Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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17.

Eine Walfischjagd.

Das Mädchen, welches die Stelle eines zweiten Steuermannes vertrat, meldete der Kapitänin: »73 Grad 14 Minuten.« Sie hatten soeben die untergehende Sonne aufgenommen und waren dabei von den anderen Vestalinnen mit gespannten Mienen beobachtet worden, war doch diesmal die Bestimmung der Lage besonders wichtig.

»Meine Damen,« wandte sich Ellen an die Umstehenden, »73 Grad westlich von Greenwich, wir haben somit die Aufgabe gelöst, um die Erde zu segeln, denn New-York liegt auf demselben Grade.«

Die Mädchen brachen in ein Hurrah aus, das Sternenbanner wurde gehißt und die Wimpel der ›Vesta‹ entfaltet. Schade, daß weder der ›Amor‹, noch ein anderes Schiff in der Nähe war, welches diesem Triumphe hätte beiwohnen können.

»Wo befinden wir uns jetzt?« fragte ein Mädchen.

»Etwa 500 Meilen von Kap Horn, mitten zwischen Süd-Amerika und den Falklands-Inseln.«

»Daher ist es auch so kalt hier,« klagte Hope und schlug die mit dicken Handschuhen bekleideten Hände zusammen. »Mitte Oktober, und alles mit Eis und Schnee bedeckt. Bei uns kann man sich um diese Jahreszeit noch im Freien baden, und hier stößt man schon auf Eisschollen.«

Die ›Vesta‹ befand sich weit im Süden, fast an der Grenze der kalten Zone, und ihr Aussehen hatte sich sehr geändert. Vor einigen Tagen hatten sie einen schweren Sturm durchzumachen gehabt, das Wasser war nicht nur fortwährend über Deck gespült, sondern war auch über die Takelage bis an den Top des Mastes gespritzt, aber nicht wieder abgelaufen, sondern bald gefroren.

Das Meerwasser friert wegen seines Salzgehaltes erst bei vier Grad Kälte, und so kann man sich denken, wie sehr die Damen, meist Südländerinnen, unter dieser Kälte zu leiden hatten.

Alle Taue, Holzteile, Raaen, die Wanten und so weiter, waren mit einer dicken Kruste von Eis bedeckt, und wenn Arbeit in der Takelage nötig war, so konnte man nicht mit Handschuhen zufassen, das wäre nicht nur hinderlich, sondern sogar gefährlich gewesen, denn mit Handschuhen kann man sich nicht ordentlich festhalten. Also mußten sie ausgezogen werden, und die Mädchen froren tüchtig an die Hände.

War es nötig, ins Wasser zu greifen, oder waren die Taue stark mit Salzwasser bespritzt worden, so war die Kälte noch unerträglicher, denn die unter dem Nullpunkt stehende Temperatur des Wassers machte dies noch kälter, als Eis. Es ist ein fürchterliches Gefühl, lange Zeit die Hände in solches Eiswasser zu stecken.

Ellen hatte recht gehabt, als sie sagte, bei Kap Horn müßten die Vestalinnen öfters das Eis von den Raaen klopfen, ehe sie die Segel bedienen könnten. Dieser Fall trat jetzt täglich ein.

Glücklicherweise war immer guter Wind gewesen, so daß ein Segelmanöver nicht oft verlangt wurde, wurde es aber doch nötig, so mußten die Mädchen erst mit hölzernen Keulen, mit Handspeichen und Malspieken, kleinen, eisernen Spitzen, die steinhart gefrorenen Segel weich klopfen, sonst konnte man sie absolut nicht bewegen.

Mancher Seufzer entschlüpfte bei solch harter Arbeiten frischen Lippen der Vestalinnen; sie waren immer froh, wenn sie wieder an Deck standen und die warmen Handschuhe überstreifen konnten. Trotzdem konnte sich keines der Mädchen verhehlen, daß sie sich noch nie so gesund gefühlt hatten, wie in diesem kalten Klima, daß ihnen noch nie das Essen so gut geschmeckt hatte – ihr Appetit entwickelte sich ganz erstaunlich.

Mehr hatten unter der Kälte, welche selten weniger als fünf Grad erreichte, die befreiten Mädchen zu leiden, jetzt nur noch aus Indianerinnen, Mestizen und Kreolinnen, meistens aus südlichen Ländern stammend, bestehend. Selbst die sonst so energische Yamylha hielt sich, so oft sie nur konnte, im wohlgeheizten Zwischendeck auf. Die Negerin wurde überhaupt immer einsilbiger und stiller, je mehr sie sich ihrer Heimat näherte, aber diese Ruhe war nur eine äußerliche, denn ihren funkelnden Augen sah man an, welche Glut in ihrem Innern wohnte. Dies trat besonders hervor, wenn sie die Anzahl der Meilen erfuhr, die sie noch von ihrer Heimat Dahomeh trennte. Je geringer diese wurde, desto mehr blitzten ihre großen, schwarzen Augen auf, desto krampfhafter ballten sich ihre wie aus Erz gegossenen Fäuste zusammen.

Ihre Geschichte hatte sie noch niemandem erzählt und sie wurde auch nicht dazu aufgefordert, seit sie erklärt hatte, sie würde von selbst ihr Schicksal enthüllen, wenn die Zeit dazu gekommen wäre. Die Vestalinnen waren damit einverstanden.

Das einzige, was man zur Bequemlichkeit der Mädchen tun konnte, war, daß man ihnen wärmere Kleidung gab und ihnen einen geheizten Raum im Zwischendeck zum Aufenthalte anwies. Auch die Vestalinnen hatten ihre Kleidung geändert, sie war dicker geworden, und es zeigte sich dieselbe Tatsache, welche bei den Matrosen der Marine konstatiert ist: je weniger der Hals gegen die Witterungseinflüsse geschont wird, je mehr er ihnen Trotz bietet, desto weniger empfänglich ist er für Krankheiten. Keine der Damen hatte darunter zu leiden.

Sonst war die Kleidung dieselbe geblieben, nur während der Nacht, wenn die Wache an Deck stehen mußte, trugen sie lange, warme Mäntel.

In der Nacht, welche dem Tage folgte, da sie die eigentliche Erdumseglung, beendet hatten, lehnten die Damen an der Bordwand, beobachteten den Sternenhimmel, das ruhige, phosphorstrahlende Meer und unterhielten sich von der Gefahr der Eisberge, von denen sie einige in weiter, weiter Ferne zu sehen bekommen hatten.

Vielleicht stießen sie auch noch auf solche und die Gefahren, von denen sie eben gesprochen, von Zusammenstößen, von Einschließungen zwischen Eisbergen, von Zerdrückungen und so weiter, standen ihnen auch noch bevor.

Die zweite Nachtwache löste die erste ab, es war also um vier Uhr. Vor Kälte schauernd, verließen die Mädchen ihre warmen Kabinen, schlugen die langen Mäntel um sich und lösten ihre Kameradinnen ab, um nun ihrerseits vier Stunden an Deck zu verbringen, bis die Schiffsglocke sie um acht Uhr zum Frühstück rief.

»Hören Sie,« sagte Miß Murray zu einer Freundin, welche neben ihr auf der Back saß und die Füße, gleich ihr, dicht unter den warmen Mantel gezogen hatte, »was mag das sein? Klingt das nicht, wie das Brausen der Brandung am Gestade?«

»Das ist nicht möglich,« entgegnete das Mädchen, »erst vorhin sagte die Kapitänin, wir wären weit ab vom Lande.«

»Und doch ist es so,« behauptete Jessy, »hören Sie nur einmal genau hin.«

Das Mädchen lauschte, und wirklich vernahm auch sie jetzt ein seltsames Zischen und Brausen, fast wie das Geräusch eines Wasserfalles klingend, wenn an einen solchen hier auf dem Meere zu denken wäre. Höchstens, daß man nahe genug an Land war, um das Herabstürzen eines Baches ins Meer vernehmen zu können oder auch das Wüten der Brandung in einer Höhle. Letzteres konnte sogar eher der Fall sein, denn oft war es den Mädchen, als bräche das Geräusch plötzlich ab.

Doch Land war nicht in der Nähe. Die Nacht war völlig klar, die Sterne, wie der Mond beschienen die Wasserfläche und gestatteten einen weiten Umblick.

»Was ist das?« rief mit einem Male Johanna, welche sich den beiden zugesellt hatte, und deutete mit der ausgestreckten Hand auf das Meer voraus.

Man konnte deutlich erkennen, wie dort von Zeit zu Zeit kleine Wasserstrahlen emporgeschleudert wurden, bald hier, bald da, stieg eine solche Wassersäule empor, fast wie eine Fontäne anzusehen. Von diesem mußte das Zischen stammen.

Noch ehe jemand eine Antwort darauf fand, kam diese schon von der Kommandobrücke. Ellen hatte das Zischen ebenfalls gehört und betrachtete jetzt die Wasserstrahlen durch ein Nachtglas.

»Walfische,« rief sie, »eine ganze Herde! Sie schwimmen in gleicher Richtung mit der ›Vesta‹, aber bedeutend langsamer. Wenn sie so weiterschwimmen, befinden wir uns in einer Stunde mitten unter ihnen.«

Der Ruf, daß eine Herde Walfische in Sicht wäre, lockte schnell alle Mädchen aus den Kojen, mit schlaftrunkenen Augen eilten sie an Deck und genossen das Schauspiel, welches sich ihnen hier zum ersten Male darbot.

In der Nähe des Südpoles trifft man noch auf ungeheure Herden von Walfischen, es gibt dort bedeutend mehr solcher Tiere, als in dem nordischen Eismeere, aus dem einfachen Grunde, weil dort der Fischfang viel mehr betrieben wird. In Skandinavien, England und Nordamerika gibt es ja ganze Häfen, welche nur als Ankerplätze für Walfischfänger dienen.

Eine solche Herde von Riesenfischen schwamm jetzt vor der ›Vesta‹.

Es mochten wohl gegen hundert Tiere sein, wenigstens der Anzahl der Strahlen nach zu schließen, welche emporgeschleudert wurden. Der Walfisch atmet bekanntlich nicht durch Kiemen, wie der Name Walfisch eigentlich ganz falsch ist, denn er ist gar kein Fisch, ebensowenig, wie der Seehund, Seelöwe und so weiter, oder eine Seeschlange etwa mit dem Namen Fisch bezeichnet werden könnte. Er besitzt nur das Aussehen eines Fisches, legt aber keine Eier, wie dieser, sondern bringt lebendige Junge zur Welt und säugt sie, ist also ein Säugetier. Sein richtiger Name ist daher auch nicht Walfisch, sondern einfach Wal, da aber der erstere schon zu sehr eingebürgert ist, so soll er auch hier ferner beibehalten werden.

Ununterbrochen spritzten die Wasserstrahlen aus den Nasenlöchern hoch in die Luft, aber die Tiere waren nicht nur mit Fütterung ihres großen Magens beschäftigt, sie hatten auch noch Zeit genug übrig zum Spielen.

Es waren bei der Herde zahllose Junge, und diese schossen hin und her, wälzten sich, wie man jetzt schon mit einem Fernrohr erkennen konnte, auf den Rücken, stießen sich gegenseitig, drängten sich an die Mütter heran und jagten sich im Wasser. Manchmal schnellte auch einer hoch aus dem Wasser heraus, so daß der unheimliche Kopf und der gespaltene Schwanz sichtbar wurden.

»Wenn sie nur nicht vor dem Tageslicht fliehen,« rief Ellen, »dann gibt es eine Walfischjagd, wie ich mir sie schon immer gewünscht habe.«

Eine lebhafte Aufregung bemächtigte sich aller Mädchen.

Sie hatten von New-York eine vollständige Ausrüstung mitgenommen, um Jagd auf diese Tiere abhalten zu können, die mächtigen Harpunen waren vorhanden, ebenso die Rollen, an denen das an der Harpune befindliche Seil abläuft, und die Bote waren stark genug. Im Rudern getrauten sich die Mädchen, es mit jedem aufnehmen zu können, und was das Schleudern der schweren Harpune betraf, so war das wieder einmal eine Gelegenheit, beweisen zu können, daß ihre ungeschwächte Kraft der eines Mannes nichts nachgab, ebensowenig, wie ihre Kaltblütigkeit. – Ach, wenn doch die Herde nicht vor Tagesanbruch scheu vor dem Schiffe flöhe!

Ellen meinte, es sei das beste, den Lauf der ›Vesta‹ zu mäßigen, um nicht in die Herde hineinzufahren. Die Walfische sind sehr sorglose Tiere, sie lassen ein Schiff oft so nahe herankommen, daß dieses an sie stößt, dann aber fliehen sie mit rasender Schnelligkeit davon, wie wäre es sonst auch möglich, daß die Walfischjäger im Boot so dicht an den Walfisch heranfahren könnten, daß sie sogar die Harpune nach ihm schleudern, ja sogar, daß sie ihm dieselbe unter Umständen in den Leib stoßen können.

Während die ›Vesta‹ langsam hinter den Tieren herfuhr, drehte sich das Gespräch der Damen natürlich um die Walfische, um die zu erwartende Jagd und um die Art, wie eine solche stattfindet.

Der Walfischfang wird jetzt weniger so betrieben, wie vor etwa zwanzig Jahren, das Zeitalter des Dampfes hat auch diesen umgestaltet, doch gibt es noch immer sehr viele Kapitäne von Segelschiffen, welche ausschließlich mit dem Fangen der Walfische beschäftigt, noch ebenso jagen, wie früher. Beim alten Prinzip werden Boote ausgesetzt mit etwa zehn Ruderern, einem Steurer und demjenigen, welchem das Werfen der Harpune obliegt, dem eigentlichen Walfischjäger, der wichtigsten und bestbezahlten Person des ganzen Schiffes.

Die Harpune besteht aus einem langen, biegsamen Holzstiel, an dessen einem Ende die Stahlspitze mit festen oder beweglichen Widerhaken sitzt, welche letztere beim Zurückziehen der Harpune auseinandergehen. Am anderen Ende desselben ist eine Leine gebunden. Diese läuft über eine Rolle, welche sich am Boote befindet, und ist sehr lang, oft über 100 Meter, und aus bestem Hanf gefertigt. Die Rolle ist am Boote befestigt und um eine Axe drehbar.

Das schlanke, scharfgebaute Boot wird nach den still liegenden oder langsam schwimmenden Tieren gerudert – bei einer Herde wird natürlich immer das Größte ausgewählt – der Jäger stellt sich im Vorderteil aufrecht, hebt die Harpune hoch über den Kopf und schleudert sie, wenn er nahe genug herangekommen zu sein glaubt, nach dem Wal. Die Zielpunkte sind verschieden, der eine Jäger zielt nach dem Herzen, der andere nach der Leber oder der Lunge.

Von dem Augenblick an, da die Harpune in den speckigen Körper fährt, beginnen die Matrosen mit aller Kraft zu rudern, denn der Wal schießt mit Blitzesschnelle davon, nachdem er getroffen ist. Aber so schnell das Boot auch fährt, die sich ungeheuer schnell abwickelnde Leine zeigt, wie geschwind der Walfisch schwimmen kann.

Je näher das Seil seinem Ende kommt, desto schneller müssen die Riemen geführt werden, denn sofort, wenn das Seil abgelaufen ist, erhält das Boot einen furchtbaren Ruck, so daß oft genug die Insassen herausgeschleudert werden. Würde das Boot nicht in solcher Fahrt gehalten werden, so würde die Leine durch den heftigen Ruck unbedingt reißen, so wird er aber abgeschwächt – die Leine hält, und das Boot wird nachgeschleppt. Ebenso müssen auch gleichzeitig die Riemen aus dem Wasser gezogen werden, sonst brechen sie.

Es dauert nicht lange, so vermindert sich die Schnelligkeit des fliehenden Tieres, der Widerhaken der Harpune hat eine tiefe Wunde gerissen, aus welcher das Blut stromweise fließt, wie man sogar aus dem zurückgelassenen roten Streifen sehen kann, der der Spur des Wales folgt.

Viel Blut kann der Walfisch nicht verlieren, er verendet bald und kommt an die Oberfläche. Das Boot schleppt ihn an das Schiff heran, und nun beginnen die Zerleger mit der Arbeit.

Sie treten einfach auf das noch im Wasser liegende Tier und zerschneiden es, worauf die einzelnen Teile an Bord geholt werden. Dann beginnt das Loslösen des Fischbeins, der Knochen und schließlich das Auskochen des Trans.

Es sei hier erwähnt, daß das Leben auf einem Walfischfänger das schlechteste ist, was man sich nur denken kann. Durch das Auskochen des Trans verbreitet sich auf dem Schiffe ein Geruch, welcher nicht zum Aushalten ist, und die Arbeit ist die schmutzigste und ekelhafteste, wie man sie nur finden kann, wird aber infolgedessen sehr gut bezahlt. Für eine Tonne ausgekochten Speck erhält der Matrose einen gewissen Anteil am Verkauf, der direkt beim Fangen tätig gewesene die doppelte Prämie.

Aber die Unsauberkeit, der Gestank und das rohe Wesen, wie es auf einem solchen Schiffe herrscht, spotten jeder Beschreibung, und wie es mit dem Essen aussieht, kann man daraus entnehmen, daß ein Walfischfahrer gewöhnlich drei Jahre draußen bleibt, ehe er wieder einen Hafen anläuft. Wasser verschafft er sich mittels eines Destillier-Apparates.

Und warum bleibt er so lauge von aller Welt abgeschlossen? Aus dem sehr einfachen Grunde, weil der pfiffige Kapitän, der sich auf jeder Fahrt ein Vermögen erwirbt, sehr wohl weiß, daß seine ganze Mannschaft im ersten Hafen, den er anläuft, von Bord desertiert. Der Matrose muß eine sehr gefühllose und widerstandsfähige Natur besitzen oder aber sehr geldgierig sein, der eine solche Reise zum zweiten Male mitmacht.

Jeder Seemann, der einmal an Bord eines Walfischfahrers gewesen ist, verschweigt dies sorgfältig vor seinen Kameraden, denn es wird ihm zur Schande angerechnet, als ›Trankocher‹ gefahren zu sein. Erst so und so viele Jahre Seefahrtszeit auf einem Handelsschiff kann ihn von diesem Flecken reinwaschen – so niedrig denkt der Seemann von dem, welcher aus Geldgier auf einem Walfischfänger, dem schmutzigsten Schiffe der ganzen Welt, gefahren hat.

Die zweite Art des Walfischfanges ist eine viel einfachere und gefahrlosere, denn bei ersterer kann der Fall eintreten, daß durch Umschlagen oder Zertrümmern des Bootes durch den Schwanz des Walfisches Menschenleben verloren gehen, aber sie besitzt nicht mehr die Romantik, welche dennoch die Walfischjagd umgibt.

Die betreffenden Dampfer haben eine Art von Geschützen an Bord, die mit komprimierter Luft, ja, sogar mit Pulver geladen sind und die Harpune nach dem schwimmenden Tiere schleudern. Das Tau an letzterer ist stark genug, um den Ruck auszuhalten, das Schiff wird daran noch von dem riesenstarken Wale eine Strecke fortgeschleppt, aber bald hat er ausgeblutet und wird herangezogen.

Die Vestalinnen mußten sich zur Jagd natürlich der Boote bedienen, was ja auch viel interessanter und ihrer Natur würdiger war.

Der Tag brach an, und man konnte die Tiere jetzt in einer Entfernung von etwa dreihundert Metern schwimmen sehen, unbekümmert um das Schiff, das in ihrer Nähe war. Ihr munteres Spielen hatten sie eingestellt, die riesigen Kolosse lagen still da, die Rücken wie Inseln aus dem Wasser hervorstreckend, zwei Punkte davor bezeichneten die Stelle, wo die Nasenlöcher sich befanden. Nur ab und zu spritzten noch Wasserstrahlen zum Himmel empor, sonst mußten die Tiere schlafen oder der Verdauung pflegen, denn sie lagen still. Die ›Vesta‹ näherte sich ihnen schnell.

Ellen ließ zur Seite fahren und rief die Freundinnen zu einer Beratung, denn es galt festzusetzen, wer an der Jagd teilnehmen sollte. Alle konnten nicht mitfahren, einige mußten wenigstens auf der ›Vesta‹ bleiben, und so wurde beschlossen, daß nur die Hälfte ins Boot ginge, während die anderen zurückblieben. Gestatteten die Verhältnisse nach der glücklichen Erlegung eines Tieres noch eine Fahrt, so sollten letztere daran teilnehmen.

Ellen beteiligte sich auf jeden Fall an der Jagd, damit waren alle einverstanden, und unter den anderen vierundzwanzig Mädchen entschied das Los.

»So,« sagte Ellen, als zwölf Mädchen bestimmt worden waren. »Nun gilt es noch auszumachen, wer die Harpune schleudern soll. Hier sind dreizehn Zettel, jede schreibe darauf den Namen derer, die sie dazu am befähigtsten hält.«

Als Ellen darauf die Zettel las, zeigten diese alle ihren Namen, mit Ausnahme eines einzigen, auf dem Miß Murray stand, diesen hatte Ellen selbst geschrieben.

Das größte Boot, ein Kutter, wurde mit allen erforderlichen Gegenständen ausgerüstet und herabgelassen. Zehn Ruderer nahmen darin Platz, ein Mädchen setzte sich ans Steuer, Ellen begab sich mit der Harpune nach dem Vorderteil und placierte die dreizehnte neben die Rolle für das Tau, welche sich ebenfalls vorn befand.

Noch einmal instruierte Ellen ihre Gefährtinnen, wie sie sich in allen Lagen zu verhalten hätten, schärfte den Ruderern ein, die Riemen ja sofort aus dem Wasser zu heben, weil der aus der Hand gerissene Griff des Riemens, welcher durch den Ruck nicht zerbrach, den Insassen die Knochen zerschmettern konnte, und wies dann noch ganz besonders das neben der Rolle sitzende Mädchen an.

Das Boot stieß ab, direkt auf die ruhenden Walfische zuhaltend. Nicht nur die an der Jagd Beteiligten, auch die auf der ›Vesta‹ zurückgebliebenen Zuschauer wurden von einer fieberhaften Aufregung beherrscht.

Ellen ließ das Boot nach einem der größten Burschen, welcher ihnen am nächsten lag, steuern. Aber das Tier merkte das Boot und schwamm davon, jedoch ganz gemächlich. Durch seine Bewegungen wurden auch die anderen Wale aufmerksam, spritzten Strahlen empor und entzogen sich der drohenden Nähe des Bootes.

Diese Vorsicht der Walfische kam daher, weil sie viele Jungen bei sich hatten, über deren Sicherheit die Mütter wachten.

Da entdeckte Ellen etwas außerhalb der Herde ein gewaltiges Tier, das nicht an der allgemeinen Bewegung teilgenommen hatte.

Wieder näherte sich ihm das Boot, diesmal aber erst einen großen Umweg machend und dann von hinten kommend. Ellens ausgestreckte Hand gab die Richtung an.

Richtige Walfischfänger hätten über die Mädchen gelacht, weil diese sich nämlich in flüsterndem Tone unterhielten, als fürchteten sie, durch lautes Sprechen die Wale im Schlafe zu stören.

»Holt tüchtig aus!« rief Ellen jetzt, die Mädchen zum Rudern anfeuernd.

Sie stand schon hoch aufgerichtet im Vorderteil des Bootes, einen Fuß auf der Ruderbank, den anderen auf dem Schnabel und hielt die Harpune in der rechten Hand.

Jetzt war das Boot nur noch zwanzig Meter von dem Walfisch entfernt, von dem man nur den Rücken sehen konnte, jeder Riemenschlag brachte es näher heran. Ellen hob die Harpune hoch über den Kopf, neigte den Oberkörper zurück und schnellte ihn dann wieder vor, die Harpune mit aller Kraft in den speckigen Rücken des Tieres schleudernd, in welchen sich die mit Widerhaken versehene Spitze einbohrte.

Zwei riesige Strahlen spritzten empor, dann verschwand der Wal unter Wasser, und die sich schnell abwickelnde Leine zeigte an, mit welcher Gewalt er davonschoß.

»Holt aus, holt aus!« rief Ellen, und es war nötig, daß die Mädchen die Riemen mit Aufbietung aller Kraft handhabten, denn schon drehte sich die Rolle, und zwar so schnell, daß die Achse nicht nur zu rauchen begann, sondern auch schon Funken sichtbar wurden.

Das Amt des dreizehnten Mädchens nun war es, die Rolle, wie auch das Seil mittels des Eimers fortwährend mit Wasser zu begießen, um zu verhindern, daß Feuer entstand und das Seil abgesengt wurde.

Ellen hatte den Riesen gut getroffen, die Harpune mußte eine tiefe Wunde gerissen haben, aus der viel Blut floß. Man konnte schon aus der zurückgelassenen, roten Spur sehen, wohin sich das Tier wendete, und obgleich das Seil noch lange nicht abgewickelt war, begann sich die Rolle doch langsamer zu drehen. Der Walfisch floh nordwärts.

»Noch einen guten Zug und hoch die Riemen!« kommandierte Ellen. Noch einmal legten sich die Mädchen kräftig hintenüber, dann flogen die Riemen gleichzeitig außer Wasser und ins Boot. Gleichzeitig erhielt das Fahrzeug einen heftigen Ruck – das Seil war abgelaufen. Wäre das Tier nicht schon sehr erschöpft gewesen, so wäre der Ruck ein außerordentlicher gewesen, so aber hatte er keine nachteiligen Folgen.

Das Boot wurde jetzt von dem Walfisch geschleppt und durchschnitt die Wellen noch immer schnell genug.

»Uns bleibt nun nichts anderes übrig, als ruhig zu warten, bis der Tod des Walfisches durch Blutverlust eintritt,« sagte Ellen, »lange dauert dies gewöhnlich nicht.«

»Sinkt er dann unter?« fragte ein Mädchen.

»Nein. Infolge seines Speckes schwimmt er oben,« war die Antwort.

»Was beginnen wir dann mit ihm?«

»Wir schneiden die Barten, die Walfischbeine und einige andere Körperteile als Trophäen ab und überlassen das übrige den Seevögeln als willkommene Beute.«

Die ›Vesta‹ war noch lange nicht außer Sicht. Die im Boote befindlichen Mädchen konnten sehen, wie die Raaen gewendet wurden, so daß das Schiff einen nördlichen Kurs einschlug. Es wollte dem Boote folgen.

Von den anderen Walfischen war keiner mehr zu erblicken.

»Land!« rief da plötzlich Ellen und deutete mit der Hand voraus. »Es ist die Küste des Feuerlandes.«

Am Horizont tauchte ein nebliger Streifen auf, welchen man eher für eine Wolke halten konnte, aber Ellens geübtes Auge hatte ihn sofort als Land erkannt.

Die Südspitze von Amerika wird bekanntlich von einer Insel gebildet, welche vom Festlande durch die Magellanstraße getrennt ist. Diese Insel heißt Feuerland, oder aber, wie sie von Geographen und Seeleuten bezeichnet wird, Terra del Fuego, was nur der spanische Ausdruck für Feuerland ist. Auf ihr befindet sich Kap Horn, die südlichste Spitze von ganz Amerika.

Der Südwestküste dieser Insel strebte der Walfisch zu, und bei der Schnelligkeit, mit der er die Fluten durchschnitt, konnte man vielleicht das Land in einer halben Stunde erreicht haben, doch stand zu erwarten, daß er, sobald er Land in der Nähe bemerkte, die Richtung änderte und wieder dem offenen Meere zuschwamm.

Er blieb nicht immer unter Wasser, sondern kam etwa aller fünf Minuten nach oben, steckte den Kopf etwas über die Oberfläche und verschwand dann wieder. Dies war aber kaum an der Bewegung des Wassers zu bemerken.

Schnell näherte man sich der Küste. Man konnte schon erkennen, daß sie hügelig war, aber flach ins Meer hinabfiel, auch zeigte sie viele Buchten und Halbinseln.

»Der Walfisch stirbt,« rief Ellen wieder, »er taucht schon nicht mehr unter, schwimmt aber noch immer weiter, direkt dem Lande zu. Es wäre gut, wenn wir ihn dahin bugsieren könnten.«

Der Wal hörte endlich auf in seinen Bewegungen. Matt lag er auf dem Wasser, ohne die Flossen oder den Schwanz zu bewegen, die Entfernung von ihm bis zum Lande betrug höchstens noch dreihundert Meter.

Noch wagte Ellen nicht, an ihn heranzurudern, denn der sterbende Walfisch ist gefährlich. Mit einem Schlage des Schwanzes vermag er nicht nur ein Boot zu zerschmettern, er kann dasselbe mitsamt der Besatzung hoch in die Luft schleudern.

Plötzlich stiegen aus den Nasenlöchern des Tieres zwei hohe Strahlen empor, er sprang förmlich aus dem Wasser, schlug noch ein paarmal krampfhaft mit dem Schwanze hin und her, so daß das Wasser wie bei einem Sturme Wogen warf und legte sich dann auf die Seite – er war tot.

Jetzt mußte es gewagt werden, sich dem Ungetüm zu nähern und sich von seinem Tode zu überzeugen. Ellen ließ dicht heranrudern und stach es mit einem Riemen in die Seite, bohrte ein Messer in den Körper, aber es rührte sich nicht. Mit einem Sprunge stand das mutige Mädchen auf der schwimmenden Insel, dem Körper des Walfisches, und die Gefährtinnen konnten sich den Triumph nicht versagen, ebenfalls auf dem selbsterlegten Tiere gestanden zu haben. Sie folgten Ellen nach.

Das Seil wurde von der aus der Seite herausragenden Harpune abgelöst, diese selbst sollte erst später herausgeschnitten werden, dann zog man ein Tau durch den Unterkiefer des Tieres, befestigte dieses hinten an dem Boote und schleppte die Beute dem Ufer zu. Das ging natürlich nur sehr langsam von statten, und man konnte erwarten, daß die ›Vesta‹ das Boot bald einholte.

Das Schiff befand sich schon nahe an der Küste, und die Mädchen im Boote konnten sehen, wie die stellvertretende Kapitänin fortwährend loten ließ, um nicht auf eine Sandbank zu geraten und sitzen zu bleiben.

»Es ist gerade Flut,« sagte Ellen, »aber das Wasser beginnt bereits zu fallen. Wir bringen das Tier dort in eine Bucht, welche, wie ich vermute, flach ist, ziehen es so weit als möglich ans Land, und tritt dann das Wasser zurück, so liegt der Wal auf dem Trockenen, und wir können ihn gemächlich zerlegen.«

Während der Fahrt hatte niemand das Land selbst beobachtet, jetzt aber bemerkten alle, daß die ›Vesta‹ nicht das einzige Schiff in dieser Gegend war. In einem geräumigen, natürlichen Hafen lag ein stattliches Vollschiff, welches hier angelaufen war, wahrscheinlich, wie Ellen meinte, um eine Reparatur auszuführen.

Flaggen zeigte es nicht, und durch das mitgenommene Fernrohr konnte man auch seinen Namen nicht lesen, denn die auf dem Hinterteil stehenden Buchstaben waren ganz abgewaschen, als wäre das Schiff schon lange unterwegs, ohne je einen Hafen angelaufen zu haben. Die Mannschaft stand an Deck und beobachtete das herankommende Boot mit dem Walfisch. Dasselbe fuhr in die Bucht, die Leine wurde verlängert, die Mädchen ruderten an Land und sprangen auf das felsige, mit Schnee und Eis bedeckte Gestade, welches hier eben war, weiterhin aber hügelig wurde. Zahlreiche Bäche flossen in die Bucht, aber ihre Oberfläche war gefroren, nur die reißendsten hatte die Kälte nicht zum Gefrieren gebracht.

Bald erschien ein zweites Boot mit Mädchen, welche ihren Gefährtinnen zu Hilfe kommen wollten, und brachte noch mehr Taue und Stricke mit. Der Walfisch wurde an mehreren Stellen mit Schlingen umgeben, und dann machten sich die zwanzig Mädchen daran, das Tier, dessen gewaltige Länge sie jetzt erst erkannten, ans Land zu ziehen.

Ihren vereinten Kräften gelang es, den Walfisch wenigstens so weit ans Ufer zu bringen, daß sein Körper zur Hälfte aus dem Wasser herausragte. In einer Stunde mußte jedoch der ganze Körper bloßliegen.

Ellen ordnete an, daß das zweite Boot noch einmal zu der ›Vesta‹ zurückkehrte, die in tiefem Wasser vor Anker lag, und Messer und Beile herbeihole, um das Tier zerlegen zu können.

Als das Boot wieder zurückkam, war das Wasser schon so weit zurückgetreten, daß man den Kadaver trockenen Fußes vom Ufer erreichen konnte. Eben machten sich die Mädchen eifrig daran, die Barten, welche das sogenannte Fischbein geben, mit Messern abzuschneiden, als ein lauter Ausruf in spanischer Sprache sie veranlaßte, ihre Köpfe nach dem Ufer zu wenden.

Da standen plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, wohl 30 Männer da, alle in Seehundsfelle gekleidet, Stiefeln von demselben Stoffe an den Füßen und auf den Köpfen Pelzmützen. In den Händen trugen einige der Männer Harpunen, andere Aexte und Messer.

»Walfischfänger,« dachten die Mädchen.

Jedenfalls war es die Besatzung eines chilenischen oder argentinischen Walfischfängers, denn der Ruf war spanisch gewesen. Das gerufene Wort hatte niemand verstanden, es mochte wohl ein Ausdruck der Ueberraschung gewesen sein, aber es hatte auch drohend geklungen, und beim Näherkommen der Männer konnte man erst richtig erkennen, was für schmutzige Burschen man vor sich hatte.

Die Anzüge starrten förmlich vor Schmutz und Fett, sie stanken schon aus weiter Entfernung nach Lebertran, und einen ebenso ungünstigen Eindruck, wie ihre Kleider, machten auch ihre Gesichter. Alle Männer zeigten rohe, vertierte Züge, die Gesichter waren aufgequollen, aber die Röte stammte nicht nur von Wind und Sonne, sie mußte auch die Folgen starken Trinkens sein.

Besonders der Mann, welcher den Mädchen am nächsten stand, eine kleine, untersetzte aber breitschulterige Figur, zeigte ein widerwärtiges Aeußere, die kleinen Schweinsaugen in dem aufgedunsenen und von Schmutz starrenden Gesicht waren blutunterlaufen. Er stützte sich auf eine lange Harpune und betrachtete mit bösem Blick das Treiben der Mädchen.

»Was wünschen Sie?« fragte Ellen, von ihrer Beschäftigung ablassend und sich dem Manne zukehrend.

»Wie kommt Ihr Weiber dazu, den von uns getöteten Walfisch an Land zu schleppen und ihn zu zerlegen?« sagte der Mann mit branntweinheiserer Stimme.

Gleichzeitig ließen alle Mädchen die Hände sinken und wandten sich, mehr erstaunt, als entrüstet über eine solche Frage, um.

»Ihren Walfisch?« entgegnete Ellen, ebenfalls völlig erstaunt, »Das beruht wohl auf einen Irrtum. Wir haben diesen Walfisch gejagt, mit der Harpune erlegt, hierher geschleppt und sind nun dabei, ihn zu zerlegen.«

»Das ist nicht wahr,« rief der Mann, jedenfalls der Kapitän des Walfischfängers, »wir haben den Fisch gejagt, aber er ist uns entflohen und hat Harpune, Seil und Rolle mitgenommen. Ueberlaßt uns das Tier.«

Die Mädchen wunderten sich, daß die Männer so wenig Staunen zeigten beim Anblick der Mädchen in Männerkleidung. Es mußten ganz vertierte Menschen sein, die sich über nichts mehr wunderten. Jedenfalls glaubten sie, die Mädchen wären Passagiere jenes Schiffes dort, das sich auf den Wellen schaukelte.

»Sie sind im Irrtume,« entgegnete Ellen, ihre Ruhe noch behaltend, »Ihnen mag wohl ein getroffener Wal entgangen sein, mit diesem verhält es sich aber so, wie ich sagte, wir haben ihn getötet, er ist unser. Sie mögen ein Walfischjäger sein, der vom Fange der Tiere lebt, aber die Jagd ist frei, und so sind wir durchaus nicht bereit, Ihnen das Tier zu überlassen.«

»Es ist nicht wahr,« rief der Mann abermals, »Ihr habt das Tier tot gefunden.«

»So,« rief Ellen, jetzt zornig werdend – die Mädchen drängten sich schützend um ihre Führerin – »gehört diese Harpune vielleicht Ihnen?«

Damit hielt sie dem Manne die bereits herausgeschnittene Harpune vor die Augen.

»Gewiß, es ist die meinige,« war die freche Antwort, und seine Gefährten bestätigten es durch Zurufe.

»So,« sagte Ellen, mehr spöttisch als ärgerlich, »und die Leine, die Rolle, gehören auch Ihnen?«

»Allerdings.«

»Wie kommt es denn, daß auf dem Schaft der Harpune, wie auch auf der Rolle, der Name ›Vesta‹, der unseres Schiffes, eingebrannt ist?«

»Den mögt Ihr eingebrannt haben, als Ihr sie gefunden habt.«

Die Mädchen brachen in Rufe der Entrüstung aus über eine solche Unverschämtheit. Es war klar, dieser Mensch wollte den riesigen Walfisch, der einen außerordentlichen Gewinn versprach, als sein Eigentum reklamieren und glaubte mit den jungen Mädchen, die er für Passagiere hielt, leichtes Spiel zu haben. Das Schiff dort brauchte er nicht zu fürchten, die Walfischjagd treibenden Schiffe sind sehr gut bewaffnet.

Aber der Mann sollte sich irren, die energische Ellen war nicht willens, sich eine Barte von dem Walfisch nehmen zu lassen. Aus Neugierde, wie weit der Kerl seine Frechheit treiben würde, stellte sie noch eine Frage:

»Können Sie nicht sehen, daß diese Harpune hier ganz anders konstruiert ist, als jene, welche Sie und Ihre Leute haben? Bei diesen sind die Widerhaken fest, aber bei der unseren sind sie an der Spitze beweglich.«

Jetzt veränderte der Mann sein Benehmen, er wollte durch Brutalität die Mädchen einschüchtern.

»Unsinn!« brüllte er Ellen an. »Wir haben auch solche Harpunen, ihr habt den Namen erst eingebrannt. Nochmals, ihr habt den von uns getöteten Walfisch gefunden, und deshalb schert euch in eure Boote und fahrt zum Henker! Der Walfisch gehört mir, und wenn ihr es nicht glauben wollt, so werde ich es euch zeigen. Fort mit euch!«

Es war eine Eigentümlichkeit von Ellens Charakter, daß sie bei Kleinigkeiten aufgeregt wurde, in der Mitte der Gefahr, wenn es darauf ankam, aber die größte Kaltblütigkeit zeigte.

Mit einem Blick überflog sie die 30 Männer, sie führten nur Harpunen, Aexte und Messer bei sich, Schießwaffen waren an ihnen nicht zu sehen. Die Mädchen dagegen trugen alle unter den Blusen Lederetuis mit geladenen Revolvern darin.

»Wir werden euch zeigen, ob wir auf diesen Walfisch Anspruch machen dürfen oder nicht,« sagte sie ruhig, »wir haben ihn getötet und damit basta – mögen Sie es glauben oder nicht. Wir nehmen jetzt von dem Tiere, was uns beliebt. Was übrig bleibt, können Sie behalten.

»Schneiden Sie die Barten und die Kiefer aus.« wandte sie sich an die Mädchen, »den Speck wollen wir diesem galanten Herrn schenken, er braucht ihn, um seinen so schon fettigen Anzug noch mehr einzusalben.«

Der Kerl achtete nicht den Spott, der in diesen Worten lag, er sah nur, wie Ellen und auch ein Teil der Mädchen die Messer aus den Gürteln zogen und Miene machten, sich nach dem Walfisch zurückzubegeben, um ihn zu zerlegen.

Mit einem Ruck hielt er die Harpune über den Kopf, holte weit aus und schrie, nach Ellen zielend:

»Die erste, die den Fisch anfaßt, durchbohre ich mit der Harpune.«

Die Mädchen wußten nicht, ob dies nur eine Drohung war, oder ob der Mann Ernst mache. Ellen kehrte sich nicht daran, sie ging nach dem Walfisch zurück und sagte kalt:

»Es könnte möglich sein, daß dies der letzte Wurf wäre, den Ihr tut.«

Sie faßte eine Barte und trennte sie mit einem Schnitt des Messers vom Kiefer, aber gleichzeitig erscholl ringsum ein Schrei des Entsetzens – der Kerl machte seine Drohung war.

Zischend durchschnitt die Harpune, von seiner kräftigen Hand geschleudert, die kaum 10 Meter weite Entfernung, die ihn von Ellen trennte, die Waffe flog direkt auf das Mädchen zu, sie mußte dessen Körper durchbohren.

Aber sie erreichte ihr Ziel nicht, der Platz, wo Ellen gestanden, war leer, und die Harpune blieb mit zitterndem Schaft im Kopfe des Walfisches stecken.

So unbefangen Ellen sich auch gestellt, sie hatte den zum Wurfe ausholenden Mann nicht aus dem Auge gelassen, und als die Harpune auf sie zusauste, sprang sie blitzschnell zur Seite und war mit einigen Sätzen bei dem rohen Gesellen.

Dieser wußte nicht, wie ihm geschah. Plötzlich erhielt er einen Faustschlag unter das Kinn, der ihn kopfüber zu Boden warf, dann fühlte er einen Fuß auf seine Brust gesetzt, und als er aufsah, vor Schrecken und von dem Schlage halbbetäubt, blickte er in das drohende Gesicht des Mädchens, nach dem er die Waffe geschleudert hatte, und in die noch drohendere Mündung eines Revolverlaufes.

Die anderen Männer hatten Lust gezeigt, sich ebenfalls zu einem Streite oder vielmehr zum Vertreiben der Mädchen bereitzumachen, die Harpunen waren erhoben, die Aexte von den Schultern genommen und die Messer aus den Gürteln gezogen, aber schnell unterließen sie ihr Beginnen, denn zwanzig Revolver blitzten ihnen entgegen.

»Ich sollte dich wie einen räudigen Hund totschießen, denn zwischen dem und dir ist gar kein Unterschied,« sagte Ellen mit vor Erregung zitternder Stimme, »aber du bist gar keinen Schuß Pulver wert, du Raubtier ohne Herz und Gewissen. Gern möchte ich dir noch eine tüchtige Züchtigung angedeihen lassen, aber es ekelt mich schon, daß ich dich einmal mit der Hand berührt habe.«

Der Mann, aus dessen Nase das Blut zu fließen begann, hatte bis jetzt mit weit ausgestreckten Armen und Beinen, wie ein geprellter Frosch dagelegen, nun versuchte er sich aufzurichten, wurde aber durch Ellens Fuß zurückgestoßen.

»Wage nicht, etwas gegen uns zu unternehmen!« fuhr das Mädchen fort. »Du hast gesehen, wir sind keine Weiber, die mit sich spielen lassen. Stehe jetzt auf,« sie zog den Fuß zurück, »und entferne dich mit deinen Leuten von hier! Das aber laß dir gesagt sein: ebensowenig wie du unser Leben zu schonen gewillt warst, werden wir das deinige schonen, das heißt, derjenige, der nur Miene macht, eine Waffe gegen uns zu erheben, hat eine Kugel im Kopf. Fort jetzt mit dir und deinen Gefährten!«

Der Mann gehorchte der in drohendem Tone gegebenen Aufforderung. Noch halb betäubt erhob er sich, griff an seinen Kopf, in dem es wahrscheinlich surrte und brummte, und murmelte etwas, was fast wie eine Entschuldigung klang. Die Lektion war ihm jedenfalls sehr gut bekommen, er hätte schon längst einmal eine haben müssen, er war mit einem Male um vieles manierlicher geworden.

Die auf der ›Vesta‹ zurückgebliebenen Mädchen hatten bemerkt, daß zwischen ihren Gefährten und den dazugekommenen Walfischjägern ein Konflikt stattfand, und kurz entschlossen hatten sie die Revolverkanonen an die Bordwand gerollt, um nötigenfalls den Freunden aus der Ferne beistehen zu können.

Sie wußten aus der Erzählung Ellens, daß zwischen den Walfischfängern eines elenden Fisches wegen oft die blutigsten Kämpfe stattfinden, so geldgierig sind diese Leute. Dies hatten die Mädchen am Lande gesehen, gleichzeitig aber auch, daß sich der ›Vesta‹ eine Unmenge von kleinen Kähnen näherte, in denen dunkle Gestalten saßen; doch war jetzt keine Zeit dazu sich mit ihnen zu beschäftigen, diese ernste Situation nahm vorläufig ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Seht ihr dort die Kanonen?« fuhr Ellen fort, zu den übrigen Leuten sich wendend, »Sie sind auf euch gerichtet, und es bedarf nur eines Winkes von mir, so fliegen die Granaten zwischen euch, und eure Leiber liegen in Stücken umher. Laßt uns allein und geht an Bord eures Schiffes!«

Willig gehorchten die Männer. Sie waren ordentlich froh, mit heiler Haut aus dem Bereiche dieser seltsamen Mädchen zu kommen, die ihren Kapitän, der einen Ochsen mit einem Schlage seiner Faust fällen konnte, wie ein Kind über den Haufen warfen, und die alle Revolver bei sich trugen. Machten dort die Kanonen Ernst, so war es um ihrer aller Leben geschehen, und sie hätten die Fässer umsonst im Laufe zweier Jahre mit stinkigem, aber wertvollen Trane gefüllt.

Der Kapitän kratzte sich hinter den Ohren, als er seine Leute eiligst zurückführte; das hätte er doch eigentlich wissen sollen, daß Mädchen, welche Hosen anhatten und einen Walfisch fingen, mit dem Satan im Bunde sein mußten. Begegnete er noch einmal solchen Ausgeburten der Hölle, so wollte er sich schön hüten, mit ihnen Streit anzufangen – das nahm er sich fest vor.

Einmal wandten die Fortgehenden noch scheu die Köpfe und blickten zurück, denn ein lautes Gelächter erscholl hinter ihnen, weil eine helle Mädchenstimme ihnen einige Worte nachgesandt hatte, deren Sinn sie gar nicht verstanden.

»Wenn Ihr durchaus Tran haben wollt, ohne einen Walfisch zu fangen,« hatte Hope ihnen nachgerufen, »so legt euch selber in den Topf und kocht euch ordentlich«. aus. Ein Faß Lebertran kommt doch noch aus euren Kleidern.«

»Schnell, meine Damen!« rief Ellen, als die Jäger hinter einem Hügel verschwunden waren. »Wir schneiden nur einige Barten und Flossen ab, um wenigstens ein Andenken an diese Jagd zu haben. Dann aber schleunigst nach der ›Vesta‹ zurück, denn, wie ich sehe, hat sie Besuch von Feuerländern bekommen, und die fünf zurückgebliebenen Vestalinnen können die braunen Burschen nicht abhalten. Sie sind schon aus den Booten gestiegen und haben das Deck erklettert. Da, sehen Sie, Miß Sargent hat eben einen der Kerle ins Wasser geworfen. Aber sie überfluten wie Ameisen das Deck.«

»Sind die Feuerländer friedlicher Natur?« fragte eines der Mädchen.

»Ja, wir haben nichts von ihnen zu befürchten, nur stehlen sie, wie die Raben, alles, was glänzt und was sie essen können, und wenn es Schmierseife wäre.«

Die Mädchen stiegen eiligst in die Boote und ließen den Walfisch liegen, nachdem sie einige Jagdtrophäen als Andenken abgeschnitten hatten – er würde schon noch Liebhaber finden, entweder vier- oder zweibeinige, erstere in Gestalt von Schakalen und anderem Raubgesindel, letztere in Gestalt von Eingeborenen oder vielleicht auch jener Walfischjäger.

Als sie die ›Vesta‹ erreichten, sahen sie wohl schon gegen vierzig Boote, einfach ausgehöhlte Baumstämme, um das Schiff her liegen, und fortwährend kletterten an überhängenden Tauen, schwarze, halbnackte Gestalten auf und ab, schwangen sich über Bord und wurden von den fünf Mädchen wieder heruntergejagt, oft sogar mit Anwendung von nicht gerade zart zu nennenden Mitteln.

»Helfen Sie mir!« rief das die Kapitänin vertretende Mädchen in halb verzweifeltem Tone. »Eine halbe Stunde kämpfe ich nun schon mit diesen Schwarzen, und ich kann sie doch nicht totschießen, sie lachen ja fortwährend und benehmen sich wie Kinder.« »Was wollen sie denn?« fragte Ellen, nachdem sie nebst ihren Gefährten das Deck betreten hatte.

»Betteln wollen sie, aber ich kann sie nicht verstehen, was sie haben möchten. Der eine Kerl dort erwischte eine Flasche mit Schmieröl und schwubb, war sie in die Kehle gegossen,« klagte Miß Sargent.

»Und der da hat schon ein Paket Talglichte gestohlen und ehe wir es verhindern konnten, hatten er und seine Kameraden sie schon verschluckt.«

Ellen machte kurzen Prozeß, mit Hilfe aller Vestalinnen ging sie energisch gegen die Eingeborenen vor, und als diese merkten, daß es den Mädchen gleich war, wohin die mit Stöcken geführten Hiebe fielen, flohen sie eiligst in die Boote zurück, diese blieben aber alle an der ›Vesta‹ liegen, während die Leute in einer unbekannten Sprache fortwährend zu den Mädchen hinaufschrieen.

Ehe die Mädchen einen weiteren Entschluß faßten, betrachteten sie genau die Boote und deren Insassen.

Erstere waren sehr lang, aber schmal und äußerst primitiv gearbeitet. Sie bestanden aus Buchenrinden, die mittels Bastes miteinander verbunden waren, aber das Wasser durchließen, so daß dasselbe fortwährend ausgeschöpft werden mußte. In ihnen lagen die einfachen Schaufelruder. Das Merkwürdigste aber war, daß sich fast in jedem Boote Tonherde befand, auf denen ein kleines Feuer brannte; zur Nahrung desselben waren daneben trockene Zweige aufgehäuft. Durch diese Eigentümlichkeit, immer Feuer bei sich zu führen, sogar im Boote, haben die Eingeborenen von dem Entdecker ihres Landes, Magallan, den Namen Feuerländer bekommen.

Trotz der kalten Temperatur waren sie nur spärlich bekleidet, Männer, wie Frauen. Nur ein Fell bedeckte notdürftig ihre mageren Körper, aber in den Booten lagen noch warme Felle.

Das Feuerland liegt in einer schrecklichen Gegend. Herrscht dort nicht eine bittere Kälte, welche alles gefrieren läßt und mit Schnee bedeckt, so fällt ununterbrochen Regen, und daher erklärt sich die Angewohnheit der übrigens sehr abgehärteten Eingeborenen, stets Feuer mit sich zu führen, um durch Wärme die Glieder geschmeidig erhalten zu können.

Waffen waren durch Pfeil und Bogen und eine Art von Steinhammer mit hölzernem Stiel vertreten, den die Feuerländer mit großer Geschicklichkeit zu werfen verstehen.

»Ich weiß, was sie wollen,« sagte Ellen, »ich habe schon oft von Kapitänen über die Feuerländer erzählen hören. Von jedem Schiff, das in die Nähe ihrer Küste kommt, und das sie mit ihren Booten erreichen können, fordern sie eine Art von Tribut, bestehend aus Schiffszwieback und Oel, ihrem Lieblingsgetränk. Nun, sie sollen nicht sagen, daß die ›Vesta‹ eine Ausnahme machte.«

Sie ließ einige der Eingeborenen an Deck kommen, ohne den übrigen dies zu gestatten, und übergab ihnen aus dem reichen Proviantvorrat der ›Vesta‹ drei Säcke mit Hartbrot, und als diesem noch ein Faß mit Oel, zum Schmieren der Winde bestimmt, beigefügt ward, brach unter den braunen Gesellen ein allgemeiner Jubel aus.

Es war nicht zu erkennen, daß einer von ihnen, ein großer, kräftiger Mann, wahrscheinlich der Häuptling, entschieden Anspielungen machte, ob die Mädchen nicht auch einige Flaschen Branntwein übrig hätten, aber Ellen wollte den Naturkindern dieses Gift nicht verabreichen. Als sie dagegen merkte, wie ein Wilder mit begehrlichen Blicken die Talglichter betrachtete, die einer von ihnen schon vorher sich angeeignet hatte, und jetzt ungeniert in der Hand trug, fügte sie auch noch eine große Quantität solcher dem Geschenk hinzu.

Teils lachend, teils mit Widerwillen sahen die Mädchen, mit welcher Gier die Eingeborenen mit den weißen, prachtvollen Zähnen in die talgige Masse bissen, den Docht durchrissen und schmatzend die Delikatesse verzehrten.

Als ihre Versuche, noch mehr Geschenke zu erlangen, scheiterten, waren sie bescheiden genug, das Schiff sofort zu verlassen. Wie aber waren die Mädchen erstaunt, als der Häuptling, ehe er sich am Tau in sein Boot herunterließ, ihnen mit freundlichem Lächeln eine ganze Hand von erbsengroßer Goldstücke anbot und nicht eher nachließ, als bis man sie ihm abgenommen hatte.

Jetzt war Ellen geneigt, den Eingeborenen noch mehr zu schenken, denn der Wert des Goldes betrug wenigstens zehnmal soviel, wie der der Geschenke, aber es war zu spät – der Häuptling saß schon im Boote, und dieses stieß ab.

Die Bäche und Flüsse des Feuerlandes enthalten viel Goldsand, aber nicht genug, um Goldsucher heranzuziehen. Die Eingeborenen sammeln die Körner, fertigen sich daraus Schmuck, halten aber im allgemeinen das Edelmetall für wertlos. Sie verschenken es für jede Kleinigkeit, aber so viel haben sie nie, daß sich ein regelrechter Tauschhandel mit ihnen lohnte.

Während die Vestalinnen die Anker lichteten, sahen sie, daß sich die Walfischjäger an Land zu dem getöteten Tiere begeben hatten und die Zerkleinerung des Wales begannen.

Sie mochten die Mädchen für rechte Dummköpfe halten, daß sie das Tier, dessen Tran ein kleines Vermögen repräsentierte, im Stiche ließen.

Zwischen den Hügeln bemerkten die Vestalinnen ferner die Eingeborenen, welche sich an Hartbrot und Talglichtern delektierten und dazu aus hölzernen Schalen Schmieröl tranken. Waren die Walfischfänger mit dem Zerlegen und dem Transport fertig, so versprachen die Ueberreste noch eine reiche Mahlzeit für die Feuerländer.

Die Ankunft der ›Vesta‹ hatte diesen armen Menschen zu einem Festtage verholfen.

Aber die Vestalinnen sollten doch noch Grund finden, sich über diese so harmlos scheinenden Eingeborenen zu beklagen.

Die Mädchen, deren Kabine dem Eingange zur Kajüte am nächsten lag, suchten, als sie ihre Tür öffnen wollten, vergebens nach der Klinke – der messingene Griff war abgeschraubt, und bald vermißte man noch zwei andere Klinken, einige Schlüssel und so weiter, und ebenso auch an den Maschinenteilen Schrauben und Stifte. Die wie die Raben stehlenden Feuerländer hatten alles mitgehen heißen, was in den Bereich ihrer Finger gekommen war.

Anfangs war der Aerger über diese Entdeckung ein sehr großer, bald aber beruhigte man sich. Die Eingeborenen hatten ja sozusagen ihren Diebstahl durch das Gold bezahlt.

Der Schaden war übrigens kein so schlimmer.

Jedes Schiff ist meist so ausgerüstet, daß ein Gegenstand, welcher verloren geht, ersetzt werden kann, alles ist in doppelter Anzahl vorhanden, Segel, Raaen und Taue sowohl, als auch kleinere, unbedeutendere Gegenstände, an welche ein Uneingeweihter gar nicht denken würde, wie zum Beispiel Fenster, das heißt Glimmerglasscheiben für die sogenannten Bullaugen, Teller, Messer, Gabeln, Gläser, sämtliches Kücheninventar, aber auch Klinken, Schlüssel und so weiter, und die ›Vesta‹ war in dieser Hinsicht doppelt vorsichtig ausgerüstet worden.

»Hol' an die Backbordbrassen, Ruder hart Backbord,« rief Ellen. »Kap Horn ist umsegelt, die Fahrt geht wieder den wärmeren Gegenden zu. Morgen werden wir schon nicht so zu frieren haben, jede Stunde bringt uns der Wärme näher.«

Gehorsam drehte das Schiff, der Wind schwellte die seitwärts gerichteten Segel, es legte sich stark nach Steuerbord über, dahin, wohin der Wind wehte, oder wie der Seemann sagt, nach der Luvseite, und flog wie ein Seevogel leicht über das mäßig bewegte Wasser.


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