Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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24.

Die Amazonen.

Die Karawane der fünfzig Musungus lag vor den Toren Abomes, noch ehe die Morgensonne die Tautropfen der Steppe getrocknet hatte, aber schon war alles in der Stadt lebendig. Die Neger saßen auf den Dächern ihrer Hütten und beobachteten, die Köpfe hoch emporreckend, die Ankömmlinge, und neben den Totenschädeln auf den Palisaden tauchte hin und wieder der lebendige Krauskopf eines Negerjungen auf.

»Ich werde Mizanza Nachricht erteilen, daß Ihr darum bittet, der Festlichkeit beizuwohnen,« sagte der Torhüter von dem hölzernen Turme herunter zu John Davids, welcher durch Goliath um die Erlaubnis nachgesucht hatte.

Noch ehe er mit der Antwort zurückkam, erschien oben in dem Turmloch ein mit Tüchern verhülltes Gesicht.

»Was wollt ihr hier?« fragte eine tiefe Stimme, die aber John Davids doch als die eines Weibes erkannte. »Ist euch nicht schon gestern abend gesagt worden, ihr hättet heute keinen Zutritt in die Stadt?«

»Wir bringen reiche Geschenke mit,« ließ John Davids durch Goliath antworten.

»Wir brauchen eure Geschenke nicht! Wartet bis morgen!«

John Davids ließ sich jedoch nicht abschrecken, er wartete geduldig, bis der erste Wächter wiederkam. Bald erschien auch dessen Gesicht wieder in dem Fensterrahmen.

»Ihr dürft den Vorstellungen beiwohnen, wenn ihr viele Geschenke mit euch bringt.«

»Wir haben solche für den König.«

»Wieviel?«

John Davids wußte recht gut, wie er sich zu verhalten hatte. Fragte er, wieviel der König haben wolle, so verlangte der Wächter etwas ganz Ungeheuerliches, machte er aber ein Angebot, so schraubte der Vermittler es so hoch hinauf, wie ihm der König vorgeschrieben hatte, und verlangte dann noch etwas mehr für sich selbst.

Also nannte der Engländer eine Anzahl Doti von Baumwollenstoff, Perlen, Draht, Gewehre u. s. w.

»Ich werde den König fragen, ob er damit zufrieden ist,« antwortete der Wächter und verschwand.

Wiederum wußte Davids, daß der Neger gar nicht zum König ging, sondern sich nur einfach hinter dem Fenster verbarg. Mizanza hätte gerade neben ihm stehen müssen, so schnell kam der Kopf wieder zum Vorschein.

»Das ist nicht genug.« Er nannte eine bedeutend höhere Anzahl von Geschenken.

Der Handel ging hin und her, schließlich aber wurden sie einig. John Davids fügte für den Wächter noch ein besonderes Geschenk hinzu, und es wurde ihm gesagt, wenn die Tore geöffnet würden, könnten er, seine Begleiter und alle weißen Mädchen einziehen.

Außerdem aber wurde noch verlangt, daß keiner der Fremden eine Waffe bei sich trüge.

John Davids willigte ein, und eine Stunde später trugen Pagazis die wohl abgewogenen und abgemessenen Geschenke an die Tore, wo sie sofort in Empfang genommen wurden.

Einige Male kamen noch Boten, welche vom König die Nachricht brachten, das oder jenes wäre zu kurz oder zu leicht, schließlich aber war alles in Ordnung, und der letzte Bote brachte noch eine besondere Einladung, daß die Fremden als Gäste der Vorstellung beiwohnen sollten, der König ließ aber noch hinzufügen, daß die bisherigen Geschenke nicht etwa als Tribut zu betrachten seien. Dieser würde er erst morgen in Empfang nehmen.

»Simbawenni möchte uns gar zu gern von ihrer Einweihung fernhalten,« meinte Ellen. »Ich glaube, sie fürchtet ein Eingreifen unsererseits. Der König aber ist zu habgierig.«

»Aber wie sollte sie ahnen, daß wir etwas von ihren unsauberen Geschichten wissen?« sagte ein Mädchen.

»Sie hat eben ein böses Gewissen; vielleicht flüstert ihr auch eine Ahnung etwas ein. Nun, von uns hat sie nichts mehr zu fürchten, denn die rätselhafte Yamyhla scheint ja ihre Sache allein ausfechten zu wollen.«

Als die Tore geöffnet wurden, luden Boten des Königs die Musungus zum Betreten der Stadt ein, und ohne weitere Zeremonie traten die sechsundzwanzig Herren und fünfundzwanzig Damen in die Hüttenstadt ein; der Franzose hatte sich ihnen ebenfalls angeschlossen, nur Hannibal fehlte. Allerdings trug keines sichtbare Waffen, aber jedes hatte in der Tasche einen Revolver; und an eine körperliche Untersuchung war wohl nicht zu denken.

Mitten auf dem Schädelplatze empfingen der König und sein Gefolge die Fremden mit großer Feierlichkeit. Sie versicherten sich gegenseitig der innigsten Freundschaft, der größten Hochachtung, sie sagten sich gegenseitig die größten Schmeicheleien über ihre Macht und ihren Reichtum, kurz und gut, sie tauschten alle jene Redensarten, welche in Afrika ebenso zu Hause sind, wie in Europa oder sonst in der Welt.

Der lange, zeremonielle Empfang war vorüber, und die Gäste wurden nach dem Gerüste geführt, welches eigentlich für das Gefolge bestimmt war, das aber auf einer schnell gezimmerten, tieferen Etage placiert wurde, während der König, nur von seinen Ministern begleitet, mitten zwischen den Weißen, auf dem obersten Gerüste Platz nahm.

Der König sah zufrieden aus; das reiche Geschenk, der morgen zu erwartende Tribut und die Anwesenheit so vieler, mächtiger Musungus zauberten ein beständiges Lächeln auf seine nicht unschönen, schwarzen Züge.

Zur Feier des Tages war er sehr prächtig angezogen, und zur Ehre der Gäste hatte er noch einiges mehr getan. Das rote Gewand, welches sich um seinen Körper schlang, so, daß der rechte Arm entblößt blieb, war vom feinsten Wollstoffe; zusammengehalten wurde es von einer aus vielen Gliedern bestehenden, goldenen Kette, und auf dem wolligen Haar saß ein dicker, goldener Reifen. An Fuß- und Handgelenken klapperten bei jeder Bewegung unzählige silberne und goldene Reifen, und die Finger waren von unten bis oben mit Ringen bedeckt. Im Gürtel trug er den kunstvoll ausgelegten Dolch, das erste Geschenk der Fremden.

Sein Gefolge hatte ebenfalls die besten Gewänder angelegt, und die Eingeborenen, welche den Platz dicht umstanden oder auf den Hüttendächern saßen, wenigstens ihr bestes Lendentuch. Von den Amazonen konnte man noch nichts sehen.

Der große Platz war völlig leer, bis auf das Gerüst, welches den König und seine Gäste aufnahm und ein anderes viel kleineres, welches vor erstürme stand. Beide erhoben sich an einer Seite des Platzes.

Lord Harrlington saß dicht neben dem Könige, und ehe die Vorstellung begann, mußte er unbedingt etwas über Chaushilm erfahren, sonst hatte er keine Ruhe.

Hinter ihm war David, der Führer, als gelegentlicher Dolmetscher placiert, und durch diesen ließ er den König fragen, ob er ihm mitteilen könne, wo der entführte Chaushilm sich befände.

»Seid ohne Sorge um ihn, Bana, (Herr)« antwortete der König, »dein Freund ist zwar nicht hier, aber es geschieht ihm nichts! Eine Manyana ist bei ihm und schützt ihn. Nachher werde ich dir alles erzählen und dir sagen, wie du deinen Freund wiederfinden kannst.«

Harrlington wurde aus dieser Rede nicht klug, er wußte nicht, daß Manyana Amazone bedeutet, aber er hatte keine Zeit, mehr zu fragen, denn der König hob den Arm und winkte – die Vorstellung begann.

Da kam zu beiden Seiten aus einer Hüttengasse ein langer Zug, der nimmer enden wollte. Es waren alles junge Mädchen und Frauen, die jüngste kaum vierzehn Jahre alt, keine aber über dreißig.

Sie waren alle in voller Kriegsrüstung. In der einen Hand trugen sie den zwei Meter hohen Schild, mit weißem Leder überspannt, in der anderen eine Lanze oder ein Schwert und auf dem Rücken Bogen, Pfeile und ein Bündel Wurfspeere.

Diejenigen, welche von rechts den Platz betraten, hatten ein rotes Tuch, die von links Kommenden ein blaues um die Hüften geschlungen, welches bis an die Knie aufgeschürzt war. Der ganze Oberkörper war nackt. Das Haar war hoch aufgetürmt und mit goldenen Bändern durchflochten, welche in der Sonne funkelten, und ebenso glänzte und gleißte Schmuck von allen Körperteilen. Die Füße und Beine trugen goldene Ringe, desgleichen die Handgelenke und Arme; um die Hüften schlang sich ein breites, goldenes Band, das Gewand haltend, und selbst die Schwertgriffe und Lanzenspitzen waren vergoldet.

Es war ein herrlicher Anblick, diese tadellosen Mädchengestalten zu sehen, an denen alles Ebenmaß und Schönheit war, und welche die Glieder den Blicken der Zuschauer unverhüllt darboten. Aber es wurde den an einen solchen Anblick nicht gewöhnten Fremdlingen fast zu viel, dieses fortwährende Hervorströmen der roten und blauen Gestalten aus den engen Gassen, dieses Gleißen und Funkeln des Goldes und der Waffen.

Schon war der Platz fast gefüllt, aber noch immer drängte es sich hervor; lautlos, still, graziös, mit leichten Schritten, Paar nach Paar kamen sie an, nur selten schlugen einmal die Schwerter aneinander.

Der Anblick war sinnbetäubend, die Gäste, besonders die Damen, fühlten einen Schwindel aufsteigen, sie konnten den Anblick dieser glänzenden Massen fast nicht mehr ertragen, einige von ihnen wurden wirklich unwohl.

Die Eingeborenen waren derartige Schauspiele schon gewöhnt. Sie klatschten oder schrieen keinen Beifall, solange nicht das Zeichen dazu gegeben war, und eben diese fast lautlose Stille vermehrte den überwältigenden Eindruck.

In langsamen Schritten zogen die Blauen und Roten au der Tribüne vorüber, jedesmal, wenn sie den König passierten, graziös das Schwert oder die Lanze zu Boden senkend, so ihre Ehrfurcht dem Gebieter, dem sie Treue geschworen hatten, bezeugend.

Dann trennten sie sich wieder und stellten sich, nach Farben geordnet, links und rechts, zu beiden Seiten des Platzes auf. »Fünftausend,« flüsterte Williams Miß Thomson zu, »ich habe sie gezählt.«

»Aber es sind verschiedene Junge eingeschoben, welche noch nicht zu der Truppe gehören,« flüsterte David, der Führer, zu Williams. »Ich vermisse einige. So müßte zum Beispiel die Anführerin der Roten, welche vor ihrer Farbe steht, Kasegora sein, aber sie ist es nicht, es ist ihre Stellvertreterin.«

»Was bedeuten die Farben?« fragte Lord Harrlington.

»Nichts weiter. Es sind eben zwei Abteilungen, deren jede ihre Vorkämpferin hat. Ueber diesen beiden aber steht wieder eine, die erste Anführerin, zu der Simbawenni erhoben werden soll.«

»Ist diese schon dabei?«

»Nein, sie darf sich jetzt noch nicht zeigen. Sie erscheint erst, wenn die führerlosen Amazonen eine Beherrscherin begehren. Es ist ein Spiel, welches Sie nachher sehen und begreifen werden. Da kommt der Sprecher, schade, daß Sie nichts verstehen.«

Viele Könige Afrikas, so auch der König von Dahomeh, halten sich einen Sprecher, einen des Redens besonders kundigen Mann, der das Volk begeistern kann.

Der einfach gekleidete, wirklich intelligent aussehende Mann bestieg das kleinere Gerüst und sprach zu dem lautlos lauschenden Volke und den unbeweglich dastehenden Amazonen.

Mit einem Male unterbrach ein jubelnder Schrei zum ersten Male die Stille, das Volk brüllte, und die Amazonen schlugen die Waffen zusammen, was später noch mehrmals geschah.

»Was hat er gesagt?« fragte Williams.

»Er zählt die Heldentaten der Könige auf,« erwiderte David, der Führer, »und jetzt spricht er von den Amazonen, von ihren ruhmvollen Kämpfen, von ihrer Treue zum König, er zählt die Taten der einzelnen Mädchen auf – da, jetzt nennt er die Namen derjenigen, welche für Mizanza im Kampfe gefallen sind. Sehen Sie, wie die Amazonen die Lanzen schütteln.«

Nachdem der Redner ausgesprochen, begannen die Waffenspiele. Hier konnte man bewundern, welche Fertigkeit eine Person, auch ein Weib, erlangen kann, wenn sie von frühester Jugend an einzig und allein für die Kunst, Lanze, Schwert und Bogen zu handhaben, erzogen wird.

Es war herrlich, zwei solche schlanke, schöne Gestalten zu sehen, wie sie blitzschnell aufeinander zusprangen, die Schwerter schwangen, den Hieben auswichen, die schwarzen Leiber hin- und herwiegend, bald zum Schlage sich vorlegend, bald zum Schütze zurückweichend. Dann plötzlich hielt die Hand, welche eben noch das Schwert gefaßt, einen Speer zum Wurfe erhoben, zischend sauste er durch die Luft, aber er prallte an dem schnell vorgehaltenen Schilde ab.

Der Bogen entsandte Pfeil auf Pfeil, schneller als man zählen konnte, aber stets wurden sie zur Seite geschlagen, oder mit dem Schilde aufgefangen.

Dann wieder sprangen zwei Kämpferinnen mit vorgehaltenen Schilden aufeinander los, stießen zusammen, prallten auseinander und ließen dabei fortwährend die Schwerter zusammenklirren, nicht etwa nur vorsichtig, um Lärm zu machen, sondern jeder Hieb hätte genügt, den Kopf der Gegnerin zu spalten.

Doch selten nur geschah es, daß eine einmal eine leichte Verletzung davontrug, welche sie aber unbeachtet ließ und ruhig an dem ferneren Kampfe teilnahm.

Zwei Lanzenfechterinnen wurden zusammengestellt, und bei diesen konnte man besonders die Behendigkeit im Springen bewundern, denn die Lanze bedrohte meist den unteren Körper; doch immer wußte die Bedrohte mit einem Satze dem Lanzenstiche auszuweichen und fing dann wieder den für die Brust berechneten Stoß mit dem Schilde auf.

Diese Schilde der Krieger von Tahumeh sind mit dickem Büffelleder bespannt, wie die der Kaffern, oder auch wie die einiger Indianerstämme Nordamerikas; die der letzteren sind aber klein und rund, während die in Afrika gebräuchlichen zwei Meter lang und einen Meter breit sind. Das Leder ist so fest und widerstandsfähig, daß es einer Rundkugel vollkommen trotzt, aber in dem Kampfe zwischen den Kaffern und Engländern, Ende der siebziger Jahre, waren letztere nicht wenig erstaunt, auch ihre Spitzkugeln, welche sonst die Haut des Rhinozeros durchbohren, von diesen Schilden machtlos abprallen zu sehen. Die Neger wissen, ebenso wie die Indianer, dem Schilde eine schiefe Stellung zu geben, so daß selbst die Spitzkugeln ihre Wirkung verlieren und abgleiten.

Dann traten die Kämpferinnen sich zwei und zwei gegenüber und unterstützten sich im Angriff wie in der Verteidigung; oft hatte eine sich gegen zwei Schwerter oder gegen ein Schwert und eine Lanze zu schützen; ihnen gesellten sich wieder andere bei, und schließlich kämpfte eine ganze Reihe gegeneinander, wohl fünfzig Amazonen gegen fünfzig andere, ohne die Richtung zu verlieren. Die schwarzen Körper glänzten in der Sonne, der Goldschmuck funkelte, und die Schwerter und Lanzenspitzen warfen Blitze. Auf der einen Seite kämpften stets die Roten, auf der anderen die Blauen.

Die Kämpfe wurden unterbrochen. Die Amazonen, welche schon gefochten hatten, lehnten sich hochatmend auf die Lanzen und ruhten aus, die übrigen erwarteten, mit vor Begierde funkelnden Augen, den Moment, da sie an die Reihe kämen, denn jetzt sollte bald das Schauspiel beginnen, an dem sie alle teilnahmen.

Auch die beiden Vorkämpferinnen waren bis jetzt nur Zuschauer und Schiedsrichter gewesen, sie hatten stets die Scheidenden getrennt und eine als Siegerin erklärt.

Da flog plötzlich von dem Dache der Medizinhütte ein breiter und hoher Goldring, mit Diamanten besetzt durch die Luft und fiel gerade zwischen die beiden Vorkämpferinnen. »Es ist der Kopfputz der Führerin,« flüsterte David, »wer ihn erbeutet, der wird als solche eingesetzt, aber es ist schon ausgemacht, daß ihn keine der beiden bekommt.«

Kaum lag der Kopfputz zwischen ihnen, so stürzten die beiden Vorkämpferinnen auf ihn, als wollten sie ihn aufheben, prallten aber gerade, als sie sich beide nach ihm bückten, mit den Schilden zusammen. Sie richteten sich hoch auf, sahen sich an, und im nächsten Moment klirrten beider Schwerter zusammen.

»Jetzt streiten sie sich um das Zeichen der Herrscherwürde,« erklärte David.

»Wer erhält es?« fragte Ellen.

»Keine von beiden; sie töten sich gegenseitig, doch natürlich nur scheinbar. Passen Sie nur auf!«

Waren die Gäste schon bisher entzückt gewesen über die Kunstfertigkeit der Mädchen im Fechten, so brachen sie beim Anblick, dieser beiden Kämpferinnen in laute Rufe des Entzückens aus. Man sah gar keine Waffen mehr, nur unzählige Blitze schwebten bald über ihren Köpfen, bald um ihre Brust, bald dicht über dem Boden, je nachdem sie die Schwerter schwangen; ihr Vor- und Rückwärtsspringen geschah so schnell, daß man den schwarzen Körpern nicht mehr mit den Blicken folgen konnte, auch konnte man ihre goldenen Ringe nicht mehr unterscheiden, der Schmuck zerfloß in goldene Strahlen. Die Kämpferinnen liefen blitzschnell zurück, stürzten wieder vor, prallten mit den Schilden zusammen, fochten mit unglaublicher Schnelligkeit und sprangen wieder zurück, um einen neuen Anlauf zu machen.

Der Kampf drehte sich stets um den Ring, immer waren sie bemüht, ihn vom Boden aufzuheben, doch wurde die sich schon danach Bückende immer wieder genötigt, davon abzustehen.

Das Volk jubelte laut. Die Amazonen verhielten sich nicht mehr ruhig, sie feuerten ihre Vorkämpferinnen durch begeisternde Zurufe an und schwangen die Waffen in der Luft, und nicht nur der König und sein Gefolge klatschten vor Entzücken in die Hände, auch die Gäste wurden durch dieses Schauspiel zu ähnlichen Beifallsbezeugungen hingerissen.

Daß die blaue Kämpferin die bessere war, war nicht zu verkennen. Oft schon hatte sie ihre Gegnerin so weit zurückgedrängt, daß es ihr möglich gewesen wäre, durch einen schnellen Rücksprung in den Besitz des Ringes zu kommen, aber da dies nicht der Vorschrift des Spiels gemäß gewesen wäre, so ließ sie eine solche Gelegenheit stets vorübergehen.

»Wenn Kasegora da wäre,« flüsterte David wieder, »da hätten Sie einmal eine Fechterin sehen können! Dann wäre die Blaue diejenige, welche immer zurückgedrängt würde. Wunderbar, daß Kasegora nicht da ist, sie muß krank sein. Schade! Jammerschade!«

»Ist Kasegora eine so gute Fechterin?« fragte Ellen.

»Eine sehr gute, fast die beste.«

»Und Simbawenni?«

»Die ist auch eine sehr gute, aber mit Kasegora kann sie sich, im Schwertkampf wenigstens, nicht messen, denn dazu gehört mehr Kunst, und Simbawenni ist weniger stark, aber sehr gewandt. Sie versteht viele Kniffe, durch welche sie gewöhnlich siegt.«

»Wie kommt es denn aber, daß Simbawenni zur Führerin gewählt wird, wenn sie nicht die beste ist?« fragte Ellen weiter.

David lächelte schlau.

»Sie ist listig, wie keine andere, und sie ist ja auch die Lieblingsfrau des Königs. Ueberdies ist sie nach Kasegora die beste Fechterin.«

»Wer ist die blaue Vorkämpferin?«

»Ulimenga, sie soll eine Feindin der Kasegora sein und der Simbawenni beste Freundin. Möglich,« fügte David nachdenkend hinzu, »daß Kasegora darum nicht hier ist, weil sie mit Ulimenga nicht kämpfen will, es sei denn auf Leben und Tod. Auch soll sie die Simbawenni nicht leiden mögen und will vielleicht nicht zu Ehren von deren Erhebung fechten.«

»Ich möchte Simbawenni gern einmal fechten sehen,« sagte Ellen.

»Das wäre sehr schön, sie kann springen, wie keine zweite. Aber,« fuhr David fort, »Sie hätten Yamyhla sehen sollen, welche vor zwei Jahren in die Sklaverei gehen mußte! Der konnten weder Simbawenni noch Ulimenga das Wasser reichen, sie hätte gegen die besten Amazonen zu gleicher Zeit kämpfen können.«

Die Anwesenheit Yamyhlas bei der Karawane war geheimgehalten worden, und so hatte niemand erfahren, daß die einstige Anführerin der Amazonen in ihrer Heimat sei, mit Ausnahme Ngaraisos, des Medizinmannes.

Ellen lächelte, als David im Lobe Yamyhlas überfloß und es bedauerte, sie nicht hier sehen zu können.

Doch jetzt mußten sie ihre Aufmerksamkeit wieder den beiden Fechterinnen zuwenden, welche sich noch immer um den Kopfschmuck stritten, denn sicher trat bald eine Wendung ein.

Die Bewegungen der beiden Fechterinnen wurden nach und nach langsamer, die Schwerter begannen schon weniger oft zusammenzuschlagen, beide Mädchen fingen an zu taumeln, und plötzlich stürzten die Blaue sowohl, wie die Rote zu Boden, sich tot stellend.

Dies war das Zeichen für die Umstehenden.

Den Kriegsruf ausstoßend, stürzten sie plötzlich mit vorgehaltenen Schilden aufeinander los, die Roten gegen die Blauen. Wie Blitze sausten die Schwerter durch die Luft, die zusammenprallenden Schilde gaben den Donner dazu, und das gellende Kriegsgeschrei glich dem Heulen des Sturmes.

Es war ein nervenerschütterndes Schauspiel, diese fünftausend funkelnden Gestalten miteinander kämpfen zu sehen.

Der Kampf drehte sich hauptsächlich um den Platz, wo der Kopfschmuck lag. Jede versuchte, zu ihm zu gelangen, und bald löste sich dadurch auch die Ordnung der Farben. Blau kämpfte nicht mehr gegen Rot, sondern eine Farbe kämpfte gegen die eigene, eine blaue Amazone gegen eine blaue, eine rote gegen eine rote, alles löste sich in ein wildes Durcheinander auf, die Mädchen stürzten zu Boden, absichtlich oder wirklich verwundet – man wußte es nicht – über ihre Leiber hinweg stürmten die Kämpfenden, dem Ringe zustrebend, sie standen auf den Leichen und schwangen die Lanzen, bis auch sie neben jene hinfielen.

Es war schrecklich, nervenerschütternd!

Endlich, wie auf ein geheimes Zeichen, verstummte der Kampf plötzlich, über die Hälfte der Amazonen lag am Boden, die anderen lehnten sich atemlos auf die Lanzen oder stützten sich auf die langen, krummen Schwerter. An einigen floß wirklich das Blut herab, und an verschiedenen Stellen war der Boden gerötet. Nicht alle, welche am Boden lagen, hatten sich aus Verstellung hingeworfen, manche konnten wohl nicht wieder aufstehen – so glaubten wenigstens die Gäste.

Der Ring lag noch immer auf derselben Stelle. Niemand hatte ihn aufzuheben vermocht.

Jetzt trat der Sprecher wieder auf das kleine Gerüst, diesmal sich aber nicht zu dem Volke, sondern zum Könige wendend, und hielt eine lange Rede, wobei er von den noch lebenden Amazonen oft durch Beifallsrufe unterbrochen wurde.

»Die Amazonen wünschen eine Führerin,« erklärte David, »sie sagen, keine wäre unter ihnen, welche die Führerkrone erlangen könne, sie würden sich noch alle töten, wenn der König ihnen nicht eine Herrscherin wähle, welche würdig wäre, die Krone zu tragen.«

Der Sprecher verließ das Gerüst, die Leiter herabkletternd, und sofort trat aus dem Gefolge des Königs eine Gestalt hervor und stand mit einem leichten Sprunge auf der Tribüne.

Es war Simbawenni.

Sie trug keine Waffen, sonst war sie ebenso wie die übrigen Amazonen geschmückt und gekleidet, nur daß ihr den Unterkörper verhüllendes Gewand aus roten und blauen Streifen zusammengesetzt war, somit andeutend, daß sie sowohl über die Blauen, als auch über die Roten herrschen werde.

Sie wendete sich erst zu dem Könige, verneigte, sich mit gekreuzten Armen demütig vor ihrem Gebieter und drehte sich dann den Amazonen zu, welche bis jetzt noch keine Freude zu erkennen gaben, sondern regungslos so blieben, wie sie eben standen oder lagen.

Da öffnete sich die Tür der Medizinhütte, und heraus trat eine sonderbar aufgeputzte Gestalt, in bunte, mit Malereien bedeckte Tücher gehüllt, auf dem Kopfe einen merkwürdigen Aufputz von Hörnern und Geweihen, vor dem Gesicht eine scheußliche Teufelsfratze, und in der Hand jene Zauberkeule, welcher schon einmal Erwähnung getan wurde.

»Ngaraiso,« erklärte David, »er holt jetzt den Ring und krönt damit Simbawenni. Dann erst zollen ihr die Amazonen und das Volk grenzenlosen Beifall.«

Der Medizinmann, der durch den hohen Kopfschmuck sehr groß erschien, bewegte sich hüpfend und tanzend nach dem Platze, sprang über die gefallenen Amazonen hinweg, drehte sich im Kreise und schwang dabei fortwährend die Keule umher. Als er bei dem Ringe anlangte, drehte er sich wieder mehrere Male um sich selbst und bewegte sich dann unter seltsamen Wendungen auf das Gerüst zu, auf welchem Simbawenni stand und ihn erwartete.

Der Medizinmann, in der einen Hand die Keule, in der anderen den Kopfschmuck, bestieg, ohne sich der Hände zu bedienen, die Leiter und betrat das Gerüst, sich dann unter Zaubersprüchen und Verrenkungen des Körpers um das Mädchen herumbewegend.

Jetzt blieb er vor Simbawenni stehen, ließ die Keule fallen und erhob den Ring,

Des schwarzen Mädchens Züge strahlten vor Entzücken, jetzt endlich war der Augenblick gekommen, da sie Anführerin der Amazonen wurde, eine Stellung, welche der eines Königs glich.

Schon senkte sich des Zauberers Hand, um ihr den Schmuck auf den Kopf zu drücken, da plötzlich ließ er den Ring über seinen Arm gleiten, blitzschnell griff er in ihr Haar, mit der anderen Hand in sein Gewand, ein heller Stahl sauste durch die Luft, ein Körper stürzte vom Gerüst, ein buntes Kleid und eine Maske folgten ihm nach und auf dem Gerüst stand hochaufgerichtet – Yamyhla, in ihrer Amazonentracht, dem rot- und blaugestreiften Kleide der Führerin, in der einen Hand ein kleines krummes Schwert und in der anderen das abgeschlagene Haupt Simbawennis hoch emporhaltend, es nach allen Seiten hin zeigend.

Dann schleuderte sie den Kopf dem Körper nach und setzte sich selbst den Schmuck auf.

Ein tausendstimmiger Schrei des Entsetzens erschallte ringsum, er wurde beantwortet von den Zuschauern auf der Tribüne, die vom Blute der Ermordeten bespritzt worden waren.

Einige Sekunden blieben alle wie gelähmt stehen; nichts geschah, nichts war hörbar, dann aber, als Yamyhla mit lauter Stimme etwas gerufen hatte, kam plötzlich Bewegung in die Erstarrten. Der König stand auf, die Volksmenge wogte hin und her; am allermeisten Tumult entstand aber unter den Amazonen.

Kaum war Yamyhlas Stimme erschollen, so sprangen plötzlich wie auf Kommando alle am Boden liegenden Amazonen auf und drängten sich mit den schon Stehenden nach dem Gerüste hin, auf dem Yamyhla noch stand, nur wenige von ihnen blieben zurück, meist blaue.

Da stieß plötzlich Yamyhla das gellende Kriegsgeheul der Amazonen aus, was aus Tausenden von Kehlen Widerhall fand, war mit einem Sprunge an der Spitze der Viertausend und drang mit erhobenem Schwert auf die übrigen ein. Was vorhin nur ein Kriegsspiel gewesen war, das wurde jetzt Wirklichkeit, das Kriegsgeschrei vermischte sich mit Wehegeheul – auf dem Platze entstand eine Metzelei, ohne daß die Zuschauer eine Ahnung davon hatten, daß dies kein Scheinkampf war.

Die überraschten Amazonen hoben zwar auch die Waffen, um den auf sie Einstürmenden zu begegnen, aber sie konnten dem heftigen Anprall nicht widerstehen, ihre Waffenkunst nutzte ihnen jetzt nichts mehr.

Wie Berserker, den furchtbaren Schlachtruf auf den Lippen, so stürzten die Amazonen auf sie los, allen voran Yamyhla, wie eine Kriegsgöttin anzusehen. Ihr Schwert glich der Sense des Todes; jeder Hieb mähte Köpfe ab, es half kein Schild, kein Gegenhieb, dem kräftigen Arme der Führerin war niemand gewachsen. Und auch die anderen Amazonen, welche Yamyhla folgten, hausten wie Würgengel.

Nach einigen Minuten war nicht eine einzige von denjenigen noch am Leben, welche sich nicht zu Yamyhla gedrängt hatten – es war alles ein verabredeter Plan gewesen.

»Entsetzlich!« stöhnten die weißen Gäste auf dem Gerüst, die als Zuschauer diesem furchtbaren Gemetzel beiwohnen mußten.

Einige Herren und Damen waren aufgesprungen, um das Gerüst wenigstens zu verlassen, aber die Ruhigen drangen mit ihrem Rate durch, vorläufig sich ganz ruhig zu verhalten und vor allen Dingen sich teilnahmlos zu stellen, denn leicht konnte sich sonst die Wut gegen sie kehren.

Die umstehenden Neger waren unterdes nicht alle nur Zuschauer gewesen; viele hatten sich entfernt, und plötzlich starrte der Platz ringsum von Waffen, die Schilde wurden geschwenkt, und alle, welche so kriegerisch auftraten, schrieen wieder und wieder jauchzend den Namen Yamyhla, damit andeutend, daß diejenigen, welche Yamyhla nicht als Führerin anerkennen wollten, dasselbe Schicksal wie die gegnerischen Amazonen zu erwarten hätten.

Ngaraiso hatte die Fackel des Aufruhrs unter die Krieger und Amazonen geworfen, er hatte von der Rückkehr Yamyhlas erzählt, und mit wenigen Ausnahmen wurde die rechtmäßige Anführerin der Amazonen von ihren Stammesgenossen mit unbeschreiblicher Freude begrüßt.

Die der neuen Anführerin feindlich gesinnten Amazonen lagen verblutet auf dem Wahlplatze, auch unter den Negern waren einige heftige Zusammenstöße vorgekommen, aber die Ruhe war wiederhergestellt.

Im Triumphe wurde Yamyhla auf den Schilden emporgehoben und den Amazonen und Eingeborenen gezeigt; ein nicht enden wollender Jubel begrüßte sie; von, Mund zu Mund ging das Gerücht, wie Simbawenni nur durch schamlosen Betrug jenen Streit gewonnen hatte, wegen dessen sie heute bald zur Anführerin gewählt worden wäre. Es wurde nicht gefragt, ob diese Gerüchte wahr seien, man glaubte ihnen. Ngaraiso behauptete es, Yamyhla sagte es, und der erschrockene König gab zu, daß Yamyhla eigentlich die Herrscherwürde über die Amazonen verdient hätte.

Er war froh, daß die zurückgekehrte Yamyhla nicht auch gegen ihn feindlich auftrat, sondern ihren Rücken demütig vor ihm beugte und sich seiner Macht unterstellte, denn heute hätte sie selbst über ihn Gewalt gehabt. Er empfing sie daher freundlich und bestätigte sie als Führerin seiner Amazonen.

Dann wandte sich die Aufmerksamkeit der Amazonen und des Volkes zugleich plötzlich von der umdrängten Yamyhla ab und den fremden Gästen zu, ein donnerndes Geschrei und helles Waffenklirren erschütterte die Luft, die wogende Menge drängte sich um das Gerüst, nicht um den König und die Großen des Hofes, sondern um den Musungus, den weißen Gästen, ihre Anerkennung zu zollen, denn von Yamyhla hatten sie erfahren, daß nur diese es gewesen seien, welche die Rückkehr der Anführerin ermöglicht hatten.

Yamyhla selbst mußte die Amazonen abhalten, daß sie in ihrer Freude nicht die Gäste auf die Schilde hoben und auf dem Platze umhertrugen, aber sie konnte nicht verhindern, daß das Volk sie umdrängte und mit lärmendem Jubelgeschrei begrüßte.

Der König war unfähig, sich seinen Gästen ferner zu widmen, erst jetzt erfuhr er nach und nach von einigen aus seinen Gefolge, welcher Mißmut unter seinen Leuten und ganz besonders unter den Amazonen geherrscht habe, und zwar einzig und allein Simbawennis wegen, weil diese unbeliebte Amazone Anführerin werden sollte, und weil man fürchtete, daß dieses Weib seine Macht mißbrauchen würde. Wäre Yamyhla nicht plötzlich erschienen, wer weiß, ob sich die längst schon angesammelte, allgemeine Wut nicht gegen ihn selbst gerichtet hätte, gegen Simbawenni aber sicher. Aber da Yamyhla dem Könige Gehorsam zeigte, so hatte dieser nichts mehr zu fürchten, sie beherrschte Amazonen und Krieger vollkommen.

Sobald es die Umstände erlaubten, entfernten sich unsere Freunde und begaben sich nach ihrem Lager zurück. Sie waren zu aufgeregt, um der nachfolgenden Schmauserei und dem Zechgelage beizuwohnen. Wo eben tausend Menschen niedergemetzelt worden waren, da wurden jetzt ebensoviel Stück Vieh abgeschlachtet, kaum, daß der Platz von den Leichen gesäubert worden war. Das Blut der letzteren vermischte sich mit dem der ersteren.

Die Herren, wie die Mädchen wanderten unbefriedigt in ihren Zelten auf und ab.

»Keine einzige Mitteilung konnte ich über Chaushilm erhalten,« sagte Lord Harrlington zu seinen Freunden. »Niemand wollte mir Rede stehen, Yamyhla und wieder Yamyhla, das war das einzige, worüber man sich mit den Leuten unterhalten konnte.«

»Sie wird nicht lange auf sich warten lassen,« entgegnete Ellen, »sobald sie abkommen kann, wird sie ihre alten Freundinnen aufsuchen. Ein Glück ist es, daß dieser Ngaraiso ein aufgeklärter Mann ist, mit dem man reden kann; mit seiner und Yamyhlas Hilfe wird es uns leicht sein, Marquis Chaushilm wieder aufzufinden, sei er tot oder lebendig.«

Nicht lange dauerte es, so bewegte sich aus den Toren der Stadt ein schier endloser Zug von Weibern, aber keine Amazonen, welche alle Körbchen oder Holzschalen auf ihren Köpfen trugen.

»Als Dank für Yamyhlas Errettung vom König Mizanza, dem mächtigsten Herrscher des Westens, den Weißen Fremdlingen als Geschenk,« das war ungefähr der Sinn, welcher in der langen, überschwenglichen Rede des sprachgewandten Boten lag, ehe die Weiber ihre Geschenke abluden.

Die Körbe und Schalen enthielten Hammel-, Ziegen- und Rindfleisch; alle Sorten Geflügel und Wild, Bohnen, Reis, Mais, Durra und andere Hülsenfrüchte, so viel, daß die ganze Karawane wohl acht Tage davon hätte leben können.

Die Weiber kehrten mit reichen Gegengeschenken an Stoff, Perlen und Draht zurück, und dann machten sich Weiße, wie Schwarze an die Zubereitung des Mahles, denn in Afrika kann man selten im Genusse des Fleisches schwelgen; Schlachtvieh ist nicht immer genügend aufzutreiben, und Wild in bewohnteren Gegenden zu schwer zu schießen, um eine ganze Karawane damit ernähren zu können.

Hatten aber die Weißen geglaubt, diese Vorräte würden eventuell acht Tage reichen, so gaben sie doch bald ihren Irrtum zu, denn hier sahen sie zum ersten Male, was ein Neger im Essen leisten kann, wenn er Ueberfluß davon hat. Die Vorräte wären noch in derselben Nacht vertilgt worden, hätte man den Schwarzen nicht die Reste aus den Zähnen gerückt.

Es ist eine Tatsache, daß acht Neger einen ganzen Ochsen innerhalb einer Nacht auffressen können, ohne Magendrücken hinterher zu verspüren; unsere Kolonisten in Afrika können davon zeugen.

Gegen Abend wurden auch einige Fässer Pembe ins Lager gerollt, zum Jubel der Pagazis, und je mehr diese infolge des berauschenden Getränkes zu lärmen begannen, umsomehr stieg auch der Tumult in der Hüttenstadt, nur in vergrößertem Maßstabe, denn dort fand jetzt ein Zechgelage statt.

Als das Geschrei und Geheul der tanzenden Neger in der Stadt schon gar nicht mehr menschlich klang – es war gegen Abend – erschienen im Lager zwei vermummte Gestalten, welche sich jedoch bei Eintritt in das Zeltlager sofort zu erkennen gaben – Yamyhla und Ngaraiso.

Als die erste Begrüßung vorüber war, fragte Lord Harrlington nach Marquis Chaushilm.

»Der ist von Kasegora, einer Amazone und Vorkämpferin, geheiratet worden,« erklärte Yamyhla mit gewöhnlichem Ernst.

Die Herren und Damen brachen in Rufe des Erstaunens aus, sie glaubten, das Mädchen treibe Scherz mit ihnen, bis dieses es ihnen nochmals versicherte und den Hergang so erzählte, wie sie ihn selber zu hören bekommen hatte.

»Kasegora war die ärgste Feindin Simbawennis,« fuhr Yamyhla fort, »und diese wußte, daß eben dieses Mädchen sie gern stürzen möchte und es auch getan hätte, sobald Simbawenni Anführerin war. Letztere suchte immer Streit mit Kasegora, um diese zu einer unvorsichtigen Tat gegen sie selbst zu verleiten, und dann würde der König Kasegoras Haupt haben fallen lassen, denn er betrachtete Simbawenni schon als Anführerin der Amazonen, obgleich sie es noch gar nicht war. Aber Kasegora war vorsichtig und ließ sich nie etwas zu schulden kommen, denn der Aufstand gegen Simbawenni war unter den Amazonen noch nicht völlig zu stande gekommen. Da erfuhr Simbawenni, daß Kasegora einen Weißen, welcher eine Medizin, die Totenschädel von drei Zauberern, beleidigt hatte und deshalb hätte sterben müssen, durch Heirat vom Tode befreit habe; sie begab sich nach der Hütte der Feindin und forderte von ihr, sie solle den Weißen, Marquis Chaushilm, wieder verstoßen und ihn somit dem Tode überliefern. Kasegora weigerte sich; sie wurde heftig gegen Simbawenni, und schließlich entfernte sich diese, den Vorfall dem Könige anzuzeigen. Kurz entschlossen entfloh Kasegora einige Minuten vorher, ehe der König Amazonen ausschicken konnte, um sie zu fesseln.

»Und Chaushilm?« fragte Ellen.

»Den nahm sie mit.«

»Warum?«

»Weil sie ihn liebte.«

Die Zuhörer waren sprachlos über diese Worte, welche Yamyhla ruhig, ernst und bestimmt aussprach.

»Woraus schließt du, daß Kasegora den Fremden liebte, den sie vorher noch nie gesehen hatte?« fragte Ellen endlich wieder.

Yamyhla lächelte.

»Sonst würde sie ihn nicht durch Heirat vom Tode gerettet haben,« entgegnete sie. »Sie hätte Simbawenni nicht getrotzt und hätte Chaushilm nicht mitgenommen.«

Der Beweis war überzeugend.

»Wie kann aber Kasegora jemanden heiraten, den sie zum ersten Male sieht?«

»Die Amazone heiratet den, der ihr gefällt,« sagte Yamyhla einfach.

»Ist diese Ehe unlöslich?« fragte Harrlington.

Yamyhla antwortete nicht, weil sie diese Frage nicht verstand, aber Hannibal erklärte, daß dies nicht der Fall sei, das Zerschlagen der Krüge bedeute zwar eine Heirat, diese könne aber jederzeit wieder aufgelöst werden.

»Und wohin mag Kasegora mit Chaushilm geflohen sein?« fragte Harrlington weiter.

»Nach Tabua, einer Stadt im Staate Ryffi, zehn Tagereisen von hier, aber eine Karawane braucht mindestens sechzehn Tage.« »Warum glaubst du dies? Hat sie jemandem etwas davon gesagt?«

»Nein, aber ich weiß, daß Kasegora nur zwei Blutsfreunde hat, mich und den Häuptling von Tabua. Zu letzterem ist sie auf jeden Fall geflohen, sie hat zwei Pferde mitgenommen. Wenn sie gewußt hätte, daß ich zurückgekehrt sei, so hätte sie mich erwartet und wäre nicht geflohen.«

»So müssen wir nach Tabua ziehen,« wendete sich Harrlington an die Umstehenden.

»Doch sag', Yamyhla,« fragte er wieder die Amazone, »hast du gehört, ob Chaushilm ihr willig gefolgt ist? Das wäre doch sehr sonderbar.«

Yamyhla zuckte die vollen Schultern, und ein spöttisches Lächeln huschte über ihr bronzefarbenes Gesicht.

»Dann wird Kasegora den kleinen Engländer eben gezwungen haben, ihr zu folgen.«

Die Anwesenden hörten das bestürzt.

»So ist auch anzunehmen, daß Kasegora ihren Geliebten nicht gutwillig wieder ausliefern wird!« rief Harrlington niedergeschlagen. Er sah schon eine Kette von Mühseligkeiten vor seinen Augen, deren Ueberwindung Tod und Vernichtung nach sich ziehen konnte.

»Ich kann nicht einsehen, warum Kasegora den Mann, den sie liebt, nicht besitzen soll,« entgegnete Yamyhla. »Aber ich war schon zu lange unter euch, um nicht gelernt zu haben, daß eine solche Heirat für den Engländer eine Unmöglichkeit ist, und daher werde ich selbst mein Möglichstes tun, um euch euren Freund ohne Anwendung von Gewalt wieder zuzuführen. Ich bin Kasegoras beste Freundin, vielleicht hört sie auf meine Bitte, und tut sie es nicht, so muß Ngaraiso seine Macht anwenden. Ich glaube nicht, daß sie dieser trotzen wird.«

»Kasegora ist sehr abergläubisch,« flüsterte der Medizinmann Harrlington zu.

»Eure Führer wissen den Weg nach Tabua,« fuhr Yamyhla fort, »so folgt ihnen, sobald ihr könnt. Ich muß unbedingt noch hier bleiben, um den ferneren Festlichkeiten beizuwohnen, aber sobald ich kann, stoße ich mit einer bewaffneten Macht zu euch. Unterdes sende ich berittene Eilboten nach Tabua, damit diese sich erkundigen, ob Kasegora dort schon eingetroffen ist, vielleicht treffen sie dieselbe noch auf dem Wege, auf jeden Fall aber erhalte ich von den Boten bestimmte Nachricht. Erfährt Kasegora, daß ich Anführerin geworden bin, so wird sie zurückkehren, und ihr werdet sie unterwegs treffen. Also seid gutes Mutes.«

Ngaraiso hatte unterdessen dem aufmerksam zuhörenden Williams erzählt, wie er den Amazonen, von denen er wußte, daß sie Simbawenni nicht als Anführerin wünschten, von Yamyhlas Rückkehr erzählt habe, und wie enthusiastisch diese Nachricht aufgenommen worden sei. Er selbst hatte noch gar keine Ahnung davon gehabt, daß nicht nur unter den Amazonen, sondern auch unter allen Kriegern von Dahomeh ein förmlicher Aufstand geplant war, um die Weiberherrschaft abzuschütteln, denn Mizanza folgte einzig und allein den Ratschlägen seiner Lieblingsfrau Simbawenni.

Am Tage des Festes sollte diese Wirtschaft aufhören. Simbawenni mußte fallen, mit ihr alle ihr anhängenden Amazonen, und vielleicht auch die Krieger, welche mit der Erhebung Yamyhlas nicht einverstanden waren.

Mit der Enthauptung Simbawennis gab Yamyhla das Zeichen zum Niedermetzeln der völlig Ahnungslosen, aber, sagte Ngaraiso, es wäre noch nicht so blutig abgegangen, wie es zu erwarten gewesen wäre, denn die an Simbawenni hängenden Männer hätten sich ruhig verhalten.

Die beiden Neger verabschiedeten sich herzlich von den weißen Fremdlingen. Mit dem Wunsche baldigen Wiedersehens schlugen sie die Tücher wieder um sich und verließen das Lager.

Der alte Zauberer schritt jetzt freundlich an der Seite derjenigen, welche er einst durch seine Hilfe gestürzt hatte, aber Yamyhla zürnte ihm nicht mehr, er hatte seine früheren Vergehen wieder gutzumachen gesucht. Ngaraiso stand seit dem letzten Regenfall, dem bald ein anderer nachzufolgen schien, in hoher Gunst bei dem Volke, er hätte selbst vermocht, den ganzen Aufstand zu dämpfen, ohne ihn wäre Yamyhla nicht als Führerin anerkannt worden, denn die Dahomehneger sind maßlos abergläubisch, und selbst die Amazonen hätten ihm gehorcht, weil diese zum Waffenglück seinen Segen brauchten.

Als Harrlington sein Zelt betrat, fand er Hannibal auf seines Herrn Segeltuchstuhl sitzen und eine Pfeife rauchen.

»Nun, Hannibal,« redete ihn Harrlington freundlich an, »hast du keine Lust, bei deinen Landsleuten zu bleiben? Du kannst beim König leicht einen hohen Rang einnehmen und erster Minister werden.«

»Hannibal ist noch immer derjenige, welcher den Dahomehnegern den Branntwein zu trinken gegeben hat,« sagte er kopfschüttelnd, »Ngaraiso oder ich, einer von uns beiden muß getötet werden.«

»Ach was! Ngaraiso, dieser alte Fuchs wird Mittel und Wege finden, um deine Ehre wiederherzustellen, ohne sich selbst oder überhaupt jemanden zu beschuldigen. Er sagt einfach, ein Gott hat ihnen den Branntwein verabreicht, du bist unschuldig, und die Geschichte ist abgetan.«

Hannibal lächelte schlau,

»Hm,« meinte er, »Minister des Königs ist ja ein ganz schöner Posten, aber glauben Sie denn, Lord, ein Mann wie ich, mit solchen Kenntnissen und solcher Bildung, passe noch unter dieses Volk? Minister von Dahmneh, bah, jeder dumme Junge kann das werden! Nein, nein, Lord, Sie wollen mich nur versuchen, ich weiß ganz genau, wie sehr Sie mich bei sich zu behalten wünschen, damit ich Ihnen mit meinen Kenntnissen aushelfen kann.«

Und Hannibal zog ein Futteral aus der Tasche, entnahm demselben eine riesige Hornbrille, setzte sie auf seine Nase, nahm vom Tisch ein aufgeschlagenes Buch und begann mit hochweiser Miene das Papier anzustarren, denn Lesen hatte er leider noch nicht gelernt.


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