Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25.

Jägerleben.

Blicke nach Norden und Osten! Wald, Wald und nichts als Wald, ein großer, unendlicher Wald zieht sich hin, so weit das Auge von dem Bergrücken, der von Granitblöcken starrt, reicht, einem Ozean vergleichbar, denn wie das Meer hebt und senkt es sich in grünen Wellen. Hier und da erhebt sich eine mächtige Welle, von einem höheren Baume erzeugt, der sich über die anderen emporreckt, und in der Ferne nimmt man die Umrisse von belaubten Hügeln wahr.

Ueber dem Ganzen schwebt ein warmer Nebel, der, in der Nähe durchsichtig, am Horizont sich zu einem dunklen Blau verdichtet, welcher die Hügel und Berge nur in schattenhaften Konturen sehen läßt.

Das ist das Bild, welches man in Afrika immer und immer wieder genießen kann, so oft man einen Hügel ersteigt, welcher eine Fernsicht gestattet, und hat man ihn auf der anderen Seite wieder verlassen, so kann man auf zweierlei Arten von Landschaften stoßen.

Entweder hat man gar keine Aussicht, weil der Wald mit hohem, undurchdringlichen Unterholz bewachsen ist – an den Bäumen winden sich Schlingpflanzen empor, und stachlige Büsche versuchen den Reisenden von allen Seiten festzuhalten – der Boden ist meist sumpfig, und es herrscht ein ungesundes Klima – das Fieber ist hier zu Hause – oder aber man wähnt sich beim Abstieg vom Hügel in einem Parke zu befinden. Die Bäume stehen weit voneinander, so daß sich nur ihr Laubgeäst gegenseitig berührt, selbst bei Tag ein angenehmes Zwielicht hervorzaubernd, der Boden ist mit dem köstlichsten Rasen bedeckt, Büsche fehlen ganz, und erfrischende, gesunde Luft weht dem Reisenden entgegen.

Ueberallhin hat man freien Ausblick und sieht Herden von Antilopen, Gnus, Zebras, Giraffen, Elefanten, ab und zu auch ein einsiedlerisches Rhinozeros; die Flüsse wimmeln von Flußpferden. Viele Reisende haben Teile von Afrika mit einem Wildpark verglichen, und wer selbst eine solche Gegend gesehen hat, der gesteht, daß dieses Urteil berechtigt ist.

Hier ist das Paradies der Jäger, nur schade, daß die Reise dahin sehr kostspielig und beschwerlich ist, doch nein, es ist nicht schade, vielmehr sehr gut, sonst würde dieser Tierpark bald entvölkert werden. – – –

Die Karawane der Herren und Damen war eines Abends an einem ziemlich breiten Fluß angekommen, der seine klaren Fluten ruhig durch diesen unendlichen Wildpark wälzte, und hatte hier Zelte aufgeschlagen.

Es war der Platz, den die Gesellschaft auf Anraten Yamyhlas wählen sollte, um die Rückkehr der vorausgeschickten Boten zu erwarten, welche vielleicht gleich Kasegora und Marquis Chaushilm mitbrachten.

Bis dahin aber mußten unbedingt noch vier Tage vergehen. Doch wo hätten sich diese den Sport liebenden Herren und Damen die Zelt besser vertreiben können, als hier, wo jeder Tag mit der Jagd ausgefüllt werden konnte?

Yamyhla hatte ihnen zwar eine große Anzahl von Schafen und Ziegen mitgegeben, welche von Negern der Karawane nachgetrieben wurden, doch diese konnten friedlich das saftige Gras abweiden und sich ihres Lebens freuen, denn jetzt brauchte man wahrhaftig nicht mit dem Fleische zu kargen. Jeder Jäger kehrte mit reicher Beute zurück, und man war nur froh, daß die mitgenommenen Fundis, das heißt die Neger, welche jede Karawane begleiten, um durch Schießen von Wild Fleisch zu verschaffen, nur wenig taugliche Feuersteingewehre besaßen, sonst hätten sie ihre Kameraden mit Wildbret gemästet. Die Fundis, also Jäger von Profession, hatte man übrigens nicht als solche, sondern als Pagazis mitgenommen, denn die Herren und Damen wollten ja selbst soviel wie möglich jagen, aber man konnte den Leuten natürlich nicht verwehren, in dem eigenen Heimatlande ihre Kunst im Jagen zu zeigen.

Uebrigens wurden sie doch manchmal gebraucht, denn sie wußten den mit der Jagdweise in diesen Gegenden Unbekannten manchen nützlichen Rat zu geben.

Der erste Morgen fand die ganze Gesellschaft schon in frühester Stunde in voller Jagdrüstung außerhalb der Zelte. Einzeln oder in Gruppen begaben sie sich in den Wald mit der Verabredung, zum Frühstück wieder zurückzusein.

Das Ergebnis aber war wunderbar.

Alle kehrten zurück und erzählten, wie sie nach Tieren geschossen und dieselben getroffen hätten, aber vorläufig hatte noch kein einziger unter ihnen eine Jagdbeute aufzuweisen. Stets waren die angeschossenen Tiere durch Flucht entkommen. Endlich kam auch Monsieur Pontence zurück, und neben ihm trugen zwei keuchende Neger eine Antilope. Der Franzose war nicht wenig stolz, als er merkte, daß er der einzige war, der eine Jagdbeute aufzuweisen hatte.

Endlich unterbrach Williams das drückende Schweigen, welches alle, durch diesen Mißerfolg niedergeschlagen, beobachteten. Er trat auf den Franzosen zu.

»Monsieur Pontence,« sagte er, »verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen öfter Unrecht getan habe, wenn ich Ihnen Vorwürfe machte, daß Sie Wild mit Sprengkugeln schießen. Kann ich dies auch jetzt noch nicht billigen, so viel habe ich aus Ihrem Jagderfolg gelernt, daß wir mit diesen elenden Dingern hier,« er schleuderte die Winchesterflinte von sich, »niemals etwas schießen werden. Jetzt nehme ich meine Doppelbüchse und gehe wieder; komme ich nicht nach einigen Stunden schon mit Wild reich beladen zurück, so will ich gehangen werden.«

Williams hatte das Richtige erkannt. Das Repetiergewehr ist eine ausgezeichnete Waffe im Kampfe mit Menschen, weil sie viele Kugeln schießt, aber die Kugeln sind nur klein und werden mit solcher Kraft geschleudert, daß sie den Körper, ja, selbst Knochen ganz durchbohren. Zur Jagd auf Wild, und ganz besonders auf afrikanisches, muß man sich einer Feuerwaffe bedienen, deren Kugeln den getroffenen Knochen zerschmettern, sonst bekommt man ein Tier nie zur Strecke; verwundet flieht es noch meilenweit.

»Ich komme mit, ich komme mit Ihnen!« rief es von verschiedenen Seiten, als Charles sich aus dem Zelte von einem Neger seine Doppelbüchse bringen ließ und sich bereitmachte, abermals sein Jagdglück zu probieren.

Alle bewaffneten sich mit den gleichen Büchsen und versuchten, den schon mit Miß Thomson forteilenden Williams einzuholen, denn jeder wollte gern bei diesem immer fröhlichen Pärchen sein.

Lachend blieb Williams stehen.

»Alle zusammen können wir nicht gehen, sonst schießen wir wieder nichts,« rief er. »Miß Staunton, Miß Petersen, Harrlington, Hannes, kommen Sie mit? Gut – marsch!«

Er schulterte sein Gewehr und verließ mit den Gerufenen das Zeltlager, gefolgt von einer Anzahl Negern, welche die Jagdbeute tragen sollten.

»Nun, Monsieur Pontence, wohin wollen Sie denn?« fragte Miß Murray den Franzosen, der einige Neger mit Schaufeln und Hacken bewaffnete. »Sie wollen wohl die Neger zu Pionieren ausbilden?«

»Beinahe erraten, liebes Fräulein,« schmunzelte der Franzose, »aber ich darf Ihnen wirklich noch nicht sagen, was ich vorhabe. Aber morgen, dann –«

»Was dann?« fragte das Mädchen neugierig.

»Dann werden Sie mich hoch zu Rosse sehen, ein prachtvolles Pferd will ich mir verschaffen, passen Sie auf.«

»Fangen Sie nur keinen Ziegenbock,« meinte Hastings trocken, schulterte sein Gewehr und verließ mit Miß Murray ebenfalls das Lager. Schließlich befand sich zwischen den Zelten niemand mehr, als einige zur Bewachung zurückgelassene Neger und Hannibal, der seines Herrn Anzug ausbesserte, sich aber tief verborgen hielt, daß ja niemand den gelehrten Mann bei einer so niedrigen Arbeit sähe.

Lachend und scherzend schritt die kleine Gesellschaft durch den Wald, unter sich das grüne Gras, über sich das grüne Laubzelt, durch welches man nur hin und wieder den blauen Himmel erblicken konnte.

Man mußte sich erst weit vom Lager entfernen, ehe man die Jagd beginnen konnte, denn das Wild hielt sich in respektvoller Entfernung von den vielen Menschen. Heute morgen hatten die Tiere die Jäger noch ganz dicht herankommen lassen, als sähen sie zum ersten Male Menschen, die Feuerwaffen kannten sie jedenfalls noch nicht, aber schon die ersten Schüsse hatten sie schlauer gemacht, sie flohen wenigstens, wenn sie Menschen erblickten, wenn auch nicht weit genug, daß die weittragenden Büchsen sie nicht erreichen konnten.

Bald begannen sich die ersten Herden Antilopen, Zebras und Giraffen in der Ferne zu zeigen.

»Viel schöner, als diese Tiere zu pürschen, muß doch eigentlich die Jagd zu Pferde sein,« sagte Ellen, »Morgen oder übermorgen, wenn uns diese Art von Jagd überdrüssig wird, wollen wir einmal eine Hetzjagd hinter den schnellen Zebras und Giraffen machen.«

»Aber werden wir uns zurückfinden?«

»Es können uns ja Neger zu Pferde begleiten, einige können reiten. Ich finde mich übrigens stets wieder zurück. Zur Vorsicht können wir ja auch Kompasse mitnehmen.«

»Still,« flüsterte Williams, »dort weidet eine blaue Antilope.«

Sie duckten sich ins Gras, welches sie vollständig verbarg, und betrachteten das edle, geschmeidige Tier, welches etwas größer ist als ein Reh.

»Sie hat ein Junges bei sich,« flüsterte Ellen. »Ja, ein Kalulu.«

»Kalulu? Ist das nicht ein männlicher Negername?« fragte Miß Thomson.

»Allerdings. Aber sehen Sie, daß ich schon weit in die Geheimnisse der afrikanischen Sprachen eingedrungen bin,« lachte Charles leise, »Kalulu heißt eigentlich das Junge der blauen Antilope, und nach ihm werden Kinder genannt,«

»Hasch!« schrie er dann plötzlich laut und sprang auf.

In größten Sätzen jagte die Antilope davon, hinter ihr her das niedliche Junge.

»In, wollen Sie denn hinterherrennen und sie mit den Händen fangen?« fragte Lord Harrlington verwundert.

»Das nicht, aber schießen wollte ich sie nicht lassen,« entgegnete Williams, »es war ja eine säugende Mutter. Was sollten wir mit dem Jungen anfangen?«

»Nun beginnen wir aber ernstlich mit der Jagd,« meinte Ellen, »und, Sir Williams, wenn Sie immer ›hasch‹ machen, so nehmen wir Sie beim Wort, und Sie müssen das Tier wirklich haschen.«

»Ich werde es niemals wieder tun,« versicherte Charles.

»Sehen Sie dort den großen Baum mit den seltsamen Auswüchsen auf dem freien Platze stehen?« fragte Ellen. »Das soll unser Zusammenkunftsort sein, die Neger bleiben dort zurück, wir zerstreuen uns, und hat jemand etwas geschossen, so ruft er dieselben.«

Sie gingen nach dem Baume, der noch hundert Meter weit entfernt war.

Wieder blieb Charles stehen und deutete in die Ferne, über den Baum hinaus, wo ein Rudel von fünf Gazellen zu sehen war.

»Es sind Zwergantilopen,« sagte er, »das am schwierigsten zu schießende Wild, weil es sehr schlau ist. Wir wollen doch versuchen, ob wir uns heranschleichen können.«

Schon wollte er sich wieder ducken, aber Harrlington hielt ihn zurück.

»Warten Sie!« sagte er. »Merken Sie nicht, daß die Tiere ein ganz auffälliges Betragen zeigen? Sie sehen immer starr hierher und nähern sich uns auch langsam.«

»Es ist aber noch viel zu weit zum Schießen.«

»Natürlich, was haben sie aber nur? Ich denke, sie sollen so sehr schlau sein.«

»Sind sie auch.«

»Diese aber nicht, sie kommen direkt auf uns zu, aber ganz langsam, Schritt für Schritt.«

»Sie sind sehr neugierig,« sagte Charles und warf sich ins Gras.

Die anderen folgten seinem Beispiel und krochen langsam auf den Baum zu, hoffend, dadurch die Gazellen in Schußweite zu bekommen.

Hope war etwas vorausgekrochen; sie richtete ab und zu den Kopf auf, um nach den Tieren zu spähen, trotz des mahnenden Zischens von Harrlington.

Plötzlich aber nahmen ihre Züge einen erstaunten Ausdruck an, sie blickte lange geradeaus, warf sich auf den Rücken und brach in ein stilles Lachen aus, daß ihr Körper förmlich erschüttert wurde.

Dadurch fühlten sich die Nachfolgenden veranlaßt, ebenfalls die Köpfe zu heben, und was sie sahen, war allerdings komisch genug, um auch ihre Lachlust zu erregen.

Da stand unter dem betreffenden Baume, nicht mehr weit von ihnen entfernt, Lord Hastings, kerzengerade auf dem Kopfe, die Hände, neben denen die Büchse lag, fest ins Gras gekrallt, und mit den hoch emporgereckten Beinen strampelte er in der Luft herum.

An dem Baumstämme, so, daß sie von den Gazellen nicht gesehen werden konnte, saß Miß Murray, die Arme in die Hüften gestemmt, und kam vor Anstrengung, das Lachen zu unterdrücken, fast um.

»Lord Hastings ist übergeschnappt,« brachte Hope unter Kichern mühsam hervor.

»Er muß schon eine halbe Stunde so stehen,« meinte Charles, »sein Kopf ist schon ganz rot. Wenn er nur keinen Schlaganfall bekommt.«

»Er produziert sich vor Miß Murray als Gymnastiker.« meinte Miß Thomson dazwischen.

Sie hatten sich alle halb aus dem Grase emporgerichtet und betrachteten erstaunt das sonderbare Benehmen ihres Freundes, der standhaft sich auf dem Kopfe hielt und wie ein Wahnsinniger mit den Beinen in der Luft herumarbeitete. Sein Gesicht war ihnen abgewandt.

Schon wollten sie auf ihn zutreten und ihn zur Vernunft bringen, als Lord Hastings plötzlich auf die Füße sprang, die Büchse an die Wange legte und schnell hintereinander zwei Schüsse abfeuerte.

Das Rudel Zwergantilopen jagte davon; es bestand aber nur noch aus drei Tieren.

»Sehen Sie, Miß Murray,« wandte der Schütze sich triumphierend an das laut auflachende Mädchen, »so schießt man in Afrika die Zwergantilope, das flüchtigste, aber auch neugierigste Wild. So etwas kann weder der kluge Williams, noch die schlaue Miß Petersen machen, wenn sie es nicht erst von mir gezeigt bekommen.«

»Auf den Kopf werde ich mich allerdings nichts stellen,« ertönte hinter ihm eine Stimme.

»Ach entschuldigen Sie, Miß Petersen,« stotterte Hastings, und sein schon roter Kopf wurde noch röter, »so war das nicht gemeint,«

»Ich nehme es auch nicht übel,« lachte Ellen, »aber in der Tat, haben Sie die Tiere damit angelockt?«

»Wahrhaftig, dieselben konnten sich nicht erklären was für ein seltsamer Gegenstand das war, der in der Luft herumzappelte, sie hatten einen solchen noch niemals gesehen, und da trieb sie die Neugierde, sich davon zu überzeugen – sie kamen in Schußweite.«

Nun konnten sich alle das Betragen der Antilopen erklären, Lord Hastings fand für seinen Scharfsinn allgemeine Bewunderung.

Die Neger holten die beiden geschossenen Tierchen als erste Jagdbeute und blieben dann unter dem Baume zurück, während sich die Herren und Damen allein oder zu zweit verstreuten.

Diesmal ging es anders als am Morgen; die Neger hatten nicht viel Zeit zum Schwatzen, immer wurden sie durch Zeichen oder durch Pfiffe gerufen, um erlegte Tiere nach dem Baume zu schaffen.

Endlich hatten alle genug von der Jagd; die Hitze begann lästig zu werden, und so beschlossen sie, nach dem Lager zurückzukehren.

Unter dem Baume lagen etwa zehn Antilopen verschiedener Art, große und kleine, ein Zebra, von Harrlington geschossen, ein Gnu – das ist eine Antilope, fast ebenso groß wie ein Zebra, aber mit bedeutend schmackhafterem Fleisch – als dessen Erleger sich der glückliche Hannes bezeichnete, einige Wildschweine und eine Unmenge von Vögeln. Den Negern wurde es überlassen, die Beute nach den Zelten zu bringen.

Zum Mittagessen war die ganze Gesellschaft wieder versammelt, und die Jagdbeute war eine so große, daß man ausmachte, nicht mehr auf diese Weise zu jagen, denn es ging doch unmöglich an, daß auf jede Person, die Neger eingeschlossen, pro Tag ein Zentner Fleisch zu rechnen war. Von jetzt ab sollten höchstens die scheuesten Antilopen geschossen werden, überhaupt Tiere, welche schwer zu jagen waren. Das Erlegen anderer wurde mit empfindlichen Strafen belegt, und zwar sollten diejenigen, welche das Verbot übertraten, als Wächter im Lager zurückbleiben, denn die alleingelassenen Schwarzen hatten in den paar Stunden schön gewirtschaftet. Die Vorräte an Mehl waren fast verzehrt; allen Herren fehlten Tabak und Zigarren, und ein Neger wurde dabei ertappt, wie er sich hinter einem Baume den Unterrock einer Dame anprobierte.

Der Franzose war bei dem Mittagessen nicht anwesend, auch noch nicht, als die Gesellschaft nach einer langen Nachmittagsruhe die Zelte verließ.

Erst als sie einen Abendspaziergang antreten wollten, kam Monsieur Pontence mit seinen Negern zurück, welch letztere sehr erschöpft schienen. Unwillig schleuderten sie Hacke und Schaufel zur Seite, und nur der Umstand, daß saftige, gebratene Fleischstücke für sie bereitlagen, ließ ihre Gesichter wieder fröhlich erglänzen.

»Haben Sie Mäuse ausgegraben?« fragte der unverbesserliche Williams.

»Morgen erfahren Sie alles,« antwortete Monsieur Pontence und eilte, ohne sich aufhalten zu lassen, in sein Zelt, kam dann mit einem Sattel wieder zum Vorschein, den er draußen sorgfältig abstäubte, und dessen Bügelleder er einölte.

Sir Williams, einige Herren und einige Damen hatten in der Kühle des Abends einen weiteren Spaziergang längs des Flusses gemacht und zu ihrem Bedauern gemerkt, daß es in diesem Gewässer auch Krokodile gab, sonst hätte sich wohl ein stiller Badeort gefunden.

Als der Fluß einmal eine Biegung machte, schnitten sie den Weg ab und gingen geradeaus über einen Platz, der nur wenig von Bäumen bewachsen war.

»Was für ein merkwürdiges Ding hängt denn da am Baume?« sagte da mit einem Male Williams und deutete voraus. »Das sieht ja fast aus wie ein Waldschutzplakat: Abpflücken von Zweigen bei Pfändung verboten! Merkwürdig.«

Er eilte voraus, prallte aber plötzlich zurück.

Jetzt konnten auch die Nachkommenden ein großes Papier sehen, das an einen Baumstamm geklebt war. Darauf war in großen Buchstaben mit Tinte geschrieben:

»Vorsicht, eine Grube!!!«

»Aha, das ist Monsieur Pontences Werk,« rief Charles, »die Grube ist nicht ungeschickt gemacht, man merkt gar nichts von ihr. Natürlich haben ihm die Schwarzen dabei geholfen, oder sie haben vielleicht alles allein gemacht.«

Man mußte sehr genau hinsehen, um erkennen zu können, daß hier ein Loch in der Erde war, welches mit dürren Zweigen bedeckt, auf die der ausgestochene Rasen niedergelegt worden war.

Als die Gesellschaft um den Bau herumging, brach sie in ein unauslöschliches Gelächter aus, nicht, weil das Plakat auch an der anderen Seite des Baumes klebte, sondern weil in der Mitte der zugedeckten Grube, welche sich um den Baum herumzog, aus Aesten eine Art von Krippe hergestellt war, in welcher Gras und sogar Brotstücken lagen.

»Was will der Franzose denn eigentlich fangen?«^ fragte jemand.

»Er sprach davon, sich ein Reittier zu verschaffen,« antwortete Williams, »und nun hält er die Zeit für gekommen. Na, wünsche ihm viel Glück, daß er ein Zebra fängt. Warum hat er das Plakat nur französisch geschrieben? Ach so! Er kann ja nicht englisch, möglich auch, daß er den Zebras Kenntnis in der französischen Sprache zutraut und glaubt, sie könnten es lesen. Ein sonderbarer Kauz, dieser Franzose.«

Lachend erreichte die Gesellschaft das Lager.

Monsieur Pontence nahm hastig das Abendbrot mit den Herren und Damen ein und verschwand dann aus der Gesellschaft, wurde auch nicht wieder gesehen. Wahrscheinlich meinte man, Mister Pontence hielte sich in seinem Zelte auf. Niemand dachte mehr an ihn.

Am frühen Morgen wurde John Davids leise am Aermel gezupft, und als er, sich schnell ermunternd, von der eisernen Bettstelle auffuhr, sah er Hektor, den Negerjungen des Franzosen vor sich stehen.

»Monsieur noch nicht zurück,« sagte der Kleine auf französisch, denn er war in Frankreich erzogen worden.

»Ist er schon ausgegangen?«

»Ist noch gar nicht wieder da von gestern abend,« erwiderte der Kleine.

»Was?« Mit einem Satze war Davids aus seinem Bette.

»Er ist gestern abend nicht im Zelte gewesen? Warum hast du mir das nicht eher gesagt?«

Doch Schelten half nichts mehr, John Davids alarmierte die Neger und die Herren, und da es sowieso Zeit zum Aufstehen war, versammelten sich bald auch die Damen draußen und vernahmen erschrocken die Kunde, daß der Franzose gestern abend noch das Lager verlassen und dasselbe bis jetzt noch nicht wieder betreten habe.

»Er hat sich verlaufen, wir müssen ihn suchen!« war die allgemeine Meinung.

»Halt!« rief Charles und legte den Finger an die Nase. »Der Franzose hat eine Falle für Zebras graben lassen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er die Nacht dort zugebracht hat, um das gefangene Tier gleich zureiten zu können.«

»Sattel auch weg,« meinte der Kleine.

»Sehen Sie, ich habe recht,« fuhr Charles fort, »kommen Sie, die Fallgrube ist nicht weit von hier.«

Nach einer halben Stunde näherte man sich jener Gegend.

»Dort liegt wirklich der Sattel, dicht neben der Grube, aber vom Franzosen ist nichts zu sehen. Vielleicht sitzt er auf einem Baume. Geben Sie gut Achtung.«

»Was ist denn das? Die Grube ist wirklich eingebrochen,« fuhr Charles fort, »so hat sich also doch ein Tier gefangen.« Er eilte als erster nach der eingestürzten Grubenbedeckung, bog sich vornüber und spähte hinunter. Plötzlich bog er sich zurück und brach in ein furchtbares Gelächter aus.

Die anderen eilten hinzu, blickten hinunter und sahen zwar kein Zebra – aber Monsieur Pontence, der vor Kälte zitternd in der nassen Grube in einer Ecke kauerte.

Bald war er mittels Stricken emporgezogen und wurde von der Gesellschaft umdrängt. Er war zwar etwas kleinlaut geworden, aber ganz konnte er den gewöhnlichen Ton doch nicht aufgeben,

»Ich wollte,« erzählte er, »gestern abend noch einmal meine Grube besichtigen, vielleicht konnte ja schon ein Zebra hineingestürzt sein. Warum denn nicht, meine Herrschaften? Die Grube war doch ausgezeichnet konstruiert, ganz nach meiner eigenen Erfindung, die Krippe stand nicht mehr da, ich hoffte schon, sie wäre mit einem Tiere hineingefallen, aber nein, die dummen Neger hatten sie nicht richtig nach meiner Angabe gemacht, sie war zusammengestürzt. Dies war mir nun furchtbar unangenehm, denn auf jeder Fallgrube muß eine Lockspeise stehen, auf den für Löwen berechneten z. B. rohes Fleisch, am besten Ziegenfleisch, weil dieses stark riecht.«

»Kurz und gut, Sie wollten also die Krippe wieder aufrichten, sind auf die Zweige getreten und hinuntergeplumpst,« unterbrach ihn Charles ungeduldig,

»Halten Sie mich für so dumm?« versetzte der Franzose gekränkt. »Darauftreten? So dumm bin ich doch wirklich nicht. Nein, ich legte mich auf den Bauch – Pardon, meine Damen – ich legte mich auf meine vordere Breitseite und kroch nach langem Besinnen langsam vorwärts, Zoll für Zoll. Es wäre mir auch gelungen, wenn ...«

»Wenn ich nicht hineingefallen wäre,« warf Hope dazwischen.

»Durchaus nicht, liebes Fräulein, wenn ich nicht in diesem Augenblicke einen heftigen Reiz in meiner Nase verspürt hätte, den ich aber nicht – Pardon, meine Damen – verzeihen Sie meine etwas freie Ausdrucksweise – da ich aber nicht niesen wollte, so griff ich vorsichtig in meine Beinkleidertasche, ehe ich aber das Tuch erfaßt hatte, mußte ich niesen und – – –«

»Und als ich ausgeniest hatte, da lag ich unten in der Grube,« ergänzte Charles lachend. »Fort, Monsieur Pontence, Sie klappern ja wie ein Laubfrosch vor Kälte, und Ihre sonst so schönen Mondscheinpausbacken sind vor Hunger auch schon eingefallen. Machen Sie, daß Sie ins Lager kommen! Halt, was ist denn das? Da unten hat sich wohl, Ihnen zur Gesellschaft, noch ein Igel gefangen? Ach so, das ist Ihre Perücke. Hier; du schwarzer Halunke, hole sie herauf. So, da haben Sie Ihre Haare wieder auf Ihrem rasierten Kopf, und nun laufen Sie, damit Sie in Schweiß kommen.«

»Aber die Grube will ich doch erst wieder zudecken,« sagte der in die Enge getriebene Franzose, sich die Perücke zurechtschiebend, »vielleicht, daß sich noch heute ein Zebra fängt, und dann kann ich es gleich zureiten.«

»Nichts da, fort mit Ihnen, sonst fallen Sie nochmals hinein! Sie kennen ja den Spruch: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.« – – –

Der zweite Jagdtag fand gegen vierzig Rosse gesattelt und gezäumt vor dem Zeltlager stehen, schnaubend und mit den Füßen scharrend, ihre Reiter erwartend. Die Tiere hatten sich nach den Strapazen der Reise genug ausgeruht, und so stand zu erwarten, daß sie einer Hetzjagd hinter flüchtigem Wilde, die Ellen plante, wohl fähig sein würden.

Nicht alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligten sich an diesem Ausfluge. Einige waren keine Freunde von solchen Parforcejagden und zogen es vor, im Lager zu bleiben und nur der gewöhnlichen Pürschjagd obzuliegen. Die Pferde, welche somit freiblieben, wurden mit Negern, guten Reitern, besetzt, damit diese bei zurückbleibenden Pferden blieben und im Notfalle den Rückweg zeigen konnten, denn wer wußte, wie viele hundert Meilen bei solch einem schnellen Ritte hinter einer Antilope her zurückgelegt wurden.

Ellen führte den Zug; hier war sie in ihrem Element. Sie sagte ja selbst, daß sie auf dem Pferde groß geworden sei. Das enganschließende, helle Reitkleid wurde in der Taille wieder von jenem Flechtwerk aus Lederriemen umschlossen, welches sich einst in der Wüste als Lasso erwiesen hatte. Sie ritt ein unschönes Pferd, das unscheinbarste, welches Mister Selby zur Auswahl gestellt hatte; es war zwar groß, aber es machte keinen schönen Eindruck, weil es zu mager und eckig gebaut war. Die Knochen standen ihm überall aus dem Leibe. Die Herren selbst, welche doch auch Pferdekenner waren, hatten es als steifbeiniges Tier bezeichnet und sich sehr gewundert, daß Ellen es sofort gewählt – Weiberlaune!

Sie waren schon ziemlich weit entfernt, ohne daß Ellen ein Tier für wert gehalten hätte, die Jagd hinter ihm aufzunehmen; ihr Sinn stand nach einem Zebra oder einer Giraffe, dem schnellsten Tiere Afrikas.

Da sahen sie in der Ferne zwischen den Bäumen eine Herde Strauße grasen; es war das erste Mal, daß sie diese Vögel zu Gesicht bekamen. Die Tiere, wohl zwanzig Stück, hielten sich dicht zusammen, mit Ausnahme von zweien, welche ziemlich weit von der Truppe entfernt waren, aber ebenso dem Geschäfte des Grasens, oder, wie der Jägerausdruck dafür ist, der Aesung oblagen. Sie beugten ab und zu den hochgetragenen Kopf zur Erde, pflückten Gras ab und verschluckten es, wobei sie den Kopf immer nach links und rechts wandten. Das Gras war hier sehr hoch, daß man die langen Stelzbeine der Laufvögel nicht sehen konnte.

»Das ist ein Wild, wie ich es mir wünschte, hinter dem wir die Schnelligkeit unserer Pferde probieren können,« sagte Ellen und lenkte ihr Roß jener Richtung zu.

Da aber kam David, der Führer, der ein ausgezeichneter Fundi, das heißt, ein Jäger war, zu Ellen gesprengt und sagte:

»Die Strauße werden von Eingeborenen gejagt. Stören Sie die Leute noch nicht!«

»Wieso?«

Ellen blickte nach dem Rudel und bemerkte in diesem Augenblicke zu ihrem Erstaunen, wie ein Strauß plötzlich zusammenbrach, als wäre er geschossen worden, und zwar von einem Pfeile, denn ein Knall war nicht zu hören gewesen.

»Lassen denn die Strauße den Jäger so nahe herankommen, daß er sie mit dem Pfeile schießen kann? Ich glaubte, sie wären sehr scheu.«

»Dies sind sie auch,« entgegnete David, »aber auch sehr dumm. Sehen Sie dort die beiden allein äsenden Vögel? Das sind gar keine Strauße, sondern Neger, welche sich mit einem Straußenbalge bedeckt haben, die Bewegung der Vögel nachahmen und dabei einen nach dem anderen mit dem Pfeile zu Boden schießen. Wenn wir vorsichtig von hinten heranreiten, können wir sie vielleicht beobachten.«

Man folgte David, der die Gesellschaft in großem Bogen, möglichst so, daß sie von den Tieren nicht bemerkt wurde, und daß der Wind gegen sie war, zu den beiden einzelnen Tieren führte, und bald konnten sich alle von der Richtigkeit der Aussage des Führers überzeugen.

Zwei Schwarze waren es, welche da die Strauße auf listige Weise täuschten. Sie gingen gebückt, auf ihrem Rücken lag ein Straußenbalg, und in der einen Hand hielten sie einen Stock, an welchem der Hals mit dem Kopfe befestigt war, während sie in der anderen Bogen und Pfeile hielten.

Es war fast lächerlich, zu sehen, wie die Neger einherstolzierten, ganz genau die Bewegungen der Strauße nachahmend, ebenso langsam und gravitätisch die Beine setzend, und wie sie ab und zu die ausgestopften Hälse zu Boden senkten, als wollten die Schnabel Gras rupfen, sie dann wieder emporrichteten und die Köpfe mit den Glasaugen hin- und herwandten. Sie versuchten, den sich langsam von ihnen entfernenden Vögeln nachzukommen, und hielten sie einen Schuß für möglich, so klemmten sie den Stock schnell zwischen die Beine, legten einen Pfeil auf und schnellten ihn nach dem nächsten Tiere, aber nur Männchen sich aussuchend, weil diese die schöneren Federn haben. Das getroffene Tier sank, mit dem Pfeile im Herzen, lautlos nieder, und die Kameraden warfen wohl einen Blick auf den am Boden liegenden, wurden aber durchaus nicht unruhig. Sicher mußte der Pfeilschuß jedoch sein, erklärte David, denn wenn das Tier nur verwundet wäre und in Zuckungen sich im Grase wälzte, so würden alle Vögel sofort erschreckt die Flucht ergreifen. Daher käme es auch, daß die Jäger so selten schössen, sondern nur, wenn sie einen Vogel ganz sicher ins Herz treffen könnten.

Die Vögel hatten die hinter Bäumen haltenden Reiter noch nicht bemerkt, wohl aber die Neger, und da, durch die Ankunft so vieler Weißer erschrocken, ergriffen die Schwarzen plötzlich die Flucht, rannten, sich aufrichtend, durch das Gras, und die Folge davon war, daß die Vögel ebenfalls sofort das Weite suchten.

»Drauf und dran!« rief Ellen und gab dem Pferde die Sporen, daß es im weiten Bogen davonflog, den Tieren nach. Die übrigen Reiter und Reiterinnen folgten ihr.

Den Hals weit vorgestreckt, die kurzen Flügel etwas ausgebreitet, und mit ihnen schlagend, so flohen die Vögel mit Riesenschritten davon; jeder Satz war meterlang, und die Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Anfangs hielten die Flüchtenden zusammen, dann aber bogen einzelne, nach rechts und links ab, zerstreuten sich, und die vorausjagende Ellen folgte dem größten, schönsten, aber auch schnellsten Tiere.

Der Strauß ist einem mittelmäßigen Pferde an Schnelligkeit überlegen, aber ein geübter Reiter, welcher in Hetzjagden Erfahrung hat, kann ihn dennoch einholen, einfach dadurch, daß er anfangs sein Tier schont, und erst dann, wenn der Vogel müde wird, es voll ausgreifen läßt, denn der verfolgte Strauß setzt natürlich, wie jedes geängstigte Tier, sofort seine ganze Kraft ein, der Gefahr zu entgehen.

Ellen hatte auf den heimatlichen Prärien schon den Hirsch und die noch flüchtigere Gazelle zu Pferde gejagt und kannte daher diese Jagdweise.

Alle Pferde blieben den fliehenden Straußen auf den Fersen, aber die Entfernung zwischen ihnen und den Reitern verringerte sich nicht, trotzdem die Herren und die Damen weder Sporen, noch Peitsche schonten, die Pferde zu schnellerem Laufe anzutreiben, und nun erst bemerkten sie, daß Ellen bei Auswahl ihres Pferdes doch den schärfsten Blick an den Tag gelegt hatte.

Schön sah es zwar nicht aus, wie der braune Hengst bei jedem Sprung mit den Fesseln hinten ausschlug; ein Sportsmann hätte das Tier sofort aus seinem Gestüt ausrangiert; aber es blieb doch, ohne im geringsten von der Reiterin angetrieben zu werden, an der Spitze der Schar, ja, es war sogar nicht zu verkennen, daß Ellen beständig seinen Lauf zu mäßigen suchte.

Ein Pferd nach dem anderen blieb zurück, nur Ellens Hengst hielt sich, und der einzige, der sein Roß ihm nachtreiben konnte, war Lord Harrlington, dessen kleines, feuriges Tier, ein Pony, bei jedem Sprunge mit dem Bauche fast den Boden zu berühren schien.

Weiter und weiter ging die wilde Jagd, und immer länger zog sich die Reiterschar auseinander, die hintersten gaben schon die Sache auf und zügelten die Pferde, einigen Negern zurufend, bei ihnen zu bleiben.

Die Entfernung zwischen dem Strauß und Ellen betrug ungefähr fünfzig Meter, und eine halbe Stunde mochte dieser Ritt in schnellster Karriere schon gedauert haben, ohne daß sich diese Entfernung verringerte, ja, sie hatte sich eher vergrößert. Dann aber ward der Vogel müde, er begann mehr mit den Flügeln zu schlagen und nahm die Schritte nicht mehr so groß, aber schneller, sie waren also nicht mehr so elastisch wie anfangs.

Noch eine halbe Stunde verging auf diese Weise, dann aber fiel der Vogel plötzlich ganz ab, er rannte nur noch unsicher vorwärts; Ellens Pferd dagegen behielt noch immer seine vorherige Schnelligkeit bei und näherte sich dem Vogel merklich. Als dieser die gedämpften Huftritte im Grase hörte, spannte er noch einmal seine ganze und letzte Kraft an, zu entkommen. Wie der Wind flog er dahin, aber auch Ellen gab jetzt dem Rosse Sporen und Peitsche, und während es in Karriere hinterherjagte, löste sie den Lasso von den Hüften.

Noch zwanzig Meter war sie von dem Vogel getrennt, da wirbelte die Lederschlinge um ihren Kopf, sauste durch die Luft und schlang sich um den langen Hals des Vogels. Ein Ruck, das Pferd galoppierte zur Seite, und das Tier wurde am Boden nachgeschleift. Ellen parierte, sprang ab und trat zu dem Vogel, welcher wie tot dalag, und als sie ihn berührte, zeigte es sich, daß er wirklich verendet war – er hatte das Genick gebrochen.

In diesem Augenblick kam Lord Harrlington angejagt und sprang ebenfalls vom Pferde. Von den übrigen Reitern war noch niemand zu sehen, vielleicht kam überhaupt keiner mehr nach.

»Schade, daß das Tier tot ist,« sagte Ellen, das vom schnellen Ritt erhitzte Gesicht über den Vogel beugend, ohne den Lord anzusehen. Sie hielt, wie auch dieser, ihr Pferd am Zügel.

»Mit dem Lasso werden Sie den Strauß wohl immer töten,« entgegnete der Lord, »der lange Hals wird von dem Ruck stets gebrochen werden. Hätten Sie eine Bola gehabt, so könnten Sie diese um die Füße des Tieres geworfen haben.«

Die Bola ist ein langer Lederriemen, welcher aber am Ende keine Lederschlinge, sondern drei Bleikugeln hat. Diese werden um den Kopf gewirbelt und nach dem zu fangenden Gegenstande geschleudert. Die auseinandergehenden Lederschnüre schlingen sich um ihn und verwickeln sich durch die Schwere der Kugeln so, daß sie von selbst sich nicht wieder lösen. Die Bola wird hauptsächlich in Südamerika, der Lasso in Nordamerika von Indianern und Cowboys (Pferdehirten) gebraucht.

»Die Bola zerschmettert oft selbst einem Pferde die Knochen, um wieviel mehr erst diese dünnen Beine,« sagte Ellen, »nein, ich hätte nicht rucken sollen, aber ich bin es so gewohnt.

»Bitte, halten Sie mir mein Pferd,« fuhr sie dann zum Lord fort, ohne ihn anzusehen.

Gehorsam ergriff dieser die Zügel, während sich Ellen über den Vogel beugte und ihm die schönsten Federn auszog. Der Lord konnte ihr nur zusehen, er mußte ja die beiden Pferde halten, und doch wäre er so gern neben ihr niedergekniet, hätte ihre Hände ergriffen, ihr ins Auge geschaut und etwas gesagt, etwas, was ihm seit Wochen, ja, schon seit Monaten fast das Herz abdrückte. Es war das erste Mal, daß er wieder mit ihr allein war.

Er wendete den Kopf und sah in weiter, weiter Ferne eben die Köpfe einiger Reiter über dem Grase auftauchen. Jetzt oder nie, noch waren sie allein.

»Ellen,« flüsterte er hastig und doch so zärtlich, »Ellen, sag', wollen wir uns nicht aussprechen, wollen wir nicht das Mißverständnis lösen, welches –«

»Danke,« sagte Ellen, nahm ihm die Zügel aus der Hand und war mit einem Sprunge im Sattel. Im Galopp ritt sie den Reitern entgegen und gab den nachkommenden Negern den Befehl, den Strauß abzubalgen und ins Lager zu bringen.


 << zurück weiter >>