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Kapitel 115

Dank der Schar, ihr letzter Hauptanstand wegen Rom, und dessen Widersprüche gegen die Lehre von Jesus Christus. Brunos helle Beleuchtung dieser dunklen Sache. Das Gleichnis von dem alten Kastanienbaum

1 Spricht der Redner: »Freund! du hast die Sache des Gotteswortes mit einer erstaunenswerten scharfen Konsequenz dargetan, und ich muß dir nun im Namen aller dieser Gäste dafür sogar danken; denn du hast uns dadurch einen entschieden wichtigsten Dienst geleistet. Aber nun kommt noch eine Hauptfrage hinzu. Beantwortest du uns auch diese auf die gleiche Weise überzeugend richtig, dann sollst du uns alle vollauf gewonnen haben, und wir werden dich zum Oberhaupte unserer Gesellschaft machen. Die Frage aber lautet also:

2 So nach deiner wahrhaft weisen Erörterung – Christus der Herr und Gott Himmels und der Erde ist, so fragt es sich, welche Glaubenssekte auf der Erde ist der Wahrheit am nächsten, und wie stehet es bei Christus ganz vollernstlich mit der römisch-katholischen Kirche? Wer kennt nicht das alte elende weltsüchtige, selbstsüchtige, und im höchsten Grade herrschsüchtige Getriebe der Alleinseligmacherin? Das Wort Gottes, verkümmert und verkrüppelt wie kaum irgend ein Weinstock in Sibirien, ist da nur ein elend gleißnerisches Aushängeschild, ein von Motten zernagtes Schaffell, hinter dem der ewig blutdürstige und golddürstige Wolf seine reißende Gier verbirgt. Alle möglichen Stürme haben sich an ihm versucht; was nur irgend eine Kraft hat, machte sich daran, diesem Wolfsdrachen das geduldige Lammsfell vom schändlichen Leibe zu ziehen, aber leider waren bisher alle die großen und größten Anstrengungen rein vergeblich! Dieser Gog und Magog, dieser Moloch, dieser siebenköpfige Drache, diese alte Welthure lebt, gedeiht und vegetiert unverwüstbar fort, und treibt zum größten Teile wissentlich, und nur zum niederen Teil, besonders bei der geknechtetsten unteren Klerisei und ihren blindesten Anhängern, ihr schändlich ruchlosestes Metier weder aus dem Himmel, noch aus der Hölle her ganz unbeirret fort!

3 So Christus, der die Schändlichkeiten der jüdischen Pfaffen bei allen Gelegenheiten doch so nachdrücklichst gerüget hatte, Gott ist, und lebet, wie wir nun nach unserer Leiber Tod, so sage uns, wie kann Er solchen Greueln der Greuel nun gut schon über 15 Jahrhunderte ganz so gemächlich zusehen, wie diese schwarzen Gottesdiener mit Ihm ein bei weitem ärgeres Schindluder treiben, als alle jene altrömischen Henkersknechte, die Ihn an das schmähliche Kreuz geheftet haben? Mehr als 4-fünftel der christlichen Menschheit sieht dieses arge Treiben – – – – nur zu klar ein, und sagt: Unter allen christlichen Sekten ist Rom die älteste, und muß sonach auch am besten wissen, was sie von Christus und Seiner Lehre zu halten habe. Durch ihre der Lehre Christi schnurgerade entgegenlaufenden Handlungen aber zeigt sie, daß sie in sich selbst an diese Lehre noch nie geglaubet hat, und somit noch weniger an Christus, aus Dem sie im Grunde macht, was sie nur immer will, sie backt Ihn, sie verkauft Ihn, ja sie richtet und verflucht Ihn sogar zur Hölle, so Er es wagete, etwa auch mit einer anderen Sekte Gemeinschaft zu machen. Dadurch werden alle sonst noch so treuen Bekenner Seiner Lehre in ihrem Glauben erschüttert, und sind auf diese Weise dann gerade mit eiserner Macht genötiget, solch einer Lehre, die sich ganz gutwillig zu den größten Schändlichkeiten gebrauchen läßt, mit der gerechtesten Verachtung den Rücken zu kehren!

4 Sage! so es einen Christus gibt, sieht Er das nicht, was nun schon die gemeinsten Menschen mit Händen greifen? oder will Er es nicht sehen oder ist das etwa am Ende doch noch Sein Wille, daß die römisch-katholische Anstalt ebenso bestehe und fortwalte, wie sie noch allezeit bestanden und schändlich genug gewaltet hat? – Sage uns! Muß Rom also bestehen? und hat Christus im Ernste ein Wohlgefallen an dessen Werken?! – Kann Er im Ernste nur lateinisch? und liebt über alles die leerste nichtssagende Zeremonie? Er, der zu Seinen irdischen Lebzeiten doch nichts so sehr bedrohet hat, als die schändlichste Augendienerei?! Also, Freund! dies Rätsel noch löse uns, und wir sind dann ganz dein und deines Gottes!«

5 Spricht Bruno: »Freund! diese deine Einwurfsfrage wegen Rom und dessen Kirche und Diener ist ganz richtig und bestbegründet, und es läßt sich für dieselbe wahrlich sehr schwer nur irgend eine Befürwortung anbringen; aber nichts destoweniger muß der Herr dennoch irgend einen Grund haben, daß Er sie bestehen läßt. Es ist ganz vollkommen wahr, daß das Gotteswort Christi sogar bei den Erzjuden und Stockmohamedanern ein bei weitem größeres Ansehen genießt, als eben bei den allersinnlichsten Römlingen – – –, und daß sie aus Christus machen, was sie wollen, und Sein heiligstes Wort verdrehen und beschnatzeln und beschneiden, wie es in ihren betrügerischen, herrschsüchtigsten und habsüchtigsten Kram gerade am allermeisten und besten taugt; aber da denke ich also:

6 Dieser nun schon sehr alt gewordene Baum hat in geistiger Hinsicht nahe dieselbe Entartung und förmliche Degenerierung erlitten, als der alte Kastanienbaum in Sizilien nahe am Ätna, dessen Kern schon vor nahe 1.000 Jahren morsch, faul und tot geworden ist; da aber dieser Baum nach allen Richtungen in seiner Jugendzeit kräftige und mächtige Wurzel, und ebenso auch sehr starke und weitausgebreitete Äste und Zweige getrieben hat, die natürlich mit den Wurzeln in der beständigen Korrespondenz stehen, so hat sich mit der späteren Zeitenfolge zwischen den Wurzeln und Ästen eine neue Stammstamm oder Rumpflinie gebildet, so daß aus dem ehemals einen gesunden Baume nun ein Vielbaum entstanden ist, der bloß in der Krone, und lange nicht mehr in den Wurzeln und in dem Stamme, als ein und derselbe Baum zusammenhängt; – dieser seines hohen Alters wegen merkwürdige Baum trägt aber wohl noch hie und da sparsam Früchte; aber sie sind geschmacklos, hart und nahe ungenießbar; der Grund davon dürfte wohl der sein, weil der Baum den ersten Hauptlebenskern schon lange gänzlich verloren hat; es haben sich wohl aus den starken Seitenwurzeln in den geteilten Blattstämmen auch eigene Kerne gebildet; aber damit ist dem Hauptstamme wenig oder nichts geholfen, von dessen alleiniger Vollgesundheit auch die volle gesunde und wohl genießbare Frucht abhängt. Dieser Baum wird nun mehr als eine historische Rarität, denn als eigentlich ein nutzbarer Baum angesehen, erhalten, und von dem einfachen Volke unter allerlei Märchen und Fabeln, die sich an alles sehr Alte eben so gerne, wie das Moos an alte Baumstämme ankleben, verehret, und von manchen gar stockblinden Narren sogar als ein Heiligtum angebetet. Das Beste an diesem Baume ist, daß er bei plötzlich eingetretenen Unwettern den Wanderern irgend einen dürftigen Schutz gewährt!

7 Und ebenso, kommt es mir wenigsten vor, verhält es sich mit dem in hohem Grade zerrissenen Bestehen der römisch-katholischen Kirche; sie hat keinen eigentlichen Stamm, und keinen Kern mehr; sie besteht wohl noch, und hat noch äußerlich das Ansehen von einem Lebensbaume; aber im Grunde des Grundes ist sie eben so wenig mehr ein eigentlicher Lebensbaum, als wie der alte sizilianische Kastanienbaum ein nützlicher Fruchtbaum mehr ist. Sie vegetiert wohl noch, und hat in ihren Extremitäten noch ein Äußerlichkeitsleben, trägt auch noch Blüten und Früchte; aber sie sind nicht mehr zu genießen, sind holzig hart, und geschmacklos, und werden von einigen Reisenden nur als eine Rarität gekauft, und mitgenommen; das Beste an dem altrömischen Kastanienbaume ist, wie bei dem sizilianischen, daß Reisende, d.h. durch politische Stürme bedrängte Fürsten unter seinen weit ausgebreiteten Ästen einen Schutz suchen, und ihn auch – freilich nur höchst dürftig finden; aber wie der sizilianische natürliche schon eigentlich lange tot ist, und nun seiner gänzlichen Auflösung entgegen geht, so nun auch der geistliche altersschwache Baum Roms; ich sage dir: Bald wird Rom nur mehr in den Geschichtsbüchern existieren, – gleich wie der sizilianische Kastanienbaum in den Chroniken dieses Landes.

8 Es ist allerdings wahr, daß an der Stelle, wo nun dieser Baum noch stehet, eine Menge anderer frischer und vollgesunder Bäume stehen könnten; aber so es gerade Gott dem Herrn noch genehm ist, solche Raritäten in der Wirklichkeit bestehen zu lassen, wozu Er sicher Seinen besten Grund hat, wozu sollen sie dann uns genieren, wo wir alle doch wahrhaftig schon gar lange und mit dem besten Gewissen von der Welt von ihnen durchaus keinen Lebensgebrauch gemacht haben, und fürder in alle ewigen Zukünfte noch weniger einen Gebrauch machen werden!

9 Übrigens kommt mir die römische Kirche aber auch so vor, wie eine Glaubensnacht, darum sie bei ihren sogenannten gottesdienstlichen Verrichtungen stets Lichter anzündet zum Zeichen, daß es in ihr auch am hellsten Tage Nacht ist! – Die Nacht aber hat auch ihr entschiedenes Gute, denn sie gibt den Müden Ruhe! – und wo haben die Geistesmüden mehr Ruhe, als in der Nachtkirche Roms? Sie brauchen nichts zu denken, nichts zu forschen, und nicht Vorwärts zu schreiten, sondern ganz ruhig an den Gütern ihrer Mutter (Nacht) teilzunehmen, und sie können ruhig – schlafen! – erwachen sie aber dann vom Schlafe durch irgend einen moralischen oder politischen Rumpler geweckt, so sucht niemand so emsig ein Licht, als eben diejenigen, die sich in der Nacht befinden!

10 Und so glaube ich, dürfte es denn wohl auch sein, daß der Herr aus eben diesem Grunde die römisch-katholischen Nächtlinge duldet, gleichwie die natürliche Nacht neben dem Tage, auf daß die Menschen in dieser Nacht einen desto größeren Appetit nach dem Lichte bekommen sollen! Ich habe mich wenigstens noch allezeit überzeugt, daß die Blinden noch allezeit größere Freunde des Lichtes waren als die Sehenden; und so mag es wohl auch sein, daß aus allen christlichen Glaubenssekten keine so viel nach wahrem Lichte forscht, als eben jene, die das wenigste Licht hat, d.h. die der Nachtkirche zuständigen Bekenner. Ich meine, daraus dürfte euch so ziemlich enleuchtend sein, warum der Herr die alte Römerin duldet, und wozu sie eigentlich gut ist? Habt ihr noch irgend ein Bedenken, so gebet es mir nun ganz offen kund, an der Antwort solle es nicht fehlen.« –


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