Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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14.

Neue Beschlüsse.

Nur noch einige Tage fehlten, dann war die ›Vesta‹ von kundigen eingeborenen Schiffszimmerleuten wieder seefähig gemacht. Die Neuseeländer sind geborene Schiffer, denn sie wagen mit kleinen Segelbooten die weitesten Fahrten auf dem Meere.

Wäre die Kultur eher zu ihnen gedrungen, so würden sie jetzt schon eine Seefahrernation sein, wie etwa früher die isländische oder norwegische; denn man muß gleichfalls staunen, wenn man davon liest, wie die Isländer und Skandinavier in ihren erbärmlichen, kleinen Segelschiffen schon Handel mit Amerika getrieben haben, lange, bevor noch Amerika von Kolumbus entdeckt worden ist. Dadurch, daß man in Amerika Steine mit Runen der alten Schrift jener nordischen Völker, entdeckt hat, ist ja erwiesen, daß Kolumbus nicht etwa der erste Europäer war, der Amerika betreten hat, daß vielmehr Isländer schon lange zuvor dieses Land kannten, ebenso zum Beispiel Chinesen, aber der kühne Genuese war der erste, welcher es wieder auffand.

Ebenso unrecht, wie Kolumbus als den Entdecker Amerikas zu bezeichnen, ist es auch, daß man das von ihm entdeckte Land, als Land für sich, nicht nach ihm benannte, sondern nach dem Namen desjenigen, welcher es eingehend beschrieb, nach Amerigo Vespucci. Erst viel später nannte man einen Staat, sowie verschiedene Städte und Flüsse nach dem spanischen Endeckungsreisenden.

Wie gesagt, sind auch die Neuseeländer ein Schifffahrtsvolk durch und durch, nur sind sie auf einer Stufe stehen geblieben, da ihr Schiffswesen im Gegensatz zu anderen Völkern sehr vollkommen war – so zum Beispiel kannten sie weit vor uns die magnetische Wirkung der Kompaßnadel und bedienten sich ihrer – da sie aber nicht weiter vorwärtsschritten, so blieben sie schnell hinter den nordischen Völkern darin zurück.

Aber noch jetzt geben die Neuseeländer, werden sie von kundiger Hand geleitet, ausgezeichnete Schiffsbauer ab, und so sahen die Vestalinnen, wie auch die Besatzung des ›Amor‹ mit Freude, wie schnell die Takelage ihrer Schiffe durch Ergänzung der fehlenden Teile und Reparatur der beschädigten in früherer Vollkommenheit wiedererstand.

Die Damen hatten unter dem Vorsitz Ellens in dein Salon der ›Vesta‹ eine Versammlung abgehalten, die wichtigste von allen bis jetzt, denn es galt den Antritt der größten Seereise, die sie je unternommen hatten.

»Noch zwei Monate trennen uns von jener Zeit,« fuhr Ellen in ihrer längeren Rede fort, »da Yamyhla nach ihrer Heimat gebracht und ihr womöglich durch uns zu ihrem Rechte verholfen werden soll. Das ist der Grund, warum wir, statt erst nach Südamerika, sofort nach der Westküste von Afrika segeln müssen. Kürzer wäre natürlich die Reise, wenn wir von hier westwärts nach Afrika führen und uns dann gleich nach Amerika begäben, woselbst wir die befreiten Mädchen in ihre Heimat schickten, dann aber würde unsere Reise keiner Weltumsegelung gleichen. Gehen wir jetzt nach Südamerika und segeln längs der Ostküste nach New-York, so ist dagegen die Weltumsegelung schon geschehen, und die Reise nach Afrika wäre nicht weiter nötig, sie ist nur eine Zugabe, aber wir müssen dieselbe unternehmen, denn wir haben es unserer Freundin Yamyhla versprochen, auch ohne das Geheimnis, welches sie von ihrer Heimat trennt, zu kennen, also sind wir es ihr schuldig. Darum nochmals, meine Damen, wer von Ihnen ist damit einverstanden, von hier aus direkt nach Afrika zu segeln? Das heißt, ostwärts, denn den westlichen Weg kennen wir bereits.«

Niemand stimmte dagegen. »Wie viele Meilen beträgt die Entfernung von hier bis nach der Westküste von Afrika?« fragte ein Mädchen.

»Etwa zehntausend englische Meilen,« entgegnete die Kapitänin, »und nehmen wir an, daß die ›Vesta‹ die Stunde, sehr niedrig gerechnet, zehn Meilen macht, so hat sie diesen Weg in sechs Wochen zurückgelegt. Haben wir aber nur einigermaßen solches Glück, wie es sich bis jetzt stets an unsere Fersen geheftet hat, so segeln wir ihn bequem in vier Wochen – die längste Fahrt bisher auf unserer Reise.«

»Laufen wir unterwegs Häfen an?« ließ sich eine andere Fragerin« vernehmen.

»Es kämen nur die Häfen an der Südspitze Amerikas in Betracht,« antwortete Ellen. »Haben wir Zeit, so können wir vor Anker gehen, denn besser ist es, wir verbringen nach der anstrengenden Seereise einige Wochen in einem kühlen Lande, als im heißen Afrika.«

»Wir könnten auch Kapstadt anlaufen.«

»Kapstadt ist zu der Zeit, da wir dort anlaufen würden, nicht besonders gesund zu nennen. Aber wir können dies noch unterwegs genügend besprechen.«

»Es wäre auch interessant, einmal den Polarkreis aufzusuchen, wie zum Beispiel die Falklandinseln, und da wir warme Ausrüstung in New-York mitgenommen haben, vielleicht sogar Viktorialand,« nahm Miß Murray das Wort.

Ellen lächelte.

»Miß Murray hat bekanntlich unter uns das heißeste Blut, obgleich sie am weitesten aus dem Norden stammt,« sagte sie. »Offen gestanden, ich bin kein Freund von zu großer Kälte; wir haben allerdings warme Ausrüstung mitgenommen, aber zum Besuche von arktischen Ländern genügt sie nicht; ohne wasserdichte Fellkleider können wir es dort nicht aushalten. Außerdem will ich den Damen gleich mitteilen, daß wir in der Nähe des Kap Horn noch oft in die Lage kommen werden, das Eis von den Raaen mit Handspeichen losklopfen zu müssen, wenn wir mit den Segeln manövrieren wollen, und da wir fast alle Kinder des Südens sind, so wird uns dies eine nicht gerade angenehme Beschäftigung sein. Je weiter südlich wir fahren, destomehr nähern wir uns dem Pole, und desto kälter wird es natürlich, doch wünschen die Damen, solche Gegenden aufzusuchen, so bin ich damit einverstanden.«

»Ich habe nichts gesagt,« rief Miß Jessy Murray, »es war nur eine Frage.«

Auch die anderen Damen wünschten nicht, sich den Unannehmlichkeiten zu großer Kälte auszusetzen, und so wurde die direkte Fahrt nach Afrika beschlossen, höchstens, daß man Kap Horn, der Südspitze Amerikas einen Besuch abstattete.

»Und wohin wenden wir uns von dort?« fragte wieder eine Vestalin.

»Unsere Weltreise wäre dann beendet; wir hätten nur noch nötig, nach New-York zurückzusegeln. Engagierten wir dann noch einige Vertrauensmänner, welche unsere Schützlinge sicher in ihre Heimat brächten, so wären wir auch dieser Verpflichtung überhoben, aber Sie werden mir beistimmen, wenn ich vorschlage, Südamerika, einen Teil unserer großen Heimat, näher kennen zu lernen.«

Damit waren alle einverstanden.

»Von Afrika nach Südamerika ist zwar ebenfalls wieder eine beträchtliche Reise,« fuhr Ellen fort, »aber im Vergleich zu der, welche wir jetzt vorhaben, ein wahrer Katzensprung. Mein Plan ist folgender: Die Gegenden, aus denen die geraubten Mädchen stammen, liegen fast alle, mit wenigen Ausnahmen an der Westküste Süd- oder Nordamerikas, und wir machen es, wie bisher, das heißt, wir bringen jedes einzelne Mädchen persönlich zu den Ihrigen. Wie Sie wissen, ist es nicht immer rohe Gewalt gewesen, welche die Mädchen als Sklavinnen in die Ferne geführt hat, vielmehr sind sie oft durch Intriguen aus der Heimat vertrieben worden. Wir könnten die Sache durch Vertrauensmänner und brieflich erledigen, statt uns dieser übrigens auch sehr großen Arbeit zu unterziehen – aber es würde ein ewiges Hin- und Herschreiben, Ausstellen von Vollmachten, Protokollen und so weiter erfordern – daher will ich mich lieber den Beschwerden der Reise unterziehen und alles persönlich erledigen.«

Betty Thomson, Hope, Miss Lind

Wieder waren alle Mädchen damit einverstanden.

»Wie wir es in Südamerika vorhaben,« setzte Ellen ihren Plan weiter auseinander, »so werden wir es auch in den südlichen Staaten von Nordamerika machen, das heißt, wir bringen die Schützlinge, von denen die meisten Kreolinnen sind, nach Texas, Mexiko und so weiter.

»Und wo bleibt die ›Vesta‹?« unterbrach ein Mädchen die Sprecherin.

»Dieselbe folgt uns der Küste entlang. – Ob einzelne von uns oder fremde Leute sie bedienen müssen, das zu überlegen haben wir noch genügend Zeit, Bietet die Gegend keine Abwechselung, wie zum Beispiel das öde Chile, so reisen wir auf der ›Vesta‹; ist die Gegend aber schön, waldig, prärienartig, dann reisen wir zu Fuß oder zu Pferd. Ach,« schloß Ellen, und ihre Augen begannen plötzlich wunderbar zu strahlen, »wie ich mich freue, wenn ich erst wieder auf feurigem Rosse über die Prärien, durch die Pampas meines schönen Vaterlandes jagen, durch seine endlosen Wälder streifen kann, ach, wie sehne ich mich darnach, das Brüllen des Hirsches zu hören und dem melodischen Locken des Wasserhuhnes zu lauschen!«

Erstaunt betrachteten die Vestalinnen ihre Führerin. Was war denn plötzlich mit dieser vorgegangen, daß sie eine so heftige Sehnsucht nach ihrem Heimatlande empfand, da sie doch früher immer das Meer als das Element bezeichnet hatte, auf dem sie sich wohl fühle?

»Sind Sie dieser Reise überdrüssig? Bereuen Sie die Verpflichtung, Yamyhla in ihre Heimat zu bringen, wodurch Sie noch für lauge Zeit von den Ihrigen entfernt gehalten werden?« fragte nach einer langen Pause Miß Thomson leise. »Ich glaube, niemand ist unter uns, der Sie an das Versprechen erinnert, das Sie uns gaben, als wir New-York verließen, uns stets in Freud und Leid beizustehen. Treten Sie zurück, Miß Petersen, niemand wird Ihnen deshalb einen Vorwurf machen!« Das Mädchen sprach aus der Seele aller, sie liebten ihn Kapitänin wirklich. Aber Ellen, welche während der Pause sinnend die Hand an die Stirn gelegt hatte, schüttelte unwillig den Kopf.

»Nein,« rief sie, ihre schlanke Gestalt emporrichtend, »es war nichts, eine Art Heimweh, eine vorübergehende Schwäche – denken wir nicht mehr daran! Lassen Sie uns das Verhalten besprechen, welches wir den Herren des ›Amor‹ gegenüber von jetzt ab beobachten wollen. Ist es der einstimmige Beschluß aller, daß wir den Herren auch fernerhin gestatten, uns immer zu Wasser und zu Lande zu begleiten?«

Die Damen waren eine Zeitlang über diese Frage bestürzt, mehr noch über den Ton, in welchem ihre Kapitänin dieselbe stellte. Sie sahen sich gegenseitig an, dann aber erscholl von allen Seiten zugleich ein bestimmtes Ja.

Eine Dame, Miß Thomson, erhob sich und bat um das Wort.

»Ich kann nicht einsehen, aus welchem Grunde wir den Herren des ›Amor‹ eine weitere Begleitung verbieten sollten, ja, wir haben nicht einmal die Berechtigung dazu, wir könnten sie höchstens darum bitten, uns fernerhin allein segeln zu lassen, sich aus unserer Nähe entfernt zu halten, denn laut der Wette, welche Sie selbst, Miß Petersen, mit Lord Harrlington abschlossen, haben die Herren vor der Hand noch die Befugnis, uns überall hin zu folgen. Sie sagten damals, Miß Petersen, so lange der ›Amor‹ der ›Vesta‹ nachkommen könne, sei den Herren die Begleitung erlaubt, und erst, wenn er die ›Vesta‹ innerhalb dreißig Tagen nicht wiederzusehen bekommen hätte, erlösche diese Erlaubnis, dann müßten sie als Ehrenmänner es aufgeben, uns weiter zu folgen. Außerdem wurde dann von ihnen noch verlangt, daß sie in allen Zeitungen Europas und Amerikas bekannt machten, sie wären von uns Vestalinnen auf dem Gebiet des Segelsportes geschlagen worden. Sie sollten dies noch durch ihre volle Unterschrift bekräftigen. Ich erinnere mich ganz genau an den Vertrag dieser Wette, welcher nicht schriftlich aufgesetzt worden, weil wir Personen sind, denen das Wort ebensoviel, wie ein schriftlicher Kontrakt gilt. Haben wir nun, frage ich die Damen, ein Recht, den Herren diese Erlaubnis, uns zu Wasser oder zu Lande begleiten zu dürfen, wieder zu nehmen? Nein, sage ich, wir haben es nicht, wir dürfen es nicht, ohne uns eines groben Wortbruchs schuldig zu machen; den Herren dagegen kann man es gar nicht verargen, wenn sie unsere Aufforderung gar nicht beachten, sondern uns sogar einer unverzeihlichen Handlungsweise beschuldigen. Das einzige wäre, daß wir sie bäten, auf die weitere Begleitung zu verzichten, aber nimmer dürfen wir so etwas von ihnen verlangen. Niemals werde ich wenigstens meinen Namen dazu hergeben.«

Man sah es Ellen an, wie mißgestimmt sie wurde, als Miß Thomson so unumwunden ihre Meinung aussprach, und noch mehr, als sie an den Ausrufen und Mienen der Zuhörenden merkte, wie alle Damen der Rednerin Beifall zollten.

Da stand auch noch Miß Lind auf und ergriff im Interesse der Herren das Wort:

»Ich gebe Miß Thomson vollständig recht,« begann sie, »und erlaube mir nur noch, hinzuzufügen, daß es uns nicht nur nicht zusteht, die Herren aufzufordern, uns fernerhin nicht mehr zu begleiten, wir dürfen sie nicht einmal durch unsere Bitte dazu zu bewegen suchen, wollten wir uns nicht, um es geradeherauszusagen, einer großen Ungezogenheit schuldig machen. Wer kann es leugnen, daß sich die englischen Herren uns gegenüber stets als die treuesten Freunde gezeigt haben, welche ihr eigenes Leben hintansetzten, galt es, das unsrige zu retten? Ich brauche wohl nicht erst auf Tatsachen hinzuweisen, ich kann, obwohl ich ein gutes Gedächtnis habe, nicht alle jene Fälle aus dem Kopfe herzählen, in denen uns die Herren treu zur Seite gestanden haben, ohne daß sie es nötig hatten – sie haben oftmals ihre eigene Sicherheit vernachlässigt, galt es, uns aus einer Gefahr zu helfen. Wir können nicht sagen, daß wir durch sie auf irgend eine Weise belästigt worden sind; nie sind sie unbescheiden, anmaßend geworden, nie sind sie uns hinderlich gewesen. Wie oft aber wären wir absolut verloren gewesen, hätten nicht die Herren ihr Leben in die Schanze geschlagen, um uns zu retten! Und wer weiß, wie nötig wir sie noch oftmals haben werden, wie oft wir noch ihre Hilfe herbeisehnen und wie oft wir uns Vorwürfe machen würden, hätten wir sie durch unseren Eigensinn – es ist nicht anders zu nennen – von uns entfernt. Nein, nein und abermals nein, ich werde niemals beistimmen, sie zu bitten, ihre Begleitung fernerhin aufzugeben. Nach allem, was sie schon für uns getan haben, wäre dies, wie schon gesagt, eine Ungezogenheit von uns, eine unerhörte Beleidigung, gegen welche sich mein Herz empört; und daß die Damen, meine Freundinnen, ebenso denken, wie ich, das sehe ich aus ihren Mienen.«

Jetzt ließen sich die Mädchen nicht mehr abhalten, Johanna beizustimmen, als deren beste Freundin jede gern gelten wollte – so lieb war sie allen – sie wurden von deren Worten hingerissen. Sie brachen in ein lautes Händeklatschen und Rufe der Begeisterung aus.

Ellen gab ihren Antrag für verloren, aber sie ließ den Aerger, den diese allgemeine, stürmische Ablehnung ihres Vorschlages bei ihr hervorbrachte, nicht merken. Sie lächelte.

»Nun, nun,« beschwichtigte sie, »ich muß mich förmlich beleidigt fühlen, daß Sie mich zum Gegenstand Ihres allgemeinen Unwillens machen. Ich habe diesen Antrag aus besonderen Gründen gestellt, er ist nicht angenommen worden, und so ist die Sache ja beigelegt. Sie werden mich nicht wieder darüber sprechen hören. Aber nun etwas anderes! Sind die Damen auch damit einverstanden, daß wir dennoch versuchen, uns der Begleitung des ›Amor‹ zu entledigen, indem wir uns den Herren für dreißig Tage unsichtbar machen? Ich glaube fest, nach der vorherigen Abstimmung zu schließen, daß Sie auch jetzt mit einem Nein antworten. Aber bedenken Sie, welchen Triumph wir genießen, wenn sich die Engländer von uns Damen als besiegt erklären müssen. Dies allein ist schon wert, den Versuch einmal ernstlich zu machen, eine bessere Gelegenheit, als diese lange Seereise, finden wir niemals.«

Wieder war es Miß Thomson, die für ihre Freundinnen das Wort ergriff, aber diesmal klang ihre Rede nicht so ruhig, wie vorhin, sie war etwas aufgeregt.

»Miß Petersen,« rief sie, »ich verstehe nicht, was Sie veranlaßt, auf solche Weise zu sprechen Das unwillige Gemurmel der Damen beweist, daß nicht nur ich den Sinn Ihrer Rede als eine Beleidigung aufgefaßt habe. Haben wir vielleicht jemals versucht, die Herren an uns zu fesseln? Haben wir nicht immer unser Bestes getan, Sie Ihre Wette gewinnen zu lassen? Ich betone, Ihre Wette, denn Sie haben sie veranlaßt, wenn ich ihr auch anfangs beigestimmt habe. Aber bald ist mir zum Bewußtsein gekommen, daß sie eine törichte war, und im Gespräch mit Freundinnen habe ich erfahren, daß auch diese meiner Ansicht sind. Da sie aber nun einmal gemacht und durch unser Wort bestätigt worden ist, so sind wir auch verpflichtet, sie zu halten, und wenn auch nur eine der Damen darauf besteht, oder, um es gleich offen herauszusagen, wenn auch Sie, Miß Petersen, nur darauf bestehen. Ich weiß nicht, welche Gründe Sie dazu bewegen, die Entfernung des ,Amor' immer zu provozieren, es mögen persönliche sein, die mich nichts angehen. Aber in Ihren eben gesprochenen Worten lag der Sinn, als ob wir alle wünschten, daß die Herren bei uns blieben, nicht nur darum, weil wir ihre Hilfe nötig haben, sondern es lag eine Ironie in ihnen, die ich hier nicht näher erklären will, doch haben wir alle sie herausgefunden. Miß Petersen, ich fasse dies im Namen meiner Freundinnen zugleich als eine Beleidigung auf, welche ich Ihnen nicht zugetraut hätte. Ich dächte doch, wir alle hätten uns bis jetzt als treue Freundinnen erwiesen, in Freud und Leid, in fröhlichen, sowie in gefährlichen Tagen, und deshalb dürfte zwischen uns nichts vorfallen, was auch nur einem Streite ähnlich sieht. Habe ich ihn heraufbeschworen, so will ich um Verzeihung bitten, aber vorläufig bin ich mir dessen nicht bewußt –«

Miß Thomson war sehr erregt, sie hatte sich in Hitze geredet, die Tränen standen ihr in den Augen. Plötzlich brach sie ab, drehte sich um und wollte den Salon verlassen.

Da aber war Ellen schon bei ihr und hinderte sie, durch die Tür zu gehen.

»Verzeih mir, Betty,« sagte sie innig, ihre Hand erfassend, »ich habe vielleicht etwas gesagt, was ich nicht gemeint habe. Nein, Betty, keinen Streit zwischen uns! Du hast recht, wir sind die besten Freundinnen gewesen, und leere Worte, wenn sie auch beleidigend gewesen sein sollten, können uns nicht trennen, denn ich habe sie unabsichtlich, nicht mit Ueberlegung gesprochen. Ich bin in der letzten Zeit etwas verbittert gewesen, du wirst es bemerkt haben, deshalb nochmals, Betty, verzeihe mir meine Worte!«

Miß Thomson war ebenso schnell wieder versöhnt, wie sie gekränkt worden war, und dasselbe galt von den anderen Mädchen.

Ellen wollte erklären, daß ihre Worte falsch verstanden worden wären, daß sie weit entfernt gewesen wäre, darauf anzuspielen, daß einige der Damen die Gegenwart der Herren aus anderen Gründen wünschten, als aus dem, Helfer in der Not zu haben, aber die Mädchen ließen sie gar nicht zum Worte kommen – die Sache war beigelegt.

Ja, die Schlichtung wollte sogar einen humoristischen Verlauf nehmen, denn als Miß Thomson es noch einmal für gut befand, zu erklären, daß sie die Anwesenheit des, ›Amor‹ gerade nun sehr nötig hätten, weil jedenfalls Kämpfe stattfinden würden, nicht aber, wie sie schalkhaft dazu bemerkte: ›weil wir mit den Herren unter Palmen promenieren wollen,‹ brach Hope plötzlich in ein lautes Husten aus, das gar nicht enden wollte.

Die Damen wußten recht gut, was den neckischen Kobold zum Husten gereizt hatte, aber sie waren viel zu diskret, um sich dies merken zu lassen. Doch Hope ließ nicht nach, der Kobold war in ihr erwacht, sie stieß ihre Nachbarinnen an, stellte komische Fragen wegen der Herren an sie und brachte alles zum Lachen.

Endlich, als der Ernst wieder hergestellt worden war, ging man zu anderen Gebieten über.

Es wurde beschlossen, die ›Vesta‹ noch länger in Wellington liegen zu lassen, als es die vorgenommenen Reparaturen erfordert hätten. Galt es doch diesmal eine große Seereise von vielen Wochen, und es war von Wichtigkeit, daß vor dieser das Schiff einer genauen Besichtigung unterworfen wurde. Man wollte verschiedene Teile, welche es eigentlich noch nicht nötig hatten, erneuern, so zum Beispiel das Steuerruder, die Häuschen an Deck, zum Beispiel das des Kompasses, des Ruders, das Kartenhaus und so weiter befestigen lassen, alle Parthelen anziehen, die Wanten stärker machen und so weiter. Trat während der Reise ein Unglück ein, so hätten die Vestalinnen derartige Reparaturen selbst machen müssen – einen Hafen gab es nicht – und waren sie in derartigen Arbeiten auch sehr geschickt, die Leistungen blieben doch nur mangelhaft im Vergleiche zu denen, welche im Hafen von geübten Schiffsbauern vorgenommen werden konnten.

Außerdem mußte die ›Vesta‹ noch mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Kohlen versorgt werden, dann wollte die Kapitänin noch einen großen Vorrat von Segeln mitnehmen, denn es gab voraussichtlich viele Stürme zu überstehen, und so konnte der Fall eintreten, daß die ›Vesta‹ durch Verlust von Segeln manövrierunfähig wurde, und auf dem Meere gibt es keine Gelegenheit, sich neue zu verschaffen. Ein Kapitän hilft dem anderen zwar gern in derartigen Verlegenheiten aus, aber passiert es doch selbst wahrend der Reise von Deutschland nach New-York, einer sehr befahrenen Linie, daß ein Segelschiff wochen-, ja monatelang kreuzt, ohne einem anderen zu begegnen.

Derartigen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, war die Pflicht der Kapitänin.

»Nun noch eins, meine Damen,« schloß Ellen die Beratung. »Für übermorgen haben wir also die Besteigung des Mount Cook vor. Wir fahren mit einem gemieteten Dampfer durch die Cookstraße nach der Südinsel hinüber, besichtigen in Nelson das dem Weltumsegler dort gesetzte Monument und fahren dann weiter nach Hokitika an der Westküste der Südinsel. Die Eisenbahn bringt uns nach einem Stäbchen, nur etwa fünf Meilen vom Mount Cook entfernt, von dort aus müssen wir die Besteigung des Berges zu Fuße vornehmen. Es handelt sich eigentlich nur darum, ob alle Vestalinnen damit einverstanden sind, daß uns die Herren des ›Amor‹ bei dieser Partie begleiten.«

Diese Frage war jedenfalls nötig, aber wie immer, so wurde sie auch jetzt allgemein bejahend beantwortet.

Hätten einige Damen dagegen gestimmt, so mußten diese, wenn sie in der Minderzahl waren, an Bord bleiben, fügten sie sich nicht den Stimmen der Mehrzahl. Waren aber die Verneinenden im Uebergewicht, so durften die Herren nicht mitkommen, und diejenigen, welche nicht damit einverstanden waren, welche die Gegenwart der Herren wünschten, hätten zurückbleiben müssen.

Doch eine solche Spaltung trat nie ein; eine fügte sich immer dem Willen der anderen.

Aber es gab auch Fälle, wo die abschlägige Stimme einer einzigen den Entschluß hindern konnte, so zum Beispiel, wenn sie die ›Vesta‹ betrafen, wie wir gesehen haben, als es sich um das Verlassen des Schiffes handelte.

»Ich glaube, die Offiziere der in Wellington ankernden, deutschen Kreuzerkorvette, »Victoria«, würden gern an der Partie teilnehmen,« ließ sich da Hopes helle Stimme vernehmen, »sie haben etwas davon zu den Engländern verlauten lassen.«

»So sind sie uns willkommen, wenn die Damen damit einverstanden sind.« entgegnete Ellen.

Die Vestalinnen zerstreuten sich, sie gingen entweder an Deck, an Land oder in ihre Kabine.

»Miß Staunton,« sagte Ellen zu dem jungen Mädchen, »kann ich Sie einmal in meiner Kabine sprechen?« –

»Wissen Sie, woher die Offiziere erfahren haben, daß wir übermorgen eine Partie nach dem Mount Cook vorhaben?« fragte Ellen, als sie sich mit Hope in ihrer Kabine allein befand.

»Ja, von den englischen Herren.«

»Woher wissen es aber diese?«

»Von Hannes.«

»Von Hannes, dem Diener von Sir Williams? Da Sie so genau Bescheid wissen, können Sie mir vielleicht auch sagen, von wem dieser davon erfahren hat?«

»Ganz genau,« entgegnete Hope ungeniert. »Ich habe es ihm selber gesagt.«

»So,« sagte Ellen und versuchte eine strenge Miene zu ziehen, »und wissen Sie nicht, daß es uns Vestalinnen streng verboten ist, über alles, was auf der ›Vesta‹ vorfällt oder beraten wird, zu sprechen? Es soll alles wie das strengste Geheimnis verschwiegen werden.«

»Ach, liebe Ellen,« sagte Hope treuherzig und faßte der Kapitänin Hand, »machen Sie nicht gleich einen solchen Kram davon. Was ist es denn weiter, wenn ich dem Hannes erzähle, ob es heute auf der ›Vesta‹ Blutwurst oder Leberwurst gegeben hat, davon wachsen uns doch keine Haare unter der Nase.«

Ellen mußte ein Lächeln unterdrücken.

»Sie sollen aber nicht solchen intimen Umgang mit Hannes haben,« sagte sie dann ernst werdend. »Warum denn aber nicht? Da ist aber doch nichts weiter dabei!«

»Doch! Es schickt sich nicht, Sie sind kein Kind mehr und gewöhnen sich Redensarten an, die nicht für Sie passen.«

»Nun erst recht,« murmelte Hope, als sie nach ihrer Kabine ging.

»Das arme Kind!« dachte Ellen, ihr nachblickend.


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