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Kapitel 145

Der Eintritt ins himmlische Haus, und Begrüßungsszenen dort. Der Graf und der General. Des Grafen Sehnsucht Jesus zu sehen, seine Ansicht über Ihn hindert ihn daran. Der blinde Sucher nach dem Herrn

1 In diesem Moment gehet die Türe sogleich weit auf; eine unbeschreibliche Pracht strahlt aus dem ersten Saale den Eintretenden entgegen, und eine übergroße Volksmenge in Faltenkleidern wie aus feinstem Byssus begrüßet die Eintretenden allerherzlichst; an der Spitze stehet der General, umgeben von dem Mönche Thomas und Dismas.

2 Als der Graf den General gleich erkennend ersieht, stürzt er sich, über die Maßen erfreut ob dieses unvermuteten Wiederfindens seines alten Freundes, an die Brust desselben, küßt ihn, und spricht voll Feuers: »Hunderttausend Male gegrüßt in einem sicher besseren Leben sei du mir, mein lieber alter guter Freund und Bruder! O wie glücklich bin ich, daß ich dich wieder habe, und so es Gott der Herr will, dich vielleicht auch ewig haben werde! Du bist schon glücklich, überglücklich. Gott der Herr wird mich ja auch nicht unglücklich lassen. Ach, ach, aber alles hätte ich eher erwartet, als dich hier so glücklich zu treffen, und wiederzusehen. Wie ist's denn dir ergangen gleich nach deiner Ankunft allhier? und wie geht es dir jetzt? und was machst du so ganz eigentlich hier?« –

3 Der General erwidert den Gruß, und sagt darauf: »Mein liebster Freund, von etwas Machen ist hier gar keine Rede; sondern bloß vom Genießen alles dessen, was uns die unbegrenzte Güte und Liebe des Herrn Jesus Christus in der überschwenglichsten Fülle bescheret. Wenn der Seligkeitsgenuß nicht mit einer nie zu beschreibenden wundervollsten Mannigfaltigkeit verbunden wäre, so müßte man wahrlich mit Hiob auszurufen anfangen: »O Vater, süßester bester Vater, höre doch endlich eine kleine Weile nur auf zu segnen.« Ja, Freund, dahier erst lernt man wahrhaft Jesus Christus kennen. Lieber, ich brauche dir weiter nichts mehr zu erzählen, denn es wird dich die jüngste Folge über alles das ins klare setzen. Willst du dir aber von der Weisheit, Allmacht und Liebe des Herrn so im voraus einen kleinen Begriff machen, so betrachte nur ein wenig die Herrlichkeit dieses Saales, und du wirst schon bei dieser Betrachtung dir einen ganz kuriosen Begriff von Christus, dem alleinigen Herrn Himmels und der Erde, verschaffen.« –

4 Spricht der Graf: »Gerade recht, daß du mich an Christus, den Herrn, erinnerst. Was weißt denn du von Ihm? Hast du etwa gar schon das unaussprechliche Glück gehabt, Ihn, den Allerheiligsten, zu sehen? Ist Er schon da gewesen; oder wird Er etwa bald wieder kommen? Von woher wird Er kommen, und wie werd' ich Ihn sogleich erkennen? Weißt du, ich liebe Ihn so ungeheuer, daß mir wahrlich alle diese Herrlichkeiten wie ein ausgestorbenes Haus ohne Ihn vorkommen würde. Sei daher so gut, und mache mich ja sogleich aufmerksam auf Ihn. O Gott, o Gott, welch ein Anblick wird das sein, so ich Ihn, meinen Schöpfer sehen werde.«

Am 27. November 1849

5 Der General schmunzelt bei diesem emsigsten Befragen des Grafen, und sagt nach einer Weile: »Aber Freund, du kommst mir hier gerade so vor als einer, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Sage mir doch zur Güte, wie du dir so ungefähr denn doch Jesus, den Herrn, vorstellest. Nachher will ich dir etwas sagen, was dich sicher sehr mächtig überraschen wird.« –

6 Spricht der Graf: »Freund, es ist das zwar ein sonderbares Verlangen von dir; aber um desto eher zu dem zu gelangen, was du mir sagen willst, will ich deinem Wunsche sogleich nachkommen. Sieh', ich stell mir Christus als Gott den Herrn in einer unbeschreiblichen Glorie vor, und umgeben von seinen Aposteln und zahllosen Engelschören. Denn so steht es in der Schrift, daß Er wiederkommen werde auf schwebenden Lichtwolken der Himmel, aus denen in jeder Sekunde sicher wenigstens eine Trillion Blitze nach allen Richtungen in die Unendlichkeit hinauszucken werden. Da hast du nun meine gute Vorstellung von Christus, dem Herrn; und nun sage du mir, was du mir versprochen hast.«

7 Spricht der General: »Bruder! da hast du wahrlich eine ganz grundfalsche Vorstellung von Christus, dem Herrn. Wie gesagt, du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sieh', wir alle haben es hier ganz deutlich vernommen, wie dir dieser unser allergrößter Freund, den du noch fest bei Seinem rechten Arm umschlungen mit deiner linken Hand hältst, die Erkennungsmerkmale von Christus, dem Herrn, gegeben hat, wie auch zugesagt, daß der Herr mit euch zugleich in diesem Hause eintreffen werde. Nun, so sehe dich denn ein wenig um, ob du niemanden triffst, der Ihm auf ein Haar ähnlich sehen dürfte; und findest du jemanden, so halte ihn für den Herrn. Denn ich sage es dir, der Herr Gott Jesus ist hier eben so einfach und prunklos, als wie Er es auf der Erde war, und von irgend einem Glanze an Ihm ist nirgends eine Spur anzutreffen.«

8 Spricht der Graf: »Richtig, richtig, gerade so hat es dieser hochliebwerteste Freund uns allen draußen gesagt. Aber ich werde eine ziemliche Weile brauchen, bis ich mit der Durchmusterung aller dieser sicher tausend Anwesenden mit diesem lieben Freunde fertig werde. Aber es ist das eine Arbeit, bei der es sich wahrlich der Mühe lohnt. Der Saal ist wohl ungeheuer groß, und stark beleuchtet, die Anwesenden stellen sich wie durch ein Kommando in Reihe und Glied auf, was sehr gut ist, und so möchte ich mit der Durchmusterung denn doch eher fertig werden, als ich mir's anfangs gedacht habe. Da in den ersten Reihen finde ich einmal nichts ähnliches, daher also weiter gemustert. Auch weiterhin will sich nichts ähnliches auffinden lassen. Ich nehme hier mehr die entfernteren zwar ebenso gut aus, als wie die ganz nahe Stehenden, aber unser lieber guter Freund scheint darinnen keinen Zwillingsbruder zu haben. Dort ganz im Hintergrunde entdecke ich noch eine Gruppe, die ich mir etwas näher besehen möchte, so es gestattet wäre, derselben sich einige Schritte zu nähern?«

9 Spricht der General: »O nur zu, ganz ohne allen Anstand! Denn hier ist die vollkommenste Freiheit zu Hause.« Darauf begibt sich der Graf mit dem ihm noch unbekannten Freund hin zu der ob benannten Gruppe; als er aber ihr mit seinem Freunde in die Nähe kommt, so fällt sie vor zu großer Erhfurcht ergriffen auf ihr Angesicht nieder, und schreiet: »Heil dir, Heil dir, Heil dir Allererhabenster!«

10 Der Graf erschrickt förmlich vor dieser Metamorphose, und sagt zu seinem Begleiter: »Nun, da haben wir's! ich wollte sie mit Dir vergleichen, und nun liegen sie alle auf ihren Angesichtern vor uns, und schreien Gott weiß zu wem (?) Heil Dir! Sollte das etwa einen von uns beiden angehen? Oder ist etwa schon Jesus sichtlich irgend woher gekommen da?« – Spricht der Fremde: »Warte nur ein wenig; diese Gruppe wird sich sogleich wieder erheben, und du wirst dann sogleich deine Forschungen weiter fortsetzen können.«

11 Auf einen geheimen Wink des Herrn erhebt sich die ganze Gruppe wieder, und der Graf macht sogleich die Entdeckung, daß sie aus lauter weiblichen Individuen besteht, und sagt darauf: »Liebster Freund! auf der Erde war meines Wissens der Herr Gott und Heiland Jesus ein vollendeter Mann, und wird in seinem ewigen Gottesreiche sicher kein Weib geworden sein; daher meine ich, wird sich zu meinem Zwecke hier sehr wenig eruieren lassen. Aber nur das möchte ich von ihnen erfahren, warum sie denn früher gar so enorm Heil Dir geschrien haben.« – Spricht der Begleiter: »Gehe hin und frage sie!«

12 Der Graf nähert sich der Gruppe ganz bescheiden; diese aber schreiet ganz stentormäßig ihm entgegen: »Zurück, zurück, zurück! mit dir haben wir keine Gemeinschaft, denn du bist ein Frevler im Hause Gottes!« –

13 Der Graf tritt wohl sogleich zurück, sagt aber dennoch zur Gruppe, die sich zwar selbst noch nicht gar zu lange in diesem Hause befindet: »Nun, nun, gebt ihr nur acht, daß wir euch nicht etwa einige Lot Apotheker-Gewicht herunterstreifen von eurer noch höchst päpstlichen Heiligkeit; o ihr heikligen Greteln ihr! ich glaube, so heilig als ihr es seid, dürften wohl auch dieser mein Freund und ich auch sein?! Geh', lieber Freund, weiter mit mir; denn mit diesen echten Menschen ist nichts zu machen; ihr echt jesuitischer Heiligkeits-Hochmut ist mir unausstehlich!« –

14 Spricht der Begleiter: »Ach, Freund, das darfst du nicht also nehmen. Denn hier muß alles mit der größten Geduld ertragen werden! Diese sind auch noch nicht ganz in der Ordnung; aber sie haben nicht gar weit mehr zum Ziele!«

15 Spricht der Graf: »Ja, ja, es ist schon alles recht; aber uns wie ein paar Verbrecher zurückweisen, das ist etwas zu sonderbar; aber in Gottes Namen, sei's nun wie ihm wolle. So ich nur schon meinen Zweck erreicht hätte. Es ist mir aber auch ganz unerklärlich, wie ich dir nun nahe für gar nichts, als allein nur für Jesus, den Herrn, einen Sinn habe. Alle diese wahrsten Himmelsschönheiten, sowohl dieser reizendst schönen Damen, als wie auch dieses Saales sind für mich wie tote Mumien oder Bilder ohne Seele, so lange der eine nicht da ist. Es ist auf der Erde, wo der Schöpfer für tausend und tausenderlei Abwechslungen gesorget hat, schon langweilig genug, daß man wohl öfter von einem allerhöchsten Wesen Gottes bloß nur etwas zum Hören bekommt; aber von einem noch so erwünschten Sehen ist wenigstens in dieser Zeit wohl nie eine Rede mehr. Hier aber, wo man auf dem Punkte steht, als selbst Geist den allervollkommensten Geist Gottes sehen zu können, wird einem das Dasein unerträglich, so man Den nicht zu sehen bekommt, Der einem allein alles in allem ist. So du, lieber Freund, es weißt, wo Er Sich nun befindet, da zeige mir Ihn, daß ich Ihn nur in der Ferne erblicken möchte.« –

16 Spricht der Begleiter: »Mein lieber Freund und Bruder, das wird etwas hart hergehen, daß Ich dir Jesus in der Ferne zeigete; denn wer Jesus nicht in seiner nächsten Nähe vorerst zu sehen bekommt, der kann Ihn in einer Ferne (auch) nicht ersehen. Du mußt Jesus nur allein in deiner nächsten Nähe zu erschauen wünschen, dann wird es dir auch werden nach deinem Wunsche.«

17 Spricht der Graf: »Mein allerhochgeehrtester Freund, das wäre schon alles recht; und es wäre das sehr wünschenswert, wenn ich Seine zu heilige Nähe ertragen könnte; aber es sollen Seine nächsten und höchsten Engel sogar Seine nächste Nähe nicht zu ertragen imstande sein, frage: wie dann ich?« – Spricht der Begleiter: »Freund, so aber Christus, der Herr, nicht um ein Haar ansehnlicher vor dir stünde, denn Ich, und gerade so mit dir redete, als wie Ich nun, sage Mir, hättest du denn da auch noch so eine gewisse Heiligkeitsscheue vor Ihm, als wie du sie nun hast?« – Spricht der Graf: »Je nun, ich meine: das würde mir wohl etwas leichter vorkommen, es würde mir zwar wohl noch immer etwas schwer fallen, da ich denn doch gar ungeheuer wohl bedenken müßte, wer Er, und wer ich es sei. Er das unendlichste Alles, und ich das vollendeste Nichts. Aber leichter müßte mir dabei doch auf jeden Fall zu Mute sein, als so Er in aller Seiner himmlischen Macht daher käme.« –

18 Spricht der Begleiter: »Gut; was tätest denn du, so z.B. Ich Selbst Christus wäre, und gäbe dir aber aus gewissen Gründen Mich erst jetzt zu erkennen; was möchtest denn du dazu für ein Gesicht machen?« –

19 Spricht der Graf: »Höre Freund, das heißt einen armen Teufel wie nun ich einer bin, denn doch auf eine zu harte Probe stellen. Wahrlich, hoher Freund, so Du am Ende dennoch Selbst es wärest, da würde ich wahrlich für die ganze Ewigkeit sprachlos. Aber sage es mir lieber bestimmt, auf daß ich vor lauter Ehrfurcht, Liebe und Entsetzen sogleich hin werde.« –

20 Spricht der Begleiter: »Ja, Freund, Ich Selbst bin es, und so du es schwer glauben solltest, so frage diese hier, sie werden es dir sagen. Deine Liebe hat Mich so an dich gezogen.«


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