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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Kontraste.

Und dort liegt Nailleka!« schloß der gesprächige Negerbursche, indem er dem Herrn, den er geführt hatte, die offene Hand hinhielt.

Gerhard gab ihm den ausbedungenen halben Dollar. Der Negerbursche schlug ein Rad und entfernte sich singend; Gerhard aber ließ von dem Hügel aus, auf dem er stand, seine Blicke über die vor ihm sich ausbreitende Landschaft schweifen. Sinnend betrachtete er Lichtungen, Wald, Hütten und Wasserspiegel. Eine feierliche Ruhe charakterisierte alles, soweit seine Blicke reichten. Er befand sich auf der Grenze, auf der die dem Norden eigentümliche Vegetation in ihrem Zusammenstoß oder vielmehr Ineinandergreifen mit der von einer tropischen Sonne durchglühten die anmutigsten Kontraste bewirkt.

Denn wo zwischen Eichen und Hickories die Zypresse und der großblütige Magnoliabaum ihre Wipfel hoch emporsenden; wo Sykomore und Zuckerahorn nachbarlich beisammen stehen mit vereinzelten Palmen und breitblätterigen, riesenhaften Bananenstauden, endlose, rotblühende Lianen gemeinschaftlich mit wilden Reben in ihrem kühnen Hinaufranken und malerischen Senken ein verwandtschaftliches Band um die Kinder verschiedener Zonen schlingen, da müssen Szenerien und Gruppierungen entstehen, die das Auge entzücken und den Geist mit andächtiger Verehrung erfüllen.

Lange stand Gerhard auf derselben Stelle, der einst so lebenslustige, liebeglühende, sorglose und jetzt so männlich ernste Gerhard. Mit einem Gemisch von Rührung und banger Sehnsucht blickte er auf die sich kaum auszeichnenden Lichtungen und spärlich zerstreuten, schilfgedeckten kleinen Baulichkeiten nieder. So schön hatte er sich die Wirklichkeit nicht gedacht, wenn er in der Heimat die aus der Ferne gesandten künstlerischen Ansichten betrachtete. Trauer schlich in sein Gemüt ein, daß ein Unternehmen, wie das der Zentrifugalbank, das sich auf eine so wunderbar reiche Natur stützte, nicht über den ersten Anfang hinausgelangen sollte. Wie viele, wie unendlich viele Menschen hätten noch Platz gefunden auf der unabsehbaren Niederung mit den stolzen Waldungen! Und dazu der milde Winter, der sich nur durch befruchtende Regenstürme bemerkbar machte. Sonst ewiger Frühling zum Säen, beständiger Sommer zum Reifen und das ganze Jahr hindurch ununterbrochene Ernte! Wie oft, wie unzählige Male hatte er sich nach dem Anblick der jungen Kolonie gesehnt, wenn Trauer um die verlorene Geliebte ihm die Sinne zu verwirren drohte! Wie innig hatte er sich an die trügerische Hoffnung angeklammert, in den neuen Ansiedlungen den Generalbevollmächtigten zu finden, mit dessen schleuniger Abreise Esthers Verschwinden zusammengefallen war. Nun aber, da die Kolonie Nailleka vor ihm lag, eingenestelt in exotisches Immergrün und von ihm versteckt, da sie vor ihm lag in friedlicher Stille und weder Menschen noch die unmittelbar von ihnen abhängigen Tiere die erhabene Ruhe des verlockenden, die Sinne umfangenden Bildes unterbrachen, scheute er sich fast hinabzugehen. Er meinte, daß ihm die Worte auf der Zunge stocken müßten, wenn er auf den Zügen der Leute, bevor er fragte, die Kunde las, daß sie von keinem Generalbevollmächtigten wüßten, noch weniger von einem fremden, jungen Mädchen. Wenn er hörte, daß sie in paradiesischer Eintracht und Zufriedenheit lebten, sich um nichts kümmerten, was außerhalb ihres Gesichtskreises lag, weder um das Eingehen der Zentrifugalbank, noch um das Verschwinden des ungetreuen Direktors, wenn nur der Himmel ihnen im hellsten Sonnenschein zulächelte oder befruchtende Regenströme spendete. –

Langsam bewegte er sich auf dem Hügelabhange niederwärts. Ein wenig benutzter Fahrweg führte in vielen Windungen nach der Kolonie. Kraut- und Strauchvegetation war in ihn hineingewuchert. Die Aussicht auf die Kolonie hatte Gerhard schon nach wenigen Schritten verloren. Selbst der Anblick des blauen Himmels wurde ihm entzogen durch die über ihn sich hinwölbenden Baumwipfel. Wo aber zwischen dem üppigen Blätterwerk hindurch ein Sonnenstrahl seinen Weg bis auf das feuchte Erdreich fand, da gewahrte er grüne Eidechsen und zusammengerollte Schlangen, die bei seiner Annäherung entweder scheu davonhuschten oder, starr auf ihn schauend, mit ihren seltsam gespalteten Zungen ihm entgegenspielten.

Eine Wanderung von zehn Minuten brachte ihn auf die nächste kleine Lichtung. Was er aus der Ferne für üppigen Fruchtsegen gehalten hatte, erkannte er jetzt für erstickend dicht gewuchertes Unkraut, über das nur wenige kränkelnde Maisstauden hinausragten. Eine unbeendigte hohe Einfriedigung verschwand unter Hopfenranken und Klettenbüschen. Auf dem sumpfigen Erdboden schien alles zu gedeihen, nur nicht das, was der Mensch zu seinem Unterhalt ausgestreut hatte.

Die kleine Lichtung war überschritten; dann ein schmaler Waldstreifen, und vor Gerhard öffnete sich eine andere von Bäumen befreite Stätte. Mittelst Feuer hatte man sie gesäubert, und gespenstisch ragten noch mehrere geschwärzte, der Rinde, Blätter und schwächeren Zweige entkleidete Stämme empor. Die Asche aber hatte den fetten Sumpfboden zu neuem Schaffen angeregt, dafür zeugte die Üppigkeit der Ranken- und Krautvegetation, die ein undurchdringliches Gewebe bildete. Ein halb verkohlter Baumstamm war quer über den Weg gefallen. Gerhard erstieg ihn, um einen freien Überblick über seine Umgebung zu gewinnen und frische Spuren menschlicher Betriebsamkeit zu entdecken.

Und er entdeckte sie! aber wie Eis legte es sich um seine Brust, als er deren Bedeutung erkannte. Mehrere noch frische Erdhügel reihten sich an andere an, auf denen die erste Vegetationsschicht heiter grün ins Leben getreten war, und die in ihrer Fortsetzung allmählich unter dem dichten Unkraut verschwanden. Gräber waren es, zahlreiche Gräber, große und kleine; manche geschmückt mit einem bescheidenen Kreuz, die meisten ohne Auszeichnung.

In heiter wirkende Familienkreise hoffte Gerhard einzutreten, und Gräber waren es, die ihm ein gebieterisches Halt zuriefen.

Von seinen Empfindungen überwältigt, stieg er von dem Stamm, und sich auf ihn niedersetzend, barg er sein Gesicht in beide Hände. Vergeblich suchte er sich durch den Gedanken zu beruhigen, daß zu jeder Stadt, zu jeder Ortschaft ein Friedhof gehöre. Aber eine Kolonie von so jugendlichem Alter, sie mußte schwer heimgesucht sein, wenn es dem Tode gestattet gewesen war, eine so reiche Ernte zu halten. Seine Betrachtungen wurden verfinstert durch die Erinnerung an Esther. Die letzten Gräber, sie waren so neu – ihn schauderte!

Eine Bewegung veranlaßte ihn, aufzuschauen. Vor ihm stand ein Mann, der eben einem der Gräber entstiegen zu sein schien. Noch im besten Mannesalter, hatten Krankheit und Seelenqualen ihn fast zu einem Skelett abgemagert. Die gelbe, ungesunde Haut war ihm förmlich auf den Knochen festgetrocknet; mit beiden Händen stützte er sich schwer auf einen keulenähnlichen Stab. Seine Bekleidung bestand aus einem abgetragenen Hemde von farbigem Wollstoff, schadhaften Beinkleidern von ungebleichtem Linnen und einem ausgedienten Strohhut. Gegen die Feuchtigkeit des Erdbodens schützten seine Füße grobe Stiefel, von denen die Schäfte abgeschnitten worden waren.

Gerhard war über diesen Anblick so erschrocken, daß er sitzen blieb. Nicht einmal ein Wort des Grußes stand ihm zu Gebote.

Der Fremde erriet offenbar seine Empfindungen, denn ein unsäglich bitteres Lächeln trat auf seine Züge.

»Sie haben sich verirrt,« redete er Gerhard an, und die röchelnde Stimme entsprach seinem elenden Äußern.

»Die Kolonie Nailleka ist mein Ziel,« antwortete Gerhard, indem er sich erhob.

»Nailleka?« rief der Fremde höhnisch aus, »hahaha! Nailleka suchen Sie, und weilen mitten drinnen? Halloh! Sie vermissen die Bevölkerung?. Was meinen Sie denn, was hier nebenan unter allen den Hügeln verborgen ist? Menschen sind es; die größere Hälfte der Einwohner von Nailleka – verdammt! und dennoch sind Sie zu beneiden um ihr Los: Sie sehen nicht, wie die Ihrigen dahinsiechen und sterben, erfahren nicht, daß die Maschine noch fortarbeitet, jene höllische Maschine, eigens zu dem Zweck erfunden, um unerfahrene, arglose Menschen zu verlocken und zu berauben.«

Die lange Erklärung schien seine Kräfte erschöpft zu haben, denn nach dem Baumstamm hinschwankend, setzte er sich schwerfällig darauf nieder.

Gerhard betrachtete ihn mit banger Teilnahme.

Der andere aber fuhr fort: »Erst kürzlich sind Sie von drüben gekommen und erfreuen sich noch jugendlicher Rüstigkeit. Hören Sie daher auf den Rat jemandes, der kennen lernte, was es heißt, unbarmherzig unter die Füße getreten zu werden. Kehren Sie um auf Ihrem Wege, bevor es zu spät ist; kehren Sie um, bevor der über diesen Niederungen schwebende Pesthauch Ihr Blut vergiftet und in dem dahinsiechenden Körper nicht minder der Geist verkrüppelt. Kehren Sie um, wiederhole ich, bevor die Zeit eintritt, in der Ihnen die Kräfte dazu fehlen, wenn Sie wirklich fliehen möchten. Da setzen Sie sich her zu mir,« – die in Gerhards Antlitz sich ausprägende schmerzliche Teilnahme stimmte ihn augenscheinlich mitteilsamer – »ja, setzen Sie sich hierher, damit ich Sie warne, wie ein Freund, der einen Mitmenschen vor endlosem Leid bewahren möchte.«

Wohl eine Minute blickte er vor sich auf den feuchten Pfad nieder, dann sich Gerhard wieder zukehrend, fuhr er mit unbeschreiblich traurigem Ausdruck fort:

»Dort auf jenen felsigen Abhängen haben vor Ihnen Hunderte gestanden und mit Tränen der Rührung auf das weite Tal niedergeschaut, von dem sie glaubten, daß es ihre Heimat werden sollte. Sie konnten das Glück nicht fassen, daß die in ihren Händen befindlichen Besitztitel sie zu einem Anteil an dem paradiesischen Landstrich berechtigten. Hochklopfenden Herzens zogen sie in das ihre Blicke berauschende Tal hinab, und einen Tag später, da brachen sie unter der Wucht der ersten Enttäuschungen zusammen. Vor die Aufgabe hingestellt, dem mit undurchdringlicher Vegetation bedeckten Sumpfboden einige Morgen Acker zu entwinden, befiel sie vollständige Mutlosigkeit; diese aber ebnete den klimatischen Krankheiten den Weg, und wenn erst ein Glied der Familie auf das Krankenlager gesunken war – und wie lange dauert das in der über diesen Sümpfen hängenden giftigen Atmosphäre? –, war das Schicksal auch der andern besiegelt. Nur wenige vermögen dem Klima mit seinen Krankheiten zu widerstehen, und diese wenigen, sie sinken zu elenden Sklaven herab! Nicht mehr für Begründung eines freien, friedlichen Herdes arbeiten sie, sondern um dürftiges Hungerbrot für sich und ihre arbeitsunfähigen Angehörigen; um die täglich wachsenden Schulden, die als unzerreißbare Sklavenkette ihnen den Weg zur Flucht abschneiden. Fluch aber, tausendfacher Fluch jenen Menschenhändlern, die von Erdteil zu Erdteil sich gegenseitig in die Hände arbeitend, ihre Netze ausspannen, jedem das letzte Mark, den letzten Tropfen Blut aussaugen, der sich arglos den verräterischen Fäden nähert und sie nicht eher gewahrt, als bis er das elende Opfer unersättlicher Raubgier geworden ist.

Fliehen Sie, solange es noch Zeit ist! Mein dem Grabe verfallener Körper möge Ihnen als Warnung dienen. Auch ich warf von jenem Hügel aus entzückte Blicke auf die liebliche Landschaft, und zog Weib und Kinder ans Herz, inbrünstig dankend dem Allmächtigen, daß er mich, den armen, geknechteten deutschen Schulmeister, so weit begnadet hatte, daß ich meine kleine Habe nach der viel versprechenden Zentrifugalbank tragen und dadurch mir und den Meinigen nicht nur eine billige Überfahrt, sondern sogar einige Morgen Land sichern konnte. Im Geiste sah ich mich als den Mittelpunkt der eben erst gegründeten Kolonie, geehrt und geliebt von allen Ansiedlern, mit denen ich durch die meiner Leitung anvertraute Jugend in ein freundschaftliches Verhältnis trat. O, es waren vermessene Gedanken, ein Traum, dem ein entsetzliches Erwachen folgte!

Mein Weib und meine Kinder! Eins nach dem andern habe ich sie begraben, und um sie herum schlummern die meisten derjenigen, deren Lehrer, Freund und Berater ich zu werden hoffte –«

»Unmöglich können alle –« fiel Gerhard von dumpfer Verzweiflung ergriffen ein. Der Leidende legte die Hand auf seinen Arm und fuhr mit erschütternder Ruhe fort:

»Nein, alle nicht. Aber die Überlebenden, ob sie besser daran sind, als die Toten? Nun, ich dächte, die Antwort wäre deutlich genug in meinem Äußeren ausgeprägt. Was zu schwach zur Arbeit oder krank ist, finden Sie zerstreut in den erbärmlichen Hütten. Die noch Kräftigeren dagegen – ha! Suchen Sie auf den benachbarten Plantagen; und wenn Sie dort abgehärmte Gestalten erblicken, die die Arbeit der früheren schwarzen Sklaven verrichten, dann mögen Sie darauf bauen, daß sie Nailleka oder die ebenfalls von der Zentrifugalbank gegründete Palmenstadt oder Bananenruh ihre Heimat nennen, und mit letzten schwindenden Kräften ihr Brot für sich und ihre Lieben erwerben.«

»Ist denn kein Entkommen aus dieser furchtbaren Lage denkbar?« fragte Gerhard schaudernd.

»Wir leben hier in einem jener Staaten, in dem bis vor wenigen Jahren noch die Sklaverei herrschte,« nahm der Andere seine Mitteilungen wieder auf, »nach Abschaffung der Sklaverei zerfielen die Plantagen bis zu einem gewissen Grade; infolgedessen verwilderten die Felder. Ein Auskunftsmittel mußte ersonnen werden, und da lag der Gedanke nahe, die Farbigen durch auswanderungslustige Deutsche zu ersetzen. Agenten, die diese verlockten, waren leider genug unter den Deutschen selber vorhanden, und so trat sehr bald ein Handel ins Leben, der in seinen Folgen schwerlich von dem afrikanischen Ebenholzhandel an Scheußlichkeiten übertroffen worden war. Wurde früher ein schwarzer Sklave mit sechshundert bis zwölfhundert Dollars bezahlt, so waren jetzt die weißen für sechszig bis siebenzig Dollars das Stück zu bekommen; denn höher beläuft sich die Summe nicht, in die, nach Abzug eines mäßigen Überfahrtsgeldes, die europäischen und hiesigen Lieferanten und Agenten sich teilen. Die Masse bringt es eben, und da nicht nur Privatleute, sondern sogar Handelsgesellschaften sich an dem Unternehmen beteiligten, so ist für die Gestorbenen immer schnell wieder Ersatz da. Dieses Verfahren erinnert an jenen Deutschen, der während des Bürgerkrieges auf den einlaufenden Emigrantenschiffen unter seinen Landsleuten Rekruten für die blutigen Schlachten anwarb und dafür mit dem Titel eines Generals bedacht wurde.

O, es ist ein entsetzlicher Wucher, der mit Menschenkräften und Menschenleben getrieben wird, und um so leichter ausführbar ist, weil die armen Opfer gezwungen sind, ähnlich den mexikanischen Peons oder Leibeigenen, alle Lebensmittel von ihren Arbeitgebern zu entnehmen, die dann wieder Sorge tragen, daß durch weitere Kreditgewährung die Schuldenlast der Ärmsten bis ins Unendliche hineinwächst!«

»Und nach Europa drangen die verlockendsten Schilderungen der hiesigen Verhältnisse,« versetzte Gerhard, entsetzt durch die ihm gewordenen grausigen Aufschlüsse.

»Wäre das Gegenteil geschehen,« erwiderte der Ansiedler mit verzweiflungsvollem Hohne, »hätten diese Verhältnisse dann eintreten können? Für glänzende Berichte zu sorgen, ist keine schwere Ausgabe, ebensowenig, wie die aus diesen gefährlichen Sumpfniederungen abgeschickten Briefe nicht an den Ort ihrer Bestimmung gelangen zu lassen. Findet aber wirklich einmal ein Klagebrief seinen Weg hinüber – o, ich weiß das an mir selber – wer schenkt den Worten eines einzelnen Glauben.«

Ehe Gerhard etwas erwidern konnte, drang aus der Ferne eine Mädchenstimme herüber, die mit unbeschreiblich rührendem Ausdruck ein deutsches Lied sang.

»Auch ein Opfer dieser fluchwürdigen Hyänen des Kapitals,« schaltete der frühere Lehrer tief aufseufzend ein – »nun, vielleicht trifft dennoch die Rache des Himmels diese Brut, im Vergleich mit denen die Krokodile und Giftschlangen unserer Sümpfe Engel der Unschuld genannt zu werden verdienen.«

»In seinen Armen das Kind war tot!«

schloß die geheimnisvolle Sängerin unsäglich traurig. Der kranke Ansiedler bedeckte seine Augen mit der Hand; ein Seufzer, als hätte er ersticken wollen, entwand sich seiner Brust, dann blickte er vorwurfsvoll zum Himmel empor.

Gerhard rang die gefalteten Hände ineinander. Ihm war, als habe ein Fluch ihn betroffen, weil er selber ein willenloses Werkzeug in den Händen der verbrecherisch wirkenden Hyänen gewesen war.

»Ich suche einen gewissen Ellenborough?« fragte er endlich nach einer langen Pause, »kennen Sie ihn vielleicht?«

»Ellenborough? o, ich kenne ihn wohl. Er ist der schlimmsten einer von den fluchbeladenen Agenten,« antwortete der Ansiedler, »zurzeit hält er sich in Europa auf, doch wird seine Rückkehr jetzt täglich erwartet.«

»Wohin würde ich mich zu begeben haben, um verbürgte Nachrichten über ihn einzuziehen?« forschte Gerhard weiter, und das Herz sank ihm angesichts der sich immer düsterer gestaltenden Zukunft.

»Vielleicht auf der Plantage des Mister Highway, bei dem er zu wohnen Pflegt. Doch ich empfehle Ihnen vorsichtig zu Werke zu gehen, denn Sie ahnen nicht, wessen die hiesigen Grundbesitzer und deren Anhänger fähig sind, wenn sie ihren Vorteil gefährdet wähnen.«

Die geheimnisvolle Sängerin hatte ein neues Lied angestimmt, gleichzeitig aber auch sich etwas weiter entfernt, denn wie Geistergruß tönte es herüber:

» I come from Alabama with
My bango on my knee
–«

Der Ansiedler erhob sich schwerfällig.

»Meine Tochter,« sprach er, während helle Tränen über seine eingefallenen Wangen rollten, »meine arme Tochter, die einzige, die mir von meiner einst so zahlreichen Familie blieb. Aber begleiten Sie mich; ich muß zu ihr; aus der Richtung des Gesanges und aus dem Liede selbst errate ich, wo sie weilt. O, es ist solch furchtbare und gefährliche Gesellschaft, die sie aufsuchte, und in der sie sich heimisch fühlt!«

Erschüttert trat Gerhard an des Leidenden Seite; freundlich bot er ihm den Arm, der mit einer gewissen Hast angenommen wurde, und dann bewegten sie sich so schnell auf den vielfach gewundenen Wege einher, wie es die Kräfte seines Begleiters gestatteten.

Bald darauf befanden sie sich wieder im Schatten des Waldes. Hoch oben in den Baumwipfeln spielten die schräge hereinfallenden Sonnenstrahlen mit dem saftreichen Grün der Blätter. Ein Lufthauch strich durch die Zweige; kaum bemerkbar wiegten sich die malerisch geschwungenen Festons der von Stamm zu Stamm hinüberreichenden Schlinggewächse. Hin und wieder der durchdringende Ruf eines weißen Reihers oder das heisere Krächzen grüner Papageien; dann wieder das Zetern einer Lokustgrille oder das leichte Rascheln des abgefallenen Laubes unter den flüchtigen Füßen großer Eidechsen. Pflanzengruppen, würdig eines Ehrenplatzes in den größten Kunstgärten; Gifthauch, Blütenpracht und Moderduft; dazu das melancholische:

Oh Susannah, oh don't you cry for me,
I'm going to Louisiana, my true love for to see!
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