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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Auf der Plantage.

Dasselbe liebliche Abendrot, das Else und Gerhard in den engen Waldpfad hineinleuchtete, warf seine zauberischen Reflexe auf die breite Veranda, die sich, anmutig geschmückt mit üppig wuchernden Schlingpflanzen, vor der ganzen Vorderseite des Landhauses von Mr. Highway hinzog. Das Landhaus bildete den Mittelpunkt der zu der Plantage gehörenden Baulichkeiten, die aus Schuppen für die Bearbeitung des Zuckerrohrs und der Baumwolle, aus geräumigen Ställen und endlich aus einer doppelten Reihe kleiner Negergehöfte bestanden. Doch die Negerhäuser waren bis auf einige wenige leer. Einesteils hatte der Krieg unter der farbigen Bevölkerung aufgeräumt, andernteils war entflohen, was nur immer eine günstige Gelegenheit entdeckte, und als nach Beendigung des Krieges die Kunde von der Befreiung aller Farbigen auch den Süden durchlief, da ließen sich nur noch diejenigen halten, die zu alt und zu schwach waren, einen Fuß vor den anderen zu setzen, oder solche, die patriarchalisch der Familie ihres Gebieters einverleibt waren, oder endlich noch andere, die durch die ihnen hinterlistig aufgebürdete Schuldenlast noch immer in einer Art Sklaverei schmachteten und ihrer zur heimlichen Flucht unfähigen Angehörigen halber nicht zu entrinnen wagten.

Auf der Veranda vor einem runden, gedeckten Tische saß Highway, ein hoher Vierziger von hagerem, knochigem Körperbau und mit allen sonstigen, einen Südländer charakterisierenden Merkmalen; saß ferner Mrs. Highway, eine verblichene Schöne, die die entschwundenen Jugendreize durch schwere Seide und kostbaren Schmuck zu ersetzen suchte; saß endlich Claudia, die achtzehnjährige Tochter, die für tadellos schön hätte gelten können, wären in ihrem, von dunklem Haar prachtvoll eingerahmten Antlitz nicht die Anklänge an den hochmütigen, gehässigen Charakter ihres Vaters vorherrschend gewesen. Von der Mutter besaß sie dagegen die großen, braunen Augen mit dem müden, sinnlichen Blick, ferner die nachlässige Haltung und die in ihrem Äußern sich kundgebende Vorliebe für reiche Stoffe und Geschmeide.

Die Abendmahlzeit war beendigt, und mit einer gewissen Stumpfheit blickten die drei Familienmitglieder in das lieblich glühende Abendrot hinein. Mutter und Tochter schwangen sich langsam in ihren Wiegestühlen, wogegen Highway mit einem spitzen Federmesser an seinen Zähnen schabte.

»Ich möchte wissen, wo Ellenborough bleibt,« bemerkte er verdrossen zu Frau und Tochter, »abgereist ist er von Europa vor drei Monaten, dies unterliegt keinem Zweifel. In Amerika eingetroffen ist er ebenfalls, oder man hätte von einem Schiffbruch gehört.«

»Kennst du den Namen des Schiffes, in dem er reiste?« fragte Mrs Highway.

»Zum Teufel, nein,« versetzte ihr Gatte ungeduldig, »ich hätte längst Nachforschungen nach ihm angestellt!«

»Er wird ein Auswandererschiff gewählt haben,« bemerkte Claudia gelangweilt, »und Auswandererschiffe sind oft Monate unterwegs.«

»Auch dann hätte er längst hier sein müssen,« entgegnete Highway, »in jüngster Zeit ist überhaupt keine Ware für unseren Distrikt eingelaufen. Alles zieht westlich; geht das so weiter und erhalten wir keinen Nachschub, mögen wir schließlich selber die Baumwollfelder bestellen. Denn schon jetzt schaffen die vier Dutzend Arbeiter nicht mehr so viel, wie vier Paar gesunde Negerarme. Jeden Tag Abgang und keinen Ersatz; verdammt! Wie lange kann das dauern?«

»Vielleicht ist der Bruch der Zentrifugalbank Ursache der Stockung,« warf Mrs. Highway ein.

»Nein,« entschied Highway, und zornig stieß er das Federmesser durch das Tischtuch hindurch in die Tischplatte, worauf er den aufrechtstehenden Griff in Schwankungen versetzte, »gerade auf den lange vorhergesehenen Zusammenbruch der Bank rechnete ich am meisten, indem gar vielen der Betrogenen kein anderer Ausweg bleibt, als mit den Landbesitztiteln ihr Glück hier zu versuchen. Es muß durchaus Verrat im Spiele sein, und zwar von einer Seite, von der wir es am wenigsten erwarteten. Die Agenten sind nicht die Leute, die Prämie von zehn Dollars für den Kopf sich leicht entschlüpfen zu lassen. Aber,« unterbrach er sich, »der da drüben scheint uns seinen Besuch zugedacht zu haben,« damit lenkte er die Aufmerksamkeit der Seinigen auf einen Reiter, der sich im scharfen Trabe der Plantage näherte.

Die Wirkung des Abendrots hatte sich bereits abgeschwächt, so daß sie eben nur noch einen Mann zu Pferde zu unterscheiden vermochten. Über seine Person erhielten sie erst Aufschluß, als er, anstatt nach den Ställen zu reiten, vor der Veranda sich aus dem Sattel schwang, die Zügel über eine Stacketenspitze warf und, die paar Stufen nach der Veranda hinaufeilend, mit einer gewissen Hast zuerst die beiden Damen und demnächst Highway begrüßte.

»Wenn Euch ein guter Wind hierherführt, Worthleß, will ich des Teufels sein,« fügte Highway seinem Gruß bei, »ich kenne Euch so genau, wie das Deckblatt einer Havannazigarre –«

»Ein guter Wind nicht, wenn auch nicht der schlechteste,« erwiderte Worthleß, indem er sich auf einen leeren Stuhl warf, den Hut von seinem schwarzbehaarten Kopf nahm und die Schweißtropfen von dem galligen, mit einem dünnen Kinnbart geschmückten hageren Gesicht entfernte, »denn schlecht kann die Ursache eines Rittes nimmermehr genannt werden, wenn durch ihn – nun – sagen wir: Unannehmlichkeiten vorgebeugt werden. Darf ich offen sprechen?« fragte er, einen scheuen Blick um sich werfend.

»So offen, als säßen wir auf der höchsten Spitze der Alleghanyberge,« beruhigte Highway, und sich seiner Tochter zukehrend, fuhr er fort: »Claudia möchtest du so gut sein und in der Halle eine Lampe anzünden? – Hol's der Teufel! Schlimm genug, daß das deutsche Pack sich nicht zu Kammerdienern eignet und den letzten Negern, die uns blieben, nicht zu trauen ist.«

Dann sich wieder an seinen Gast wendend, fuhr er fort:

»Nun heraus mit den Neuigkeiten, ich errate, die Nördlichen haben uns wieder 'nen Streich gespielt und einen der uns günstig gesinnten Beamten abgesetzt.«

»Nichts von Politik, nichts dergleichen,« erwiderte Worthleß, »doch vor allen Dingen: Hörtet Ihr von Ellenborough?«

»Nicht 'n verdammtes Wort,« fuhr Highway besorgt auf.

»Ist Emigrantennachschub eingetroffen?«

»Ebensowenig. Das elende Gesindel in Nailleka wird nächstens bis auf ein Dutzend Kinder eingegangen sein, und dann mögen wir selber die Hacke in die Hand nehmen. Hahaha! Rührende Zustände in einem Landesteile, der einst den Beinamen eines Paradieses verdiente.«

» Well, dies hat alles seinen Grund,« nahm Worthleß schnell wieder das Wort, »wie ich brieflich benachrichtigt wurde, ist Ellenborough in Begleitung eines auffallend schönen Mädchens in Neuorleans gesehen worden. Er soll mit einem Dampfer gekommen sein. Bald nach ihm trafen zwei Ladungen Emigranten ein, von denen die eine hierher und nach Palmstadt bestimmt war. Da aber Ellenborough fehlte, um sie zu führen, mischte das Konsulat sich in die Sache und pries den Leuten die Richtung nach dem Norden an. Wenn das aber nicht nach Verrat und Schurkerei riecht, will ich mir den Tod an dieser Zigarre rauchen.«

»Ihr meint?«

»Ich meine, daß Ellenborough beim Sturz der Zentrifugalbank seine Taschen mit Gold fütterte und, um sich weiß zu waschen und in der alten Heimat nicht proskribiert zu werden, in die Rolle eines Angebers eintrat. Denn nur er war vertraut mit allen Verhältnissen, nur er kann es gewesen sein, der dem Konsulat die Augen aufknöpfte.«

»Unmöglich,« eiferte Highway, »war ich doch vorsichtig genug, beständig in seiner Schuld zu bleiben! Sein Guthaben beläuft sich mindestens auf fünftausend Dollars, und er ist nicht der Mann, seines Rufes in der Heimat wegen eine solche Summe schießen zu lassen.«

»So bleibt bei Eurem Glauben, wie ich bei dem meinigen,« versetzte Worthleß aufwallend, »schwerlich wird es Euch dagegen gelingen, zu leugnen, daß unser ganzes Unternehmen gefährdet ist. Vielleicht wärs dennoch besser, die Leute in den gesunderen Negerhäusern unterzubringen –«

»Um die ganze Welt in Flammen zu setzen über die Südstaatler, die weiße Sklaven auf ihren Plantagen einführen? Und verenden Tausende in den Sümpfen, ist's nicht halb so gefährlich für uns, als ein halbes Dutzend von ihnen zu wirklichen Nachfolgern der Farbigen zu machen. Bei Gott! Wo blieben außerdem die Kolonien, dieser sinnreich erdachte Köder? Brach die Bank, so hindert das nicht das wunderbare Emporblühen von Nailleka, Palmstadt und Bananenruh. Im Gegenteil, wir müssen uns jetzt mit doppelter Energie der Sache annehmen. Neue Photographien müssen angefertigt werden – Rinder und Pferde sind bald genug zu solchem Zweck zusammengetrieben – für Briefe müssen wir sorgen und für deren Veröffentlichung – Schlag auf Schlag muß folgen, daß die Leute nicht zu Atem kommen.«

»Und Ellenborough?« fragte Worthleß zweifelnd, »liegt es nicht in seiner Gewalt, alle unsere Pläne zu durchkreuzen und zu zerstören?«

»Wäre er unser Feind? ja; allein – freilich, sein geheimnisvolles Verschwinden – nun, er muß dennoch wieder auftauchen, persönlich sein Anrecht auf die fünftausend Dollars geltend machen, oder ich bin um diese Summe reicher.«

»Erweist er sich aber trotz aller für ihn zeugenden Umstände als Verräter?«

»Wenn das wäre,« versetzte Highway ernst, »dann allerdings dürften wir ihm keinen Spielraum mehr gönnen.«

»Er selbst hat, um den Verdacht von sich abzulenken, seine Person wohlweislich in Sicherheit gebracht,« erwiderte Worthleß, »dagegen beauftragte er andere, hier noch unbekannte Personen – 's mag auch vom Konsulat ausgehen –, sich wenig auffällig von der Lage der Dinge zu überzeugen und ohne Zweifel darüber nach Europa zu berichten.«

»Von wem rührt diese Lesart her? Wer behauptet, daß Spione unsern Distrikt durchschleichen, muß sie notwendigerweise gesehen haben.«

»Gesehen und gesprochen,« bestätigte Worthleß, »doch urteilt selber,« und sich erhebend forderte er Highway auf, ihn in die Halle hineinzubegleiten, wo Claudia mehrere Lampen angezündet hatte.

»Ich schicke dieses Schreiben durch einen expressen Boten,« las Worthleß aus einem an ihn gerichteten Briefe vor, »denn die Sache hat Eile. Im Gasthofe traf ich einen jungen Mann, der sich sehr angelegentlich nach der Lage von Nailleka erkundigte. Anfänglich gab er ausweichende Antworten; ich brachte indessen allmählich heraus, daß er Gerhard heiße und in den Kolonien jemand suche. Auch nach Ellenborough forschte er. Er wählte die Richtung auf Nailleka; ein Negerbursche führt ihn. Zwei Dinge sind möglich: entweder er ist beauftragt, Ellenborough zu vertreten, und in diesem Falle ist er der schlaueste Hund, der jemals das Fahrwasser prüfte, bevor er sich hineinwagte – sicherlich für ihn die beste Empfehlung –, oder er wurde abgeschickt, die Kolonien kennen zu lernen und über seine Erfahrungen zu berichten, und unter solchen Umständen wäre er der einfältigste Narr, der jemals seinen Kopf in eine Schlinge steckte. Also Vorsicht! Ich halte die Angelegenheit für wichtig genug, den Burschen auf Schritt und Tritt zu beobachten. Herrscht Einverständnis zwischen ihm und Ellenborough, so ist es allein ihrem Einfluß zu verdanken, daß die für die Kolonien bestimmten Emigranten stromaufwärts geschickt wurden. Näheres später. Ich bin usw.«

»Da habt Ihr's,« fuhr Worthleß sprechend fort, »meine Ansichten haben sich nach denen anderer und mehr unterrichteter Leute gebildet, und ich wiederhole, auf Ellenboroughs Treue gebe ich keinen Strohhalm.«

»Zurzeit könnte dieser Gerhard, oder wie ihr ihn nennt, also schon in Nailleka eingetroffen sein?« fragte Highway, dessen Züge während des Vorlesens einen immer drohenderen Ausdruck angenommen hatten.

»Unstreitig, wenn er den Weg nicht verfehlte,« hieß es ernst zurück.

»Dann sah und erfuhr er manches, was auf dem Emigrantenmarkte zu unserm Nachteil gedeutet werden dürfte.«

»Zuverlässig geschah das.«

Highway erhob sich; nachdem er einigemal auf- und abgegangen war, blieb er plötzlich vor seinem Gaste stehen.

»Werdet Ihr hier übernachten?« fragte er düster.

»Nein; meine Anwesenheit ist zu Hause sehr nötig. Wer weiß, der junge Spürhund hat vielleicht den Weg nach meiner Plantage eingeschlagen. Man möchte des Teufels werden bei dem Gedanken, durch einen grünen Burschen beunruhigt zu werden. Möge er verdammt sein, daß er sich überhaupt berufen fühlte, unsere patriarchalische Ruhe zu stören!«

»Führt er Gepäck bei sich?«

»Einen Koffer, da er keine Fahrgelegenheit fand, übergab er ihn dem Wirt des Gasthauses.«

»Ihr wohnt der Stadt so viel näher; wollt Ihr daher morgen in aller Frühe den Koffer in des Burschen Namen abholen lassen?«

»Gern; aber wohin damit?«

»Hierher. Ich habe meine besonderen Pläne. Zuvörderst muß ich ihn kennen lernen; und das geschieht nicht, wenn er, nach einem flüchtigen Besuch der Kolonien argwöhnisch geworden, schnell wieder umkehrt. Er mag dann seine Habseligkeiten hier in Empfang nehmen. Die größte Gastfreundschaft soll ihm zuteil werden. Er kann sogar Ellenboroughs Wohnung im Hintergebäude beziehen; aber fort kommt er nicht wieder, es sei denn, ich hätte mich von seiner Unschädlichkeit überzeugt, oder –« hier wechselte er mit Worthleß einen Blick des Einverständnisses.

Ein Weilchen sprachen die beiden Männer noch über gleichgültigere Dinge. Dann verabschiedete Worthleß sich von den Damen und schwang sich in den Sattel. Highway lauschte ihm nach, bis der schnelle Hufschlag des Pferdes in der Ferne verhallte.

Verdrossen wollte er in die Halle zurückkehren, als er zwei Gestalten entdeckte, die sich dem Hause näherten. Zugleich unterschied er Elses Stimme.

»Es ist wieder Vollmond,« flüsterte Highway mit verhaltenem Grimme, »der Teufel steckt in dem Mädchen. Was, in der Hölle Namen, führt sie noch so spät hierher?«

Sich halb umkehrend, warf er einen scheuen Blick in die Halle. Mutter und Tochter hatten sich in Zeitungen vertieft. Ein Weilchen sann er nach, wie diese wenig auffällig zu entfernen wären. Dann zuckte er die Achseln, und von der Veranda niedersteigend, ging er Else und ihrem Begleiter entgegen.

»Ich wünsche sehr, daß du wenigstens die Nächte bei deinen Angehörigen verbringst,« redete er das Mädchen hart an, sobald er mit ihm zusammengetroffen war.

»Bei meinen Angehörigen?« fragte Else, wie aus einem tiefen Traume erwachend und vollkommen klar, »meine Angehörigen liegen in der schwarzen, feuchten Erde.«

»Ich rate dir ernstlich,« fuhr Highway strenge fort, »wenn du nicht umhin kannst, die Nächte im Freien umherzustreifen, so vermeide wenigstens die Nachbarschaft der Plantage. Meine Hunde sind wütende Tiere; sie möchten dich anfallen.«

»Alle Tiere sind mir befreundet,« versetzte Else mit rührender Milde, »und fern von hier bleiben? Wer sollte Euch Auskunft erteilen über den kleinen Grabhügel? Auch heute benetzte ich ihn mit meinen heißesten Tränen, allein der verschlafene Keim regt sich nicht. Nur übel duftendes Unkraut wuchert auf dem moorigen Erdreich, und vergeblich harre ich auf das erste Erscheinen des stolzen Magnoliabaumes.«

»Laß das, Else,« entgegnete Highway erzwungen freundlich, denn er hatte plötzlich einen Mann in des Mädchens Nähe gesehen, »beruhige dich, wir haben Vollmond, und da redest du gern irre. Das aber sollst du nicht tun, namentlich nicht in Gegenwart von Fremden, die deine Worte schwerlich zu deinen Gunsten deuten.«

»Was habe ich begangen, das zu meinem Nachteil gedeutet werden könnte,« fragte Else, so kindlich unschuldig, daß selbst Highway, obwohl rasende Wut in seinem Innern tobte, dadurch ergriffen wurde, »und irre soll ich reden? Nein, ich versuche nur zuweilen, mir einen entsetzlichen Traum zu vergegenwärtigen – eine helle Mondscheinnacht wars, und Ihr hattet die Gestalt eines Teufels angenommen – bitteren Duft atmete ich ein – dann wurde es schwarze Nacht um mich her. Aber den Mondschein lieb ich noch immer; in Mondscheinnächten besuche ich gern das Hügelchen; ein weißgekleideter Engel mit himmelblauen Flügeln wächst aus ihm statt des Magnoliabaumes hervor. Das eine Händchen legt er auf mein Herz, daß es ruhig klopft, und mit dem andern droht er hier herüber, als wünsche er Euren Tod –«

»Schweige mit deinen Tollheiten,« vermochte Highway nicht länger an sich zu halten, »sage, was dich hierher führt, und beeile dich –«

»Sie war so gütig mich zu begleiten,« nahm Gerhard nunmehr das Wort, »ich suche einen gewissen Ellenborough – mein Name ist Gerhard – man riet mir, hierher zu gehen, darauf hinweisend, daß er zuweilen hier wohne.«

»Ah, Ihr seid es?« versetzte Highway überrascht, dann seine Unvorsichtigkeit bereuend, fuhr er gemessener fort: »Ich habe zwar nicht das Vergnügen, Euch zu kennen, allein wie einen Freund begrüße ich jeden, durch den ich Nachricht über Ellenborough zu erhalten hoffe.«

»Leider weiß ich nicht mehr, als ich bereits andeutete,« entgegnete Gerhard, »und ich wiederhole, mich führt nur der Wunsch hierher, näheres über seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Ich muß ihn sprechen; das Lebensglück anderer ist abhängig von meiner Zusammenkunft mit ihm. Würde ich durch Euch aus seine Spuren gelenkt, meine Dankbarkeit wäre unbegrenzt.«

Highway, Gerhards wurmen Eifer nur als Teilnahme für die Unglücklichen in den Kolonien auslegend, ergriff jetzt mit erheuchelter Herzlichkeit Gerhards Hand, und lud ihn ein, so lange unter seinem Dache zu weilen, bis sie Zuverlässiges über Ellenborough ausgekundschaftet haben würden. Gerhard ließ sich durch diese gutgespielte Freundlichkeit nicht täuschen, dennoch aber sah er sich gezwungen, die Gastfreundschaft des Mannes anzunehmen, den er, nach allem, was er über ihn erfuhr, für einen der verruchtesten Bösewichte halten mußte. Sie hatten einige Schritte zurückgelegt, als er, um ihr zu danken, sich nach seiner Begleiterin umkehrte. Sie war verschwunden; so weit seine Blicke reichten, entdeckte er keine Spur von ihr.

»Eine unglückliche Person,« bemerkte Highway, dem diese Bewegung nicht entging, »klimatische Krankheiten, auch wohl mehrere Todesfälle in ihrer Familie haben sie um den Verstand gebracht. Gott mag wissen, womit ihre kranke Phantasie sich beschäftigt; aber wenn die Tollheit über sie kommt ist keiner sicher, in Beziehung zu ihrer Person gebracht zu werden. Nun, 's läßt sich nicht ändern; sie bleibt für unsere Gegend eben eine unangenehme Zugabe, von der nur zu wünschen wäre, daß der Tod sie bald erlösen möge,« und Gerhards Arm ergreifend, bewegte er sich schneller aus die Veranda zu. –

Sie traten in die Halle ein, wo der Pflanzer alsbald Gerhard Frau und Tochter als seinen mehrtägigen Gast vorstellte.

Dann ließ Highway einen scharfen Pfiff ertönen, worauf ein alter Neger herbeieilte, dessen Sorge er Gerhard anempfahl, ihn zugleich beauftragend, seinem Gaste Ellenboroughs Wohnung einzuräumen und angemessene Erfrischungen vorzusetzen.

Das Zimmer Ellenboroughs war ein geräumiges Gemach, mit dem verblichenen Glänze eines südlichen Fremdenzimmers ausgestattet. Der Neger blieb noch bei ihm, mit der seiner Rasse eigentümlichen Redseligkeit ihn belehrend, wie er sich am bequemsten einzurichten habe.

Gerhards Kopf brannte. Gern wäre er allein gewesen, um einen Ausweg aus seinen chaotisch durcheinander schwirrenden Gedanken zu finden, allein er gewann es nicht über sich, den alten Mann hinauszuweisen. Hatte er doch die Empfindung, als harre dieser nur auf einen Wink, um sein Herz vor ihm auszuschütten.

»Ihr liebt Euren Herrn gewiß sehr?« befriedigte er endlich den stillen Wunsch des Greises.

»Mich ihn lieben?« fragte Androklus entsetzt, denn sein Instinkt belehrte ihn, daß er von dem jungen Deutschen nichts zu fürchten habe, »mich ihn lieben, der verkaufen vor Zeiten meine Kinder und Kindeskinder?«

»Ich glaubte, weil Ihr keinen Gebrauch von der Euch nunmehr schon seit einer Reihe von Jahren zustehenden Freiheit machtet,« erklärte Gerhard freundlich.

»Wohin sollen gehen der alte Androklus?« versetzte dieser mit einem tiefen Seufzer, »kein Mark mehr in meinen Knochen; ich froh sein, daß besitzen 'n Obdach, und dann möchte ich sterben, wo ich erduldete so viele Leiden und nur sehr, sehr wenig Freuden. Wenn ich mich freuen, war's nur, um hinterher desto schmerzlicher zu klagen.«

»Und doch seid Ihr gut aufgehoben im Hause Eures Gebieters,« tröstete Gerhard, »wenigstens besser, als die armen Menschen in den Sümpfen von Nailleka. Ihr geht anständig gekleidet, an guter Kost gebricht's Euch ebenfalls nicht, wogegen die bedauernswerten Ansiedler langsam dahinsiechen und sterben.«

Nach dieser Erklärung spähte der Neger scheu um sich; dann dicht neben Gerhard hintretend, ergriff er dessen Hand, und die Lippen seinem Ohr nähernd, flüsterte er geheimnisvoll:

»Mich jetzt wissen, was zu erfahren wünschte. Ihr nicht ein Mann, wie Masser Ellenborough, der empfangend zehn Dollars für jeden Arbeiter, den er hereinholen vom alten Lande, Ich jetzt zufrieden und nicht in Zweifel mehr. Ihr bedauert die armen weißen Nigger in den Alligatorsümpfen, und das seiend erstaunlich gut von Euch und verständlich. Ihr mir aber glauben, daß es nicht halb so bitter, wenn begraben ganze Familie, als wenn sehend verkaufen ein einziges liebes Kind. Vielleicht alle tot, und das um so viel besser; vielleicht auch ich bald sterben, und ich nichts mehr fühlen von so viel Elend, nicht mehr sehen, wie weiße Herren jetzt hassen doppelt farbige, freie Menschen, hassen hundertfach weiße Leute, die halten freundlich zu schwarzen Brüdern. Ihr also merkend auf: Ihr jetzt lebend in einem Lande, wo Haß, Pistolen und Messer arbeiten im stillen; wo keiner trauen einem andern; wo vorgehen viele Geheimnisse; wo beraten Sklavenmänner darüber, wie verderben den ganzen Norden. Aber auch gute schwarze Menschen und braune und gelbe haben Geheimnisse; und wenn nicht verhindern können viele Sünde und Missetat, sie doch können warnen und helfen, wo seien in Not Nördliche und deren Freunde. Ich daher raten Euch, daß Ihr nicht sprechen frei und offenherzig und wenn's angeht, dann Ihr fliehen aus dieser Gegend. Dieses ich alles verraten, weil ich in Euch erblicke einen erstaunlich guten Gentleman und mich Euch wünschen sehr viel Glück.«

Neue Mitteilungen, neue Verwirrungen, Gerhard wußte kaum noch, was er glauben sollte. Gewarnt und doch gänzlich freundelos in einem fremden Lande, hatte er die Empfindung, als stehe er auf einem Vulkan, auf dem er gewärtig sein mußte, in jedem Augenblick von einem mit glühender Lava angefüllten Krater verschlungen zu werden.

»Ich kann nicht fort,« antwortete er nach kurzem Sinnen zögernd dem ergrauten Diener, »ich forsche nach jemand, von dem ich nur durch Ellenborough Kunde zu erhalten vermag, und ohne diesen gesehen zu haben – nein, ich muß ihn finden und wäre ich gezwungen, auf dieser Stätte Jahre auszuharren.«

»Ellenborough?« wiederholte Androklus nachdenklich, »wer weiß, ob der jemals wiederkommen in diese Gegend. Ich mancherlei hören, daß man ihm nicht traue« – ein schriller Pfiff drang vom Vorderhaus herüber.

Audroklus erschrak.

»Masser mich rufend,« bemerkte er, indem er schleunigst der Tür zuschritt, »er nicht schlafen können ohne starken Nachttrunk. Mich denkend, er habe Furcht vor bösen Träumen, weil in ihnen erscheinen alle verkauften Farbige und alle Geister aus den Gräbern in Nailleka. Darum er trinken so vielen Kognak, der betäuben ihn und lassen keinen Platz für Traum.«

Leise schloß sich die Tür hinter ihm. Gerhard aber stand noch immer auf derselben Stelle, regungslos vor sich niederstarrend. Vorsichtiges Klopfen an eine Fensterscheibe schreckte ihn aus seinen wirren Betrachtungen, und als er hinüberschaute, erkannte er Else, die im Garten vor dem offenen Fenster stand.

Gerhard blickte ratlos in die schönen und doch so starren Augen.

»Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise gefällig sein?« fragte er befangen, »glauben Sie mir, ich bin zu jedem Opfer bereit –«

»Mir wollen Sie Opfer bringen?« fragte Else schwermütig lächelnd zurück, »mir, die ich mit den Nebeln auf den Niederungen ein Bündnis geschlossen habe? Mir, der Krokodile und Schlangen wie gut gezogene Haustiere folgen? Nein, ich bedarf keiner Opfer; denn ich bin dazu da, um über andere zu wachen, damit das Verderben sie nicht ereilt. Wie gefällt Ihnen Highway?« fragte sie plötzlich lebhafter.

»Zu kurze Zeit kenne ich ihn erst, habe also noch kein klares Urteil über ihn,« antwortete Gerhard vorsichtig, um die arme Nachtwandlerin nicht noch mehr zu erregen.

»Es ist wahr, Sie verlebten noch keine Nacht mit ihm unter demselben Dache,« lispelte Else, während ein Schauder ihre zarte Gestalt durchlief, »allein ich kenne ihn. Er ist ein Giftmischer, er versteht es, die Menschen durch Duft zu betäuben, daß sie gefühllos werden wie Leichen. Er ist ein Teufel, der nur zeitweise Menschengestalt annimmt – ach – ich wollte etwas sagen – ich sah ihn vor wenigen Minuten, ohne daß er meine Nähe ahnte. Die Menschengestalt hatte er abgelegt, die lang bewehrten Krallen weit von sich gestreckt, und so schwor er Tod und Verderben jemandem, an dem er eigentlich keinen Anteil haben sollte. Ja, Tod und Verderben – hüten Sie sich vor Teufeln! Gehen Sie nicht nach den Kolonien; kümmern Sie sich um nichts, was Sie dort sahen und erlebten! Denn die Teufel mit ihren wunderlichen Mänteln und Gesichtslarven sind listig und stark; ein unbedachtsames Wort, und es ist um Sie geschehen.«

Die letzten Worte sprach sie bereits in der Entfernung, und bald darauf ertönte ihr melancholischer Gesang durch die verwilderten Parkanlagen, indem sie den Mond pries und die Sterne, die dem späten Wanderer auf seinen dunklen Wegen leuchteten. Ihr folgten dieselben Hunde, vor welchen Highway sie gewarnt hatte. Die klugen Tiere schienen sich von ihr nicht trennen zu können.

Wie ein Hauch verstummte in der Ferne Elses Stimme, und langsam begab Gerhard sich nach seiner Lagerstätte. Nur den Rock legte er ab; dann löschte er die Lampe aus und schwer warf er sich aufs Bett. Freundlich schien der Mond zu ihm herein. So hatte er ihn gesehen in der fernen Heimat, so auf dem unendlichen Ozean, so als Kind, als Jüngling und als Mann, und überall und zu allen Zeiten meinte er, daß der getreue Freund mit einem gewissen Wohlwollen vom hohen Himmel auf ihn niederschaue.


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