Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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3.

Van Gudens Ende.

Das Kaiserreich Japan setzt sich aus verschiedenen Inseln zusammen, von denen die größte Nipon ist, mit der Hauptstadt Jedo, in welcher der Kaiser seine Residenz aufgeschlagen hat und welche somit die Hauptstadt von Japan ist. Wichtiger aber, als diese selbst, und weit bekannter ist ihr Hafen, Yokohama, der an Bedeutung alle anderen dortigen Hafenplätze übertrifft.

Jokohama macht schon einen sehr europäischen Eindruck, sind doch die Japaner, obgleich von derselben Volksrasse, das vollkommene Gegenteil von den Chinesen. Wahrend diese ängstlich bemüht sind, sich vor jeder von außen kommenden Kultur abzuschließen, suchen jene sich alles anzueignen, was ihnen die fremden Kulturländer an Technik, Kunst und Wissenschaft bieten, lassen ihre Schiffe auf europäischen Werften bauen, versorgen ihr Land mit in England und Deutschland erbauten Maschinen und richten ihr Militär nach deutschem Muster ein, nicht nur der inneren Organisation nach, sondern auch in der Armierung, das heißt, in den Waffen.

In Hamburg oder Bremerhaven kann man beobachten, welche unzählige Mengen von in Deutschland gefertigten, landwirtschaftlichen und industriellen Maschinen, Dampfmotoren, Lokomobilen und Lokomotiven nach Jokohama verladen werden, und ebenso, daß alle die Kanonen neuester Konstruktion, nach Japan bestimmt, den Stempel »Krupp, Essen« tragen.

Aber die Japanesen wollen nicht immer ihr Geld an andere Länder ausgeben, sie schicken ihre intelligentesten, jungen Männer nach zivilisierten Staaten, meist nach Teutschland, und lassen sie dort auf Universitäten studieren, sie lassen nicht nur deutsche Offiziere die Soldaten einexerzieren, sondern sie errichten eigene Kriegsakademien, in welchen diese Offiziere als Lehrer fungieren, gründen Universitäten, kurz, sie bemühen sich, ihr Land so zu organisieren, wie es die japanesischen Gesandten in den Kulturländern gesehen haben, und nicht lange wird es mehr dauern, so hat Japan, das einst unbedeutende Reich, dessen Bewohner man sich meist als halbwilde Asiaten vorstellt, das Recht, sich mit jedem anderen mächtigen Staate messen zu können.

Schon der erste Anblick des Hafens von Yokohama beweist, wie sehr die kurzhaarigen Japanesen ihre bezopften Brüder überflügelt haben. Während in den chinesischen Häfen das Ein- und Ausladen von Schiffen noch immer so geschieht, wie es vor Hunderten von Jahren stattfand, das heißt, daß die Eingeborenen die Säcke und Kisten auf ihren Schultern ans Land tragen und dort an andere abgeben, welche sie nach Lagerschuppen befördern, arbeiten in Yokohama überall am Quai mächtige Dampfkräne, welche die emporgehobenen Waren sofort in bereitstehende Eisenbahnwaggons laden, geradeso, wie in jedem europäischen Hafen, der nur einigermaßen für die Bequemlichkeit der schiffahrenden Klasse sorgt.

Noch mehr tritt der Unterschied hervor, besucht man die Stadt selbst; überall erheben sich schöne Wohnhäuser, freundliche Villen, prächtige Paläste, deren Besitzer nicht nur Europäer, sondern meist Japanesen sind. Die chinesische Bauart tritt nicht mehr so hervor, der kindliche Stil hat einem geschmackvollen Platz gemacht, und ebenso fühlt man im Verkehr mit den Bewohnern dieses Landes nicht mehr die Überlegenheit heraus, welche den Europäer sonst befällt, wenn er mit einem ihm an Zivilisation nicht gleichstehenden Menschen zu tun hat.

Der Japanese, sowohl der in seiner Art gebildete, wie der ungebildete, der gewöhnliche Arbeiter, ist überhaupt ein Mensch, wie man ihn als Gesellschafter selten prächtiger finden kann. Er besitzt alle guten Eigenschaften der Chinesen, er ist intelligent, arbeitsam und mäßig, außerdem aber noch ehrlich, wahrheitsliebend, treu, dankbar, höflich und überaus bescheiden.

Eine wahre Freude ist es, mit Japanesen an Bord eines Schiffes zu arbeiten. Werden die Matrosen im allgemeinen als roh und ungeschliffen bezeichnet, so ist bei dem Japanesen eine Ausnahme zu machen. Der japanesische Matrose, welcher von jedem Kapitän gern angemustert wird, steht dem besten, europäischen – deutschen, englischen oder skandinavischen – weder an Geschicklichkeit, Mut, Kaltblütigkeit, noch Ausdauer nach, sein Pflichtbewußtsein wetteifert mit dem des deutschen Seemannes, worin dieser vor allen anderen Nationen den Vorzug verdient, aber, was diesem oft noch fehlt, besitzt er, und das ist ein sittsames Betragen, frei von aller Anmaßung, Roheit und Streitsucht.

Nur wer selbst mit Japanesen längere Zeit intim verkehrt hat, wie zum Beispiel als Schiffskameraden, kann dies beurteilen; wenn man aber glaubt, daß der japanesische Matrose nur darum so höflich ist, nur darum den Europäer stets zuerst durch die Tür gehen läßt, ihn nur darum beim Essen zuerst aus der Schüssel nehmen läßt und ihn nur darum in allem und jedem den Vorzug zukommen läßt, weil er in dem Europäer ein höheres Wesen sieht, so irrt man sich gewaltig. Der Japanese ist stolz; nie duldet er, daß er beleidigt wird, und glaubt er, daß dies geschehen, und daß eine Sühne erforderlich ist, so tritt er mit aller Energie zur Wahrung seines Rechtes auf, rächt sich, aber nicht so, wie der heißblütige Italiener oder Spanier, sondern benimmt sich dem Beleidiger gegenüber mit der größten Ritterlichkeit.

Mit einem Worte, das japanische Volk hat nicht nur das Anrecht, mit jeder zivilisierten Nation Europas verglichen zu werden, es besitzt noch viele Vorzüge vor dem Südländer. Dies hat auch der Krieg zwischen Japan und China bewiesen. Daß Ausnahmen vorkommen, das heißt, daß es unter den Japanesen auch schlechte Charaktere gibt, ist selbstverständlich, diese bestätigen ja nur die Regel. – – – – – – – –

Ganz Yokohama befand sich in einer ungeheuer aufgeregten Stimmung; trotz des noch frühen, aber schon sehr heißen Vormittags wogten in den Straßen Japanesen, Chinesen und Europäer bunt durcheinander. Karren, Wagen und Equipagen jagten über das sorgsam angelegte Pflaster, aber es war nicht das Geschäft, welches diese Mengen in Bewegung erhielt, sie eilten nicht hin und her, sondern alles strebte einer Richtung zu – und diese führte nach dem Hafen.

Gestern abend war ein amerikanisches Kriegsschiff, der »Conqueror«, auf deutsch, der »Eroberer« in den Hafen eingelaufen, und die ersten Matrosen, welche das Land besuchten, hatten Neuigkeiten erzählt, die wie ein Lauffeuer durch ganz Yokohama flogen und alles in Aufregung versetzten.

Dem Kommandanten des Schiffes, Korvettenkapitän Macdonald Staunton war es nicht nur gelungen, zwei chinesische Dschunken bei der Ausübung von Seeräuberei zu überraschen und die Piraten zu fangen, sondern er hatte auch die Besatzung der »Recovery« als Meuterer gefunden, diese ebenfalls gefangen und an Bord seines Schiffes genommen.

Als er Scha-tou passierte, war er, ohne den »Conqueror« in dem Hafen anlaufen zu lassen, von der Rhede aus an Land gegangen, hatte den dort liegenden Schiffen ›Amor‹ und ›Vesta‹ einen Besuch abgestattet, nach New-York telegraphiert und war dann in Begleitung jener beiden Schiffe nach Jokohama, seinem ihm vom Oberkommando vorgeschriebenen Reiseziel weitergesegelt.

Schon an demselben Abende, da die Matrosen davon Andeutungen machten, war allen klar, daß einer der nächsten Tage eine außerordentliche Szene bringen mußte.

Die chinesischen Seeräuber mußten hängen, daran war kein Zweifel; dazu brauchte der Korvettenkapitän sich nicht erst die Erlaubnis zu holen, er hatte das Recht, sogar die Verpflichtung dazu. Aber, um als Richter über meuternde Matrosen auftreten zu können, brauchte er die Genehmigung desjenigen Landes, zu dem das betreffende Schiff gehörte, und die »Recovery« fuhr unter der Flagge der Vereinigten Staaten.

Auch darüber herrschte keine Unklarheit, daß das Schicksal der Meuterer dasselbe sein würde, wie das der Piraten: der Galgen.

Aber was für eine Aufregung entstand erst, als am anderen Morgen die englische Zeitung herauskam, die sich nicht nur der Europäer bemächtigte, sondern auch die eingeborenen Domestiken ergriff, welche dafür sorgten, daß dieses schier unglaubliche Gerücht in ganz Yokohama verbreitet wurde.

Der Kapitän, alle Offiziere und der Bootsmann von der »Recovery« waren durch das Erscheinen des amerikanischen Schiffes aus den Händen der Meuterer gerettet worden, der zweite Steuermann, welcher sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen, hatte sich selbst entleibt; es wurde beschrieben, wie man die dem sicheren Tode Nahen in der Pulverkammer gefunden, wo sie sich gegen die Mannschaft verteidigt hatten, und, o Wunder, die Zeitung meldete das sonderbare Gerücht, daß einer der beiden treuen Matrosen gar kein Mann, sondern ein Mädchen, eine der Damen der ›Vesta‹, und das Merkwürdigste, daß sie die Schwester des Kapitäns Macdonald Staunton war, dem sie die Rettung verdankten, während der andere Matrose ein Diener eines englischen Herrn vom ›Amor‹ war.

Weiter schrieb die Zeitung, daß die Abführung aller gefangenen Verbrecher vom »Conqueror« nach dem Tribunal morgens um zehn Uhr stattfände, und ebendies hatte bewirkt, daß sich ganz Yokohama auf den Beinen befand und dem Hafen zuströmte, um dem Transport der gefesselten Meuterer nach dem Gefängnis beizuwohnen. Diese wurden kurz verhört, und inzwischen errichtete man am Hafen die Galgen, an denen die chinesischen Piraten ihr Leben aushauchen sollten.

War während dieser Exekution die Bestätigung eingelaufen, daß der Korvettenkapitän Macdonald Staunton über Leben und Tod der Meuterer zu entscheiden habe, so wurden die Leichen der Chinesen abgeschnitten, und deren Stelle nahmen dann die Meuterer ein, wenn der Richter nicht einen Grund fand, den oder jenen milder zu verurteilen und ihn zur Bestrafung den Gerichten der Vereinigten Staaten auszuliefern.

Aber dies war nicht zu erwarten. Meuterei ist ein zu entsetzliches Verbrechen, als daß es dafür eine Entschuldigung gäbe. – Tod am Strang, das war das einzige, was diejenigen verdienten, welche dem Kapitän den Gehorsam kündigten und sein Leben bedrohten. Jeder Kapitän ist an Bord seines Schiffes ein unumschränkter Herrscher, mit dessen Machtbefugnis man die eines Königs nicht vergleichen kann, seine Person ist heilig, sein Wort, sein Richterspruch sind unumstößlich, er darf jeden, der ihm den Gehorsam verweigert, auf der Stelle niederschießen, ohne daß er zu fürchten braucht, wegen seiner Tat zur Verantwortung gezogen zu werden. Spricht ihn sein Gewissen von einem Morde frei, so ist es gut, er darf nicht verurteilt werden; abgeschieden von aller Welt, ist er auf seinem Schiffe die einzige Gerichtsbarkeit.

Das Schiff ist eine Welt im kleinen; eine Meuterei bedeutet auf ihm eine Weltrevolution, und würden Meuterer nicht unnachsichtlich mit der strengsten Strafe belegt, wartete ihrer nicht der Tod, so würden sie sich bald mehren. Auf Gnade durften die Gefangenen nicht hoffen.

Noch fehlten einige Stunden an zehn Uhr, aber schon waren die Straßen dicht besetzt mit Fußgängern, Reitern und Equipagen. Die Polizei und die Soldaten hatten Mühe, die Passage offenzuhalten.

Währenddessen befanden sich die vollzähligen Besatzungen des ›Amor‹, wie auch der ›Vesta‹ an Bord des amerikanischen Kriegsschiffes und berieten mit dem Kapitän über das Schicksal eines Mannes, welcher auch gefangen worden war.

Es war van Guden, der einstige Anführer der Piraten, welcher auf einer der Dschunken sich als Gefangener befunden hatte und von den Chinesen verraten worden war.

Korvettenkapitän Macdonald Staunton, ein noch junger Mann, welcher in Zügen und Wesen den Bruder der neben ihm stehenden Hope nicht verleugnete, stand in der Mitte des Salons und erzählte der ihm zuhörenden Gesellschaft dasjenige, was ihm van Guden mitgeteilt.

»Teils von Ihnen, teils durch van Guden selbst habe ich erfahren, wie dieser Mann in die Gefangenschaft der chinesischen Seeräuber gekommen ist. Als er damals im Boote von Ihnen abfuhr, ist es seine Absicht gewesen, nach der Küste des nicht weit entfernten Festlandes zu rudern, aus welchem Grunde, hat er mir nicht mitgeteilt; ich weiß überhaupt nicht, was er für einen Plan hatte. Van Guden ist während seiner Gefangenschaft an Bord des »Conqueror« finster und stumm gewesen. Bei seinem Verhör habe ich nichts aus ihm herausbringen können, nur das sagte er, daß er sich ungehindert von Ihnen entfernt habe.

»Während dieser einsamen Fahrt ist sein Boot von einer Dschunke aus erblickt worden; man hat ihn gefangen, ihn nach heftiger Gegenwehr überwältigt und ihn dann zwingen wollen, als Kapitän das Kommando der Dschunke zu übernehmen, das heißt, sein früheres Handwerk als Anführer der Piraten oder doch dieser Dschunke zu betreiben, denn die abergläubischen Chinesen hofften, wenn sie ihn an Bord hätten, mehr Glück in ihrem räuberischen Tun zu haben, um wieviel mehr, wenn der einstige Fürst der Piraten selbst an ihre Spitze träte.

»Aber van Guden weigerte sich, dies zu tun, er trotzte allen Bitten der Chinesen, verachtete ihre Drohungen, und so ließen es die Piraten sich genügen, ihn als Gefangenen an Bord zu behalten. Was sie noch mit ihm begonnen hätten, weiß ich nicht, denn van Guden selbst kann es mir nicht sagen, und die Chinesen behaupteten, als ich sie zu einer Aussage zwang, daß sie ihn nur als eine Art Talisman an Bord hätten behalten wollen, weil seine Anwesenheit ihnen Glück brächte.

»Aus Ihrer Erzählung nun höre ich, daß sich van Guden auf eine Art und Weise betragen hat, welche darauf schließen läßt, daß er sein Treiben als Seeräuber aufgeben wollte. Er selbst hat sein möglichstes getan, um die Piraten zu vernichten, er hat sich überhaupt Ihnen gegenüber ehrenhaft benommen, wenn man von einem Räuber so sagen kann, und so kann ich Sie wohl verstehen, wenn Sie mich um seine Begnadigung bitten. Aber diese vollständig zu gewähren, liegt nicht in meiner Macht; mein Gewissen gestattet nicht, einen Menschen, der Seeräuberei getrieben hat, freizugeben, selbst wenn in seinem Leben eine Aenderung eingetreten ist, die er dadurch bewies, daß er seine Waffen gegen seine einstigen Gefährten gerichtet und anderen geholfen hat. Jedes Verbrechen muß gesühnt werden, und ich, der ich hier die Stelle eines Richters vertrete, darf von diesem Grundsatz nicht abweichen. Wie ich schon sagte, mein Gewissen läßt es nicht zu. Darum, meine Herren und Damen, nehmen Sie es mir nicht für ungut, wenn ich Ihrer Bitte nicht entspreche, sondern diesen van Guden ebenso bestrafe, als hätte ich ihn selbst auf Seeraub betroffen.«

»Was würde seine Strafe sein, wenn er dem Gericht der Vereinigten Staaten ausgeliefert würde?« fragte Lord Harrlington den Kapitän.

»Unbedingt der Tod,« war die überzeugte Antwort.

»Selbst dann, wenn wir alle hier um seine Begnadigung bitten, sein Betragen uns gegenüber erzählen, sein genaues Schicksal enthüllen, und wenn auch Sie um Milderung der Strafe ersuchen?«

»Vielleicht könnte die Todesstrafe alsdann in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt werden,« entgegnete der Korvettenkapitän, »aber ich bezweifle dies. Ich bin über van Guden ziemlich genau orientiert, er hat zuviel zu verantworten, als daß er so etwas zu erhoffen hätte. Das einzige, was ich bewirken kann, wäre, daß er an England ausgeliefert würde, weil er fast nur englische Schiffe angegriffen hat. Aber dort findet er erst recht keine Gnade, dort würde er sicherlich mit dem Tode bestraft werden.«

»Und van Guden ist nicht der Mann, der Zwangsarbeit dem Tode vorzieht,« schalt Ellen ein.

»Kapitän Staunton,« nahm Harrlington wieder das Wort, »wir sind unter uns, haben keinen Verräter zu fürchten, und so können wir offen miteinander sprechen. Wäre es nicht möglich, daß van Guden entflieht?«

Macdonald Staunton sah sich im Kreise der Herren und Damen um, und ein flüchtiges Lächeln schwebte um seine Lippen. Er wußte recht gut, was diese Frage bedeuten sollte, aber er stellte sich so, als faßte er ihren Sinn anders auf.

»Nein,« sagte er, »eine Flucht ist nicht gut möglich. Van Guden liegt in einer Einzelzelle und wird von einem doppelten Posten bewacht. Er ist ein starker und kühner Mann, dem alles zuzutrauen ist, aber eine Flucht von Bord des »Conqueror« gehört zur Unmöglichkeit.«

Lord Harrlington hatte verstanden; auf diese Weise konnte van Guden nicht befreit werden, des Kapitäns Pflichtbewußtsein ließ etwas derartiges nicht zu.

»Sie merken, wie sehr wir uns alle für diesen Holländer interessieren,« begann er wieder. »Hat er doch eine Art von Berechtigung, uns Engländer, die wir seine Familie und ihn selbst ins Unglück gestürzt haben, glühend zu hassen. Aber eben, weit er sich trotz dieses Hasses gegenüber wie ein Ehrenmann benommen, uns wie ein Kavalier zum ritterlichen Kampf herausgefordert hat, fühlen wir Mitleid mit seinem Schicksal. Gestatten Sie uns daher, ihn hier noch einmal zu sprechen, ehe er dem Gefängnis übergeben wird, wo eine intime Unterhaltung ohne fremde Zeugen nicht gestattet ist.«

»Sehr gern,« versetzte der Kapitän und gab der vor der Tür stehenden Ordonnanz den Befehl, van Guden in den Salon führen zu lassen.

Der Holländer trug noch seine chinesische Kleidung. Sein Gesicht war unbeweglich, keine Spur von Furcht und Niedergeschlagenheit konnte man darin bemerken.

Hochaufgerichtet, den Kopf in den Nacken geworfen, die Augen furchtlos auf die Anwesenden geheftet, so trat er in Begleitung einiger bewaffneter Matrosen ins Zimmer. Der Kapitän winkte; letztere blieben zurück, und van Guden trat ungefesselt einen Schritt näher.

»Van Guden,« begann Lord Harrlington und ging auf den Holländer zu, »wir fühlen Mitleid mit Ihnen. Als Sie uns im Boot verließen, hofften wir alle, ohne Ausnahme, daß es Ihnen gelingen möchte, in Sicherheit zu kommen. Es tut uns leid, Sie als Gefangenen wiederzusehen.«

Der Holländer hatte seine Augen starr auf den Sprecher gerichtet, ein eigentümliches Zucken bewegte bei diesen Worten sein Gesicht.

»Warum?« fragte er leise.

»Weil wir hofften, daß Sie ein anderes Leben anfangen würden; da Sie die Waffen, die Sie bis jetzt gegen uns, die Engländer, gerichtet haben, plötzlich gegen die Chinesen, Ihre früheren Kameraden, wendeten, so war daraus zu erkennen, daß Sie den Haß gegen uns aufgegeben haben, Ihr Unrecht einsahen und nun dieses wieder gutzumachen suchten.«

»Es war dies nicht der Fall, Sie überschätzen mich,« antwortete der Pirat mit fester Stimme. »Kämpfte ich gegen die Chinesen, so tat ich es nur, um mich für die mir zugefügte Schmach zu rächen. Eine Aenderung in meinem Haß gegen euch ist nicht eingetreten, ich hasse euch Engländer nach wie vor.«

»Was würden Sie tun, wenn Ihnen die Freiheit geschenkt würde?«

»Ich würde die Engländer wieder schädigen, soviel ich könnte.«

Die Umstehenden sahen sich bestürzt an, das hatte niemand von diesem Manne erwartet.

»Auf welche Weise? Wieder als Pirat?« fragte Lord Harrlington weiter.

»Nein,« entgegnete van Guden offen. »Schon längst ist es mir zum Bewußtsein gekommen, was für eine erbärmliche, ich möchte fast sagen, lächerliche Rache an meinen Feinden das ist.« »Aber wie sonst?«

»Wäre ich damals nicht in die Hände der Chinesen gefallen, hätte ich das Land erreicht, so würde ich allerdings ein anderes Leben angefangen haben. Noch gibt es genug ehrliche Menschen, welche euch Engländer verurteilen, weil ihr ganz ungerechterweise Krieg anzettelt und euch fremder Länder bemächtigt, wozu ihr kein Recht habt, so zum Beispiel in Afrika, in Indien und anderen Gegenden. Habt ihr das Land erobert, so bezahlt ihr den Besiegten eine Summe und behauptet dreist, ihr hättet eine Kolonie gekauft. Was einzelne Menschen schon jetzt von euch behaupten, das wird einst die Weltgeschichte offen von euch sagen, und sie wird euch ein Denkmal setzen, welches euch, wie ihr jetzt seid, für ewige Zeiten an den Pranger stellt, den dagegen, der für die Bedrängten die Waffen ergreift, als Helden feiern. Dies würde ich getan haben; auch ich hätte mich auf die Seite eines solchen Volkes gestellt, welches die habgierigen, unersättlichen, scheinheiligen, hinterlistigen Engländer unter dem Vorwande, ihm die Zivilisation zuzuführen, unterjocht. Ihr habt die Sklaverei abgeschafft, aber wer ist es, der alle Menschen zum Sklaven seiner Habsucht machen möchte ...«

»Was meinen Sie damit?« unterbrach ihn Lord Harrlington erregt. Alle Anwesenden, hauptsächlich die Engländer, erhoben ein unwilliges Gemurmel.

»Was ich damit meine?« entgegnete van Guden höhnisch. »Ist es vielleicht nicht wahr, daß ihr Häuptlinge, Scheichs und so weiter mit einem Spottgeld bestecht, damit sie ihre Leute zwingen, für euch die schwersten Arbeiten zu verrichten? Soll ich euch noch mehr vorwerfen? Werden nicht gerade an England, dem Lande, welches die meisten Missionare unter heidnische Völker schickt, die meisten Götzenbilder angefertigt und verkauft? Wer schreit so gegen das Opiumrauchen als ein sittenverderbendes Laster und gestattet doch den Opiumhandel, nein, leistet ihm sogar in jeder Weise Vorschub und begünstigt ihn sogar, weil er ihm durch hohe Steuer ungezählte Summen einbringt? Wessen Bestreben ist es, sofort, wenn einem bisher unkultivierten Volke der Segen der Zivilisation zugeführt worden ist, ihm Branntwein zu verschaffen, der hoch besteuert ist? O, ich könnte noch massenhafte Beweise bringen, daß alles an euch Lug, Trug und Scheinheiligkeit ist.«

Des Holländers Augen blitzten, er hatte sich hoch aufgerichtet, und seine Stimme klang immer heftiger, als er diese Anschuldigungen den Engländern entgegenschleuderte. Und diese Anklagen waren keine ungerechten, wirklich wird die unparteiische Weltgeschichte einst aufdecken, welcher Mittel sich England bedient hat, um zu seiner jetzigen Macht und seinem jetzigen Reichtum zu gelangen.

»Hüten Sie sich!« rief Harrlington. »Sie stehen hier als Gefangener und nicht als freier Mann, der über eine Nation urteilen darf, die er nicht einmal genügend kennt, um sie verurteilen zu können. Daß Ihrem Vater in England unrecht getan worden ist, wissen wir, und eben dies hat uns veranlaßt, für Sie zu bitten, daß Ihre Strafe gemildert werde.«

»Ich will keine Milderung, ich bedarf keiner Gnade.« sagte der Holländer stolz, »und am wenigsten will ich sie von euch. Ueberlaßt mich der Gerechtigkeit dieses amerikanischen Kapitäns, er mag über mich verfügen, wie er will.«

»So würden Sie also die Waffen wieder gegen England ergreifen, sobald Sie sich auf freiem Fuße befänden?«

»Ich würde es tun, aber im ehrlichen Kampfe,« entgegnete der unversöhnliche Feind der Engländer.

Lord Harrlington wandte sich ab und zuckte bedauernd mit den Schultern. Jetzt hätte er um die Freiheit dieses Mannes nicht einmal mehr bitten dürfen, das war er seinem Vaterlande schuldig.

Van Guden wurde wieder abgeführt. »Der Mann will es nicht anders,« sagte Kapitän Staunton, »es tut mir sehr leid, daß dieser van Guden, der sonst ein ehrlicher Mann zu sein scheint, am Strang enden muß, aber ich kann nichts dagegen tun, die Gerechtigkeit muß ihren Lauf haben.«

Es war bald zehn Uhr, die Herren und Damen begaben sich an Deck, um sich die Meuterer anzusehen, welche jetzt oben zum Marsch nach dem Gefängnis aufgestellt waren.

Mit finsteren Blicken, die Köpfe zur Erde gesenkt, standen die an Händen und Füßen gefesselten Verbrecher da. Sie wußten, daß es kein Entrinnen mehr gab, der Tod am Galgen war ihnen gewiß, und sie wünschten nur, daß die Depeschen schon da wären, welche das Urteil bestätigten, damit sie nicht lange Stunden in Todesangst zu verbringen brauchten.

Je zwei Matrosen mit Gewehren und Entersäbeln bewaffnet, nahmen einen Mann in die Mitte, die Trommel wurde gerührt, und fort ging es, über die Laufbrücke an Land und durch die Reihen der zahllosen Zuschauer dem Gefängnisse zu, in welchem sie so lange bleiben sollten, bis sie verhört und die Depesche mit dem Todesurteil eingetroffen war.

Stumm schritten sie durch die Reihen und sahen nicht empor zu den Häusern, deren Fenster dicht mit Menschen besetzt waren, blickten auch nicht auf, wenn ihnen ein Schimpfwort oder eine Schmähung zugerufen wurde, vernahmen auch kein Trosteswort, wenn doch einmal ein solches fiel. Nur einmal zuckten sie alle merklich zusammen, als plötzlich eine Stimme aus der hintersten Reihe rief:

»Mut, Kameraden, wir helfen euch.«

Die meisten der Zuschauer, denen diese Worte ins Ohr drangen, hatten sie gar nicht einmal verstanden, denn sie waren auf spanisch gerufen worden, die aber, die sie verstanden, schauten sich vergeblich um. Die Menschen standen viel zu eng, als daß man den Schreier hätte entdecken können, und niemand war da, der wie ein Seemann ausgesehen hätte. Die Zuschauer waren entweder Japanesen, Chinesen oder anständig gekleidete Europäer.

Bald hatten sich hinter den Meuterern die schweren Tore des Kerkers geschlossen, und Kapitän Staunton, der den Zug selbst geleitet hatte, kehrte nach dem Schiffe zurück, wo er seine Schwester Hope auf ihn wartend fand.

»Macdonald,« sagte Hope, als sie mit ihm im Salon allein war und ihren Bruder umschlang, »du siehst, wie die englischen Herren um die Begnadigung van Gudens bitten, wie es der sehnlichste Wunsch meiner Freundinnen ist, daß ihm die Freiheit geschenkt wird. Gib sie ihm, ich bitte dich, nicht nur im Namen meiner Freundinnen darum, ich selbst möchte es gern. Du hast mir nie etwas abgeschlagen, hast mir früher jeden Wunsch erfüllt, so tue es doch auch diesmal. Du bist ja der einzige, der hier zu befehlen hat, in deinen Händen liegt Tod und Leben dieses Mannes.«

Ein leichtes Lächeln umspielte den Mund des Bruders.

»Das ist etwas anderes,« sagte er, »das Mädchen auf die Stirn küssend, »du hattest sonst auch nur Bitten, die ich erfüllen konnte, wenn sie auch manchmal unvernünftig genug waren, aber dieser jetzigen kann ich nicht nachgeben, ihre Gewährung kann ich nicht mit meiner Stellung als Kapitän und Richter vereinbaren.«

»Du bist grausam, Macdonald,« klagte das junge Mädchen, »die Damen setzten so sichere Hoffnung darauf, daß ich dich zum Nachgeben bewegen könnte. Aber es scheint nicht der Fall zu sein. In der langen Zeit, welche ich von dir getrennt war, ist deine brüderliche Liebe erkaltet, sonst hättest du es mir sicher nicht abgeschlagen. Warum lächelst du nur immer, Macdonald? Freust du dich auch noch darüber, daß du so grausam geworden bist?«

»Ich freue mich, daß ich meine Hope wiederhabe,« antwortete der Bruder zärtlich, »und noch dazu, daß es mir vergönnt ist, sie aus einer so großen Gefahr befreit zu haben. Aber sag', Hope, warum interessierst du, warum interessieren deine Freundinnen sich so für diesen holländischen Seeräuber?«

Stumm schritten die gefesselten Verbrecher durch die Reihen der Zuschauer.

»Er ist kein Seeräuber!« rief Hope energisch. »Sprich dieses häßliche Wort nicht wieder aus. Van Guden hat Grund genug, die Engländer zu hassen, und ich und die Vestalinnen, wir streiten ihm sogar das Recht nicht ab, an denen Rache zu nehmen, die seinen Vater, ihn und seine ganze Familie ins Unglück gestürzt haben. Es ist ein ganz menschliches Gefühl, daß man die haßt, die einem das bitterste Unrecht zugefügt haben, und gerade van Guden ist ein Mann, der sich nicht kleinlich gerächt hat, sondern immer mit einer gewissen Ritterlichkeit aufgetreten ist. Der Kampf mit Lord Harrlington hat dies bewiesen.«

»Ei, ei,« lachte der Bruder, »seit wann ergreifst du denn so feurig Partei für das verfolgte Recht? Etwas schwärmerisch bist du allerdings immer angelegt gewesen, du hast dich als Kind stets für einen Romanhelden begeistert, der alle seine Feinde tötet, aber ich dachte, als erwachsenes Mädchen würde sich das legen.«

»Du selbst bist ja auch so ein Mensch, der für alles Romantische und Abenteuerliche schwärmt,« entgegnete Hope, »warum wirfst du mir denn so etwas vor? Nochmals bitte ich dich, laß den Holländer unbemerkt entfliehen!«

»Auf keinen Fall,« sagte der Offizier ernst, »noch diese Stunde wird er gehenkt!«

»Schon diese Stunde? Ich denke, die Exekution der chinesischen Piraten, zu denen van Guden gehört, wird erst am Nachmittag vorgenommen?«

»Ich lasse ihn an Bord des »Conqueror« von meinen eigenen Leuten hängen.«

Hope blickte erstaunt auf.

»Warum denn?«

»Weil es mir von Wichtigkeit ist, daß dieser gefährliche Verbrecher möglichst bald aus der Welt kommt, er ist kühn und tatkräftig, seine Flucht wäre doch nicht so unmöglich.«

»So gibst du mir nicht nach? Du hast seinen Tod wirklich beschlossen?«

Hope befreite sich trotzig aus den Armen ihres Bruders.

»Ich werde nie wieder etwas von dir erbitten,« schmollte sie, mit Tränen in den Augen.

»Kind, sei nicht so töricht!« entgegnete der Bruder vorwurfsvoll und hob ihren Kopf empor. »Ich weiß recht wohl, was dich dazu treibt, seine Befreiung zu erwirken. Die Damen, deine Freundinnen, haben dich damit beauftragt, weil sie glauben, ich, als dein Bruder, würde es dir am wenigsten abschlagen, du hast ihnen auch versichert, es würde dir ein leichtes sein, weil, wie du ihnen vielleicht gesagt hast, du mich um den Finger wickeln könntest.«

»Das ist nicht wahr, das habe ich nicht gesagt,« unterbrach ihn das weinende Mädchen.

»Dann etwas Aehnliches. Aber diesmal hast du dich geirrt, ich kann und darf dich nicht erhören. Van Guden hat den Tod verdient und soll ihn dulden. Aber nun etwas anderes, Hope! Wie kommt es, daß du mit dem Matrosen, der mit dir an Bord der »Recovery« war, so intim verkehrst? Ich habe dich vorhin sogar Hand in Hand mit ihm gesehen.«

»Weißt du nicht, daß er als Diener eines der englischen Herren an Bord des ›Amor‹ ist?«

»Das ist kein Grund, mit ihm Hand in Hand zu gehen,« lächelte der Bruder.

»Er ist mein Freund,« sagte Hope einfach.

»So!«

Dieses »So« klang ganz eigentümlich. Hope erhob die Augen und blickte ihren Bruder erstaunt an.

»Hast du etwas dagegen?« fragte sie. »Gegen diesen Freund? Nein, ich wünschte aber, du unterließest es, mit ihm zu intim zu verkehren.«

»Aber warum denn?«

Die Frage klang völlig überrascht.

»Weil ich gern möchte, daß du –«

Der Kapitän brach kurz ab.

»Was möchtest du, Macdonald?«

»Nichts, nichts,« er umarmte seine Schwester, »mir stieg ein garstiger Gedanke auf. Tue, was du willst, meine Hope! Du weißt ja, ich habe eine ebensolche Natur, wie du, auch ich denke anders, als die meisten Menschen.«

»Das ist nicht wahr,« schmollte das Mädchen, »du hast mir allerdings früher einmal gesagt, dir wäre ein Räuber und Mörder, der auf der Landstraße mit Gefahr seines Lebens Reisende überfällt, lieber, als ein Kerl, der seine Mitmenschen mit einem ehrlich aussehenden Gesicht betrügt und um ihr Geld beschwindelt. Jetzt aber denkst du anders.«

»Das ist lange her,« lachte der Offizier, »damals war ich noch ein Kind, das in jedem Indianer einen Helden sah.«

Ein lauter Schrei an Deck unterbrach das Gespräch der beiden Geschwister, ein Kommando erscholl, noch ein Schrei, dann wieder ein Kommando – und alles war still bis auf das Geräusch, welches die über Deck eilenden Matrosen verursachten.

»Was war das?« fragte Hope angstvoll.

»Van Guden hat soeben sein Leben am Strick beendet,« antwortete der Kapitän ernst.

Mit einem Schrei prallte Hope zurück. Dann bedeckte sie das Gesicht mit beiden Händen und schluchzte laut. Als der Bruder sie umarmen und an seine Brust ziehen wollte, stieß sie ihn zurück.

»Grausamer,« weinte sie, »konntest du unserer Bitte nicht nachgeben? Er wäre doch noch ein anderer Mensch geworden, er hätte nur einer Erziehung bedurft. Und in derselben Stunde noch, da ich dich um sein Leben bitte, läßt du an ihm dein strenges Urteil vollziehen.«

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und Lord Harrlington und noch einige andere der englischen Herren, welche sich noch an Bord befunden hatten, traten ein.

»So haben Sie van Guden doch hängen lassen?« rief Harrlington vorwurfsvoll.

Kapitän Staunton zuckte die Achseln, seine Stimme klang aber etwas gereizt, als er erwiderte:

»Ich habe getan, was ich für meine Pflicht hielt, etwas anderes gab es nicht.«

Die Herren waren über diesen Ton etwas betroffen, sahen aber doch ein, daß sie im Unrecht waren, und entfernten sich unter einem Vorwande bald wieder.

Oben angekommen betrachteten sie, wie auch einige der Damen, die Leiche, welche soeben von einer Raa heruntergelassen und von den Matrosen in Empfang genommen wurde.

»Wie elend er aussieht,« meinte ein Herr, »er ist ganz weiß im Gesicht geworden.«

»Mir kommt es fast vor, als wäre er mit einem Male viel magerer geworden,« sagte Sir Williams.

»Die letzten Minuten vor seinem Tode haben ihn sicher furchtbar angegriffen, man findet oft bei Toten, namentlich bei Hingerichteten, daß sie ganz anders aussehen, als im Leben.«

Die Leiche wurde von den Matrosen in Segelleinwand geschlagen und fortgetragen. Die Herren und Damen verließen das Schiff, um sich nach dem Platze zu begeben, wo bald die Hinrichtung der mehr als 40 Piraten stattfinden sollte. Wollten sie dieser auch nicht beiwohnen, so wollten sie doch wenigstens den Eindruck beobachte«, welche diese Exekution auf die zuschauenden Japanesen, Chinesen und Malayen machte. – – –

Unten im Salon standen noch immer Bruder und Schwester, aber letzterer Augen waren nicht mehr mit Tränen gefüllt, ihr Gesicht war wieder das alte, fröhliche. »Bin ich nun wieder dein lieber Bruder?« fragte der Kapitän.

»Du böser Macdonald!« flüsterte Hope und küßte den Bruder auf die Lippen.

»So komm' nach der Offiziersmesse! Die Herren haben bis jetzt fast noch keine Gelegenheit gehabt, mit dir ein Wort zu wechseln, und doch freuen sich alle so sehr darauf, die kleine Hope wiederzusehen.«

»Kenne ich sie denn?«

»Ich glaube ja, und einen ganz besonders gut.«

»Wer soll das sein?«

»Leutnant Murbay.«

»Ach der,« sagte Hope und zog die Mundwinkel in die Höhe, »ich mache mir nicht viel aus ihm.«

»Er aber destomehr aus dir.«

»Das ist mir ganz gleichgültig.«

»Du tust ihm unrecht, wenn du so etwas von ihm sagst. Leutnant Murbay ist eine treue Seele, er hat dich sehr gern, das wirst du bemerkt haben, wenn du seine Schwester besuchtest und er auf Urlaub zu Haus war. Er ist ein stiller, bescheidener Mensch, der sich aber sehr gekränkt fühlen würde, wenn er hörte, wie du über ihn sprichst. Komm', Hope, er wird dir Grüße von deinen Freundinnen bringen.«

Der Kapitän bot seiner Schwester den Arm und führte sie hinaus.


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