Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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10.

Ein verkannter Ehrenmann.

Der letzte Tag in Manila war gekommen.

Am Abend, bei eintretender Flut sollten die Anker gelichtet, und die mit ihren großen, eintönigen Häusern so ernst und mit ihrer lieblichen Umgegend so freundlich aussehende Stadt sollte verlassen werden, in der sie einige angenehme und interessante Tage verlebt hatten.

Am letzten Morgen war noch eine Bootspartie nach dem Baysee, von den Spaniern Laguna de Bay genannt, verabredet worden, und diejenigen, welche daran teilnehmen wollten, waren schon früh in Booten aufgebrochen, Damen sowohl, wie Herren, doch nicht alle.

Manila liegt an beiden Seiten des Flusses Pasig, welcher aus dem Baysee, einem mächtigen Südwassersee, entspringt, und die beiden Stadtteile sind durch eine hundertundzehn Meter lange Steinbrücke verbunden, welche sich in zehn gewaltigen Bogen über den Fluß schwingt.Jetzt gibt es auch eine Hängebrücke zwischen Binondo und Manila Dieser ist sehr breit, breit genug, um als geräumiger Hafen dienen zu können.

Beide Stadtteile dienen zum Aufenthalt der Europäer, meist Spanier, und haben daher auch ein solches Aussehen wie die spanischen Städte, das heißt ein ernstes und feierliches. Es stehen darin schöne Paläste, zum Beispiel der des Generalkapitäns, des spanischen Gouverneurs, das Justizgebäude, das Rathaus und andere mehr.

In den vielen Vorstädten wohnen Malayen, Chinesen, Mischlinge der Spanier mit Eingeborenen, aber hauptsächlich die chinesische Rasse ist zahlreich vertreten.

Wie schon gesagt, nicht alle der Damen und Herren hatten an der Bootspartie teilgenommen, so zum Beispiel war zum Bedauern aller Miß Petersen an Bord der ›Vesta‹ zurückgeblieben. Sie hatte in der frühesten Morgenstunde einen Brief aus Louisiana, ihrem Heimatlande erhalten. Beim Lesen desselben hatte sich ihrer eine große Traurigkeit bemächtigt, wie man selten an ihr zu sehen gewohnt war. Ihre Augen nahmen plötzlich einen sinnenden Ausdruck an, den man sonst nie an ihr fand, sie suchte Hope Staunton auf, und es war fast, als ob sie durch einige Andeutungen das junge Mädchen zu bewegen suchte, nicht an der Bootsfahrt teilzunehmen, sondern bei ihr zu bleiben, aber Hope, vor Freude über einen Ausflug auf dem Flusse strahlend, verstand die Anspielungen gar nicht, und so gab Miß Petersen den Versuch auf, die Freundin zurückzuhalten. Hope war ihr Liebling, wie der aller, und Ellen hätte es nicht übers Herz gebracht, die Freude des jungen Mädchens zu stören.

Sie selbst entschuldigte sich damit, zu sehr mit Briefeschreiben und Geschäften auf dem Hafenbureau in Anspruch genommen zu sein, denn zum Verlassen des Hafens war ein Abmelden und das Bezahlen des sogenannten Ankergeldes und so weiter nötig. Die anderen Damen, welche an der Partie nicht mit teilnahmen, gaben einfach auf die von den Herren erfolgte Einladung eine abschlägige Antwort.

Zu diesen zählte auch Johanna.

Ebenso war der ›Amor‹ nicht von allen Herren verlassen worden. Die Zurückgebliebenen beschäftigten sich an Bord teils mit Lesen und Schreiben, teils trafen sie Vorbereitungen zur Reise nach Neu-Seeland oder kauften in Manila die ihnen ausgegangenen Bedürfnisgegenstände ein.

Ellen saß in ihrem Arbeitszimmer und beschäftigte sich mit dem Aufsetzen eines langen Briefes. Sie war in letzter Zeit etwas verstimmt gewesen, selbst im Beisein ihrer Freundinnen, denen gegenüber sie ihre üble Laune möglichst zu verbergen bemüht war, in der Einsamkeit dagegen mußten traurige Gedanken sie quälen, denn sie konnte oft stundenlang auf dem Sofa sitzen, das Gesicht in den Händen vergrabend und tiefe Seufzer ausschickend.

Auch jetzt zeigten ihre Züge große Bekümmernis, aber nicht mit ihrem eigenen Schicksal mußte sie sich beschäftigen, während sie den Brief schrieb, denn oftmals entschlüpfte ihren Lippen ein leiser Ausruf wie – »das arme Mädchen,« – »wie sie mir leid tut,« und einmal sogar der Seufzer: »Die arme Hope, wie sie es aufnehmen wird. Wolle Gott, daß meine Freundin zu schwarz gesehen hat!«

»So,« murmelte sie, als sie den Brief geschlossen und adressiert hatte. »Dies Schreiben soll mir Gewißheit verschaffen, ob an dem Gerüchte etwas Wahres ist oder nicht. Beruht es auf Tatsachen, so wird ihr Bruder auch nicht lange zögern, es mir mitzuteilen. Was ich dann tue, weiß ich noch nicht, es fiele mir so furchtbar schwer, das junge Mädchen, fast noch ein Kind, mit dem schweren Schicksalsschlage bekannt zu machen, der, wenn auch nicht gerade ihr Glück, so doch eine Zeitlang ihren Frohsinn stören könnte. Oder aber,« fuhr sie in ihrem Selbstgespräche fort, »ich verheimliche es ihr überhaupt, wenigstens so lange sie bei mir ist, mit dem Bruder werde ich mich schon darüber verständigen können. Nun, ich werde sehen! Vorbereiten muß ich sie aber auf jeden Fall, damit sie der Schlag nicht gleich zu hart trifft.«

»Miß Petersen,« ließ sich in diesem Augenblick die Stimme der ebenfalls zurückgebliebenen Miß Nikkerson im Gange vernehmen, »am Deck ist eine Eingeborene, ein altes Weib, und gebärdet sich wie wahnsinnig. Bitte, kommen Sie herauf.«

Sofort verließ Ellen ihre Kabine und begab sich an Deck.

Die ›Vesta‹ lag dicht an dem steinernen Hafendamm, von dem aus sie mittels eines Laufbrettes zu betreten war, etwas entfernter von ihr, aber noch in Rufweite, der »Blitz« der ›Amor‹ dagegen war durch ungünstige Verhältnisse ziemlich weit draußen plaziert morden. Der Zugang zu ihm konnte nur im Boot erfolgen.

Ueber die Laufbrücke der ›Vesta‹ war ein altes Weib, in eine zerfetzte Decke gehüllt, geeilt, hatte sich ohne weiteres den in einem Gespräch befindlichen Mädchen, Miß Nikkerson und Johanna genähert und sie mit einem Wortschwall überschüttet, dabei lebhafte Gestikulationen und ein sehr ängstliches oder vielmehr verzweifeltes Gesicht machend.

Keines der Mädchen verstand die Sprache des Weibes, welches sie als eine Negrita erkannten, von denen sie gestern einige gesehen hatten. Ellen wurde gerufen, aber auch sie wußte sich den Besuch der Frau nicht zu deuten. Dieselbe weinte, jammerte, schrie, kurz, sie gebärdete sich so, daß Miß Nikkerson ganz recht hatte, als sie sagte, daß man es vielleicht mit einer Wahnsinnigen zu tun habe.

»Was will das Weib nur?« meinte Ellen. »Ihr Benehmen sieht doch nicht aus, als ob sie uns anbetteln wollte! Sie muß übrigens weit gelaufen sein, ihre Füße und die Decke sind voller Staub, und in Manila selbst halten sich keine Negritos auf.«

Sie entnahm ihrer Börse ein Geldstück und hielt es der alten Frau hin, aber diese schüttelte unwillig den Kopf, weinte und jammerte noch mehr, und schließlich, als die Mädchen sie nicht verstehen konnten, ließ sie die Decke fallen, und jetzt erst sahen die Umstehenden, daß ihr Rücken mit blutigen Striemen bedeckt war, wie Peitschenhiebe sie reißen. Kaum merkte sie, wie das Aussehen der Mädchen wechselte, so rannte sie auf dem Laufbrett zurück, drehte sich um, winkte, kam dann, als man ihrer Aufforderung, mitzukommen, nicht folgte, wieder zu den Mädchen und suchte sie an den Kleidern mit sich zu ziehen.

»Es ist kein Zweifel.« rief Ellen, der jetzt plötzlich eine Ahnung auftauchte, »die Frau ist geschlagen worden und ruft uns um Beistand an. Sie scheint uns mit fortnehmen zu wollen, vielleicht daß noch mehrere ihrer Gefährten grausam behandelt werden. Warum überkommt sie gerade auf die ›Vesta‹?«

»Es wird eine von jenen Eingeborenen sein, die wir gestern besucht haben,« meinte Johanna. »Sie hat gesehen, daß wir freundlich zu ihnen gewesen sind, und fleht uns nun wegen irgend einer Sache um Beistand an.«

»Daß sie aber unsere Freundlichkeit mit Undank vergolten haben, daran scheint dieses Weib gar nicht zu denken,« warf Miß Nikkerson ein.

»Diese Leute haben kein langes Gedächtnis,« sagte Ellen, »wir wollen uns einen Malayen oder Chinesen an Bord holen, der sowohl die englische, als ihre Sprache spricht, es gibt solche hier. Wenn wir sie oder ihre Gefährten vor einer Grausamkeit schützen können, so werden wir es tun, und kommen wir zu spät, so wollen wir die Schuldigen zur Bestrafung ziehen lassen. Dies Weib ist unbarmherzig geschlagen worden, die frischen Wunden bezeugen es, und gelten die Negritos bei den Spaniern auch weniger als Tiere, für uns sind sie Menschen, und Genugtuung soll ihnen werden.«

Auf die Bitte Ellens hin wollte sich Miß Nikkerson an Land begeben, um einen geeigneten Dolmetscher aufzuspüren, wurde aber von Johanna daran gehindert.

»Wir wollen lieber Kapitän Hoffmann rufen,« meinte sie. »Ich bin überzeugt, daß er das Weib verstehen kann, denn er ist in fremden Dialekten sehr bewandert, und spricht er diese nicht oder nicht genügend, so hat er unter seiner Besatzung sicher einen Matrosen, der von den Philippinen stammt. Sie setzt sich aus allen Nationen der Erde zusammen.«

»Auch Hannibal versteht die Sprache der Negritos,« sagte Miß Petersen, sich jetzt erst daran erinnernd.

»Aber er ist nicht aus dem ›Amor‹, ich habe ihn vorhin mit den Herren fortfahren sehen.«

»So bitten Sie Kapitän Hoffmann um seinen Besuch,« entschied Ellen.

Johanna schritt dem Hinterteil der ›Vesta‹ zu und machte nach dem »Blitz« hinüber, auf welchem Matrosen arbeiteten, Armbewegungen, daß sie den Kapitän zu sprechen wünsche, und als dieser sofort an Deck erschien, bat sie ihn durch Semaphorieren, möglichst bald nach der ›Vesta‹ zu kommen.

Eine Minute später schritt Hoffmann eiligst den Steindamm entlang und wurde von den drei Mädchen noch vor der Laufbrücke empfangen. Das Betreten der ›Vesta‹ war ja nicht erlaubt, sobald nicht zwingende Gründe vorlagen.

Auch jetzt noch ließ das alte Weib in ihren Bemühungen nicht nach, den Damen etwas verständlich zu machen, und nachdem Hoffmann von diesen das Nötigste erfahren hatte, hörte er aufmerksam ihrem jammernden Geschwätz zu.

»Sie spricht die Sprache der Negritos,« sagte Hoffmann, »leider bin ich dieser nicht derart mächtig, um sie vollkommen verstehen zu können, nur so viel höre ich aus ihren wirren Redensarten heraus, daß sie und ihre Gefährten geschlagen worden sind, und vielleicht noch andere, weil sie den von uns geschenkten Fetisch dem Spanier nicht geben wollten. Mir ist nicht klar, was sie mit dem Fetisch, das heißt, mit dem Götzen meint, doch wir werden es sofort erfahren, ich werde meinen Lehrmeister in der Sprache der Eingeborenen rufen, er stammt von den Philippinen.«

Hoffmann wandte sich um und machte nach dem »Bitz« ebenfalls Hand- und Armbewegungen, aber nicht die des Semaphors. Sie konnten von den Damen nicht verstanden werden, er hatte jedenfalls zwischen sich und seinen Leuten ein eigenes Verständigungsmittel erfunden.

Sofort kam von Bord seines Schiffes ein Mann gelaufen, jener Matrose, dessen Bekanntschaft wir schon im Arbeitszimmer des Kapitäns gemacht haben.

Brentano konnte sich mit der Frau geläufig verständigen, er hörte ihrer Auseinandersetzung aufmerksam zu.

»Dieses Weib behauptet,« erklärte er dann, »den Mitgliedern ihres Stammes wäre von Ihnen ein Fetisch geschenkt worden, den ihnen spanische Soldaten mit Gewalt abnehmen wollten, und da sie ihn nicht herausgäben, würden sie geschlagen. Die Frau selbst hat die Peitsche bekommen, weil sie das Versteck des Fetisches nicht angab, aber sie ist entronnen und hierhergelaufen, um Sie zur Hilfe gegen diese Grausamkeit anzurufen.«

»Ein Fetisch?« fragte Ellen verwundert. »Aber halt, jetzt klart es sich in mir auf! Die Frau meint die Uhr, welche dem Marquis Chaushilm von den Negritos gestohlen und ihnen schließlich geschenkt worden ist. Die Diebe haben wohl verstanden, daß er sie nicht will, und rufen nun den Gestohlenen selbst um Hilfe an, damit ihnen das geraubte Gut nicht wieder abgenommen wird. Das ist eigentlich eine große Dreistigkeit, wir wollen sie aber dem kindlichen Gemüte dieses Völkchens zuschreiben,«

»Spanier wollen ihnen die Uhr abnehmen?« fragte Kapitän Hoffmann.

Der Matrose bestätigte es.

»Ich habe noch mehr von dem Weibe erfahren. Sie ist allein von spanischen Soldaten ergriffen worden, als sie sich gerade etwas abseits von ihrem Stamme befand und sollte zum Geständnis gezwungen werden, wo die Uhr und die Geldbörse versteckt lägen. Die Soldaten haben dann die anderen gesehen, die Fliehenden verfolgt, und somit bekam das Weib Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen. Sie ist direkt hierhergerannt, Ihnen dies zu erzählen und Sie um Schutz zu bitten. Sie vermutet, daß die habgierigen Spanier ihre Stammesmitglieder so lange martern und peitschen, bis sie Uhr, Kette und Geld erhalten haben.«

»In jenem Flecken liegen spanische Soldaten,« sagte Ellen, »diese werden die Verfolger sein. Ich bin fest entschlossen, einer solchen gemeinen Handlungsweise entgegenzutreten.«

»Sie können es vielleicht auch nur aus Gerechtigkeit tun, um dem Marquis seine Sachen wiederzugeben und die Eingeborenen für ihren Diebstahl zu bestrafen,« meinte Miß Nikkerson.

Niemand konnte sagen, daß diese Meinung unbegründet sei, nur das Betragen des auf den Philippinen unter der spanischen Herrschaft aufgewachsenen Brentano verneinte dies.

Er lachte kurz und höhnisch auf, und auch Hoffmann sagte, daß man den spanischen Soldaten der Philippinen, angeworbenen Söldlingen, ein solches Ehrgefühl nicht zutrauen dürfe.

»Marquis Chaushilm ist an Bord des ›Amor‹ zurückgeblieben,« sagte Ellen, zu Hoffmann gewandt. »Wollen Sie sich hinbemühen und ihn zur Begleitung auffordern? Es ist nötig, daß er mitkommt, wir bedürfen seiner unbedingt, wenn wir den spanischen Soldaten, diesen Wölfen in Schafskleidern, die sich wahrscheinlich unter dem Mantel des Rechts in den Besitz jener Wertsachen bringen wollen, zu Leibe gehen; und Sie, Miß Nikkerson, bitte ich, sich nach Manila zu begeben und dort einen Wagen zu bestellen, wo wir ihn gestern genommen haben. In fünf Minuten können wir abfahren, die Frau und den Dolmetscher nehmen wir mit, wenn es Herr Hoffmann gestattet.«

Der Ingenieur gab natürlich seine Einwilligung. Er war sogar mit Freuden bereit, die Damen zu begleiten, und ließ sich sofort nach dem ›Amor‹ rudern, während die drei Damen, Ellen, Johanna und Miß Nikkerson sich bereitmachten, die kurze Reise anzutreten.

Hoffmann traf den Marquis an Deck des ›Amor‹, wo er eben von einem malayischen Händler Kokosnüsse kaufte.

»Ach, Kapitän,« rief er dem sich über die Bordwand Schwingenden entgegen, »es ist ja vorzüglich, daß Sie uns auch einmal einen Besuch abstatten! Sehen Sie hier diese Nuß, ist das nicht ein Prachtstück? Sie ist wert, in einem Museum ausgestellt zu werden.«

Dabei deutete er auf eine kolossal große Kokosnuß, welche er soeben von dem Malayen erstanden hatte.

»Sie ist noch grün,« sagte Hoffmann mit einem Blicke auf die Nuß, »sie muß erst etwas liegen, ehe sie völlig schmackhaft ist.«

»Weiß ich, will sie auch gar nicht essen, sondern mir als Andenken aufheben.«

»Wollen Sie sich die Kokosnuß einfassen lassen und an die Uhrkette hängen?« lachte sein Freund Hendricks.

»Verzeihen Sie, meine Herren, wenn ich Sie unterbreche,« begann Hoffmann, »aber die Uhrkette bringt mich auf das, was mich zu Ihnen geführt hat.«

Er erzählte schnell alles, was er von der Negrita fahren hatte, und Chaushilm, wie Hendricks waren sofort entschlossen, die Damen und Hoffmann zu begleiten.

Der Marquis war vor Zorn außer sich.

»Diese Schufte,« rief er einmal über das andere, »wollen die armen Kerle bestehlen. Aber ich werde ihnen zeigen, was es heißt, jemandem etwas wegzunehmen, was ihm von Marquis Chaushilm geschenkt worden ist, ich ziehe ihnen bei lebendigem Leibe die Haut ab.«

Plötzlich schlug er sich vor die Stirn.

»Halt,« rief er, »jetzt weiß ich, wer diese Spitzbübereien angezettelt hat. Dieser krummbeinige, spanische Kapitän ist es gewesen, oder ich will mich hängen lassen. Der Kerl fragte mich so genau aus, ob ich jenen die Uhr wirklich geschenkt habe, ob sie aus Gold, wieviel sie wert und wieviel in der Börse gewesen sei. Hole der Teufel den Halunken, ich massakriere ihn! Hendricks, sind Sie fertig?«

»Ich brauche nur meine Sporen anzuschnallen.«

»Wollen Sie reiten?« fragte Hoffmann.

»Ich fahre nie, solange ich einen Gaul bekommen kann,« war die stolze Antwort, »und wenn er auch nur drei Beine hat.«

»Stimmt!« rief Chaushilm und nahm seine riesige Kokosnuß in beide Arme, um sie in seine Kabine zu tragen. »Ohne Pferd kein Mann, ich reite auch. Wollen Sie fahren, Mister Hoffmann?«

»Dann schließe ich mich Ihnen an,« meinte dieser; »den einzigen Wagen, den wir mitnehmen, bekommen die drei Damen und das Weib.«

Die im Hofe des Pferdeverleihers stehenden Eingeborenen und Spanier staunten nicht wenig, als die Gesellschaft in Begleitung der halbnackten Frau ankam, welche als Negrita eigentlich die Stadt gar nicht betreten durfte. Aber noch mehr wunderten sie sich, daß die vornehmen Damen die Eingeborene sogar zu sich in den gemieteten Wagen setzen ließen.

Hoffmann, Chaushilm, Hendricks und auch John Davids, welcher sich ihnen unterwegs noch angeschlossen hatte, bestiegen Pferde, ebenso der mitgenommene Brentano, und bald galoppierten sie neben dem schnell fahrenden Wagen wieder der Gegend zu, in welcher sie am vergangenen Abend das Zusammentreffen mit den Negritos gehabt hatten.

Unterwegs verständigten sie sich, wie sie sich den spanischen Soldaten gegenüber verhalten sollten, und alle waren damit einverstanden, selbst der ruhige, besonnene Ingenieur und der ernste Davids, mit der größten Energie aufzutreten und sich nicht das geringste gefallen zu lassen, sollte man auch nur vermuten, daß die Spanier auf eigene Faust handelten. Doch wurde ganz besonders Chaushilm gebeten, sich nicht zu voreiligen Handlungen hinreißen zu lassen.

Das Weib bezeichnete die Richtung, welche die vor den Spaniern geflohenen Negritos genommen hatten. Diese führte in einen Orangenwald, denselben, an welchem sie gestern gelagert, und da der Wagen durch diesen nicht fahren konnte, so mußten die Damen aussteigen und zu Fuß weitergehen.

Die Herren saßen natürlich ebenfalls ab und ließen die Pferde unter der Obhut des Kutschers zurück.

Der Eingeborenen war es leicht, die Spuren zu verfolgen, welche ihre Stammesbrüder, wie die Spanier, zurückgelassen hatten. Man hoffte nur, noch rechtzeitig einzutreffen, um die Spanier an Grausamkeiten gegen die Eingeborenen zu verhindern.

»Solche lappige Dinger,« brummte Chaushilm ärgerlich, während sich die Gesellschaft durch die Büsche wand, »sie sind gar nicht wert, daß man hier durch Büsche und Sträucher kriecht, aber diesen habgierigen Spaniern ist es zuzutrauen, daß sie ihretwegen die Eingeborenen an den Füßen aufhängen, bis ihnen Blut aus und Nase fließt. Wie haben sie es denn in und Peru gemacht!« Was war das? Klang da nicht ein schreckliches Wehgeheul aus weiter Ferne durch den Wald?

Mit beflügelten Schritten eilten sie vorwärts; ihre Vermutung bestätigte sich also. Die Eingeborenen waren von den spanischen Soldaten gefangen worden, und sollten durch Anwendung von Gewalt, vielleicht sogar durch allerlei Martern zum Geständnis gezwungen werden.

Plötzlich teilten sich vor den Vorwärtsstrebenden die Büsche, und ein in die Uniform der spanischen Offiziere gekleideter Mann trat heraus.

»Siehe da, Capitano,« rief Chaushilm, der den krummbeinigen Spanier, der ihn gestern abend so merkwürdig ausgefragt, erkannt hatte, »siehe da, habe ich mir doch gedacht, daß wir uns hier treffen würden!«

Der Spanier war beim Anblick der Gesellschaft, welche er wohl kannte, erschrocken zusammengefahren, umsomehr, als er das eingeborene Weib dabei erblickte. Er wußte sehr Wohl oder ahnte wenigstens, was sie hierhergeführt hatte.

Doch schnell hatte er sich wieder gesammelt.

»Ah, freue mich sehr, Sie wiederzusehen,« sagte er in schlechtem Englisch, »doch verzeihen Sie mir meine Bündigkeit, ich befinde mich im Dienst und habe meine Leute zu exerzieren. Würde mich sehr freuen, wenn ich Sie zu Mittag in der Weinstube treffen könnte.«

Ein spanisches Kommando erscholl aus seinem Munde, von allen Seiten tauchten Soldaten auf, sammelten sich hinter ihrem Anführer und schwenkten auf Befehl zur Seite ab, in Reihen geordnet, so gut, als es die Bäume erlaubten, und noch mehr, soviel dies bei der lockeren Disziplin der Soldaten möglich war.

»Im Dienst!« ließ sich aber Chaushilm mit höhnischer Stimme vernehmen und trat dem Spanier direkt in den Weg. »Darf ich Sie fragen, ob dieser Ihnen aufträgt, den Eingeborenen die von mir geschenkten Sachen abzunehmen?«

Die Freunde des Herzogs erschraken über die Ausdrucksweise desselben; er sagte dem Spanier etwas, was dieser als Beleidigung auffassen mußte.

Dessen gelbbraunes Gesicht hatte plötzlich alle Farbe verloren, bleich wie der Tod starrte er den kühnen Sprecher an, mit Augen, von denen man nicht wußte, ob der Schrecken oder die Wut ihnen einen solch fürchterlichen Ausdruck gaben.

Sein Kommando rief die etwa zwanzig sich schon entfernenden Soldaten zurück; es war ihm nicht entgangen, daß einer von der Gesellschaft nach einem leisen Gespräch mit einem Herrn weiter in den Wald vorgedrungen war – es war Brentano gewesen.

»Herr,« brauste plötzlich der Spanier mit vor Wut erstickter Stimme auf, »wie soll ich Sie verstehen? Beim heiligen Sebastian, antworten Sie mir, oder Sie sollen Juarez kennen lernen!«

Die Herren wie die Damen waren zu ihrem Freunde geeilt und umstanden ihn schützend, doch Chaushilm ließ sich durch den drohenden Ton der Stimme nicht einschüchtern.

»Dieses Weib da,« er deutete auf die Eingeborene, »hat erzählt, daß Sie es durch Peitschenhiebe haben zwingen wollen, auszusagen, wer von den Eingeborenen im Besitze meiner Uhr, meiner Börse und so weiter sei. Habe ich Ihnen nicht gestern selbst ausdrücklich auf Ihre zweimalige Frage gesagt, daß ich den Leuten alles geschenkt habe?«

In diesem Augenblicke kam Brentano zurück und mit ihm noch einige Eingeborene, denen er freundlich zusprach. Sie alle zeigten mehr oder weniger Spuren von Mißhandlungen, Hiebe, Beulen, sogar Stiche. Einem derselben war der Rücken von Schlägen mit einem peitschenartigen Gegenstand ganz zerfleischt worden.

Daß der Spanier durch die direkte Anschuldigung Chaushilms nicht eingeschüchtert werden würde, darüber waren unsere Freunde sich schon vorher klar gewesen, schon unterwegs hatten sie davon gesprochen, auf welche Weise sich der Spanier, welchen man bei einer Erpressung ertappte, herausreden würde.

Stolz hatte sich der Spanier emporgerichtet,

»Ich halte es nicht für nötig, Ihnen über das, was ich getan habe, Rechenschaft zu geben,« sagte er, seinen Schrecken, den er erst durch Zorn zu verdecken suchte, jetzt durch einen angenommenen verächtlichen Ton bemäntelnd, »ich handle nach meinen Befehlen. Aber da es ein Mißverständnis zu sein scheint, welches Sie auf diese Weise mir in den Weg treten läßt, so teile ich Ihnen den Grund meines Vorgehens gegen die Eingeborenen mit. Ich habe von höherem Orte, wo Ihre Beraubung bekannt geworden ist, den Auftrag, den Dieben die Wertsachen wieder abzunehmen und auszuliefern. Wahrscheinlich würden Sie noch heute Ihre gestohlenen Sachen zurückerhalten haben. Dies zum Beweis.«

Ruhig griff der Spanier in die Brusttasche seiner Uniform und brachte Uhr, Kette und Börse Chaushilms zum Vorschein, sie ihm hinhaltend, aber nicht ausliefernd.

Wie schon gesagt, konnte Chaushilm durch diese Aussage des Spaniers nicht mehr verwirrt werden, dieser Fall war schon vorher als wahrscheinlich vorausgesetzt worden. Doch wußte der Marquis nicht sogleich, wie er dem Kapitän antworten sollte, ohne einfach zu neuen Beleidigungen überzugehen. Allen war klar, daß der Spanier sich selbst in den Besitz der wertvollen Gegenstände setzen wollte; die ihn begleitenden Soldaten bestach er durch eine Kleinigkeit, zu schweigen, oder hatte dies nicht einmal nötig. Schwiegen sie nicht für ein paar Flaschen Wein, so wußte ihr Kapitän jedenfalls andere Mittel, man kannte ja die Wirtschaft, welche unter dem spanischen Militär herrschte.

Daß der Kapitän, ein Offizier, einer ehrlosen Handlung fähig war, bezweifelte niemand, denn aus seinem dünkelhaften, aufgeblasenen Benehmen, seinem äußerst gemein klingenden Englisch, ja selbst aus dem Spanisch, welches er sprach – einige der Gesellschaft, wie zum Beispiel Hoffmann und Davids beherrschten diese Sprache vollkommen – hörten sie heraus, daß er nichts weiter war, als ein gewöhnlicher Soldat, ein Abenteurer, der sich zum Offiziersrange aufgeschwungen hatte. Dazu gehörte hierzulande nicht viel, ein schneidiges, oder besser gesagt, freches Auftreten, etwas Dienstkenntnis und die Hauptsache, einige Geldmittel.

Daß der Spanier jetzt also dem Marquis Uhr, Kette und Börse hinhielt, machte auf die Gesellschaft nicht den geringsten Eindruck, sie hatten Aehnliches erwartet.

Hoffmann hatte mit dem unterdes zurückgekehrten Brentano leise geflüstert. Jetzt trat er auf den Spanier zu, der mit prahlerischem Stolz die hohe Gestalt musterte, sich vollkommen seiner Unnahbarkeit bewußt.

»Kapitän,« begann Hoffmann mit ruhiger, ernster Stimme, »Sie sagen, Sie hätten den Eingeborenen die Wertsachen auf höheren Befehl abgenommen. Darf ich Sie fragen, wer diesen erließ?«

Der Spanier blieb lange Zeit eine Antwort schuldig, dann aber suchte er die Verlegenheit, die sich seiner bemächtigte, wieder durch einen mächtigen Zorn aus verletztem Ehrgefühl zu bemänteln.

»Das geht Sie nichts an!« brauste er auf. »Beim heiligen Sebastian, meinem Schutzpatron, wer sind Sie eigentlich, daß Sie solche Fragen zu stellen wagen?«

»Wir sind diejenigen, welche Sie daran hindern wollen, den Negritos die von uns geschenkten Sachen durch niederträchtige Gewalt zu rauben?« klang es kalt aus dem Munde des Ingenieurs.

Wieder verfärbte sich der Spanier, seine Augen glühten unheimlich auf, und die zitternde Rechte legte sich an den Griff des Degens.

»Was sagen Sie da?« stammelte er. »Wissen Sie, daß ich das Recht hätte, ja, daß meine Ehre als Offizier es erfordert, Sie wie einen Hund über den Haufen zu stechen?« »Was ich sage?« entgegnete Hoffmann. »Ich behaupte nochmals, daß Sie den Eingeborenen die von diesem Herrn geschenkten Sachen weggenommen haben, durch Anwendung von Gewalt. Sie haben die Leute sogar peitschen lassen und haben selbst mit geschlagen.«

»Ich habe es getan, weil ich es mußte; Rechenschaft habe ich Ihnen darüber nicht abzugeben,« antwortete der Spanier stolz, »aber ich versichere Ihnen, diese Szene wird noch ein Nachspiel haben, oder ich will nicht Juarez heißen.«

»Sie haben die Sachen genommen, um dieselben für sich zu behalten,« fuhr der Ingenieur ruhig fort. »Einen Auftrag haben Sie überhaupt nicht erhalten, sondern auf eigene Faust gehandelt, und damit ich diese meine Behauptung gleich beweise, so will ich Ihnen sagen, daß Sie nur dies Wertvolle, die Goldsachen und das Geld behalten, aber die Ihnen als wertlos erscheinenden Sachen, wie Haarbürste, Notizbuch und so weiter, welche Ihnen die Eingeborenen ebenfalls auslieferten, einfach weggeworfen haben.«

Des Spaniers Munde entfuhr ein kurzer Ton, aber er war von seinen Leuten verstanden worden. Einige liefen zurück, dahin, woher sie gekommen waren, doch ebenso schnell waren die englischen Herren, sie waren von Hoffmann schon vorher instruiert worden.

Gleichzeitig mit den Soldaten langten auch sie auf dem Platze an, wo die Eingeborenen durch Hiebe und Bajonettstiche zum Geständnis gezwungen worden waren – er lag dicht nebenan, nur zehn Schritte entfernt – und ehe die Soldaten die wirklich am Boden liegenden Gegenstände aufgehoben hatten, waren diese schon in den Händen der Engländer.

Nur einem war es gelungen, das Notizbuch zu erhaschen, schon wollte er es in die Uniform schieben, aber Davids erfaßte es und riß es ihm nach kurzem Ringen aus der Hand.

Der spanische Offizier war stehen geblieben, er konnte den Blick nicht von des Ingenieurs strahlenden Augen wenden, wie gebannt starrte er ihn an.

Die Engländer kehrten zurück, die gefundenen Sachen in der Hand tragend. Des Spaniers Blick streifte sie, er entfärbte sich, behielt aber noch seine Fassung.

»Was sagen Sie nun, Capitano?« begann Hoffmann abermals. »Wissen Sie noch eine Ausflucht?«

»Diese Sachen sind mir nicht ausgeliefert worden,« schrie der Spanier. »Ich sehe sie jetzt zum ersten Male, die Eingeborenen selbst haben sie nachträglich fortgeworfen.«

»Diese behaupten das Gegenteil, sie sagen aus, daß sie auch die Haarbürste, das Messer, das Notizbuch und so weiter, für sie ebenso wertvolle Gegenstände wie die Uhr, ja wertvoller, als das Geld, Ihnen ausgeliefert haben, daß Sie dieselben aber verächtlich fortwarfen.«

»Bah, diese Schufte,« rief der Kapitän, »sie lügen wie gedruckt, ein Negrito ist überhaupt kein Zeuge, man schenkt ihm hier nicht den geringsten Glauben.«

»Aber wir tun dies,« sagte Hoffmann mit Betonung, »ein Negrito ist bei uns ebensogut ein Mensch wie Sie. Nein, die Sache ist die, Sie haben gehört, daß dieser Herr hier,« er deutete auf Chaushilm, ohne den Spanier aus dem Auge zu lassen, »keinen Anspruch mehr auf die ihm gestohlenen Sachen machte, er erklärte ausdrücklich, die Sachen nicht mehr als gestohlene, sondern als verschenkte zu betrachten, aus Gründen, die uns nichts angehen. Sie glaubten nun, sich selbst in den Besitz der Wertsachen bringen zu können, beorderten Ihre Soldaten, fingen die Eingeborenen ein und ließen sie so lange martern, bis sie Ihnen die Gegenstände herausgaben. Uhr, Kette und Börse behielten Sie für sich, das andere warfen Sie als wertlos weg.«

»Das ist eine Verleumdung, wegen der Sie sich höheren Orts zu verantworten haben werden und außerdem bei mir noch persönlich,« schrie der Spanier, noch einmal zu erkünstelter Entrüstung seine Zuflucht nehmend.

»Eher glaube ich fast, diese Engländer haben diese Sachen dahin geworfen, um mir eine Falle zu stellen, aber ich werde dafür Sorge tragen, daß eine solche Handlung –«

Er konnte nicht weitersprechen. Chaushilm war auf ihn zugesprungen und hatte ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt, der den ausgemergelten Spanier wie einen Sack ins Gras warf.

»Da, du Halunke!« rief der Marquis. »Mit dem Rechte, mit dem du die armen Kerle hast peitschen lassen, verabreiche ich dir dieses!«

Einen Augenblick lag der Spanier am Boden, sein Gesicht ward plötzlich dunkelrot, die Augen hielt er geschlossen, dann aber sprang er mit einem heiseren Wutschrei empor, ein kurzes, abgerissenes Wort kam über seine Lippen, was mit Ausnahme eines einzigen keiner der spanisch sprechenden Herren oder Damen verstand, denn es war jedenfalls abgekürzt gesprochen worden, aber die Bedeutung desselben wurde sofort allen klar – es war ein Kommando an seine Leute gewesen.

Diese hatten sich hinter ihrem Anführer gesammelt, mit wütenden Blicken die Fremdlinge musternd, welche es wagten, eine jener Handlungen, wie sie bei ihnen jeden Tag vorkamen, zu hindern. Versprach doch durch deren Dazwischentreten ihnen ein reiches Trinkgeld zu entgehen, denn umsonst ließen sie sich auch nicht zu einem solchen Privatgeschäft des Kapitäns verwenden.

Schon lange hatten sie sich gewundert, wie es kam, daß ihr sonst so keck auftretender Kapitän sich von diesem verfluchten Engländer auf eine solche Weise behandeln ließ; sie hatten ja durch ihre Ueberzahl das Recht auf ihrer Seite, und kaum erscholl das Kommando, so flogen die Gewehre von der Erde in Anschlag, die Hähne knackten, und zwanzig gespannte und geladene Gewehrläufe sahen drohend den Engländern entgegen.

Allen der Gesellschaft war bewußt, in welch kritischer Lage sie sich befanden. Der Kapitän war aus dem Bereiche der Kugeln zurückgesprungen, sie aber standen direkt vor den Mündungen, und es bedurfte nur des Wortes »Feuer«, so bedeckten ihre durchschossenen Körper den Rasen. Wer konnte dann dem Kapitän beweisen, daß er sie ermordet habe? Diese Eingeborenen? Denen wurde kein Glauben geschenkt, sie wurden nicht einmal um ihre Aussage gefragt, und der Kapitän und die Soldaten schworen natürlich, wenn sie die Leichen nicht spurlos verschwinden lassen konnten, sie hätten die Engländer, selbst die Mädchen, in Notwehr erschießen müssen. Gegenbeweise brauchten sie nicht zu befürchten.

Aber einer war doch unter den Bedrohten, der das Kommando trotz seiner abgekürzten und schnellen Aussprache verstanden hatte und das Nachfolgende zu vereiteln wußte.

In demselben Augenblicke, da die Gewehre emporflogen und der Kapitän aus ihrem Bereiche sprang, stürzte Hoffmann vor; ein Griff und er hatte den Spanier gepackt, ihm einen Dolch auf die Brust setzend.

»Noch ein Wort,« herrschte er ihn im geläufigen Spanisch an, so daß er auch von den Soldaten verstanden wurde, »nur eine einzige Silbe, und es ist Ihre letzte gewesen. Gewehr bei Fuß, Burschen, gehorcht!«

Der Befehl war in einem Tone gesprochen, der unbedingt befolgt werden mußte. Klirrend stampften die Kolben wieder auf den Boden, die Soldaten wagten nicht, zu trotzen, sie waren völlig verblüfft.

»Kapitän Juarez,« fuhr Hoffmann fort, »Sie haben unbegründet einen Mordversuch auf unser Leben gemacht. Es wäre jetzt meine Pflicht, Sie zur Anzeige zu bringen, aber ich werde dies unterlassen, ich mag nicht Ihretwegen Unannehmlichkeiten haben. Doch so viel lassen Sie sich gesagt sein, ich werde diese Eingeborenen hier unter die Obhut eines mir befreundeten Herrn in Manila stellen, und wird ihnen von Ihrer Seite auch nur ein Haar gekrümmt, so kommt diese Geschichte zur Anzeige, und Sie sehen Ihrer Bestrafung entgegen. Verstanden?«

Der Spanier antwortete nichts, mit entsetzten Augen starrte er den hochgewachsenen Mann an, der ihn so fest an der Brust gefaßt hielt.

»Gehen Sie, bitte, zu den Pferden zurück,« sagte Hoffmann, zu seinen Gefährten gewendet, »ich werde dafür sorgen, daß Ihnen keine Kugel als Lebewohl nachgeschickt wird.«

Alle sahen ein, daß dies das beste war. Hätte Hoffmann den Spanier in Freiheit gesetzt und wären sie jetzt alle zusammen zurückgegangen, so stand sicher zu erwarten, daß der Kapitän seine Leute nochmals zum schießen kommandierte.

Chaushilm, noch immer bei seiner alten Meinung beharrend, überlieferte den Eingeborenen, zu ihrer unaussprechlichen Freude, wieder Uhr und Geld und versicherte nochmals ausdrücklich, daß es ihr Eigentum sei.

»Die Kerle haben mich so geschickt bestohlen, daß sie dafür belohnt werden müssen,« lachte er, zu seinen Gefährten gewendet, »eine jede Kunst muß überhaupt Anerkennung finden, damit sie gepflegt wird.«

Nur das Notizbuch steckte er wieder zu sich, weil es manche für ihn wichtige Bemerkungen enthielt, und schloß sich dann den anderen an, welche schon den Rückweg antraten. Ehe er ging, empfahl er sich auch dem Kapitän mit einigen höflichen, spöttisch klingenden Worten.

Als die Gesellschaft die Wagen und die Pferde bestieg, trat Hoffmann zu ihnen und trieb seine Gefährten an, sich möglichst zu beeilen.

»Schlimmer kann es nicht in der dicksten Wildnis zugehen, als hier in dem gesegneten Lande,« rief Hendricks unterwegs. »Lieber will ich unter eine Horde Indianer geraten, als unter solche spanische Soldaten.«

»Werden wir Wohl noch Unannehmlichkeiten von diesem Zusammentreffen haben?« fragte Davids den Ingenieur.

»Ich glaube kaum,« entgegnete Hoffmann. »Der Kapitän wird froh sein, wenn wir reinen Mund halten. Es ist zwar nicht recht gewesen, wie wir vorgegangen sind, aber es war der kürzeste Weg. Hätten wir den Kapitän angeklagt, so wären Tage vergangen; wir wären zurückgehalten worden, bis das spanische Gericht die Sache endlich erledigt hätte. Selbst, daß Marquis Chaushilm ihn gezüchtigt, muß er ruhig hinnehmen, er kann höchstens auf eine Privatrache denken, und diese haben wir nicht zu fürchten, wenn wir vorsichtig sind.« »Ich habe aber gehört,« meinte der vorsichtige Davids, »daß die Aussagen der Negritos hier bei den spanischen Gerichten durchaus nichts gelten, daß sie überhaupt nicht vernommen werden. Der Kapitän kann nun auf seinen Diensteid schwüren, die Sachen nur zu dem Zwecke den Eingeborenen abgenommen zu haben, sie uns auszuliefern und ebenso, die anderen Sachen von ihnen nicht bekommen zu haben. Schwören auch die Soldaten, so können wir nichts dagegen machen, denn als spanische Beamte haben sie den ersten Schwur, und wir werden unnachsichtlich bestraft, weil wir uns gegen die Macht des Gouverneurs aufgelehnt haben.«

»Ich glaube nicht, daß der Kapitän auf Befehl gehandelt hat,« unterbrach ihn Ellen.

»Er kann sich leicht herausreden,« sagte Davids, »er hat eben gehört, wir seien bestohlen worden, und er hat es für seine Pflicht gehalten, die Eingeborenen zu bestrafen und uns die Sachen wieder zukommen zu lassen.«

»Quälen wir uns nicht mit solchen Mutmaßungen,« meinte Ingenieur Hoffmann gleichmütig. »Selbst, wenn wir wegen Auflehnung gegen die Staatsgewalt angeklagt werden sollten, wird es uns ein leichtes sein, den Gegenbeweis zu liefern. Uns, als Personen, welche mit eigenen Schiffen Manila besuchen, wird man mehr trauen, als jenen spanischen Soldaten.«

»Aber es kann eine ewige Verzögerung unserer Abreise mit sich bringen,« rief Ellen unmutig.

»Auch das glaube ich nicht. Ich kenne in Manila Personen von hohem Rang, welche für uns gutsagen werden. Wollen die Damen und Herren ihre Freunde aufsuchen? Dieser Weg hier links ab führt nach dem Baysee, in einer Stunde können wir ihn erreicht haben.«

Alle waren damit einverstanden, diese Gelegenheit, ihre Freunde zu treffen, zu benutzen.

Bald sah man den Spiegel des mächtigen Baysees vor sich schimmern, auf dem zahlreiche Segel- und Ruderboote, vornehmen, spanischen Familien gehörend, auf- und abschwammen. Unter ihnen erkannten sie auch die Boote ihrer Freunde, dieselben unterschieden sich schon durch den graziösen, scharfen Bau und ihre geschickte Bedienung vorteilhaft von den anderen.

Es dauerte nicht lange, so war es unter den Besatzungen der vier Boote bekannt geworden, daß einige der Zurückgebliebenen am Ufer ihrer warteten; die männlichen, wie die weiblichen Matrosen, beide in ihren Seemannskostümen, wendeten die Segel und landeten.

Das von Lord Harrlington gesteuerte Segelboot war das erste, welches den Uferrand berührte.

Eben sah er, wie John Davids vom Pferde sprang, den Schlag öffnete, einer Dame die Hand reichte, und sie aus dem Wagen hob – es war Miß Petersen.

»Zum Teufel, Kapitän,« lachte Williams in seinem Boot, »Sie wollen wohl auf dem Lande segeln?«

Harrlington schrak zusammen, er hatte nicht darauf geachtet, daß sein Boot schon fast das Ufer berührte, aber es war zu spät, er konnte nicht mehr wenden, im nächsten Augenblick mußte der weitausgestreckte Klüverbaum an einen dicht am Ufer stehenden Baumstamm rennen und abbrechen, es schien unvermeidlich. Im Boot selbst konnte weder durch Segel, noch durch Steuer etwas dagegen gemacht werden.

In diesem Augenblick sprang Davids auf das Boot zu, faßte mit beiden Händen die äußerste Spitze des Klüverbaumes und drängte das Boot kräftig zurück, bis eine Kollision mit dem Stamme nicht mehr zu fürchten war – der Klüverbaum war verschont geblieben.

»Das wäre bald schlimm abgelaufen!« lachte Miß Nikkerson. »Hätten Sie den Klüverbaum gebrochen, so wäre Ihre Ehre als Seemann für immer dahingewesen. Bedanken Sie sich bei Mister Davids für seine energische Hilfe.«

Harrlington antwortete nichts, mit bitteren Gefühlen sah er, daß auch Ellen über sein Mißgeschick lachte. Er ließ Davids in sein Boot steigen und stieß wieder ab.


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