Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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40.

Felix Hoffmann.

Eduard Flexan und Elias Kinnaird saßen noch immer in dem Laboratorium des letzteren in der Unterhaltung über den Kapitän des »Blitz« begriffen.

»Sie wollen wissen, wer dieser Felix Hoffmann eigentlich ist,« fuhr Flexan fort, »nun, ich kann Ihnen ganz genaue Auskunft darüber geben. Alles, was Sie über ihn erfahren werden, wird Sie zu der Ueberzeugung bringen, daß Hoffmann ein ganz außerordentlicher Mensch ist. Es ist der größte Fehler, wenn man die Vorzüge seines Feindes unterschätzt, nur dumme Menschen tun dies und ziehen dann meist den kürzeren dabei.«

»Sehr richtig,« gab der Chemiker zu. »Wer seinen Feind unterschätzt, ist ihm gegenüber stets im Nachteil. Betrachten Sie Hoffmann aber als Feind?«

»Nicht als persönlichen. Ich hasse nur alle Menschen, denen vom Glück Reichtümer in den Schoß geworfen worden sind, oder denen es durch Verschlagenheit gelungen ist, sich in den Besitz solcher zu bringen, während mein Vater und ich von Jugend auf nach denselben gerungen haben und doch noch mit leeren Händen dastehen.

Mag diese Denkungsweise moralisch sein oder nicht, die meisten Menschen teilen sie. Aber ich begnüge mich nicht damit, sondern suche das Glück zu zwingen. Ich bin nicht als ein moralischer Mensch erzogen worden, und Gewissensbisse kenne ich daher nicht. Daß wir berechtigt sind, jeden in uns aufsteigenden Wunsch zu befriedigen, ist meine Anschauung, die mir schon in der Jugend eingeimpft worden ist.«

»Das ist auch meine Ansicht,« entgegnete der Chemiker, »nur haben sich meine Wünsche im Laufe der Jahre etwas geändert.«

»Ich weiß es, Ihr einziger Wunsch ist, Ihre Geldhaufen möglichst schnell anwachsen zu lassen, alles andere haben Sie in Ihrem Herzen ausgerottet. Warum nicht? Jeder nach seinem Geschmack! Doch nun lassen Sie uns auf Felix Hoffmann zurückkommen; der Tag wird bald anbrechen, meine Zeit ist kurz.

»Der Vater Felix Hoffmanns war ein Deutscher,« begann Flexan seine Erzählung, »und als Ingenieur in einer Maschinenfabrik beschäftigt. Einst bekam diese Fabrik den Auftrag, auf einer Zuckerplantage im unteren, spanischen Kalifornien eine Maschine aufzustellen, und obgleich Karl Hoffmann der jüngste Techniker in dem Etablissement war, wurde er doch als leitender Monteur dahin gesandt, einmal, weil er der einzige war, welcher vollkommen Spanisch sprach, und dann auch, weil der Besitzer der Fabrik ihn trotz seiner Jugend für den fähigsten Kopf hielt. Daraus können Sie sehen, daß schon dieser ein tüchtiger Mensch gewesen ist.

»Der junge Ingenieur reiste also nach Spanisch-Kalifornien, stellte dort die Maschine zur vollsten Zufriedenheit auf und wollte sich schon wieder nach der Heimat einschiffen, als plötzlich das Gerücht auftauchte, daß ein deutscher Mühlenbesitzer in Kalifornien beim Bau eines Wassergrabens auf eine ungeheure Goldmine gestoßen sei.

»Es war dies der erste Goldfund im Lande, infolgedessen jenes Goldfieber entstand, welches eine Völkerwanderung bewirkte, wie man sie selten gesehen hat.

Karl Hoffmann war als erster an dem Orte, und, im Bergbau bewandert, erkannte er sofort aus der Bodenbeschaffenheit des Landes, daß ganz Kalifornien von Goldadern durchzogen sein müßte.

»Wiederum war er der erste, der mit Spitzhacke und Schaufel hinauszog in die Berge, und dank seinem Glück und seinen Kenntnissen war er nach einem halben Jahre im Besitze eines Vermögens von rund einer Viertelmillion Dollar.«

»Was für schöne Zeiten müssen das gewesen sein!« seufzte Kinnaird, und seine kleinen Augen funkelten wie Kohlen.

»Sie sind vorüber und werden in Kalifornien nicht wiederkommen,« entgegnete Flexan gleichgültig. »Aber noch gibt es Goldadern genug in der Welt, welche der Geschickte ausbeuten kann, wenn auch nicht mit Spitzhacke und Schaufel. Karl Hoffmann war also ein reicher Mann geworden, er hielt sich damals wenigstens für einen solchen, denn eine Viertelmillion Dollar bedeutete für den armen Techniker ein unermeßliches Vermögen, während es seinerzeit in Kalifornien als eine Summe galt, die man am Spieltisch während eines Abends ohne Gewissensbisse verlor.

»Hoffmann reiste nach San Francisco, um sich von den harten Arbeiten des letzten halben Jahres zu erholen. Frisko,San Francisco wird in Amerika fast allgemein Frisco genannt. erst ein unbedeutendes Hafenstädtchen, war bereits wie durch Zauberei zu einer großartigen Stadt geworden. Die Häuser wuchsen wie Pilze aus dem Boden, und darunter waren nicht die wenigsten Vergnügungslokale, Spielhöllen und so weiter, in denen nicht nur Goldgräber und Abenteurer zusammenkamen, sondern welche auch von Plantagenbesitzern der Umgegend dann und wann besucht wurden. Es entstanden prächtige Hotels, in denen die reichen Leute von Kalifornien und Mexiko, die südamerikanischen Industriegrößen und Grundbesitzer aus den umliegenden Staaten mit ihren Familien sich monatlich einfanden, um wenigstens einmal etwas Abwechselung in ihr sonst so eintöniges Leben zu bringen, wenn sie sich auch gesondert hielten und in ihre Kreise keinem zweifelhaften Subjekte Zutritt gestatteten.

»Karl Hoffmann genoß alles, was ihm Frisco bieten konnte, aber mit der dem Deutschen eigenen Vorsicht: er wußte stets Maß zu halten, spielte, ohne viel zu gewinnen oder zu verlieren, und mischte sich in jede Gesellschaft, ohne sich näher mit ihr einzulassen. Ob er es gewollt hat oder ob es Zufall war, weiß ich nicht, aber er fand auch Zutritt in die angesehensten Kreise, und der junge Deutsche, der sich vom gewöhnlichen Goldgräber im Aeußeren nicht unterschied, ward bald der Löwe des Tages. War er nicht im Salon, so stockte die Unterhaltung, und die glutäugigen Schönen hörten nicht auf die Schmeicheleien der Herren, sondern sahen nur nach der Tür, ob der Vermißte nicht bald einträte.

»Mister Kinnaird,« sagte Flexan lächelnd zu dem Chemiker, »haben Sie viel Verkehr mit Damen gehabt?«

»Ich? Nein,« rief der Chemiker erstaunt mit aufgerissenen Aeuglein. »Ich habe nie Zeit gehabt, mich mit Liebelei abzugeben, und ich glaube, mein Buckel hätte mich auch sehr daran gehindert. Wie kommen Sie auf diese seltsame Frage?«

»Sehen Sie,« sagte Flexan, »Sie glauben, es gibt Substanzen, welche nicht zu analysieren sind, und doch wäre das noch eher möglich, als daß man das Herz eines Weibes analysieren kann. Wer es so weit gebracht hat, dem gegenüber halte ich den scharfsinnigsten Chemiker für ein unwissendes Kind.«

»Mag sein,« brummte Kinnaird und beugte sich auf das Holzkohlenfeuer herab, so daß sein brandrotes Gesicht wie ein Karfunkel leuchtete. »Nach allen Beschreibungen nämlich,« fuhr Flexan fort, »die ich über den Vater unseres Hoffmann bekommen habe, muß er ein richtiger Grizzlibär gewesen sein, in Gestalt sowohl als auch im Betragen. Ueber sechs Fuß hoch, mit ungeheuren Tatzen statt Händen, welche von Schwielen durchzogen waren, mit einem Büffelkopf, einer Stumpfnase in dem kupferroten Gesicht, einem furchtbaren Raubtiergebiß – wasserblauen Augen – so zog er in die aristokratische Gesellschaft ein, hatte schon am ersten Tage alle spanischen, amerikanischen und mexikanischen Herren in die Ecke gestellt und war der erklärte Günstling aller Damen, jung und alt.

»Weiß der Teufel, was diese an ihm so besonders anziehend fanden, das weibliche Herz ist eben ein Rätsel. Einen gröberen, flegelhafteren Gesellschafter soll es in Frisco gar nicht gegeben haben als Hoffmann. Sein Umgang hätte eher für Bären gepaßt als für zartnervige Schönen. Einem Herrn, welcher sich am ersten Abend auf dem Klavier produzierte, erklärte er ganz öffentlich, seine Leistungen seien Stümpereien, mit denen er die Zuhörer verschonen sollte. Einer Dame warf er die Geschmacklosigkeit ihrer Kleidung vor, die sie sich erst hatte aus Paris kommen lassen. Seiner Tänzerin trat er mit Vorliebe auf die Füße, und als er von einem Mexikaner gefordert wurde, weil er diesen des falschen Spiels beschuldigte, prügelte er denselben mit seinem Stocke halbtot und setzte ihn dann vor die Tür.

»Ob ihn diese Heldentaten so beliebt machten, oder ob es die Damen reizend fanden, daß er sich gern rittlings auf den Stuhl setzte, den Gebrauch der Serviette verschmähte, oder weil er die früheren Löwen der Gesellschaft ganz ungeniert ›Pomadenbengel‹ titulierte, weiß ich nicht, genug, die Damen schwärmten für diesen deutschen Grobian, und die Herren mußten ihn also nicht nur in ihrer Mitte dulden, sondern ihn sogar mit Achtung behandeln, denn das schwache Geschlecht führt nun einmal das Regiment in der Gesellschaft. »Nach einem Vierteljahr war Karl Hoffmann verlobt und, aller Sitte zum Trotz, nach drei Tagen verheiratet.«

»Wer war die Glückliche, die er als Frau in seine Bärenhohle führte?« kicherte der Alte. »Gewiß ein ähnlicher Charakter, wie er selbst.«

»Es war die Tochter des Don Pedro José Altascarez,« sagte Flexan langsam und mit Nachdruck.

Flexan hatte nicht ohne Absicht so gesprochen, er beobachtete den Eindruck dieser Worte.

Der Chemiker wollte eben aus einer, großen Flasche Säure in die Retorte gießen, aber seine Hände begannen plötzlich zu zittern, die beizende Flüssigkeit gelangte nicht in den Hals des Gefäßes, sie floß ihm über die Hände, und wären diese nicht schon total verbrannt und mit einer Hornhaut versehen gewesen, er hätte die Flasche vor Schmerz fallen lassen müssen. So aber stellte er sie langsam auf den Tisch und schaute den Sprecher an.

»Don Pedro José Altascarez,« flüsterte er. »Die Töchter des Silberkönigs?«

»Eben dieselbe,« entgegnete Flexan, »nur daß damals Altascarez diese Bezeichnung noch nicht verdiente, denn er war nur Plantagenbesitzer.«

»So ist Felix Hoffmann Mitbesitzer jener unzähligen Minen, welche unter dem Namen des Altascarez die Welt mit Silber überschwemmen?«

»Davon später! Wie gesagt, damals war Altascarez nur Plantagenbesitzer in Neu-Mexiko, aber auch schon ein sehr reicher Mann, Er besaß zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Letztere, Manuela, war, mit kurzen Worten gesagt, ein Püppchen, so zart und niedlich, daß ein Hauch sie umwehen konnte, aber eben zu ihr faßte der deutsche Riese eine besondere Zuneigung, und Manuela flog ihm aus Liebe an die Bärenbrust. Die beiden verlobten sich, und der Vater gab seinen Segen dazu.«

»Das wundert mich,« unterbrach ihn der Chemiker, »Don Altascarez soll ein harter, stolzer Mann gewesen sein, der einem Abenteurer nicht so leicht die Hand seiner Tochter gab.«

»Ja, aber er war auch ungeheuer geldgierig, und Hoffmann wußte ihn für sich zu gewinnen. Derselbe hatte nämlich, während er in der Gesellschaft verkehrte, sich in ein Geschäft eingelassen, wegen dessen er von aller Welt für einen verrückten Narren erklärt wurde.

»Er kaufte fast alle verlassenen Klaims auf, die kein Gold mehr lieferten – Sie wissen, die Löcher, in denen Gold gegraben wird, nennt man Klaims – nicht nur die in der Nähe von Frisko liegenden, sondern er machte auch manchmal kleine Reisen, um entfernter liegende, ausgenutzte Klaims sich anzueignen, die er für ein Spottgeld erhielt.

»Was er mit ihnen wollte, wußte niemand. Als ihm aber die Hand Manuelas von deren Vater kurz abgeschlagen wurde, weihte er diesen in seinen Plan ein mit den Worten: Entweder Sie geben mir nun Ihre Tochter, und ich mache Sie nach einigen Jahren zum reichsten Manne Amerikas, oder ich nehme Ihnen Ihre Tochter, und Sie können zusehen, wie ich die gekauften Gruben auszunutzen verstehe.

»Don Altascarez nahm ersteres an, er gab dem deutschen Ingenieur seine Tochter, und dieser hielt Wort.

»Sie haben gehört, daß damals alles, was nicht Gold war, einfach unbenutzt liegen blieb, und dies war hauptsächlich ein goldglänzendes Gestein, welches oftmals lächerliche Verwechselungen hervorrief. Man nannte es Katzengold. Hoffmann hatte es untersucht und gefunden, das es sehr viel Quecksilber enthielt, und er hatte außerdem noch eine Methode entdeckt, durch welche es leicht herausgezogen werden konnte.

»Zum Ausbeuten dieser Quecksilbergruben brauchte er aber eine bedeutende Menge Arbeiter, und diese waren in jener Zeit in Kalifornien nicht aufzutreiben, denn alles wollte in kurzer Zeit auf eigene Faust reich werden, für hundert Dollar den Tag bekam man damals keinen Arbeiter.

»Hoffmann beschloß, ruhig zu warten, bis die Goldgruben, welche offen am Tage lagen, versiegt sein würden. Er sah voraus, daß dies nicht lange mehr dauern könne,, und benutzte nun einstweilen die Zeit, alles Land aufzukaufen, und als seine Geldmittel erschöpft waren, fand er Unterstützung von dem Schwiegervater, der auf den Vorschlag des Ingenieurs einging.

»Hoffmanns Prophezeiungen hatten sich binnen zwei Jahren erfüllt: Kalifornien war von Goldgräbern überschwemmt, die geringe Ausbeute lohnte sich bei den enormen Preisen der Lebensmittel nicht mehr recht, und bald fanden Anfragen nach Arbeit von den hungernden Goldgräbern statt, sie wollten jetzt gern anderweit beschäftigt werden. Jetzt entstanden die Aktienunternehmen und Gesellschaften, von denen das unter, dem Namen Altascarez das größte wurde, dessen Inhaber nur Altascarez selbst und Hoffmann waren.

»Noch immer gebrauchte man zum Entlohnen der Arbeiter ein ungeheures Kapital; das Vermögen der Altascarez, obgleich sehr groß, reichte nicht aus, um alle Klaims auszubeuten; aber sie fingen klein an, erst mit einigen Gruben. Die Quecksilberausbeute rentierte sich kolossal, sie stießen auf Silber und Gold, Silber wurde vorherrschend. Sie kauften immer mehr Boden an, vor Nordamerika bis hinunter nach Südamerika, und während die übrigen Leute noch den sogenannten Raubbau weiterbetrieben, das heißt, die Erde nach Gold untersuchten, verstanden diese beiden, aus den für wertlos gehaltener Steinen mittels eines chemischen Prozesses Quecksilber und Silber zu ziehen. Gold fanden sie nur so nebenbei.

»Jetzt stehen die »Altascarez-Gruben« ohne Beispiel da, und daß man so wenig von ihnen hört und spricht, kommt eben daher, weil das Ganze kein Aktienunternehmen ist, sondern einem Privatmann gehört, der ganz stillschweigend seine Gruben verwalten läßt, ohne sich viel darum zu kümmern, und jährlich nur einmal Einsicht in die Geschäfte nimmt.«

»Und dieser Mann ist Felix Hoffmann, der Kapitän des »Blitz«?« fragte der Chemiker atemlos.

»Jetzt komme ich erst zu diesem,« entgegnete Flexan. »Als sich Karl Hoffmann einmal mit seiner Gemahlin zum Besuch in Deutschland befand, wurde ihm sein erster Sohn geboren, den er Felix nannte. Es soll eine richtige Bärenbrut gewesen sein, dieser Säugling, und seine Mutter, diese zarte, puppenähnliche Person, mußte bei der Geburt dieses großen Kindes ihr Leben lassen. Hoffmann reiste mit seinem Sohne nach Amerika zurück. Kennen Sie Felix Hoffmann, Mister Kinnaird?«

»Nein,« antwortete der Chemiker. »Ich habe ihn wenigstens niemals gesehen.«

»Nun, er hat die vollständige Figur seines Vaters geerbt, nur daß er etwas schlanker geworden ist, daran ist wahrscheinlich die Mutter schuld, und von dieser hat er auch ein gefälliges Gesicht mit zur Welt bekommen. Der Neid muß ihm lassen, daß er ein Mann von recht angenehmem Aeußeren ist.

»Der Junge verbrachte fünf Jahre auf der Hazienda des Don José Altascarez und wurde dann von seinem Vater nach Deutschland geschickt, wo er erzogen werden sollte. Dabei muß ich eines Zuges des alten Hoffmann Erwähnung tun, der ihn so recht als einen pedantischen, närrischen Kauz charakterisiert, wie man solche besonders oft unter den Deutschen findet.

»Der fünfjährige Felix kam nämlich in Deutschland unter die Aufsicht einer Familie, von welcher er aufgezogen und in der Meinung erhalten wurde, er sei der Sohn eines nicht sehr bemittelten, deutschen Ingenieurs, der als Beamter an einer Grube von Altascarez angestellt sei, und als der Sohn eines solchen verbrachte er seine Jugend, wenn auch nicht gerade in Armut, so doch in äußerster Beschränkung. Und in dieser Meinung wurde er bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre erhalten. »Was sagen Sie dazu, Kinnaird?« fragte Flexan den Chemiker. »Ein Mann, der nicht weiß, wie hoch er sein Vermögen schätzen soll, der jährlich Millionen Dollar an seine Arbeiter allein auszahlt, läßt seinen Sohn als ein armes Kind erziehen.«

Der Chemiker zuckte mit den Achseln.

»Für eine gute Erziehung wird er wohl gesorgt haben,« meinte er dann.

»Natürlich. Der Mann, von dem ich das alles zumeist erfahren habe, erzählte mir, der Vater habe bemerkt, daß in seinem Sohne ganz ungewöhnliche Talente lägen, deren Entwicklung unter kleinen Verhältnissen mehr begünstigt würde, als unter glänzenden. Meiner Meinung nach ist dies aber kein Grund, dem Menschen das zu entziehen, was zu genießen ihm vom Glück gestattet worden ist. Nun, das sind Ansichten!

»Als Felix die unteren Schulen hinter sich hatte, studierte er in Berlin auf Wunsch seines Vaters erst Ingenieurwissenschaft, warf sich dann hauptsächlich auf Chemie, machte auch sein Examen als Schiffbauingenieur und beschäftigte sich viel mit Elektrizität, Er muß ein sehr kluger Kopf gewesen sein, denn er soll zweimal Angebote als Lehrer an hohen Schulen bekommen haben, und zwar für ganz verschiedene Fächer, das eine Mal als Lehrer der Elektrizität, das andere Mal als Lehrer der neueren Sprachen. Er schlug diese Angebote aus und begann etwas, was ihm den Ruf eines überschnappten Gelehrten einbrachte.

»Felix zog sich nämlich fast auf ein Jahr an eine abgelegene Küste der Nordsee zurück, bewohnte dort eine Fischerhütte und verbrachte fast den ganzen Tag damit, ein kleines, selbstgemachtes Segelschiffchen auf dem Meere schwimmen zu lassen, so wie es Kinder zu tun pflegen.

»Wie gesagt, man hielt ihn damals für verrückt, für überstudiert; ich glaube aber, daß er sich schon damals mit jener Erfindung beschäftigte, die er jetzt beim »Blitz« angewendet hat. »Während der fünfundzwanzigjährige Mann an der Nordsee mit einem Schiffchen spielte, starb sein Vater in Kalifornien – eine von ihm selbst erfundene Maschine zerquetschte ihn zu Brei. Felix erfuhr von dem Tode seines Vaters, aber ehe er die Aufforderung erhielt, nach Amerika zu kommen und dort die unermeßliche Erbschaft anzutreten, war er spurlos verschwunden. Man sagte, er habe sich als gewöhnlicher Matrose auf einem Segler eingeschifft, einige meinten, weil er sich arm glaubte und die Kosten einer Reise nach Amerika sparen wolle, andere, er habe das Gemüt seiner Mutter ererbt – er hatte dies auch wirklich, zugleich aber auch den kalten Verstand des Vaters – und abermals andere sagten, er sei einfach verrückt.

»Viele Jahre lang blieb Felix verschollen und muß ein rechtes Abenteuerleben geführt haben, wie Sie gleich sehen werden. Der alte Altascarez ließ nichts unversucht, den Erben des alten Hoffmann, der ja eigentlich der Hauptbesitzer der Gruben gewesen war, zu entdecken, aber alle Anfragen und alles Annoncieren blieb fruchtlos. Nur soviel erfuhr man, daß Felix wirklich eine lange Seereise als Matrose gemacht habe, dann aber verlor man auch diese Spur.

»Da kamen im Bighorn-Gebirge die Crow-Indianer wieder einmal auf den Gedanken, daß das Land, auf dem die Weißen hausten, doch eigentlich ihr Eigentum wäre. Sie gruben den rostigen Tomahawk aus, und in den eben noch friedlichen Tälern erscholl plötzlich ihr Kriegsruf, Weiberzetern und Kindergeschrei – die Indianer mordeten und schlachteten alles, was einen Skalp auf dem Kopfe hatte.

»Im Bighorn-Gebirge besaß Don Altascarez nur eine schon sehr alte Mine, die nicht nur eine seiner ertragsfähigsten war, sondern – in deren Nähe auch er, sein Sohn und dessen Familie wohnten. Als der alte Altascarez einst gerade in der Mine war, überfielen die Crow-Indianer sein Haus, machten alles nieder und wandten sich nach der Mine.

»Don José Altascarez war zu schlau, um sich in der Mine einschließen und aushungern zu lassen; er floh mit einigen seiner Leute und wurde von den Indianern hart verfolgt. Er war fast schon verloren, als er auf einen Trupp Indianer eines anderen Stammes traf.

»Nun muß ich noch erwähnen, daß damals in ganz Nordamerika die Sage ging, unter den Indianern lebe ein Weißer als Trapper, Jäger, oder sonst etwas, der unter allen Rothäuten sich des größten Ansehens erfreute. Er war innerhalb zweier Jahre durch ganz Amerika marschiert, jeder Stamm, den er verlassen hatte, sollte ihn wie einen Gott verehren und der nächste ihn schon wie einen solchen erwarten. Von dieser rätselhaften Person, deren Vorhandensein bestritten wurde – er führte einen verteufelt seltsamen Namen, den ich nicht behalten konnte – wurde jener Trupp geführt, um die aufrührerischen Crow-Indianer zu unterdrücken. Altascarez drehte mit ihnen um; unter den Aufrührern entstand ein furchtbares Gemetzel, und am Schlusse desselben erkannte Don Altascarez in dem sechs Fuß hohen, in Felle gekleideten Kerl den Sohn seines Kompagnons, seinen Enkel, Felix Hoffmann. Kurz darauf drückte dieser dem alten Silberkönig die Augen zu und war nun alleiniger Besitzer aller Altascarez-Gruben.«

»Eine Frage,« unterbrach der Chemiker den Erzähler. »Was hatte Felix Hoffmann, ein gebildeter Ingenieur, als Jäger im wilden Westen zu tun?«

»Er hatte sich zwei Jahre allerdings als solcher dort aufgehalten, kehrte aber nicht etwa arm zurück, sondern im Gegenteil, er trug allein in den Taschen seines alten, schäbigen Pelzrockes eine ganz ansehnliche Menge Goldstaub verborgen, und außerdem hatte er noch überall Verstecke, in denen er die gefundenen oder ihm von Häuptlingen geschenkten Schätze an Gold verbarg. Was jetzt dem fleißigsten, glücklichsten Goldgräber nicht mehr gelang, nämlich sich innerhalb einiger Jahre zum reichen Mann zu machen, das war ihm durch sein unstetes Wanderleben gelungen. Wahrscheinlich hatte er es verstanden, durch Experimente die Indianer für sich einzunehmen; vielleicht auch, daß die damaligen Gerüchte wahr waren, daß er wirklich ein so großer Jäger vor dem Herrn gewesen, kurz und gut, er herrschte unter ihnen, und die Indianer, die Hüter der Schätze der Ureinwohner Amerikas, teilten ihm freigebig von ihrem Golde mit.

»Jedenfalls hatte sich Hoffmann nur ein beträchtliches Vermögen sammeln wollen, um zwecks Ausbeutung seiner Erfindungen nicht auf die Hilfe anderer Leute angewiesen zu sein, weil dabei der eigentliche Erfinder stets mit fast leeren Händen das Nachsehen hat. Nicht wahr, Mister Kinnaird, das haben Sie auch schon selbst erfahren?« schob Flexan lächelnd in seine Erzählung ein.

Ein leiser Fluch war die einzige Antwort.

»Jetzt brauchte Felix Hoffmann nicht mehr nach Schätzen zu suchen. Das launische Glück hatte ihm solche in unermeßlicher Fülle in den Schoß geworfen. Er war nun der Silberkönig. Silberkönige, wie man sagt, gibt es gar nicht, sondern nur einen einzigen, und das ist Felix Hoffmann. Aber man glaubt, daß seine Direktoren, welche an der Küste, im Inneren Amerikas, in Wildnissen die Minen leiten, die eigentlichen Besitzer seien, weil sie jede Vollmacht haben. Der Gewinn jedoch fließt in Hoffmanns Kasse, und wie hoch dieser ist, kann er selbst nicht angeben.

»Der junge Silberkönig besichtigte nur schnell seine Minen, nahm einige Verbesserungen darin vor, bei denen er sich als Meister des Bergbaues zeigte, ließ sich die Rechnungen vorlegen, fügte den alten Minen neue hinzu, die er während seiner Irrfahrten entdeckt, und machte sich dann an die Erfüllung seines Lieblingswunsches.

»Für ihn begann ein Jahr der fieberhaftesten Tätigkeit. Er reiste von Land zu Land, von Amerika nach Europa und wieder zurück, besuchte alle größeren Städte und besonders viel Maschinenfabriken, ohne daß dies auffiel oder daß man sich um ihn bekümmert hätte.

»Und doch ging er mit einem großartigen Plane um, den er aber so geheim ausführte, daß der Welt wenig davon bekannt wurde.

»An der Nordostküste von Schottland wurde auf einer einsamen Insel eine Werft gebaut, und dorthin kamen nach und nach alle jene Dinge, die Hoffmann schon längst in Maschinenfabriken bestellt hatte. Panzerplatten, Maschinen und so weiter, alles nach seinen eigenen Zeichnungen und in verschiedenen Ländern angefertigt, so daß man in dem einen Lande nicht wußte, was man da eigentlich für ein seltsames Ding zu schmieden habe, ganz ohne jede Uebersicht der Konstruktion, weil in dem anderen Lande nämlich das Zubehör, welches die betreffende Maschine erst ergänzte, gefertigt wurde.

»Hoffmann läßt sich eben nicht in die Karten sehen.

»Die einzelnen Teile wurden auf der einsamen Werft im Meere zusammengestellt, und der ›Blitz‹ war fertig. Dann entfernte der deutsche Ingenieur alle Leute, die er bisher beschäftigt hatte, und ging mit einigen Maschinenarbeitern, die auch jetzt noch an Bord sind, an die letzte Arbeit: Das Schiff wurde von oben bis unten mit schwarzer Farbe gestrichen, eben jene Substanz, die Sie nicht analysieren können.«

»Es kann keine Farbe sein,« behauptete der Chemiker, »eine solche müßte sich auflösen, und diese Substanz löst sich auch nicht in der stärksten Säure auf.«

»Sagte ich vorhin, er bestrich das Schiff mit Farbe,« entgegnete Flexan, »so mag ich nicht den richtigen Ausdruck gebraucht haben, ich verstehe mich nicht auf solche Sachen. Sicher aber ist, daß eben diese schwarze Substanz, mit welcher der ›Blitz‹ über und über bedeckt ist, dem Schiffe jene wunderbare Kraft verleiht, durch welche es die ganze Welt in Staunen setzt.«

Der Chemiker stimmte bei.

»So ist es, daran ist kein Zweifel,« sagte er, »denn dem elektrischen Strome ausgesetzt, nimmt sie eine graue Farbe an. Aber wie zum Teufel mag sie auf das Schiff aufgetragen worden sein?«

»Diese Frage kann ich Ihnen nicht lösen. Dieses Geheimnis wird ebenfalls das Rezept enthalten, welches ich Ihnen geben werde.«

»Wann?« fragte der Chemiker gespannt.

»Sobald ich es habe,« entgegnete Flexan einfach.

»Wissen Sie, wo er es aufbewahrt?«

»Wir nehmen an, er trägt es stets bei sich.«

»So müßten Sie es ihm also stehlen lassen! Aber nach allem, was Sie mir von Hoffmann erzählt haben, ist er nicht der Mann, der sich etwas wegnehmen läßt.«

»Durch List kann man jede Schwierigkeit besiegen,« entgegnete Flexan, »und können wir ihm das Geheimnis nicht abnehmen, so muß er sterben.«

Der Chemiker hatte das letzte Fläschchen gefüllt, versah jetzt alle sorgsam mit Glasstöpseln und stellte außerdem noch aus Guttapercha einen luftdichten Verschluß her. Dann stellte er die Fläschchen zu einem Paket zusammen und händigte dies Flexan ein.

»So,« sagte er grinsend. »Ist dieses Gebräu alles an den Mann gebracht, so leben einige Menschen weniger auf Erden. Macht nichts, sind genug vorhanden.«

»Der Tag beginnt zu grauen,« entgegnete Flexan mit einem Blick durch die Kellerfenster.

Schüttelnd hüllte Flexan sich in seinen Mantel und reichte dem Chemiker die Hand zum Abschied.

»Wohin gehen Sie jetzt?« fragte der Chemiker. »Müssen Sie wieder reisen?«

»Wo denken Sie hin, Mann, ich will schlafen, schlafen und träumen, daß ich nicht mehr Nächte zu durchwachen brauche, mein Gehirn mit Plänen martern und wie ein Flüchtling mich den beschwerlichsten Reisen unterziehen muß. Vielleicht bekomme ich schon jetzt die Nachricht, daß eine andere Zeit für mich anbricht, dann noch ein Monat mit harten Mühen, und dann, Mister Kinnaird, wollen wir die Früchte derselben genießen.«

Die Kellertür schloß sich hinter ihm.


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