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Neuntes Kapitel.

Ein Ständchen.

Endlich war er eingetroffen, der Generalbevollmächtigte aus den Kolonien, und zwar nicht nur mit mündlichen Berichten, sondern mit Briefen von den glücklichen Ansiedlern selber an Freunde und Bekannte, mit Briefen, geschrieben im Schatten einer üppigen tropischen Vegetation, beim Rauschen langhalmigen Zuckerrohrs, beim Brüllen fetter Rinder und auf einem von Zeugungskraft strotzenden Boden.

Es waren entzückende Briefe, und, großmütig hatten die Verfasser sie den Direktoren der Allgemeinen Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation und Missionswesen zur Verfügung gestellt, um durch deren Veröffentlichung klar vor Augen zu legen, daß reicher Segen auf dem ganzen Unternehmen ruhe, das von uneigennützigen Männern ins Leben gerufen worden war und sich einer so gewissenhaften und umsichtigen Verwaltung erfreute!

Wie diese Berichte zündeten! Wie die Leute – vorzugsweise kleine Kapitalisten – sich mit ihren Ankäufen beeilten, um den von Tag zu Tag steigenden Wert der Kolonisationsaktien sich nicht bis zur Unerschwinglichkeit über den Kopf wachsen zu lassen! Die Kontorräume waren umlagert von Menschen, die die Gelegenheit zum Reichwerden nach besten Kräften auszunutzen gedachten.

Wie Vertrauen weckend aber auch die Leiter des Unternehmens wirkten: die beiden Herren Direktoren, diese eleganten, von Reichtum strotzenden und dennoch so umgänglichen und fürsorglichen Persönlichkeiten! Und dann vollends der Generalbevollmächtigte, dessen gebräuntes, obwohl krankhaft bleiches Gesicht sofort bewies, daß transatlantische Luft, die Atmosphäre der Kolonien wie der Wüsten es lange umweht hatte. Seine Züge waren, der schweren Verantwortlichkeit seiner Stelle angemessen, ernst und streng verschlossen, sogar finster; wogegen eine lange, tiefe Narbe auf der linken Wange, die sich in dem dichten, wohlgepflegten Vollbart verlief, auf schwere Kämpfe mit gefährlichen Eingeborenen hinwies. Dazu die transatlantische Gewohnheit, überall bedeckt zu bleiben und gelegentlich seine Mitteilungen mit englischen Worten zu durchschießen, kurz, alles deutete auf reiche Erfahrungen hin, gesammelt auf sturmbewegten Meeren wie auf den einer prachtvollen Wildnis abgerungenen Fluren. Außerdem war es kein Geheimnis, daß er seit Jahren Emigrantenladungen über den Ozean begleitet, auch wohl sie drüben erwartet hatte, um für ihre schleunige Weiterbeförderung nach dem Innern des Landes gewissenhaft Sorge zu tragen.

Unter solchen Auspizien mußten die Aktien der Zentrifugalbank steigen, und sie stiegen in der Tat bis auf Pari und sogar darüber hinaus. Wer aber über ihren täglichen Stand verbürgten Aufschluß zu haben wünschte, der brauchte nicht lange in den Zeitungsbeilagen zu forschen. Er brauchte seinen Spaziergang nur bis in die Nähe der Zentrifugalbank auszudehnen, um das, was er wissen wollte, aus den strahlenden Mienen der Leute zu lesen, denen er dort begegnete.

Einen ähnlichen Ausdruck hätte er bei Merediths Nachbar, dem Gerichtsschreiber Maller, im fünften Stock entdeckt. Denn bei ihm, der vor kurzem noch der Verzweiflung anheimzufallen drohte, herrschte jetzt eitel Lust und Freude. Singend eilte er des Morgens die Treppen hinunter, um sich nach seinem Bureau zu verfügen; singend ergriff er des Abends die Feder zur nächtlichen Arbeit, und manches Fläschchen Bier, einmal sogar eine Flasche Wein – früher ein schwarzes Verbrechen an den Seinigen – gönnte er sich im Übermaß seines Entzückens, wenn der Kurszettel ihn so überaus günstig über den Stand seines Vermögens belehrte. Und die armen, lieben Kleinen, wie segneten sie in ihrer Weise die Allgemeine deutsche Zentrifugalbank für transatlantische Kolonisation und Missionswesen; denn selbst die jüngsten hatten diesen glänzenden Titel oft genug gehört, um ihn geläufig aussprechen zu können, wie den Namen eines lieben Hausfreundes, dessen Güte sie manche auf ihren Gaumen berechnete kleine Überraschung verdankten. Wie lachte die Mutter, und wie stolz nannte sie den Gatten einen klugen Spekulanten, als er ihr mehr als mäßiges Wirtschaftsgeld um eine Kleinigkeit erhöhte und in seiner Vertrauensseligkeit die teilweise schon ersparte Miete anbrach! Aber zu glücklich war der zärtliche Gatte und Vater! In seiner Herzensfreude lief er denn auch eines Tages zu seiner Nachbarin Meredith:

»Bedenken Sie,« triumphierte er: »nicht nur meine sechshundert Taler sind gerettet, sondern auf jedes Hundert fallen noch zwölf Taler, volle zweiundsiebzig Taler, die so gut wie gefunden sind. Außerdem die Dividende und der Landbesitztitel, von denen verlautet, daß sie, bei dem wunderbaren Emporblühen der Kolonien, jetzt schon zu verwerten seien! Wer hätte sich das wohl träumen lassen! Statt sechshundert Taler nenne ich jetzt sechshundertundzweiundsiebzig mein!«

»Möchten Sie Ihren Gewinn nicht realisieren?« fragte Meredith, die ihren Nachbar kaum wiedererkannte, von heimlicher Besorgnis beschlichen.

»Jetzt? Verkaufen?« rief Maller geringschätzig aus; »nimmermehr! Das ebenmäßige Steigen der Aktien bietet die sicherste Bürgschaft für die solide Basis des Unternehmens.«

»Und doch besitzen Sie das Geld wirklich erst nach dem Verkauf,« wendete Meredith zweifelnd ein.

»Aber es arbeitet doch auch so für mich,« entgegnete Maller lebhaft. »Und das soll es tun, bis mein Vermögen sich verdoppelte, dann werde ich bei einem anderen Unternehmen dasselbe Verfahren mit zwölfhundert Talern einleiten. Eine herrliche Einrichtung, die Spekulation! Zweimal sechs macht zwölf; zweimal zwölf gleich vierundzwanzig; vierundzwanzig dazu ergibt achtundvierzig! Zweimal zehntausend! zwanzigtausend, und eine Köchin für meine Frau und eine Treppe niedriger, wohl gar zwei! Es lebe die Spekulation!« und herzlich lachend eilte er so leichtfüßig davon, als hätte die Hoffnung auf goldene Zeiten ihm die Gewandtheit der Knabenjahre zurückgegeben.

Sinnend blickte Meredith ihm nach. Möge er sich nicht täuschen; es wäre sein Tod, lispelte sie vor sich hin, ohne zu bedenken, daß sie den drohenden Wechselfällen gegenüber sich in keiner günstigeren Lage befand, als ihr Nachbar Maller. Abweichend gegen früher, vermochte sie nicht einmal, sich an dem hohen Stande ihrer Aktien zu erfreuen. Zwei Dinge lasteten schwer auf ihrem Gemüt: die Nähe des unheimlichen Fremden, von dem sie befürchtete, daß er seinen Einfluß auf sie noch weiter ausbeuten würde, und dann das plötzliche Verschwinden jenes rätselhaften Wesens, von dem sie geglaubt hatte, daß es eine Kabul sei. Um sich der auf sie einstürmenden trüben Gedanken zu erwehren, vertiefte sie sich in eine alte Chronik; allein ihre Blicke glitten über die Schrift hin, ohne daß der Geist das Gelesene in sich aufnahm. Eine schwarze Ahnung drohenden Unheils lastete auf ihrem Gemüt!

Auch auf Esther und Gerhard übte die vielgenannte Bank ihre Wirkung aus, indem sie bald bittern Hader erzeugte, bald wieder zur Nachsicht und Versöhnung stimmte. Denn je stürmischer Gerhard beteuerte, in der Zentrifugalbank das sicherste Mittel zu ihrer beschleunigten Vereinigung zu entdecken, um so geringschätziger beteuerte Esther, daß alle kaufmännischen Geschäfte ihr gründlich verhaßt seien, und der Zank war fertig.

Nur Maßlieb fragte nicht nach Kursen und nicht nach Aktien: sorglos begleitete sie den alten Schauspieler auf seinen täglichen Rundreisen und ließ ihre liebliche Stimme zu seinen Gitarreakkorden ertönen. Schon des Morgens in der Frühe begaben sie sich auf den Weg, bald nach dieser, bald nach jener Richtung, wie Schwärmer sein Stadtrevier in besondere Distrikte eingeteilt hatte. Seitdem er aber im Verein mit Maßlieb wirkte, erhielt er oft statt der früheren Kupfermünzen, blankes Silber, nicht selten auch wurde diesem ein kräftiges Mahl beigefügt, wenn gerade irgendeine matronenhafte Hausehre, nach einem Blick auf das schöne Antlitz der schüchternen Sängerin, durch diese oder jene weltbekannte Volksweise an den eigenen entschwundenen Liebesfrühling erinnert worden war.

Zwei Wochen und darüber waren verstrichen, und wie gewöhnlich saßen Schwärmer und Maßlieb in ihrem Dachkämmerchen vor dem invaliden Tisch. Der geheizte Kochofen verbreitete eine angenehme Wärme in dem engen Raum.

In ihrem heiteren Geplauder über die Tagesereignisse störte sie das Knarren der Treppe.

Gleich darauf klopfte es und auf Schwärmers Ruf trat den Hut in der Hand und sich höflich verneigend, der rotbärtige Kettenvogt ein.

Schwärmer erhob sich befremdet, während Maßlieb besorgt den früheren Sträfling beobachtete.

»Ich komme vom Hinterhofe,« begann er geheimnisvoll grinsend, »und zwar im Auftrag aller daselbst Versammelten. Ich soll den Herrn Kapellmeister und seine junge Verwandte bitten, zur Feier des Samstagabends uns allerseits durch ein Ständchen zu erfreuen. Besonders tragen die unschuldigen Kinder Verlangen nach der schönen Frau Nachtigall.«

Der greise Schauspieler warf einen fragenden Blick auf Maßlieb, die sofort ihre Bereitwilligkeit erklärte.

Sie knüpfte ein rotes Tuch um ihr Lockenhaupt; Schwärmer nahm die Gitarre, und der voraufleuchtenden Maßlieb folgend, stiegen alle drei die Treppen hinab, auf halbem Wege die Lampe auf einen Pfosten stellend.

Aus dem Tummelplatz der Wölfe hatten alle sich bereits in bunter Reihe um das flackernde Feuer geordnet. Ein wilder Jubelruf begrüßte sie, worauf der Kettenvogt sie nach einer Bank hinführte, die er mit Bedacht so hingestellt hatte, daß die auf ihr Sitzenden von dem Gange des Hintergebäudes aus beobachtet werden konnten.

Schwärmer griff in die Saiten, und als hätten gleich die ersten Akkorde Zauberkraft besessen, verstummten alle; keiner beachtete dabei, daß der frühere Sträfling nach dem Eingange des Hinterhauses hinüberschlich und dessen Tür, wie um Luftventilation zu erzeugen, weit öffnete.

Eins ihrer Volkslieder wählte Maßlieb, und sie sang ungewöhnlich innig in dem Wunsche, denjenigen, deren Augen mit voller Hingabe an ihren Lippen hingen, eine wirkliche Freude zu bereiten.

Plötzlich stockte sie, und die Farbe des Todes breitete sich über ihr eben vor Erregung glühendes Antlitz aus.

Sie hatte in dem vom Feuer hell beleuchteten Flur den Karussellvater erkannt, und neben ihm zwei dunkle Brillengläser, hinter denen sie nur die lauernden Augen jenes Fremdlings vermuten konnte, der sie einst auf der Landstraße den Lenkharts streitig machen wollte. Aber noch eine dritte Person entdeckte sie zwischen den beiden ersten und über deren Schultern zu ihr hinüberspähend. Es war die eines jüngeren Mannes mit den unheimlich glühenden Augen eines Wahnsinnigen.

Nur einen verschwindend kurzen Zeitraum hatten die Flammen die drei in dem Gange verborgenen Gestalten beleuchtet; doch er genügte, Maßlieb zu überzeugen, daß neue Gefahren sie bedrohten, und der schreckliche Kettenvogt sie nur darum in den Hof hinabgelockt hatte, um sie ihren Verfolgern zu zeigen.

Als sie ihr Liedchen beendet hatte, bat sie, daß ihr gestattet werde, aufzuhören, und da alle sahen, daß sie sich tatsächlich kaum aufrecht halten konnte, ließen sie sie denn auch gewähren.

Sobald sie aber in dem Bodenkämmerchen allein mit Schwärmer war, vertraute sie ihm, noch bebend vor Entsetzen, ihre Entdeckungen an.

Eine Zentnerlast wälzte sich auf des alten Schauspielers Brust. Er wie Maßlieb waren überzeugt, daß letztere sich nicht geirrt hatte, ihres Bleibens nun aber auch nicht länger hier sein konnte.

Schlaf kam diese Nacht weder in seine, noch in Maßliebs Augen. Sie wußten sich auf einer Stätte des Faustrechts, wo jeder Hilferuf der verfolgten Unschuld wirkungslos verhallte. –

Doch Schwärmer und Maßlieb waren nicht die einzigen in dem Hause, die nicht zur Ruhe gelangten. Es wachte eine Hyäne, eine unersättliche Hyäne in ihrer dumpfigen Höhle:

Der weise Nathan befand sich zufällig in seinem nach hinten hinausliegenden Schlafgemach, als durch den von dem Kettenvogt offengehaltenen Flurgang Maßliebs helle Stimme ihn erreichte.

Behutsam öffnete er das vergitterte Fenster und lauschte mit angehaltenem Atem hinaus. Die holde Stimme schien furchtbare Erinnerungen in ihm zu wecken, denn er krallte beide Hände in das dürftige Haar auf seinen Schläfen, und dann wieder umklammerte er mit jeder Hand einen der schweren Gitterstäbe, als hätte er sie mit Gewalt aus dem Mauerwerk reißen wollen.

Der Gesang verhallte. Die Stirn gegen das kalte Eisen gepreßt und die beiden Stangen noch immer umklammernd, suchte Nathan die vor seiner Seele auftauchenden Gespenster zu verscheuchen, allein vergeblich. Minuten verrannen; dann schloß er Fenster und Laden, und schwankenden Schrittes begab er sich in die Vorderräume zurück. Mehrere Male wandelte er auf und ab, das Haupt geneigt, wie um einen ihn peinlich berührenden Anblick zu vermeiden.

Plötzlich blieb er vor dem Geldschrank stehen und das darüber befestigte Porträt feindselig betrachtend, sprach er:

»Meinst du, meinem Fluche dadurch entgangen zu sein, daß du dich ins Grab legtest? Bei dem Gott meiner Väter, den du beleidigtest in meinem Blute, meine Verwünschungen treffen dich, wohin auch immer deine Seele ihren Flug nahm.«

Sein Haupt neigte sich wieder.

»Warum mußte ich öffnen das Fenster,« stöhnte er, »warum lauschen auf jene Töne, die erschüttern das Mark in meinen Gliedern, führen weit fort mich in die Vergangenheit? Gott meiner Väter, wie sich verwirren meine Gedanken! Soll ich beherbergen in meinem Hanse eine Stimme, durch die ich untauglich werde zu jeglichem Geschäft?«

Von Fieberfrost geschüttelt, starrte er zu dem Bilde empor. Seine tiefliegenden Augen waren mit Blut unterlaufen und krampfhaft zitterten die eingefallenen Lippen. Ohne einen Blick von dem Bilde zu wenden, zog er eine Stecknadel aus dem Kragen seines Schafpelzes, und neben dem Geldschrank auf einen Stuhl steigend, bohrte er sie in die Herzgegend des Porträts durch die straffe Leinwand.

»Fühlst du das?« fragte er zischend, indem er mit wahnwitziger Wollust die Nadel hin und her schob.

Ein unterdrücktes gräßliches Lachen lief durch die stillen Gemächer. Er schien über sich selbst zu erschrecken, denn ängstlich spähte er um sich. Dann befestigte er die Stecknadel wieder an seinem Pelzkragen, und sich ins Kontor begebend, zog er an der Klingelschnur. Nach gewohnter Weise ließ er den pünktlich zurückklingelnden Sekretär eintreten.

»Haben Sie geschlafen eine Weile, soll's mir sein lieb und angenehm,« redete er den unterwürfig vor ihm Stehenden an, »bin ich doch ein Mann, so gönnt jedem Menschen sein Recht und seine Ruhe und sein gutes Brot obenein, wenn er sich ausweist als einen gewissenhaften Arbeiter.«

Die lebendige Schreibmaschine stand da, als wäre sie aus Holz und Metall zusammengefügt gewesen. Nur wenn Nathan sich abkehrte, funkelten ihre Augen mit einem so glühenden Haß auf den Gebieter, als hätte sie am liebsten ihn so behandelt, wie jener kurz zuvor das Porträt.

»Weilt in meinem Hause eine Sängerin, oder jemand, so hat eine Stimme hell und klar wie eine Glocke von unverfälschtem Silber?« fragte Nathan nach einer kurzen Pause.

»Die Leute entrichten pünktlich ihre Miete,« erklärte der Schreiber mit einer Unruhe, die Nathan in der eigenen Erregung übersah, »ebenso pünktlich habe ich sie Ihnen eingehändigt. Das ist alles, was ich von den Leuten weiß. Ich hatte keinen Auftrag, mich weiter um sie zu kümmern.«

»Gut,« entgegnete Nathan dringend, »das ist gehandelt nach meinem Willen, denn so die Menschen treten in nähere Bekanntschaft mit Ihnen, werden sie sich halten für berechtigt, Aufschub zu erbitten von Ihnen für die Miete. Aber eine Sängerin weilt unter diesem Dach und sie wohnt mindestens drei Treppen hoch. Ich beauftrage Sie daher, zu schaffen aus dem Hause diese Sängerin, so mich stört in meiner Ruhe, jedoch nicht, indem Sie ihr weisen die Tür, sondern ihr abfordern zehn Taler Miete für den Monat.«

»Wenn sie einwilligen sollte, die zehn Taler zu zahlen?« fragte der Schreiber.

»So fordern Sie fünfzehn, fordern Sie zwanzig,« antwortete Nathan schnell, »fordern Sie so viel, daß sie verläßt mein Haus, damit ich nicht gestört werde zum zweitenmal.«

»Mein Bestes werde ich tun,« erwiderte der Schreiber, und ein teuflischer Hohn blitzte verstohlen in seinen Augen, indem er sich der Aufträge entsann, die ihm bereits von anderer Seite erteilt worden waren, »vorausgesetzt, es gelingt mir, die betreffende Person ausfindig zu machen.«

»Sie werden, Sie müssen sie ausfindig machen,« befahl Nathan drohend, »wofür sonst gönnte ich Ihnen ein sorgenfreies Leben bei geringer Arbeit? Also fort mit der Person, und höre ich wieder ähnlichen Gesang, werde ich verantwortlich machen Sie selber dafür.«

Der Schreiber antwortete nicht.

Nach einer Weile blieb Nathan wieder vor ihm stehen.

»Röchler,« flüsterte er geheimnisvoll, »die Stimme muß aus meinem Hause. Sie muß hinaus! Will ich hören singen, kann ich gehen in die Opera, aber in meinem Hause will ich sein der Herr selber.«

Hastig, als hätte er befürchtet, zu viel gesagt zu haben, öffnete er die beiden Flurtüren, und ebenso hastig schob er Röchler hinaus. Erst nachdem Sicherheitskette und Riegel befestigt waren, stellte sich die Ruhe wieder bei ihm ein. Aber welche Ruhe! Auf und ab wandelte er Stunde auf Stunde; auf und ab gesenkten Hauptes und die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt. Bald seufzte und stöhnte er, wie von Höllenqualen gefoltert, bald verließen die entsetzlichsten Flüche und Verwünschungen seine eingefallenen Lippen. Es war eine Hyäne, die in rastlosen Bewegungen das eigentümliche Fieber des Raubtierblutes widerspiegelte.


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