Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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34.

Ueber Bord.

Die »Urania« war schon acht Tage unterwegs. Mit unveränderter Schnelligkeit durchschoß sie die Fluten des Atlantischen Ozeans; die schwarz-weiß-rote Flagge an der Fahnenstange war immer nur von einem mäßigen Winde bewegt worden, also war auch kein Seegang vorhanden, und schon konnte man an der abnehmenden Temperatur merken, daß man sich in der gemäßigten Zone befand, denn in den nördlichen Gegenden herrschte jetzt der Winter.

Daher kam es, daß die Passagiere alle so munter und bei guter Laune waren! Wie konnte es bei dem herrlichen, sonnigen Wetter anders sein! Fälle von Seekrankheiten waren nur ganz wenige und diese ganz vorübergehend aufgetreten, eben wegen des ruhigen Laufes der ›Urania‹, und außerdem befinden sich auf einem von Afrika nach Europa fahrenden Schiffe nur selten Passagiere, die noch keine Seereise gemacht haben, also nicht »seefest« sind, wenn auch das einmalige Ueberstehen der Seekrankheit nicht die Wiederholung derselben ausschließt.

Auf einem Schiffe läßt sich leicht Bekanntschaft schließen; der wochenlange, enge Aufenthalt in steter Gesellschaft bringt dies ja mit sich; ja, sogar Freundschaften werden viel geschlossen, aber merkwürdig ist es, daß diese fast stets erlöschen, sobald das Schiff sein Ziel erreicht hat. Dann beginnt nämlich unter den Passagieren ein Hasten und Drängen, um erst einmal aus dem vollgepfropften Gepäckraum seine Koffer und Kisten herauszubekommen und dann an Land zu bringen, sie von sich anbietenden Trägern fortschaffen zu lassen, ist nicht immer ratsam. Oftmals sieht man weder den Träger, noch sein Gepäck wieder.

Mit aller Kraft reißt der Passagier an seinem im Gepäckraum zu unterst liegenden Koffer, hilfesuchend sieht er sich um. Gott sei Dank, da steht ja sein neuer Freund. Er ruft den Herrn, der glücklicher war als er und mit dem Koffer in der Hand schon wieder an Deck geht, an, ihm zu helfen – jawohl, der Freund ist im Hafen plötzlich taub geworden, er hört nicht auf die Rufe, sondern denkt: Selbst ist der Mann.

Ferner wäre es interessant, wenn man auf einem Passagierdampfer fortwährend zwischen Hamburg oder Bremen und New-York hin- und herführe, die während jeder Reise stattfindenden Verlobungen feststellte und dann konstatierte, wie viele der Pärchen auch noch am Lande Hand in Hand durchs Leben gingen.

Da könnte man zu erstaunlichen Resultaten kommen.

Doch es ist natürlich, daß sich auf einem Schiffe zwei Seelen schneller finden, als auf dem Lande, wo größere Auswahl vorhanden ist, sei es nun zur Gesellschaft, zur Freundschaft oder selbst aus dem Gefühle der Liebesbedürftigkeit.

Solch eine Sehnsucht, sich einem Menschen anzuschließen, hatte auch ein einsamer Passagier der »Urania«. Es war schon ein ältlicher Mann, mittelgroß, untersetzt und breitschulterig, einfach, aber anständig gekleidet. Sein Gesicht war ein ganz gewöhnliches, nicht schön und nicht häßlich, der ins Graue spielende Backenbart wohlgepflegt, die Augen ruhig geradeaus blickend – einfach ein Alltagsmensch.

Er ging den ganzen Tag an Deck spazieren, die Pfeife im Munde, die respektablen Fäuste in den Hosentaschen, und gab diesen Spaziergang nur auf, wenn die Glocke zum Essen rief oder wenn es Zeit war zum Schlafen.

Am frühen Morgen nahm er wieder den einsamen Gang an Deck auf, begrüßte jeden oben erscheinenden Passagier mit einem »Good Morning«, wechselte aber sonst mit keinem Menschen ein Wort, wahrscheinlich, weil ihm keiner der Menschen an Bord gefiel, mit Ausnahme von zwei Personen, die aber wieder seine Unterhaltung nicht wünschten.

Diese beiden waren ein Herr und eine Dame, welche stets zusammenstanden oder saßen, an Deck sowohl wie unten an der Tafel, sich immer unterhielten und sofort schwiegen, wenn ein Fremder sich ihnen nahte, also, wie ein deutsches Wort es so recht schön ausdrückt – ein Pärchen.

Dieses Pärchen waren Hope und Hannes, die sich liebenden Flüchtlinge.

Gerade diese beiden Personen mußten für den einsamen Spaziergänger eine besondere Anziehungskraft besitzen. Gleich am ersten Tage hatte er sich ihnen zu nähern gesucht und eine Unterhaltung angeknüpft, natürlich über das Wetter.

»Schönes Wetter heute,« sagte er auf englisch.

Hannes, der mit Hope an der Brüstung stand und dem Spiele der Wellen zusah, drehte sich um, blickte den Mann zerstreut an und antwortete:

»Ja, ja, schönes Wetter!«

»Ob es wohl bald regnen wird?« .

»Weiß ich wahrhaftig nicht.«

»Wolken sind noch nicht zu sehen,« fuhr der Fremde beharrlich fort, ,

»Kann nichts dafür – was sagtest du, Hope?« wandte sich Hannes an das Mädchen.

Nach diesem interessanten Gespräch nahm der Fremde seine einsame Wanderung wieder auf. Acht Tage waren nun schon vergangen; er hatte immer noch einmal versucht, ein Gespräch mit den beiden anzufangen, aber das Resultat war stets dasselbe gewesen; er erhielt nur zerstreute, kurze und schließlich gar keine Antworten.

Die Nacht vom achten zum neunten Tage war etwas stürmisch gewesen, aber der Morgen hatte wieder einen hellen Tag und wenig Wind gebracht. Der Fremde war schon wieder einige Stunden unterwegs, immer von vorn nach hinten und von hinten nach vorn an Deck, als Hannes heraufkam, diesmal aber allein, sich auf eine Bank setzte, eine Pfeife stopfte und zu rauchen begann.

Eine Zeitlang wanderte der Fremde ruhig an der Bank vorbei, dann aber mußte er einen Entschluß gefaßt haben, er blieb vor Hannes stehen, bat um ein Streichholz und setzte sich, während er seine Pfeife anzündete, neben diesen.

»Thank you,« sagte er, als er das Streichholz wegwarf.

Diesmal war es Hannes, welcher ein Gespräch anfing, jedenfalls zur heimlichen Freude des Fremden.

»Ich kalkuliere, Sie sind ein Deutscher,« sagte Hannes auf deutsch, den Fremden lächelnd anblickend.

»Allerdings,« rief dieser erstaunt in derselben Sprache, »woran merken Sie das gleich?«

»Ich höre es an der Aussprache Ihres ›Danke‹ und habe es schon früher gemerkt, als wir uns über das Wetter unterhielten.«

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie kein Engländer sind,« entgegnete der Fremde, »Sie sprechen doch mit Ihrer Dame immer englisch.«

»Ja, warum denn nicht? Sie ist eine Amerikanerin. Haben Sie ihr das nicht angehört?«

»Nein, ich bin noch nicht so weit, einen Engländer von einem Amerikaner unterscheiden zu können. Die Dame ist doch nicht unwohl,« fügte er besorgt hinzu, »sonst ist sie um diese Zeit doch gewöhnlich an Deck?«

»Doch, sie ist in der Nacht etwas seekrank geworden und zieht es vor, in der Koje zu liegen, statt an die frische Luft zu gehen.«

»Wie, seekrank? Bei dem geringen Seegang, den wir hatten? Das hätte ich nicht geglaubt – die Arme!«

»Was sagen Sie denn aber erst dazu? Die Dame ist zwei Jahre lang ununterbrochen auf einem Schiffe gewesen, und noch dazu auf einem Segler, der viel stärker schlingert, als ein Dampfer, und ist dort nur im Anfange etwas seekrank gewesen,« sagte Hannes lachend.

»Ist nicht möglich,« sagte der Fremde verwundert. »Ich habe nur zweimal eine Seereise gemacht, bin aber schon vollkommen seefest.«

»Prahlen Sie ja nicht so mit Ihrer Seefestigkeit,« entgegnete Hannes spöttisch. »Die Seekrankheit ist nämlich ein eigentümliches Ding, just wie das Heimweh. Sehen Sie, ich habe zwar keine Heimat und kenne daher auch kein Heimweh, aber ich habe Menschen kennen gelernt, die viele, viele Jahre fern von den Ihren waren, ohne nur davon eine Idee zu haben, was Heimweh überhaupt ist, hauptsächlich auch darum, weil es ihnen zu Hause nicht gut gegangen ist, und da, nach zehn Jahren, werden sie plötzlich von dieser Krankheit befallen, sie fangen an zu weinen, zu jammern, zu lamentieren und ruhen nicht eher, als bis sie den heimatlichen Boden wieder unter den Füßen haben. Ist das nicht merkwürdig?«

»Ja. Wie mag das Heimweh entstehen?«

»Es ist eben unberechenbar. Ein Bild, ein Wort, ja nur ein plötzlicher Gedanke kann eine unbestimmte Sehnsucht erwecken, man weiß nicht, wonach man sich eigentlich sehnt – so ist mir erzählt worden – und schließlich merkt man, daß es das Heimweh ist. So habe ich es mir wenigstens zurechtgelegt.« »Sie meinen, daß es sich mit der Seekrankheit ebenso verhält?« sagte der Fremde.

»Ganz genau so,« versicherte Hannes. »So zum Beispiel gibt es alte Seebären, die nur einmal in der Jugend seekrank gewesen sind, die sich gar nicht mehr darauf besinnen können, und andere, die vielleicht diese Krankheit überhaupt nicht gehabt haben. Das Schiff mag noch so schlingern und hüpfen, sie gehen auf den tanzenden Planken wie auf dem Lande. Da, bei ganz schönem Wetter kommt der Wind mit einem Male von der anderen Seite, das Schiff beginnt aus einer anderen Richtung zu schlingern nur ganz wenig, und der alte Seebär beginnt plötzlich zu stöhnen und zu jammern, daß der Schiffsjunge sich über ihn halbtot lachen muß – er ist seekrank geworden. Wie kommt das?«

»Das muß lustig sein, wenn die Passagiere alle gesund sind, und der Kapitän wird plötzlich seekrank,« lachte der Fremde.

»Ja, das kann aber vorkommen. Ebenso ist es, wenn jemand auf einem Segelschiffe gefahren ist und kommt dann auf einen Dampfer. Dieser bewegt sich ganz anders als ein Segler, er stampft viel mehr, weil er sich nicht über die Wellen erhebt, sondern sie mit Gewalt durchbricht. Und dann macht auch das Zittern der Schraube viel aus. Daher ist die Dame auch seekrank geworden.«

»Sie sagten vorhin, das Fräulein sei zwei Jahre ununterbrochen auf einem Segelschiffe gewesen. Wie soll ich das verstehen? Ist sie die Tochter eines Kapitäns?«

»Nein,« entgegnete Hannes. »Haben Sie von der ›Vesta‹ gehört?«

»Ei gewiß,« rief der Fremde, »wer sollte nicht von diesem Schiffe gehört haben? Sie ist doch nicht eine von den Damen, welche auf der ›Vesta‹ fahren?«

»Gewiß,« nickte Hannes, »bis vor acht Tagen war sie eine Vestalin.«

Der Fremde blickte einen Augenblick nachdenklich vor sich hin, es mußte ihm plötzlich einfallen, daß die Vestalinnen alles reiche, vornehme Damen waren, und daß dieser Mann, der so intim mit einer von ihnen verkehrte, kein gewöhnlicher Mensch sei, so einfach er auch angezogen war und sich benahm. Er hielt es plötzlich für nötig, sich vorzustellen.

»Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe,« sagte er und nahm den Hut ab, »mein Name ist Renner, Max Renner aus Frankfurt.«

»Und ich heiße Hannes Vogel,« antwortete Hannes, der in der Kunst des Vorstellens nicht sehr bewandert war, und wollte auch den Hut ziehen, brachte die erhobene Hand aber nur bis an die Tabakspfeife, die er aus dem Munde nahm.

»Darf ich fragen,« begann Herr Renner wieder sehr höflich, »ob diese Dame Ihre Gemahlin ist? In diesem Falle müßte ich um Entschuldigung bitten, von ihr als Fräulein gesprochen zu haben.«

»Meine Frau ist sie noch nicht, aber lange wird es nicht mehr dauern,« entgegnete der offene Hannes.

»Sie haben sie doch nicht von der ›Vesta‹ entführt?« scherzte der Mann an seiner Seite.

»Doch, ich habe sie entführt, wie man so sagt – aber das heißt,« unterbrach sich Hannes schnell, der unter Entführung eigentlich etwas anderes verstand, »Gewalt habe ich dabei nicht angewendet, sie ist mir freiwillig gefolgt.«

»Das glaube ich auch,« sagte Herr Renner, »man kann Ihrer Braut wahrlich nicht anmerken, daß sie gezwungen worden ist, Ihnen zu folgen.«

»Also Renner heißen Sie,« nahm Hannes wieder das Wort. »Wissen Sie auch, daß dieser Name sehr schlecht bei mir angeschrieben steht? Wenn ich ihn nennen höre, möchte ich immer gleich zuschlagen.«

Erschrocken brachte der Herr die beiden Hände aus der Hosentasche, von denen schon vorher gesagt wurde, daß sie sich zu recht ansehnlichen Fäusten ballen konnten, »Wieso?« rief er verblüfft. »Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, nun,« sagte Hannes und mußte über das erschrockene Gesicht seines Nebenmannes lachen, »ich meinte das ja ganz anders.«

Er erklärte ihm, was der Seemann unter einem Renner versteht, und wie schlecht ein solcher bei ihm angeschrieben ist.

Jetzt mußte auch der Herr über seine augenblickliche Angst lachen.

Plötzlich nahm er eine nachdenkliche Miene an, blickte lange starr auf eine Decksplanke und sagte dann langsam:

»Wie ist mir denn, habe ich Ihren Namen, Vogel, nicht schon einmal irgendwo gehört?«

»Wohl möglich, Vogel ist kein so seltener Name.«

»Aber, wenn ich nicht irre, war es Hannes Vogel.«

»Vielleicht Johannes Vogel, der Name mag oft genug vorkommen. Warum nicht?«

Der Mann drehte den Kopf Hannes zu und musterte ihn.

»Ich darf wohl als richtig annehmen, daß Sie Seemann sind?« fragte er. »Ihre Ausdrücke, Ihre ganze Art lassen darauf schließen.«

»Jawohl, ich bin Seemann, bin neun Jahre in allen Himmelsrichtungen als Matrose gefahren,« entgegnete Hannes.

»Dann irre ich mich nicht, ich habe schon einmal von Ihnen erzählen hören, etwa vor zwei oder drei Jahren, es war in einem kleinen Hafenort.«

»Ach so, Sie haben aus dem Munde eines Matrosen meinen Namen gehört? Ja, dann ist es möglich, daß er mich gemeint hat,« rief Hannes. »Wissen Sie nicht, wie der Mann geheißen hat?«

»Er hieß – warten Sie einmal.« Renner legt? die Hand auf die Stirn. »Jochen – Jochen...« »Jochen Voß doch nicht etwa?« fragte Hannes mit gespannter Miene.

»Richtig, Jochen Voß war sein Name.«

»Himmel, Hölle, Bramstange und Klüverbaum,« schrie Hannes und sprang von der Bank empor, so daß Herr Renner erschrocken zusammenfuhr, »und das sagen Sie mir jetzt erst?«

»Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie dieser Hannes Vogel waren,« lächelte jener.

»Vor drei Jahren, sagen Sie? Nein, das kann höchstens vor zwei Jahren gewesen sein. Nicht wahr?«

»Ja, das mag stimmen, ich war damals in einem kleinen Hafen bei Kiel, ich kehrte in einer Schenke ein, wo Matrosen logierten. Mit dem einen schloß ich für diesen Abend Freundschaft, und er verkürzte mir die Zeit durch seine Erzählungen. Er sagte, er wäre vor einer Woche erst aus dem Londoner Gefängnis gekommen, weil er ein paar Soldaten ...«

»Das ist er, das ist er,« jubelte Hannes auf und schien Lust zu haben, dem Manne um den Hals zu fallen. »Hat er von mir erzählt, seinem Kompagnon?«

»Natürlich, immerwährend hat er von Ihnen erzählt, er fing ja gleich damit an, wie er mit Ihnen zusammen die englischen Soldaten verprügelt hat, wie Sie entflohen, er aber gefaßt worden ist.«

»War er recht böse darüber, daß ich mich nicht freiwillig gestellt habe, während er eingesteckt wurde?«

»Durchaus nicht,« lachte Renner, »er freute sich sehr, daß Sie dem Steineklopfen entgangen sind.«

»Ja, ein braver Kerl war er immer,« sagte Hannes stolz, »nicht ein Fünkchen Eigennutz hatte er im Leibe. Was hat er sonst noch von mir erzählt?«

»Ich sage Ihnen, den ganzen Abend und die halbe Nacht. Ich wurde nicht müde ihm zuzuhören, und er nicht müde zu erzählen. Das sind ja tolle Streiche gewesen, die Sie beide da immer zusammen ausgeführt haben.«

»Ja, wir waren riesig fixe Kerls, so ein Paar kommt nicht leicht wieder zusammen. Ich wollte, ich wäre jetzt bei ihm, da wollte« wir wieder schöne Streiche aushecken. Ach so,« unterbrach sich Hannes und kratzte sich verlegen hinter den Ohren, »ich bin ja bald Ehemann, da ist es mit den Streichen vorbei, sonst schimpft die Frau.«

»Na, lustig können Sie deshalb auch noch bleiben,« tröstete Renner.

»Ei und ob,« lachte Hannes, »wir wollen schon lustig sein, meine Frau macht immer mit, aber nur nicht solche Sachen, wofür man eingesteckt wird. Ich kann ja von meiner Frau später nicht verlangen, daß sie Steine klopft – dann hört ja der Respekt auf.«

Herr Renner mußte lachen.

»Ja,« sagte er dann, »das war damals ein lustiger Abend, ich habe nie bereut, daß ich, statt in einem dumpfigen Hotelbett zu liegen, ihn in einer so heimisch nach Teer duftenden Schifferstube zugebracht habe. Ungezählt waren die Abenteuer und Streiche, die Jochen von Ihnen und sich zum besten gab. Ich entsinne mich auch, daß er, wenn er von Ihnen sprach, sich gern eines anderen Namens bediente. Er nannte Sie oft den – Baron glaube ich. Nicht wahr, so wurden Sie von ihm genannt?«

»Der Spitzbube,« lachte Hannes verlegen. »Nein, Baron war es nicht, vielleicht Freiherr?«

»Stimmt!« rief Renner. »Er sagte meistenteils nicht: mein Freund Hannes, sondern: mein Freund, der Freiherr. Wie kommen Sie eigentlich zu dieser Bezeichnung? Sind Sie Freiherr?«

»Gott bewahre. Was sollte ein Freiherr wohl als Matrose zur See machen? Es ist nur ein Spitzname, den ich einmal vor Jahren bekommen habe.«

»Nun, nun,« meinte Renner, »wie ich gehört habe, findet man unter Seeleuten oft Adelige, denen es zu Hause nicht gefallen hat und die fortgelaufen sind.«

»Mag sein, bei mir ist so etwas nicht der Fall,« entgegnete Hannes kurz.

Der Fremde warf einen prüfenden Blick auf Hannes.

»Ich weiß doch nicht recht,« sagte er dann bedächtig mit respektvoller Miene, »es ist etwas an Ihnen, welches mich doch glauben macht, daß ich die Ehre habe, mit einem Freiherrn zu sprechen.«

»Unsinn!« rief Hannes etwas ärgerlich. »Ich bin froh, daß ich kein solcher bin, der sich mit Dienern und Lakaien herumärgern muß, danke vielmehr Gott jeden Morgen, daß ich ein freier Mann bin, der nichts hat, als seine gesunden Glieder, und dem die ganze Welt gehört.«

»Da haben Sie recht,« stimmte Renner ihm bei. so sind Sie wohl der Verwandte eines Freiherrn? Denn wie wäre es sonst möglich, daß Sie den Namen bekommen haben!«

Hannes ärgerte sich sehr, daß der Fremde in seinen Vermutungen nicht nachließ, und da er keinen Grund hatte, etwas zu verheimlichen, so teilte er ihm mit, daß er im Besitz eines Geburtsscheines sei, der ihm zu dem Spottnamen »der Freiherr« verholfen habe. Er hoffte, daß damit die Neugierde des Herrn Renner befriedigt sei, aber er hatte sich getäuscht.

»Ach, das ist ja interessant!« rief dieser. »Ich kenne die Familie des Freiherrn von Schwarzburg, es ist ein mächtiges Adelsgeschlecht am Rhein, und wenn ich nicht irre, so existiert auch ein Sohn mit dem Namen Johannes. Er dürfte in Ihrem Alter sein, und es ist leicht möglich, daß diesem der in Ihrem Besitz befindliche Geburtsschein abhanden gekommen ist. Dürfte ich ihn einmal sehen? Ich kenne ungefähr das Datum, wann dieser Johannes geboren ist.«

»Ich habe ihn nicht bei mir,« entgegnete Hannes, der das ihm unangenehme Gespräch auf jeden Fall abbrechen wollte.

»So haben Sie ihn schon abgeliefert?«

»Nein, nein, er ist unten im Koffer, ich trage nur meine notwendigsten Papiere bei mir. Aber jetzt, Herr Renner, hören Sie endlich mit Ihrer Fragerei auf! Donnerwetter, Sie müssen doch nun gemerkt haben, daß mir dieses Thema keine Freude macht.«

Nach diesen freimütigen Warten wagte der neugierige Herr nicht mehr, über den Geburtsschein zu sprechen. Er lenkte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand, der für Hannes mehr Interesse haben mußte, auf Hope.

»Das Fräulein wird Ihre Gegenwart schwer vermissen,« sagte er. »Es wird unsereinem schon sauer genug, einsam in der Koje zu liegen und seinen düsteren Gedanken nachzuhängen, um wieviel mehr so einer jungen Dame, wenn sie den Gegenstand ihrer Liebe nicht weit von sich weiß.«

»Wer aber seekrank ist, ist allein am besten aufgehoben,« versetzte Hannes und klopfte seine Pfeife aus; »selbst wenn meine Braut mich wünschte, würde ich nicht zu ihr kommen, die Stewardeß kann ebensogut ihre Wünsche befriedigen, wie ich.«

»Ach, wie können Sie so hartherzig sein!«

»Ich bin durchaus nicht hartherzig und am allerwenigsten gegen meine Braut, das können Sie sich wohl denken. Aber ich weiß Seekranke zu behandeln, ich habe genügend Gelegenheit gehabt, sie zu beobachten. Die Seekrankheit greift nämlich nicht nur den Körper, sondern auch die Seele an.

»Der mutigste Mensch wird feig, und der gutmütigste wird zänkisch. Darum vermeide ich es, mit meiner Braut zu sprechen, so lange sie seekrank ist. Ist der Unfall vorüber, dann kommt sie schon von selbst an Deck, mich aufzusuchen, und es ist keine Disharmonie zwischen uns entstanden.«

»Sie sind ein Diplomat,« lachte der Fremde.

Die Glocke rief zur Tafel. Der Platz an Hannes Seite war diesmal leer, Hope verschmähte jede Nahrung.

Aber am Nachmittage kamen beide Arm in Arm an Deck. Hope sah bleich und angegriffen aus, war aber trotzdem äußerst guter Laune, denn ihr Unwohlsein war überstanden. Das kam hauptsächlich daher, daß die »Urania« jetzt ganz ruhig lief.

Der Wind hatte sich vollständig gelegt, auch der Seegang hatte sich mit einem Male beruhigt, aber am Horizont stiegen schwere Wolken auf. Die Passagiere freuten sich des ruhigen Wetters; Kapitän und Mannschaft dagegen musterten besorgt die dunklen Wolken, die einen Sturm versprachen.

Hope, noch sehr erschöpft, ward von Hannes gegen Abend wieder in ihre Kabine geführt, er selbst kam gleich wieder an Deck und wurde sofort von Herrn Renner welcher das Pärchen unbehelligt gelassen hatte.

»Ich kalkuliere, wir bekommen heute eine böse Nacht« sagte Hannes zu Renner.

»Ich glaube auch,« versetzte dieser, »ich habe zwar zu wenig Erfahrung, um als Wetterprophet auftreten zu können, aber ich lese in den besorgten Mienen der Matrosen, daß etwas im Anzüge ist. Ihre Behauptung bestätigt dies.«

»Ja, diese Ruhe ist eine trügerische, sie geht einem heftigen Sturm voraus. Aber ich freue mich wieder auf einen solchen, habe schon lange keinen mehr mit durchgemacht. Wissen Sie, was ich in dieser Nacht anfangen werde? Ich ziehe meinen alten Oelanzug an, stelle mich ans Heck und lasse die Wellen über mich weggehen. Das ist herrlich, sage ich Ihnen, so etwas verjüngt mich stets um ein ganzes Jahr.«

»Da haben Sie dieselbe Passion, wie ich,« rief Renner erfreut, »auch ich kenne kein größeres Vergnügen, als meine Brust dem Sturme darbieten zu können. Da fühlt man erst, daß man ein Mann ist, die Knochen füllen sich mit Mark, und der Wind bläst alle Krankheiten aus dem Körper heraus. Dann werden wir uns heute nacht wohl wieder an Deck treffen, Herr Vogel?«

»Haben Sie aber auch Oelzeug? Sie werden ohne das durch und durch bis auf die Haut naß.«

»Das macht nichts,« lachte Renner, »es ist ja warm. Gegen Erkältung bin ich gefeit. Im schlimmsten Falle kann ich mir ja von einem Matrosen Oelzeug borgen.« – –

Es war eine stockfinstere Nacht; kein Mondstrahl, kein Stern konnte die schwarzen Wolken durchdringen, die, vom heftigsten Sturm gepeitscht, über den Himmel flogen.

Der Sturm heulte, die Masten und Raaen ächzten wie in Todesangst, und Welle auf Welle übergoß das Deck der »Urania«, für einige Augenblicke einen dampfenden Gischt zurücklassend, bis eine neue Woge an den Schiffsrumpf donnerte und gebrochen über das Deck rollte.

Kein Matrose war an Deck zu sehen, alle hatten Verstecke aufgesucht, wo sie vor den durchnässenden Wogen sicher waren, und der Kapitän hielt den Kopf nur bis zu den Augen über die schützende Leinwand, welche zu beiden Seiten der Kommandobrücke aufgespannt war. Er sah nichts weiter als ein ungeheures Hügelfeld, auf welches das wackere Schiff bald emporkletterte, bald hinabfuhr, dann jedesmal den Bug tief im Wasser vergrabend.

Es war keine Gefahr vorhanden, die Takelage war in bester Ordnung, alles an Deck, im Zwischendeck und unten im Raum festgebunden, von ihm selbst geprüft, und so konnte er getrost den Ausgang des Sturmes abwarten.

Für die Sicherheit der beiden Personen, welche hinten am Heck standen und sich an die Bordwand klammerten, war er nicht verantwortlich, denn es waren keine Frauen oder Kinder, denen er den Aufenthalt an Deck bei Sturm verbieten mußte, sondern kräftige Männer, wahrscheinlich Seeleute, sonst hätten sie es wohl nicht gewagt, dem ungestümen Spiel der Wogen zuzuschauen.

Da plötzlich gellte ein Schrei durch die Nacht, ein Mann stürzte von hinten der Luke zu, glitt aus und rollte über Deck. Matrosen sprangen von allen Seiten zu und fingen ihn auf.

»Was ist los?« hörte der Mann auf der Brücke rufen, während sein Steuermann schon die Treppe hinuntersprang, um sich von dem Tatbestand zu überzeugen. Der Kapitän selbst durfte unter keinen Umständen die Brücke verlassen, und wenn das Schiff in Stücke ging.

»Mann über Bord!« heulte in diesem Augenblicke die Stimme eines Matrosen. Der Kapitän stand schon am elektrischen Signalapparat.

»Stopp – Gegendampf,« klingelte es im Maschinenraum. Das Zittern der Schraube hörte plötzlich auf, um dann aber desto heftiger zu werden – die »Urania« dampfte rückwärts.

»Wer ist es?« fragte unten der Steuermann den an allen Gliedern zitternden Mann mit dem aschfahlen Gesicht.

Stumm deutete er nach hinten.

Die Matrosen stürzten nach hinten, den Mann mit sich reißend.

»Er ist über Bord gewaschen,« stöhnte er, »hier hat er sich festgehalten.«

Eine eiserne Stange lief auf der hölzernen Bordwand um das ganze Schiff herum, da, wo sich der Unglückliche festgehalten haben sollte, war sie krumm gebogen – so ungestüm ist die Kraft des entfesselten Ozeans.

Einige Passagiere hatten sich um Renner versammelt und hörten seiner Unglücksbotschaft zu, sich dabei an irgend etwas festklammernd.

»Wer war es?« fragte der Steuermann.

»Er hieß Hannes Vogel.«

»Zurück vom Boot!« rief der Kapitän. »Seid Ihr toll, jetzt ein Boot aussetzen zu wollen?«

Doch gleich sah er seinen Irrtum ein, die Gestalt die auf ein Boot zugesprungen und Anstalten machte, die Taue zu lösen, war kein Matrose – ein Weib hielt sich an dem Taue fest.

»Haltet sie, sie will über Bord,« schrie ein Matrose, sprang an die Bordwand und bekam eben noch eine Frau zu fassen, welche sich ins Wasser stürzen wollte.

»Laßt mich,« flehte das Weib und rang mit dem Matrosen, »ich muß ihm nach, ich muß.«

Vier kräftige Arme zwangen die Wahnsinnige, von ihrem Versuche abzustehen, schafften sie in ihre Kajüte, schlossen die Tür ab und ließen einen Posten davor. Es war nicht das erste Mal, daß ein Weib einem über Bord Gespülten nachsprang – aber der Kapitän war verantwortlich dafür, daß so etwas nicht geschah.

»Laßt mich ins Boot, oder laßt mich ins Wasser springen,« schrie die Unglückliche und pochte unausgesetzt an die Tür.

»Hannes,« gellte es dann noch einmal auf, und ein dumpfer Fall erfolgte. Das Mädchen mußte ohnmächtig zusammengebrochen sein.

Auf der Kommandobrücke standen mehrere Matrosen mit großen Lampen, an denen Spiegel angebracht waren. Die »Urania« dampfte in weitem Bogen um die Unglücksstelle, die reflektierenden Strahlen beleuchteten auf weite Ferne das Meer, aber das Auge erblickte nur eine wüste Wasserfläche, himmelhohe Berge und tiefe Täler.

»Volldampf, alten Kurs!« kommandierte der Kapitän eine Viertelstunde später. »Die Wogen haben ihn sofort verschlungen. Ich habe meine Pflicht getan,« fügte er leise hinzu.


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