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Kapitel 69

Der Pathetikus und seine Freunde wundern sich über die wunderbare Veränderung der Helena. Eine weltphilosophische Gesellschaft. Vom Unterschied zwischen Traum- und wirklichem Leben

Am 2. April 1849

1 Es bemerkt aber diese Metamorphose (Umgestaltung) auch unser Pathetikus und seine Gesellschaft, und einer aus der Gesellschaft sagt zum Pathetikus: »Du Freund, merkest du nichts? Jene Lerchenfelderin, ein ehemaliger Schmerkübel voll Unzucht, Ruß und Dreck von halb Wien, wird nun ganz verklärt! Es ist nun eine Passion, das neckische Dingerl anzuschauen! – Solle denn etwa doch jener unbekannte Freund Blums so eine Art von einem echt ägyptischen Magier sein?!« –

2 Spricht der Pathetikus: »Ja, ja, ich merke wohl auch so etwas ähnliches; aber weißt du, das Menschl ist auch sonst nicht übel, und wann so ein Menschl recht verliebt ist, und ihr die Liebe die Wangen zu röten anfängt und den Busen anschwellen macht, so ist dann so ein Figurl gleich ganz nett aussehend beisammen. O, da hab' ich dir auf der Erde gar nicht selten Menschel gesehen, die in ihrer gewöhnlichen schmutzigen Hausverfassung, man könnte sagen, grauslich ausgesehen haben; wann sie aber sonntags mit ihrem Liebhaber zum Sperl hinausgewandelt sind, ja – da waren sie gar nicht mehr zu kennen! Ich habe ja selbst einmal ein recht verliebtes Ding von einer Küchenfee im Dienste gehabt! Unter der Woche sah sie dir manchmal ja doch so schmafumäßig aus, daß es einem, der sie ansah, offenbar ekeln mußte; voll Fett, schwarz und geschmiert wie eine Oelgötze stand sie dir in der Küche am Herde! – Aber wenn der liebe Sonntag kam, und sie am Nachmittage ihre Ausgehezeit hatte, so hättest du sie dann sehen sollen! Ich sage es dir, wie eine Zirkassierin sah sie dir aus! Und mit diesem Menschl wird's hier der gleiche Fall sein; das ist bloß die Liebe, die hier wie auf der Erde gar nicht selten solche wunderähnliche Verschönerungen des weiblichen Geschlechtes hervorbringt; nehme du ihr die Liebe, da wird sie gleich mit einem ganz anderen Gesichte dastehen!«

3 Spricht der andere: »Weißt, du hast wohl in einer Hinsicht recht; aber hier scheint sich die Sache aber dennoch ganz anders zu verhalten. Denn für's erste ist dies Wesen wirklich auf einmal zu schön geworden, und für's zweite spricht es nun auch ein ganz reinstes und edelstes Deutsch, und es ist keine Spur von einem Wiener Dialekte an selben (mehr) zu entdecken! Ich sage dir, das bewirkt so eine ganz gewöhnliche Liebe nicht! Da muß etwas Höheres, für uns rein Unbegreifliches mit im Spiele sein; betrachte nur einmal recht den unendlich zarten Teint, die Weichheit ihrer Arme und ihres Nackens, das schönste Blond ihres Haars, die höchst interessante Form ihres Gesichtes, die echt himmlische Rötung ihrer Wangen, und was für ein wunderherrliches Füßchen unter ihrem Kleide hervorlugt, und, was wahr ist, ist wahr; du wirst mir in jedem Falle recht geben müssen! – Ex trunco non fit Mercurius!«

4 Der Pathetikus fängt hier ganz ernstlich zu stutzen an, da er die Bemerkung seines Freundes ganz wohl begründet findet. Aber ein dritter in der Gesellschaft erhebt sich und spricht: »Liebe, werte Freunde, ich muß euch da schon aus einem Traume helfen! Ihr beide fasset diese Sache ganz irrig auf! – Sehet, diese Metamorphose hat in meinen Augen einen ganz natürlichen Grund, und zwar den: Wir alle sind nun in der reinen Geisterwelt; unser Leben ist nichts als ein vollkommener Traum, und was wir nun sehen, ist ein Spiel unserer Phantasie, an der nichts echt und wahr ist, als sie selbst, als das was sie ist, nämlich eine vane (eitle) Phantasie. – Diese Phantasie beliebt es nun uns allerlei Spektakel vorzumachen, die sich unsern seelischen Traumsinnen wie objektive Wirklichkeiten darstellen, an denen aber natürlich ebenso wenig gelegen ist, als an den Bildern, die wir auf Erden mittelst einer sogenannten Zauberlaterne zuwege gebracht haben! – Schauet und sehet; also verhält sich diese Sache hier! – Begreifet ihr das?!«

5 Spricht der erste der Gesellschaft: »Freund, mit dieser deiner Erklärung hat es hier einen ganz offenbaren Faden; denn sieh, wenn das alles nur so eine Art Traum wäre, da müßte ja deine so eben an uns erfolgte Erklärung auch ein Traum sein, auf den man dann auch eben so wenig halten könnte, als auf alle übrigen Erscheinungen, die sich hier vor unseren Augen als ganz zusammenhängend entfalten?! Oder könntest du wohl nur mit einiger Konsequenz (Folgerichtigkeit) behaupten, daß deine an uns gerichtete Belehrung von deiner Ansicht eine Ausnahme mache? Ich habe doch auf Erden sehr oft und sehr lebhaft geträumt; aber welch ein Unterschied zwischen einem Traume und zwischen dieser nur zu einleuchtend hellsten Wirklichkeit!

6 In meinen Träumen verhielt ich mich stets vollkommen passiv, und hier bin ich meinem ganzen klarsten Bewußtsein nach vollkommen aktiv! Im Traume hatte ich nie eine Rückerinnerung, und wenn mir schon so etwas vorkam, als wäre es eine Art Rückerinnerung, so war sie aber dennoch so dumpf und unvollständig, als sich nur etwas Unvollständiges in derart denken läßt; hier aber ist eben die Rückerinnerung von einer solchen Klarheit, daß mir sogar die allerunbedeutendsten Erscheinungen meines irdischen Lebenswandels wie vollendestete Bilder einer Camera luzida von A bis Z vorschweben! Sage Freund, kann man das einen Traum nennen?!

7 Im Traume empfand ich nie vollkommen einen Schmerz, oder einen Hunger und Durst, und die Gestalten der mir im Traume vorkommenden Wesen waren stets sehr unstät, flüchtig und wandelbar, und verdrängten sich in sehr schneller Reihenfolge sogestaltig, daß von den Vorhergehenden gewöhnlich nichts mehr vorhanden war, so die Nachfolgenden in die Reihe der Erscheinlichkeit traten, und von irgend einer logischen Ordnung zwischen dem Vorhergehenden und Nachfolgenden war natürlich nie eine leiseste Spur zu entdecken; hier hingegen geht, wenn schon das Gepräge des Wunderbaren unleugbar an sich tragend, aber alles in einer solchen logischen Konsequenz seinen bestimmtesten Weg vor sich hin, daß man sich darüber nicht genug verwundern kann, besonders, wenn man mir gleich, so einen stillen Beobachter macht.

8 Welche weise Logik durchweht jede Rede, die entweder der Blum oder seine Freunde an jemanden richten; wie konstant und architektonisch richtig ist dieser Saal erbauet, und wie sieht hier alles gar so bedeutungsreich aus!

9 Und, Freund, das alles solle ein Traum sein?! Nein, nein, Freunde, das ist kein Traum, keine Phantasie; sondern das ist eine große heilige Wirklichkeit! Und wir tun sehr wohl, so wir alle diese Erscheinungen mehr zu würdigen anfangen, als wir es bis jetzt taten; und so kommt mir nun die merkwürdige Verschönerung unserer Lerchenfelderin auch ganz bedeutungsvoller als ehedem vor, wo sie noch nicht so grell ersichtlich war! – Was meinet ihr nun von dieser meiner Ansicht und Beurteilung dieser Sache?!«

10 Spricht der Pathetikus: »Ja, ja, Freund, du hast recht, ich pflichte dir vollkommen bei; aber das kann ich wahrlich nicht begreifen, wie man hier denn auch leidenschaftlich für oder wider etwas eingenommen sein kann?! Siehe, mich ärgert es noch, wie mich ehedem eben diese nun wahrlich und unbegreiflich schön gewordene Lerchenfelderin gar so lausbubenmäßig hergestellt hat; und als ich dann bei eben diesem ihrem Freunde und Geliebten Schutz und Rechtfertigung suchte, so erhielt ich dann auch von ihm, was ich sicher nicht suchte! Kurz, ich ward bis in die innerste Fiber meines Lebens gekränkt und beleidigt, was man, als ein Mann von allzeitiger unbescholtener Ehre, denn doch nicht so mir und dir nichts gleichgültig annehmen kann! Und siehe, eben das, daß man auch hier im Reiche der Geister, im Reiche der höchsten Ordnung und Konsequenz gekränkt und beleidigt, ja sogar ordentlich erzürnt werden kann, das ist mir ein Rätsel!? Erkläre mir's, wie das möglich ist, und ich will mich dann ganz vollkommen deiner Ansicht anschließen!«

11 Spricht der angeredete Max Olaf: »Mein Freund, diese Sache ist ja ganz einfach, leicht ersichtlich und klar. Was ist denn eine Kränkung und Beleidigung? – Siehe, diese leidige Erscheinlichkeit ist nichts anderes als eine Zurückweisung unseres ganz natürlichen Hochmutes. Der Hochmut an und für sich aber scheint mir das Gefühl in der Seele zu sein, laut dem sie ihre hohe göttliche Abkunft bloß wie für sich als abgeschlossen ansieht, und also betrachtet, als wäre nur sie allein die Bevorzugte, alles andere sei entweder viel minder, oder gar eine Nulle! Tritt nun dieser Lieblingsidee etwas recht schroff in die Quere, und will neben ihr auch wenigstens den gleichen Rang behaupten, so empfindet die Seele diese Opposition wie schmerzlich, sie beengend, und dadurch kränkend, weil sie daraus notwendig ersieht, daß andere von ihr das nicht halten wollen, was sie von sich selbst hält! Ein solcher Zustand der Seele aber scheint mir denn auch ein sogar in sich selbst sehr unlogischer und unkonsequenter zu sein, und muß eine ganz entgegengesetzte Richtung einschlagen, so aus ihm für die Seele ein wahres Glück erwachsen solle! –

12 Auf der Erde haben jene, die sich für besser dünken als andere, allerlei Mittel, diesem unordentlichen Dünkel Geltung zu verschaffen; aber hier, wo es weder Geld, Adel, Heere, Bajonette und Kanonen gibt, sieht's mit solchem unlogischen Dünkel der Seele auch notwendig etwas fatal aus! Denn für's erste ist es ja im Grunde denn doch unrecht, so ein Geschöpf sich vor einem anderen ganz gleichen Geschöpfe erheben will, und für's zweite ist ein solches Bestreben sogar auch eine barste Narrheit!

13 Denn so es mir die Logik und die Erfahrung sagt, daß eben derjenige Mensch im Grunde doch stets der glücklichste ist, der die wenigsten Anforderungen für sich an seine Nebenmenschen stellt, so ist es wirklich anderseits eine Tollheit, in etwas das Glück der Seele erreichen zu wollen, worin es logisch richtig ewig unerreichbar ist! – Sage mir, was wohl hältst du für besser und zweckmäßiger? Das Bestreben nach der Erfüllung aller zahllosen Bedürfnisse, die in der Seele gleich dem Unkraute wuchernd auftauchen, oder eine weise Reduzierung der Bedürfnisse bis auf ein mögliches Minimum?«

14 Spricht der Pathetikus: »Offenbar das zweite; denn je weniger man braucht, um glücklich zu sein, oder zu werden, desto leichter und auch wahrer wird man glücklich!« –

15 Spricht Max Olaf: »Richtig! – Also ist es, und wird es bleiben ewig! – Was nützet es einem Brautwerber, so er sich um die Hand einer Tochter bewirbt, deren Eltern von sich und so auch von ihrer Tochter viel zu viel halten; er wird sein Ziel schwer oder noch wahrscheinlicher nie erreichen; und erreicht er es, so ist er dann erst recht am Hunde aller seiner Glücksträume! Wendet er sich aber an die Tochter geringerer Eltern, die sich für viel weniger halten, als da ihr Brautwerber vor ihnen erscheint, so wird er eine leichte Mühe haben, sein Glück zu erreichen, und wird damit auch besser daran sein, als mit seiner früheren Hochwahl!

16 Tun wir nun also, und es wird uns keine Lerchenfelderin mehr genieren! Was meinst du? Hab ich wohl recht oder nicht?!«


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