Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29.

Die Doppelgänger.

»Wo sind die fehlenden Damen und Herren, wo die anderen Amazonen?« fragte Miß Sargent Ellen, als sich der Reiterzug wieder dem Lager zu bewegte.

Sie führten eine Tote mit sich, denn die Leiche Kasegoras sollte so schnell als möglich nach Abome gebracht werden, um dort mit allen Feierlichkeiten begraben zu werden, und wäre sie auch unterwegs verwest – so hatte Yamyhla angeordnet. Chaushilm lag auf einer Tragbahre, die zwischen zwei Pferden hing.

»Ich muß Ihnen zunächst erklären, wie wir Sie gefunden haben,« antwortete Ellen der Fragen«. »Als Sie heute morgen noch nicht im Lager waren, brachen wir mit Yamyhla und den hundert Amazonen, die zu uns gestoßen waren, auf, um sie zu suchen. Den eingeborenen Weibern war es ein leichtes, Ihrer Spur zu folgen, und so trafen wir zuerst auf den von Ihnen getöteten Löwen. Ich ritt voraus und erblickte neben der Leiche des Männchens eine Löwin, welche um dessen Verlust trauerte. Bei unserer Ankunft ergriff sie die Flucht, und da merkten wir, wie sie ein Junges vor sich hertrieb, durch Tatzenschläge es zu schnellerem Laufe nötigend. Als sie sah, daß sie unseren Pferden nicht entkommen konnte, wandte sie sich gegen uns. Das Tier war furchtbar gereizt. Yamyhla meinte, es wäre eine zum ersten Male säugende Mutter, die ihre anderen Jungen durch ihre Unachtsamkeit verloren habe, dies versetzte sie bei der Verteidigung in eine furchtbare Wut. Sie fiel durch meine Kugel, das Junge ließ ich ins Lager schaffen – ein reizendes Tierchen, wie Sie sehen werden – und wir verfolgten die Spur von Ihnen weiter, welche in großem Bogen herumlief, sich aber immer weiter vom Lager entfernte. Gleichzeitig fand Yamyhla auch Spuren von Kasegoras Anwesenheit, und ferner teilten uns als Kundschafter ausgesandte Amazonen mit, daß der rote Löwe, ein gefürchteter Räuber, mit etwa zweihundert Mann nicht weit von uns sich aufhielte. Später kam die Nachricht, daß dieser Häuptling mit der Hauptmacht seiner Leute Wwiterzüge, fast mit uns gleiche Richtung haltend, und daß er etwa zwanzig zurückgelassen habe, welche einen weißen Gefangenen bei sich hätten. Dreißig Amazonen, einige Damen und Herren bogen ab, um letzteren zu befreien, wir folgten Ihrer Spur weiter und kamen im rechten Augenblick hinzu, Sie aus den Händen des roten Löwen zu retten, der Sklaven und Sklavinnen macht, wenn er kann, welches Los auch Ihnen beschieden gewesen wäre.«

»Wo treffen wir mit der Abteilung zusammen, welche den Weißen befreien wollte?«

»Erst im Lager. Yamyhla behauptete, diese Expedition wäre ganz gefahrlos. Schon der unerwartete Anblick der Amazonen würde genügen, die feigen Räuber in die Flucht zu treiben, und ich glaube dies gern.«

»Welche Damen haben sich diesem Zuge angeschlossen? « fragte Miß Sargent wieder, sich umsehend. »Es können nicht viele sein.«

»Nein, es sind auch nicht viele, darunter zum Beispiel Miß Morgan. Uns war ja die Hauptsache, Sie erst wiederzufinden; die Anwesenheit des roten Löwen in dieser Gegend ließ uns Schlimmes befürchten. Die Bewegungen dieser Räuber sind sehr schnell, weil sie alle beritten sind, und es wäre doch schrecklich gewesen, wenn Sie von ihm gefangen worden wären. Weit waren Sie auch nicht davon entfernt.«

»Ich hätte den Tod vorgezogen,« antwortete Miß Sargent.

Sie mußte jetzt ausführlicher ihr Abenteuer erzählen, sie schilderte das Wiedersehen mit Chaushilm, das seltsame Betragen Kasegoras, ihren Zweikampf, das in ihrer Liebe sich beleidigt glaubende Weib und stellte dann die Frage, wie es wohl käme, daß Kasegora und Chaushilm hier in einer Hütte wohnten, da sie von Abome doch auch mit Pferden aufgebrochen sein sollten.

»Das kann ich Ihnen wohl erklären,« entgegnete Ellen. »Nicht weit von hier trafen wir auf die von Raubtieren schon abgenagten Skelette zweier Pferde, und Yamyhla glaubte schon damals, das könnten die von Kasegora und Chaushilm sein. Jetzt können wir dies auch wirklich annehmen. Ferner sagte Yamyhla, der Verlust von Pferden in diesen Gegenden könnte sehr leicht durch die Tsetse bewirkt werden, jene Fliege, an deren Stich Pferde und Rinder unwiderruflich sterben. Es ist ein Glück, daß sie hier schon seltener aufritt. Ich hatte schon Angst um unsere Pferde, denn passierte uns solch ein Unglück, so bliebe ich die einzige Reiterin, und es ist doch kein schönes Gefühl, wenn ich reiten, und dabei meine Freundinnen zu Fuße gehen sehen soll. Ich würde dann vorziehen, ebenfalls zu Fuße zu marschieren.«

»Wie das?« fragte Miß Sargent verwundert.

»Warum sollte gerade Ihr Pferd von dem Stiche der Tsetse verschont bleiben?« »Sie vergessen,« entgegnete Ellen, »daß ich im Lager ein zugerittenes Zebra besitze, und die Tsetse schadet diesem nichts,«

»Glauben Sie, daß Marquis Chaushilm am Leben erhalten bleibt?« fragte Miß Sargent nach einer Weile wieder. »Es wäre doch schrecklich, wenn der Marquis sterben sollte.«

»John Davids hegt die größte Hoffnung. Er sagt, der widerstandsfähige Körper des Marquis hätte noch länger die schauderhafte Pflege des schwarzen Mädels ertragen. Das beste für ihn ist außer Chinin und geeigneter Nahrung frische Seeluft, und die Herren wollen auch unverzüglich nach Mgwana zurück und an Bord des ›Amor‹ gehen.«

»Schauderhafte Pflege sagen Sie? Sollte ihn das Weib, welches, ihn liebte, nicht sorgsam gepflegt haben?«

»Nun ja, nach ihrer Weise, Sie hat ihn jedenfalls mit zähem Antilopenfleisch halbtot gefüttert, während ein Fieberkranker nur die notwendigste Nahrung zu sich nehmen darf, ihn in warme Decken gehüllt, wenn er fror, und ihn mit Wasser begossen, wenn er schwitzte. Ein Schwarzer mag solch eine Pferdekur aushalten, aber ein Europäer kann das nicht, und wenn er der gesündeste Mensch wäre. Ich bin gespannt, was Chaushilm uns erzählen wird, wenn er wieder gesund ist.«

»Ich auch,« erwiderte Miß Sargent nachdenklich. Nach kurzer Zeit schimmerten die weißen Zelte des Lagers zwischen den Bäumen durch, und das Leben, das dort herrschte, verriet, daß der kleinere Trupp schon wieder zurückgekehrt sein mußte.

Miß Sargent hatte nach und nach mit allen Freundinnen einige Worte gewechselt und ritt jetzt gerade neben Johanna.

»Wie werden sich die anderen Damen freuen,« sagte letztere, »wenn sie nicht nur ihre Freundin, sondern auch Marquis Chaushilm wiedersehen!« »Was für ein Herr ist das dort?« fragte Miß Sargent, nach dem Zeltlager deutend.

»Welchen meinen Sie?«

»Den, welcher neben Miß Morgan steht und sich mit ihr unterhält. Da – jetzt gehen sie auseinander. Er trägt die übliche Kleidung der Herren, ist aber keiner der Unsrigen.«

»Wahrhaftig,« rief Johanna erfreut, »er ist der befreite Gefangene. Der Mann kann von Glück sagen, daß wir zufällig hierhergekommen sind, sonst könnte er sein Leben in der Sklaverei beschließen, wenn ihm nicht der Tod beschieden war.«

Miß Sargent wurde mit ungeheurem Jubel begrüßt, wieder mußte sie kurz ihre Erlebnisse zum besten geben, und dadurch wandte sich die Aufmerksamkeit auf den armen Chaushilm, dessen Zustand alle mit tiefster Teilnahme erfüllte.

Ellen, Johanna und die meisten der Neger waren unterdes in das Lager geritten und wurden von Miß Morgan empfangen, die Bericht erstattete.

Was Yamyhla vorausgesetzt hatte, war eingetroffen. Die Räuber hatten beim Anblick der Amazonen sofort die Flucht ergriffen, aber diese hatten ihre Schwerter nicht eher ruhen lassen, als bis keiner mehr am Leben war. Den Gefangenen hatten sie gefesselt vorgefunden, nur mit einigen Lumpen bedeckt, ihn nach dem Lager mitgenommen, und dort habe ihm einer der Herren einen Anzug mit allem Nötigen zur Verfügung gestellt. Es sei ein sehr anständiger, gebildeter Mensch, schloß Miß Morgan ihren Bericht, von Beruf Detektiv, doch, dort stünde er selbst und wünsche die Anführerin zu sprechen. Bisher habe sie sich mit ihm nur über seine ausgestandenen Leiden unterhalten.

»Ein Detektiv?« fragte Ellen halb erstaunt, halb unwillig. Sie hatte nun einmal ein ganz besonderes Vorurteil gegen Leute dieses Berufes.

»Ja, Miß,« antwortete der befreite Mann selbst und trat vor Ellen, welche, wie die anderen, vom Pferde gestiegen und die Zügel einem Neger übergeben hatte.

Der Gerettete hatte ein wirklich einnehmendes Aeußere; der geliehene Anzug saß ihm gut, und ein Rasiermesser hatte das Gesicht wieder glatt gemacht.

»Mein Name ist Anderson, und ich bin Detektiv,« fuhr er fort, den Hut lüftend. »Es scheint, Sie sind von diesem Geständnis unangenehm überrascht; sollte mir sehr leid tun, wenn Sie glauben, mit der Befreiung eines Detektiven einen Mißgriff getan zu haben.«

»Durchaus nicht,« beeilte sich Ellen zu sagen. »Verzeihen Sie mir den Ton, in welchem ich eben sprach. Es freut mich, daß ich einen Menschen aus den Händen jener schrecklichen Männer befreit sehe. Doch, wie kommt es, daß Sie, als Detektiv – ich nehme Ihrer Aussprache des Englischen nach an, daß Sie Amerikaner sind – wie kommt es, daß Sie unter Räuber gefallen sind, welche ihr Wesen nur in der Wildnis treiben? Hat Ihr Beruf das mit sich gebracht?«

»Allerdings, Miß,« entgegnete der Mann, der sich als Anderson vorgestellt hatte. »Meine Aufgabe bestand darin, einen Kassierer, welcher unter Mitnahme bedeutender Geldsummen flüchtig geworden ist, zu verfolgen. Seine Spur führte mich nach der Nordwestküste Afrikas und von da ins Innere. Weiß der Himmel, was er hier zu suchen hatte, wollte wahrscheinlich einmal eine kleine Jagdpartie unternehmen, er ist immer so ein Leichtfuß gewesen. Die Expedition, welche ich gemietet hatte wurde gesprengt, die meisten Mitglieder getötet, ich selbst und ein anderer Weißer von jenem Häuptlinge gefangen genommen, welcher der rote Löwe genannt wird. Das ist in kurzem die Geschichte der Ereignisse, durch welche ich als Gefangener hierhergekommen bin.«

»Wo ist der andere Gefangene?«

»Es gelang ihm, zu entfliehen. Wir sind fast eine Woche lang umhergeschleppt worden; der andere ist gleich in den ersten Tagen geflohen, ich habe nichts wieder von ihm gesehen. Möglich, daß er in dieser pfadlosen Wildnis zu Grunde gegangen ist.«

Der Mann, der kein anderer als Tannert war, hatte die Wahrheit gesprochen. Seinem Mitgefangenen, dem Seewolf, war es gelungen, durch List seine Wächter zu täuschen und zu entkommen. Auch Tannert hätte mehrmals Gelegenheit dazu gehabt; da er aber merkte, daß sein Leben geschont wurde, er übrigens auf Befehl des roten Löwen mit mehr Rücksicht behandelt wurde, so beschloß er, seine Flucht auf später zu verschieben. Erst wollte er sehen, was mit den gefangenen Vestalinnen begonnen werden sollte, das heißt, wenn der rote Löwe sie erst in seiner Gewalt hatte.

»Sie sind amerikanischer Detektiv?« forschte Ellen etwas mißtrauisch weiter.

»Jawohl. Ich war längere Zeit in der Nähe der großen Seen tätig und kam dann – – Mein Gott,« rief er plötzlich aus – sein Blick war auf Johanna gefallen – »Sie auch hier, Miß Sharp? Finden sich denn alle Detektivs der Welt in Afrika zusammen? Führt Ihr Beruf auch Sie hierher?«

Er ging mit ausgestreckter Hand auf Johanna zu, die ihn kalt von oben bis unten ansah.

»Ich kenne Sie gar nicht,« sagte sie ruhig, ohne die dargebotene Hand anzunehmen.

»Wie? Sie kennen mich nicht? Erinnern Sie sich doch! Wir arbeiteten am Oberonsee zusammen, ich stellte den Lakai, Sie die Kammerzofe jener russischen Gräfin vor, die sich dann dank unserer Bemühungen als Schwindlerin entpuppte. Erinnern Sie sich nun des Anderson? Ich wurde Rudolf, Sie Jeannette gerufen. Wir haben manch hübsches Stündchen im Bedientenzimmer verlebt.«

»Sie sind im Irrtum. Ich kenne weder Sie, noch bin ich jemals von einer russischen Gräfin Jeannette gerufen worden,« erwiderte Johanna kalt und wandte sich ihrem Zelte zu.

Bestürzt hatten alle anwesenden Damen und Herren diese kurze Unterredung angehört; stumm sahen sie der Fortgehenden nach und blickten dann auf den Detektiven, welcher selbst verlegen geworden zu sein schien.

»Wirklich,« murmelte er, »ich scheine mich getäuscht zu haben. Aber selten ist mir eine solche frappante Aehnlichkeit vorgekommen. Zug für Zug, das Haar, die Haltung gleichen vollkommen der Miß Sharp, der Schwester des berühmten amerikanischen Detektiven Nikolas Sharp.«

Unter den Zuhörenden war Ellen die erste, welche das Wort ergriff. Sie wandte sich an den Detektiven.

»Sie werden im Irrtum sein,« sagte sie ruhig. »Miß Lind ist keine Detektivin, sie ist unsere Freundin.«

Auch sie ging in ihr Zelt, welches am Eingange zum Lager stand und von ihr allein bewohnt wurde, weil in diesem alle jene Sachen aufbewahrt wurden, welche sie unter eigener Aufsicht haben wollte, und daher fast überfüllt war.

Unter den Mädchen bildeten sich Gruppen. Man sprach über diese rätselhafte Begegnung. Bald aber waren sich alle darüber klar, daß hier ein großes Mißverständnis obgewaltet habe. –

Miß Petersen saß beim hellen Scheine einer kleinen Lampe am Zelttisch und blickte, den Kopf auf die Hand gestützt, mit trüben Augen in die Flamme.

»Sollte Miß Morgan sich auch geirrt haben,« flüsterte sie vor sich hm, »als sie mir einst sagte, Johanna sehe der Schwester dieses Nick Sharp zum Verwechseln ähnlich? Ich habe von dieser Detektivin erzählen hören; sie soll die besten Männer dieser Berufsart oft in den Schatten gestellt haben. Sie erfreut sich beim Publikum einer großen Gunst, und doch, eine Detektivin, ein Mädchen, das Unschuld heucheln und dabei die raffiniertesten Sachen behandeln muß – pfui, das ist noch viel schlimmer als ein Detektiv!

»Ware es möglich, daß Johanna wirklich diese Detektivin ist? Ja, warum nicht? Nick Sharp war von Lord Harrlington bereits dazu engagiert, mich zu beobachten, warum sollte er nicht auch seine Schwester angeworben haben? Und wäre sie eine Detektivin, hätte ich Grund, sie zu bestrafen? Nein, das kann ich nicht, sie muß ja für Geld arbeiten. Aber hätte ich Grund, sie aus meiner Nähe zu stoßen? Gewiß, auf jeden Fall. Das wäre ja köstlich, wollte ich dulden, daß man mich mit Spionen umgibt, mich beobachten läßt und mich wie ein Kind beschirmt. Es ist wahr, ich schulde Johanna viel Dank. Oft hat sie mir das Leben gerettet, oft das Ihrige für das meine eingesetzt, so zum Beispiel als sie damals mich von den Schlingpflanzen befreite, die mich unter Wasser festhielten. Aber schließlich tun Detektive für Geld alles. Nein und abermals nein, wenn sie eine Detektivin ist, so muß sie aus meinen Augen, sie oder ich, eine von uns beiden verläßt die ›Vesta‹, und sollte ich auch die treueste Freundin verlieren. Von einem Manne, der mich betrügt, mag ich nicht mit Spionen umstellt werden, die ihm jede meiner Handlungen melden.«

Träumend blickte Ellen in das flackernde Licht der Lampe. Trübe Gedanken mußten es sein, die hinter dieser offenen, faltenlosen Stirn ihr Wesen trieben, denn ihr Auge umflorte sich immer mehr; immer schmerzlichere Linien zeichneten sich um den feingeschnittenen Mund.

Sie zog eine Uhr aus dem Busen.

»Neun Uhr,« murmelte sie. »Jetzt wird er kommen. So oder so, es muß zu einem Abschluß kommen.«

In diesem Augenblick wurde der Zeltvorhang zurückgeschlagen; Mister Anderson trat mit einer Verbeugung herein und blieb am Eingange stehen.

»Ihrer Aufforderung gemäß, finde ich mich pünktlich bei Ihnen ein,« sagte er. »Befehlen Sie über mich, ich stehe Ihnen zu Diensten.«

»Bitte, nehmen Sie Platz!« erwiderte Ellen mit erzwungener Freundlichkeit, eine Handbewegung nach dem zweiten Stuhle des Zeltes machend.

Der Detektiv nahm auf dem zusammenlegbaren Stuhle, Ellen gegenüber, Platz.

»Ich habe Sie zu mir gebeten,« begann sie, »um Auskunft zu bekommen über jene Dame, welche Sie vorhin mit Miß Sharp anredeten. Ist diese Dame wirklich, Miß Sharp, die Schwester des Detektiven Nikolas Sharp?«

Sie heftete den Blick gespannt auf das Gesicht des vor ihr Sitzenden, der eine geringe Verlegenheit nicht verbergen konnte, aber dieser Detektiv brachte dieselbe absichtlich hervor. Er war zu sehr Schauspieler, als daß er nicht seine vollständige Ruhe hätte bewahren können, wenn er es wollte.

»Geehrtes Fräulein,« antwortete er, »ich habe jene Dame zwar als Miß Sharp begrüßt, aber ich kann mich natürlich geirrt haben, und ich glaube das auch jetzt, da jene Dame selbst behauptet, mich nie gesehen zu haben.«

»Sieht sie derselben wirklich so ähnlich?«

»Sie ist die vollständige Doppelgängerin derselben, sie gleicht ihr Zug für Zug. Das reiche Haar hat bei beiden dieselbe nußbraune Farbe, über den braunen Augen dieselben langen Wimpern, der kleine Mund; in der Tat, wenn jene Dame nicht selbst sagte, daß sie nicht Miß Sharp sei, so könnte ich ruhigen Herzens darauf schwören.« »Wo lernten Sie Miß Sharp kennen?«

»Erinnern Sie sich der Skandalgeschichte der russischen Gräfin, welche in den Gegenden der großen Seen einst eine Rolle in der Gesellschaft spielte?«

»Nein, ich habe nichts davon gehört.«

»Nun, jene Gräfin stand im Verdacht, eine französische Schwindlerin zu sein. Ich wurde von der Polizeibehörde abgesandt, sie zu beobachten, nahm bei ihr Dienste als Lakai und traf dort Miß Sharp, welche von ihr als Kammerzofe engagiert worden war, und die sich in die intimeren Verhältnisse der Gräfin einzuweihen suchte. Anfangs wußten wir nicht, daß wir beide Detektive waren; an gewissen Zeichen erkannten wir uns aber bald.«

»Wohin ging Miß Sharp von da?«

»Kurz vor der Katastrophe des Dammdurchbruchs am Oberonsee gelang es uns, die Gräfin zu entlarven. Wir trennten uns; ich blieb am Oberonsee und sah Miß Sharp bei jenem Dammdurchbruch wieder, wo sie sich, wie es gewöhnlich Ihre Art war, mit heldenmütiger Bravour benahm. Ich sah mit eigenen Augen, wie sie siebenmal zwischen die Eisschollen sprang und jedesmal mit einem Menschen wieder ans Ufer kam.«

Ellens Augen vergrößerten sich, starr blickte sie den Detektiven an.

»Wissen Sie bestimmt, daß diese Person Miß Sharp hieß?« fragte sie leise.

»Ganz bestimmt. Wenn wir nicht hier in Afrika, sondern in Amerika wären, so könnte ich Ihnen genug Zeugen dafür bringen.«

»Aber haben Sie nicht in den Zeitungen gelesen, daß die Retterin Miß Jane Lind genannt wurde?«

»Das macht nichts aus,« sagte Anderson gleichmütig, »wir Detektiven ändern jeden Tag unseren Namen. Daß Miß Sharp sich damals, als sie von Zeitungsreportern um ihren Namen gefragt wurde, einen anderen gab, wundert mich gar nicht, denn Miß Sharp war immer bescheiden und ganz und gar nicht ehrsüchtig. Wäre ihr wirklicher Name damals bekannt geworden, so hätte ihr das großen Schaden gebracht, denn sie wurde von vielen Leuten gesehen und bewundert. Selbst die Vorgesetzten von der Polizei hätten dies nicht gern gesehen. Wir Detektiven sind zu bedauern, wir gehören nicht uns selbst, sondern unseren Vorgesetzten.«

Lange schwieg Ellen, ihre Augen nicht von der flackernden Flamme wendend. Es war ihr, als hätte plötzlich eine kalte Hand ihr Herz berührt.

»Ich danke Ihnen,« sagte sie endlich. »Bitte, betrachten Sie sich, so lange Sie hier sind, als im Lager zu Hause, Sie genießen dieselben Vorrechte wie wir. Ich hoffe, daß Sie auch die Rückreise mit uns antreten werden.«

»Ich bin gezwungen, Ihre Hilfe jetzt in Anspruch zu nehmen, und kann Ihnen dieselbe mit nichts anderem vergelten als mit meiner Dankbarkeit,« erwiderte Mister Anderson, stand auf, verneigte sich gegen Ellen und verließ das Zelt.

»Also doch!« murmelte Ellen. »Mit einer Detektivin haben wir fast zwei Jahre lang als Freundin verkehrt, sie als die Unsrige betrachtet, sie in unsere tiefsten Geheimnisse eingeweiht, und sie hat unsere Vertrauensseligkeit dazu benutzt, uns unter der Maske der Demut und Bescheidenheit auszuhorchen, damit sie es wiedererzählen könne. Wem? Nun, wem anders als Lord Harrlington? Jetzt kann ich mir auch erklären, wie es kommt, daß der ›Amor‹ uns immer wiederzufinden wußte, und auch wenn ein noch so unbekannter Hafen bestimmt wurde.«

Sie trat vor den Zelteingang.

Das Lager bestand aus zwei Hälften, in der einen wohnten die Herren, in der anderen die Damen. Trotzdem es schon Nacht war, herrschte zwischen den Zelten noch Leben; man ging plaudernd spazieren und freute sich der schönen, kühlen Nacht.

»Miß Dulwich,« rief Ellen ein vorübergehendes Mädchen an, »würden Sie die Freundlichkeit haben, Miß Murray in mein Zelt zu rufen; ich möchte sie sprechen.«

Sie trat wieder ins Zelt.

»Es wird die höchste Zeit, daß dieses gefährliche Element aus unserer Mitte entfernt wird,« murmelte sie leise. »Sie hätte verdient, daß die Gesetze der ›Vesta‹ gegen sie angewendet würden, aber eben, weil sie der ›Vesta‹ nicht würdig ist, soll keine Anwendung davon gemacht werden; selbst das ist eine Schande, wenn eine solche Person diese Strafe überhaupt versteht. Ich glaube, ich werde bei den Damen auf einigen Widerstand stoßen, denn Johanna ist sehr beliebt, aber ich werde ihn zu besiegen wissen. Vor allen Dingen gilt es, die Damen vorzubereiten, sie mit dem Charakter Johannas vertraut zu machen, ohne daß diese etwas davon merkt, sonst ist die schlaue Detektivin im stände und schmiedet Gegenpläne. Dazu ist es nötig, daß ich mit den Damen spreche, welche über die Vestalinnen eine gewisse Macht haben. Das wären Miß Murray, Nikkerson, Thomson und vielleicht auch Miß Sargent. Letztere ist in letzter Zeit sehr beliebt geworden. Diese Damen mögen die anderen so vorbereiten, daß ich beim Verkünden des Ausschlusses von Miß Lind, respektive Miß Sharp, auf keinen Widerstand stoße. Je schneller die Sache erledigt wird, desto besser.«

Ohne irgendwelche Ueberraschung oder Unwillen zu zeigen, hörte die Angekommene die Auseinandersetzungen Ellens an und versprach beim Verlassen des Zeltes, die Freundinnen über Johannas Charakter aufzuklären.

»Bitten Sie Miß Nikkerson, zu mir zu kommen, auch sie möchte ich persönlich sprechen,« rief Ellen der Hinausgehenden nach.

Miß Nikkerson konnte jedenfalls nicht gleich gefunden werden, denn es verging ziemlich lange Zeit, ehe sie ins Zelt trat.

Auch sie hörte die Erklärung Ellens völlig ruhig an, ja sie erwiderte nicht einmal ein Wort und verließ das Zelt mit dem Auftrage, Miß Thomson zu rufen.

»Seltsam,« dachte Ellen, »ich glaubte, die Damen würden diese Nachricht ganz anders aufnehmen. Ich ahne fast, daß sie mit meinem Vorschlag, Miß Sharp auszustoßen, nicht sofort einverstanden sind.«

Da wurde der Vorhang zurückgeschlagen, aber nicht nur die gerufene Miß Thomson trat ins Zelt, sondern sie hatte ihren Arm in den Johannas gelegt, und hinter ihr folgten Miß Murray, Miß Nikkerson, Miß Sargent und noch andere Damen – das Zelt war mit Personen ganz angefüllt.

Bestürzt heftete Ellen die Augen erst auf Johanna und ließ ihre Blicke dann über die anderen Freundinnen schweifen.

Ohne Umschweife nahm Miß Thomson das Wort.

»Sie haben mich rufen lassen, Miß Petersen,« sagte sie, »um mir mitzuteilen, daß Miß Lind hier, meine Freundin« – sie betonte das letzte Wort – »eine Detektivin ist, eigentlich Miß Sharp heißt und die Schwester des Detektiven Nikolas Sharp ist, und daß sie als solche nicht würdig wäre, fernerhin unter uns und auf der ›Vesta‹ zu bleiben. Sie hätten recht, Miß Petersen, wenn dem so ist, aber von wem haben Sie denn diese Mitteilung? Von einem wildfremden Manne, den keine von uns kennt, den wir halbnackt als Gefangenen gefunden haben, ich betone, als einzigen Gefangenen unter den verworfensten Menschen, die nie eine zivilisierte Gegend betreten haben.«

Ellen wollte die Sprecherin unterbrechen, aber Miß Thomson machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung und fuhr schnell in der Rede fort:

»Ich bemerke ausdrücklich, daß ich nicht nur für meine Person spreche, sondern im Namen aller Vestalinnen, Sie ausgenommen, und dies zu bezeugen, sind diese Damen hier. Ich soll Ihnen hiermit sagen, daß Sie, ehe Sie noch einer anderen Dame Ihre Mutmaßung über Miß Lind mitteilen, diese selbst fragen, ob an der Aussage des Detektiven etwas Wahres ist, oder nicht, denn« – Miß Thomson erhob ihre Stimme – »ehe wir die Aussagen dieses uns wildfremden Menschen glauben, trauen wir vielmehr denen von Miß Lind, welche seit fast zwei Jahren unsere Freundin ist und sich stets als solche benommen hat.«

Miß Thomson schwieg.

Anfangs hatten sich Ellens Züge immer mehr verdüstert; schnell wandelte ihr Auge von Gesicht zu Gesicht, und das, was sie da wahrnahm, sagte ihr, daß jetzt ein Entscheidungsmoment gekommen war. Diese Mädchen traten alle für Johanna ein. Blieb sie bei ihrer Aussage, so war eine Scheidung nicht zu umgehen, die ›Vesta‹ hatte aufgehört, Freundinnen zu beherbergen, so lange sie sich auf dem Schiff befand, selbst wenn Johanna freiwillig ausgeschieden wäre.

Da begegnete ihr Blick dem Auge Johannas, diesem freundlichen, gütigen, treuherzigen, braunen Auge, das jetzt mit einem so traurigen Ausdruck auf ihr ruhte, und plötzlich wurde Ellens Stimmung umgewandelt, sie wußte mit einem Male, daß dieses Mädchen keine Detektiv! war.

»Sie haben recht, Miß Thomson,« sagte sie, »ich habe nicht recht gehandelt, als ich den Aussagen des fremden Mannes sofort Gehör schenkte. Miß Lind,« wendete sie sich an diese, »wären Sie eine Detektivin, so könnte ein Nebeneinanderleben zwischen uns nicht mehr möglich sein, und die Vermutung, daß dem so sei, daß wir fast zwei Jahre lang eine Detektivin als Freundin betrachtet hätten, brachte mich in eine übereilte, mißmutige Stimmung. Beantworten Sie mir meine Fragen, und ich werde Ihren Antworten glauben.

»Sind Sie Miß Sharp?«

»Nein,« entgegnete Johanna offen und fest, »mein Name ist Johanna Lind.«

»Sind Sie die Schwester des unter dem Namen Nikolas Sharp bekannten Detektiven?«

»Nein.«

»Kennen Sie oder haben Sie den Mann schon einmal gesehen, welcher Sie als die Detektivin Jane Sharp bezeichnete?« fragte Ellen weiter.

»Nein.«

»Oder,« fuhr Ellen fort, die Augen fest auf Johanna gerichtet, »sind Sie überhaupt Detektivin?«

»Nein,« versetzte Johanna ruhig, dem Blick der Fragerin ebenso fest begegnend.

»Dann war meine Annahme ein Irrtum,« sagte Ellen und streckte dem Mädchen die Hand entgegen. »Vergessen Sie das Vorgefallene! Ich bitte Sie herzlich darum! Sie haben eine Doppelgängerin, mit der Sie verwechselt worden sind.« – –

Die gute Stimmung unter den Vestalinnen war schon längst wiederhergestellt, aber es herrschte doch noch im Lager der Damen Aufregung, trotzdem es schon spät war. Wieder standen die Damen in Gruppen zusammen, und hastiges, geheimnisvolles Flüstern herrschte unter ihnen. Dann schieden sich einzelne ab und begaben sich nach den Zelten der Herren.

Unter den etwa zehn Damen befand sich auch Hope, und als sie sich den Zelten der Herren näherte, rief diese plötzlich leise aus:

»Dort steht er, er geht nach den Pferden, und der Kuckuck soll mich beißen, wenn er nicht soeben mit Miß Morgan gesprochen hat.«

Man sah zwischen den Zelten eine dunkle Gestalt verschwinden, welche wohl wie ein Weib aussah, aber fest behaupten konnte man das wegen der Finsternis doch nicht.

Die kleine Gesellschaft sprach unterwegs mit einigen ihr begegnenden Negern und begab sich dann ebenfalls dahin, wo die Pferde angebunden standen. Dort trafen sie auf Mister Anderson, der die Pferde zu mustern schien. »Schöne Pferde, nicht wahr?« redete ihn Thomson an.

»Es sind wirklich einige sehr schöne darunter,« war die Antwort, »wie man sie selten in Afrika findet.« Afrika hat nicht viel schöne Reittiere aufzuweisen, und gute, importierte verderben schnell; an eine Fortpflanzung edler Rassen ist nicht zu denken.«

»Sie scheinen Pferdekenner zu sein!«

»Allerdings, ich war früher ein großer Sportsmann und bin auch jetzt noch ein guter Reiter.«

»Welches Pferd würden Sie sich aussuchen, wenn Ihnen die Wahl freistände?« fragte Miß Murray.

»Dieses dort ist das schönste,« antwortete Andersons auf eine Schecke deutend.

Er wunderte sich nicht wenig, als ein Neger diesem Pferde sofort einen Sattel auflegte.

»Wollen Sie heute nacht noch ausreiten?« fragt er erstaunt, »Ach so, es ist ja ein Herrensattel!«

»Ja, ein Herrensattel,« sagte da plötzlich Miß Sargent und trat dicht vor den völlig verblüfften Mann »und nun setzen Sie sich darauf, und reiten Sie dem Führer nach, der Sie begleiten wird, er hat Proviant genug für Sie und sich, damit Sie beide die Küste erreichen können. Ja, nur los, zögern Sie nicht,« fuhr Miß Sargent den Mann an, der seinen Ohren nicht trauen zu dürfen glaubte, »steigen Sie auf den Schecken und reiten Sie davon, wir schenken Ihnen das Tier.«

Mister Anderson merkte, daß es den Damen ernst war; überall blickte er in finstere, entschlossene Gesichter – er wußte wohl, was man gegen ihn vorhatte. Wortlos bestieg er das Roß und der ihm als Führer bestimmte Neger das seine.

»Und, Mister Anderson,« nahm Miß Thomson noch einmal das Wort, »bemühen Sie sich nicht, noch einmal unseren Weg zu kreuzen. Ich habe nämlich einen Feind, den ich bis zum Tode hasse, und der sieht Ihnen so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Es sollte mir leid tun, wenn ich meine Wut an seinem unschuldigen Doppelgänger auslassen würde. Good bye!«


 << zurück weiter >>