich darauf die Maultiere, von scharfen Peitschenhieben getroffen, mit ihrer Last im Galopp über das Feld hin dem nächsten Wege zustürmten.

Mit einem letzten Gruße kehrte er sich Claudia zu. Sie dankte nicht; aber wie von Schwäche übermannt, hatte sie sich an einen Baum gelehnt, ihr Antlitz war so bleich, als hätte, sie ins Grab gelegt werden sollen.

Gerhard fühlte es wie Eis durch seine Adern rinnen.

»Werden wir heute Abend zurückkehren?« fragte er befangen den neben ihm sitzenden Mann.

»Schwerlich,« antwortete dieser kurz mit geringschätzigem Achselzucken.

Gerhard betrachtete ihn mit heimlicher Scheu. Das Ehrerbietige war aus seinem Wesen geschwunden. Gern hätte er sich genauer nach Ellenborough erkundigt, allein er wagte es nicht, aus Furcht vor weiteren verletzenden Zurückweisungen.

Gerhard blickte noch einmal zurück. Claudia befand sich noch immer auf derselben Stelle. Deutlich schimmerte ihr helles Kleid durch das sich verdichtende, rötliche Zwielicht zu ihm herüber. Eine zweite Gestalt hatte aber auch auf der Hügelseite den Park verlassen und flüchtete auf die bewaldeten Höhen zu. Gerhard meinte die Irrsinnige zu erkennen. Beruhigend wirkte auf ihn das Bewußtsein, daß sie um seine geheimnisvolle nächtliche Fahrt wußte.


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