Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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21.

Chaushilms Liebesabenteuer.

»Wo zieht Ihr hin? Auf die Jagd! Uf! Uf! Uf! Uf!«

Dieses Lied sangen nicht etwa die Neger der Karawane, sondern ein weißes Kleeblatt, bestehend aus Sir Williams, Sir Hendricks und Marquis Chaushilm.

»Gewehr über – marsch,« kommandierte Williams, und die drei Männer verließen im Gänsemarsch das Lager, während gleichzeitig aus der anderen Seite drei Damen in Jagdausrüstung aus dem Zelte traten und dem Walde zuschritten.

Diese letzte Truppe setzte sich zusammen aus Miß Thomson, Miß Murray und Miß Nikkerson.

Am Abend zuvor hatten sich nämlich diese sechs Leutchen gegenseitig vorgeworfen, daß sie in dieser Gegend doch gar kein Wild schössen, obgleich immer genug davon zu sehen war. Die in der Nähe der Stadt Nbome lebenden Antilopen, auch die Waldtiere, waren aber schon sehr scheu geworden, und so kam es, daß man selten einmal eins zum Schuß bekam. Doch die Damen, welche bis jetzt nur wenig auf die Jagd gegangen waren, die Herren dagegen immer, warfen diesen vor, sie könnten bloß nicht schießen, und so war von ihnen ausgemacht worden, der morgende Tag sollte einmal entscheiden, wer von ihnen die besseren Jäger seien, die Damen oder die Herren.

Am Nachmittage des letzten Rasttages sollte die Wette zum Austrag werden. Es wurde ausgemacht, daß die beiden Gruppen gleichzeitig aufbrächen, bei Sonnenuntergang wieder im Lager wären und als Jagdterrain den zwischen den Zelten und Abome liegenden Wald benutzten, ohne sich dabei gegenseitig ins Gehege zu kommen. Wessen Truppe die meiste Jagdbeute mitbrächte, würde als Sieger anerkannt, und zwar sollte ein Unparteiischer den Wert der geschossenen Tiere taxieren, denn es ist natürlich leichter, zehn Wildtauben zu schießen, als eine Antilope.

Vor dem Abmarsch aus den Zelten stimmte der immer fidele Charles zur unendlichen Freude der Eingeborenen den Negergesang an, seine Freunde sangen den Chorus, und noch lange konnte man die fröhlichen Stimmen vernehmen, als sich schon die grünen Zweige der Büsche hinter den Abziehenden geschlossen hatten.

Der Regen hatte bald wieder aufgehört, die Sonne hatte das nasse Gras getrocknet und schien nun wieder warm herab – ein herrlicher Tag zu einer Jagdpartie.

Monsieur Pontence konnte es ebenfalls nicht mehr in seinem kleine Zelte aushalten, er mußte wieder mit seinen drei Büchsen hinaus in den grünen Wald. Hatte dieser Nimrod auch bis jetzt nur eine wilde Ente und ein Kaninchen geschossen, so war die Jagdlust bei ihm doch noch nicht geschwunden.

»Monsieur Nonsense, nehmen Sie mich mit?« hörte er hinter sich eine helle Stimme fragen, und sich umsehend erblickte er Hope Staunton, das Mädchen, welches sich möglichst viel bei dem komischen Männchen aufhielt, und mit dem er schon eine Art von Freundschaft geschlossen hatte.

»Soll mir angenehm sein,« antwortete der höfliche Franzose und duldete, daß außer Hope auch noch Hannes ihm auf seinem Jagdausflug Gesellschaft leistete.

Während sie dem Walde zuschritten, erzählte ihnen der gewaltige Jäger vor dem Herrn, wie er in seiner Heimat einmal einen Rehbock geschossen hatte, der sich aber dann als ein zahmes Reh herausstellte, für welches er fünfzig Franken Schadenersatz zahlen mußte. Letzteres erwähnte er aber nur so nebenbei, hauptsächlich betonte er, daß es ein Kernschuß gewesen sei, der das Tier sofort zur Strecke gebracht habe.

Die drei zuerst erwähnten Herren hatten unterdes ein Revier erreicht, welches, wie häufige Spuren verrieten, eine Jagd versprach.

»Wir müssen uns hier trennen,« sagte Charles und blieb stehen, »denn es hätte keinen Zweck, wenn wir alle beisammenblieben. Sie finden sich doch nach dem Lager zurück, und außerdem können wir ja durch Schüsse immer wieder melden, wo wir uns befinden. Ich gehe hier geradeaus, Sie, Chaushilm, wenden sich zur linken Hand, und Sie, Hendricks, nehmen die Pürsche von rechts auf. Wünsche Ihnen viel Glück, meine Herren! Also seien Sie bei Sonnenuntergang im Lager, und bringen Sie möglichst viel Beute mit. Adieu!«

Charles wollte gehen, wurde aber von Hendricks am Arme zurückgehalten.

»Halt, halt,« sagte er dabei, »so schnell geht das nicht. Sie denken wohl, Sie können den mitgenommenen Maiskuchen und das Fleisch allein aufessen? Nein, die Fourage muß erst geteilt werden, sonst bleibe ich bei Ihnen.«

»Ach so, ich habe ja den Proviant in meiner Jagdtasche stecken,« lächelte Charles. »Herrgott!« fügte er dann erschrocken hinzu, »und dort läuft Chaushilm mit der Whiskyflasche weg, der Spitzbube will sie allein austrinken. Chaushilm, heh, Chaushilm!«

Der Marquis schien das Rufen nicht hören zu wollen, er ging ruhig weiter, aber die beiden rannten ihm nach und nötigten ihn, stehen zu bleiben.

»Das Essen können wir uns wohl teilen,« meinte Chaushilm, »aber, wie wir es mit dem Whisky machen wollen, weiß ich nicht, die Flasche gebe ich auf keinen Fall her, warum haben Sie sich nicht ebenfalls mit welchen versehen?«

»Oho, Sie können doch nicht den ganzen Whisky allein trinken?« rief Hendricks.

»Wohin wollen Sie ihn denn gießen? In die Stiefeln vielleicht?«

»Wir müssen umkehren und uns Flaschen holen.«

»Unsinn,« rief Charles, welcher wohl wußte, daß das alles nur Spaß war, »wir werden doch dieses Whiskys wegen nicht wieder ins Lager zurückkehren! Ich schlage vor, wir setzen uns hier und verzehren die mitgenommenen Vorräte gleich, dann hat aller Streit ein Ende.«

»Und wir brauchen sie nicht zu tragen,« fügte Hendricks hinzu.

»Einverstanden!« rief Chaushilm und warf sich ins Gras. »Wenn wir dann schneller schießen, holen wir die Versäumnis wieder ein.«

Die drei ließen es sich vortrefflich schmecken; der frischgebackene Maiskuchen mit dem Wildbret mundete köstlich, und die Lederflasche machte unter heiteren Gesprächen und Witzen die Runde.

Da fielen nicht weit von ihnen zwei Schüsse, dann noch einer, und die Herren horchten auf.

»Die Damen sind schon beim Jagen,« rief Hendricks kläglich, »und wir essen bereits den Braten, den wir erst schießen sollten. Die Wette werden wir wohl verlieren und beim Heimkommen Spott und Schande ernten.«

In diesem Augenblicke knallte Chaushilms Winchesterbüchse, und von einem Baume in der Nähe fiel ein Eichhörnchen herab.

»Nummer eins,« sagte er und steckte das Tierchen in die Jagdtasche. »Auf, meine Herren, die Jagd hat begonnen. Ich habe eine Ahnung, daß ich heute furchtbares Glück habe. Passen Sie auf, ich schieße heute alles kurz und klein, was mir vor die Mündung kommt.«

Die Herren erhoben sich und schlugen die Richtungen ein, die Charles angegeben hatte. Bald verloren sie sich aus den Augen, und nur ein ab und zu fallender Schuß verriet, daß sie auch Jagdbares fanden, aber so lange sie sich nahe beieinander befanden, war natürlich an ein Anpürschen größeren Wildes nicht zu denken.

Doch die Knalle wurden immer schwächer, und schließlich vernahm der langsam zwischen den Bäumen und Büschen umherstreifende Chaushilm nichts mehr, als das Summen der Insekten, das Rascheln der Eidechsen im trockenen Laube, und ab und zu das Zwitschern und Zirpen eines Vogels in den Aesten. Im übrigen herrschte Stille, denn die Tiere des Waldes hielten ihre Mittagsruhe.

Marquis Chaushilm war kein besonderer Bewunderer von Naturschönheiten, aber dieser afrikanische Urwald in seiner Mächtigkeit und Ruhe machte doch Eindruck auf ihn und veranlaßte ihn fast, den eigenen Fuß vorsichtig aufzusetzen, um den Frieden der Natur nicht zu stören.

Der Wald war nicht so undurchdringlich, wie man dies sonst bei afrikanischen Urwäldern zu finden gewöhnt ist. Er bestand meistens aus Baobabs, jenen Riesenbäumen, welche unsere Eichen an Stammesdicke und an Blätterreichtum noch übertreffen, ferner aus Akazien und Mangobäumen. Das Unterholz war niedrig und spärlich, Schlingpflanzen fehlten ganz, so daß man wie in einem Parke einen weiten Blick durch die Stämme hatte.

Dies wäre zwar recht gut gewesen, wenn der Wald von Tieren gewimmelt hätte, aber so zeigte er durch den offenen Ausblick nur, daß eine Jagd wenig Erfolg versprach. Die Rehe, Antilopen und Gazellen waren hier schon zu viel gejagt worden und zogen sich beim Nahen eines Menschen sofort zurück.

Dem Marquis war es auch absolut gleichgültig, ob er etwas schoß oder nicht, er machte sich durchaus nichts daraus, wenn er mit leeren Händen zurückkam, überdies ist das Jagdglück ja sehr launisch, wenigstens das Auffinden von Wild betreffend, und so konnte er in den langen Stunden bis zum Abend vielleicht noch Büffel und Elefanten zum Schuß bekommen.

Das Gewehr über der Schulter, die freie Hand in der Hosentasche, die kurze Pfeife zwischen den Zähnen, schlenderte Marquis Chaushilm gemütlich durch den Urwald Afrikas, und dachte, er wäre in einem englischen Parke, um Kaninchen zu schießen.

Da plötzlich duckte er sich zusammen, nahm das Gewehr von der Schulter und kniete dann vorsichtig nieder, den Blick starr geradeaus gerichtet: vor ihm, nur zweihundert Meter entfernt, tauchte hinter einem Baobab ein stattlicher Hirsch auf, bewegte sich grasend und langsam vorwärts, dem Jäger das Hinterteil zuwendend.

So phlegmatisch der Marquis auch sonst war, in diesem Augenblick befiel ihn das Jagfieber; jeder Nerv erbebte ihm beim Anblick des edlen Tieres mit dem stattlichen Geweih.

Der Wind kam von demselben her, so hatte er nicht zu befürchten, gewittert zu werden, und konnte mit einiger Vorsicht wohl seinen Weg fortsetzen, denn, wie er gerade stand, konnte er unmöglich schießen. Das Winchestergewehr trug zwar so weit und noch viel weiter, und der Herzog war ein guter Schütze, aber der Hirsch bot ihm kein anderes Zielobjekt als das Hinterteil, und dort hätte ein Schuß nur eine Wunde bewirkt, welche den Hirsch nicht hinderte, mit Windeseile auf Nimmerwiedersehen zu fliehen.

Mit einer Gewandtheit, die einem Indianer Ehre gemacht hätte, kroch der Herzog auf Händen und Füßen nach links, jeden Busch und Baum als Deckung benutzend und dabei immer darauf bedacht, den Hirsch nicht aus den Augen zu verlieren, noch durch ein Geräusch dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Einmal zwar knackte ein dürrer Zweig unter seinen Knieen, und trotz der großen Entfernung hatte der Hirsch den Laut gehört, er richtete den edlen Kopf hoch und sog die Luft ein, aber Chaushilm lag bewegungslos wie ein Baumstamm hinter einem Gebüsche.

Bald senkte der Hirsch das Geweih wieder und graste, ruhig weiter. Chaushilm hätte wohl nach dem Haupte des Wildes schießen können, aber nur ein unerfahrener Jäger würde dies versucht haben. Er hatte Erfahrung genug, um zu wissen, daß er nur den Lauf seiner Büchse zu bewegen brauchte, um das Tier zu verscheuchen. Gerade auf die Stelle, wo er lag, schien nämlich die Sonne durch das Laub, und das Wild wird durch nichts so scheu gemacht, als durch ein helles Aufblitzen, wie es die Sonne auf dem Gewehrlaufe hervorbringt.

Chaushilm mußte sein anstrengendes Kriechen also fortsetzen, und er hatte dabei großes Unglück. So oft er nämlich an die Seite des Hirsches gelangt war, und schon die Büchse an die Wange hob, wandte dieser sich stets, so daß der arme Herzog immer wieder den weißen Spiegel, das heißt das Hinterteil des Tieres mit dem Stummelschwanz bewundern konnte.

Stunde auf Stunde verrann, und der Marquis setzte noch immer seine Bemühungen fort, aber er empfand weder Müdigkeit, noch Verdruß, die vergangenen Stunden däuchten ihm Minuten, so hatte ihn das Jagdfieber erfaßt. Zwar fluchte er innerlich auf eine schauderhafte Weise, wenn dem erhobenen Büchsenlaufe immer wieder der Spiegel zugekehrt wurde, aber nichtsdestoweniger setzte er die Pürsche fort; einmal mußte sie doch von Erfolg gekrönt werden.

Er merkte gar nicht, wie sich nach und nach der Wald veränderte. Die Bäume traten immer weiter auseinander. Das Unterholz verminderte sich mehr und mehr, und hätte Chaushilm einmal den Kopf zur Seite gewandt, so würde er auf einer Waldlichtung die Hütten eines kleinen Dorfes bemerkt haben.

Endlich befand sich Chaushilm seitlich vom Hirsch, er konnte dessen schöne Gestalt in vollkommener Ruhe bewundern. Der Zeitpunkt war günstig. Leise hob er die Büchse, legte den Lauf auf einen umgestürzten Baumstamm, zielte nach dem Blatt und feuerte.

Ein tausendstimmiges Echo erschütterte die Luft, es donnerte und krachte zwischen den Bäumen, als wären sie samt und sonders in die Luft gesprengt worden.

Chaushilm war über dies sonderbare Krachen erst so erschrocken, daß er fast gar nicht ans Aufstehen dachte, sondern nur seine Winchesterbüchse anstarrte, von der er noch nie ein so furchtbares Knallen bemerkt hatte.

»Was ist denn das?« dachte er. »Seit wann kracht denn das Ding so? Aber es hat doch gar nicht geschlagen?«

Jetzt fiel ihm wieder der Hirsch ein, der verschwunden, also jedenfalls gestürzt war, er stand auf und eilte nach der Stelle, wo er ihn hatte stehen sehen.

Noch hatte er die Stelle nicht erreicht, als er von der entgegengesetzten Seite einen Mann auf sich zueilen sah, eine kleine, dicke, kugelrunde Gestalt, – Monsieur Pontence, genannt Nonsense, der jetzt das zwei Meter lange Gewehr auf dem Rücken trug und dafür die zöllige Büchse mit der tulpenförmigen Mündung in der Hand hielt.

Beide begegneten sich eben da, wo der Hirsch am Boden lag.

»Das war ein Kapitalschuß, Monsieur, he?« rief der Franzose fröhlich, stützte sich auf seine noch rauchende Büchse und deutete auf den Hirsch.

Chaushilm, ahnend, daß Pontence gleichzeitig mit ihm geschossen hatte, wollte eben sagen, daß er auf das Tier ebenfalls ein Recht hätte, aber das Wort blieb ihm im Munde stecken, als er den Hirsch jetzt betrachtete.

Das Tier war förmlich in Stücke zerrissen, der Kopf war fast vom Rumpfe getrennt, ein Hinterbein lag zehn Schritte entfernt und der übrige Körper war ein Gemenge von Fleischstücken, Hautfetzen, Blut und Eingeweiden.

Erstaunt betrachtete Chaushilm bald das zerrissene Tier, bald das glücklich lächelnde Gesicht des Franzosen.

»Ja, was ist denn das?« brachte er endlich hervor, sich langsam von seinem Staunen erholend, »Hat denn der Hirsch aus Versehen eine Dynamitbombe verschluckt?«

Der Franzose verstand ihn nicht.

»War das nicht ein Kapitalschuß?« fragte er wieder stolz. »Es geht doch in Afrika nichts über ein Gewehr, welches Sprengkugeln schießt.«

»Was, Sie haben aus jenem Gewehre da mit Sprengkugeln nach dem Tische geschossen?«

»Natürlich,« nickte der Franzose, »und ist die Wirkung nicht eine ausgezeichnete?«

»Nun weiß ich,« rief Chaushilm, sich vor die Stirn schlagend, »was mir vorhin so um den Kopf sauste und pfiff. Das waren also Ihre Sprengkugeln. Wieviel hatten Sie denn eigentlich darin?«

»Nur fünf, aber ich glaube, drei hätten auch schon genügt, aber,« meinte der Franzose, den Herzog fragend anblickend, »wie soll ich wohl den Hirsch nach meinem Zelte schaffen?«

Also war Chaushilm vergebens auf allen Vieren stundenlang hinter dem Hirsch hergekrochen, damit derselbe ihm vor der Nase mittels Sprengkugeln weggeschossen würde. Daß ein anderer mit ihm zugleich geschossen, das war weiter nichts, er hätte seine Beute gern geteilt, vielleicht auch ganz auf dieselbe verzichtet, aber einen edlen Hirsch mit Sprengkugeln zu schießen, nein, ein solcher Frevel empörte sein Weidmannsherz, nicht eine Sehne sollte der Franzose haben.

»Nur gemach, Monsieur Pontence,« sagte er ruhig, »ich habe ein ebenso großes Anrecht auf den Hirsch, wie Sie, und wem er gehört, das wird sich noch entscheiden,««

»So,« rief der Franzose erstaunt, »habe ich das Tier nicht in Stücke geschossen?«

»Das scheint allerdings so, aber von wo haben Sie geschossen, von hinten?«

»Ja, von hinten.«

»Sehen Sie, ich habe mich über drei Stunden bemüht, es von der Seite zu bekommen, und habe es auch wirklich im Blatt getroffen.«

»So,« sagte der Franzose etwas pikiert, »beweisen Sie mir das doch einmal!«

»Beweisen kann ich das allerdings nicht,« entgegnete Chaushilm kalt, »denn es wäre wohl vergeblich, in diesem zerrissenen Kadaver nach meiner Kugel zu suchen, und außerdem schießt das Winchestergewehr so scharf, daß anzunehmen ist, die Kugel ist durch und durch gegangen.«

»Ich kann aber behaupten, daß meine Kugeln ihn getötet haben,« frohlockte der Franzose. »Wie wollen die beweisen, daß Sie das Tier überhaupt getroffen haben?«

»Hiermit,« sagte der Marquis kaltblütig und zog aus dem Lederfutteral einen Revolver heraus.

»Haben Sie keine Angst, daß ich wegen dieses Hirsches einen Mordversuch mache,« fuhr er fort, als der Franzose erschrocken zurückgesprungen war, »aber natürlich muß es sich entscheiden, wem der Hirsch gehört, und da ist es das einfachste Mittel, wir machen es so wie in Amerika, wir schreiten zum Duell. Bitte, Monsieur Pontence, gehen Sie fünf Schritte zurück, ich ebenfalls, und bei drei schießen wir zu gleicher Zeit. Revolver haben Sie ja genügend bei sich.«

Es war dem Herzog natürlich kein Ernst mit diesem Vorschlag, er wollte den Franzosen nur einmal in Verlegenheit bringen und erreichte dies auch wirklich.

Derselbe verlor mit einem Male seine rote Gesichtsfarbe, wurde bleich und begann nervös mit dem roten Taschentuch im Gesicht zu wischen.

»Das ist gegen die Gesetze,« brachte er stammelnd hervor.

»In Afrika gibt es keine Gesetze, welche das Duell verbieten,« lächelte Chaushilm.

»Wir haben keine Sekundanten.«

»Ich brauche auch keine.«

»Aber ich.«

»Ich nicht,« beharrte Chaushilm, »und wenn Sie sich nicht mit mir duellieren wollen, so sehe ich mich genötigt, Sie über den Haufen zu schießen, denn ich behaupte, daß ich den Hirsch tödlich getroffen habe, daß er mir ebensogut wie Ihnen gehört.«

»Ich trete Ihnen die Hälfte ab,« stöhnte der Franzose.

»Damit ist mir nicht gedient, einer von uns beiden muß ihn ganz haben.«

»Ich schenke Ihnen denselben ganz.« »Ich nehme nichts geschenkt an, ziehen Sie den Revolver und nehmen Sie Stellung!«

»Ich gebe jeden Anspruch an den Hirsch auf,« jammerte der zur Verzweiflung gebrachte Franzose. Er konnte den kalten Blick des jungen Mannes nicht mehr ertragen.

»Gut,« sagte Chaushilm und steckte den Revolver wieder ein, »damit Sie aber später nicht sagen können,' ich hätte Sie durch Einjagung von Furcht gezwungen, mir den Hirsch zu überlassen, so gebe ich Ihnen noch einmal Gelegenheit, sich in den Besitz des Hirsches zu bringen. Sehen Sie dort die drei Früchte nebeneinander an dem Baume hängen?«

Der Franzose folgte mit den Blicken der angedeuteten Richtung und bejahte, dabei erleichtert aufatmend.

Nicht weit von ihnen, dicht au der Waldlichtung, auf welcher die wenigen Hütten standen, befand sich ein Baum, an welchem nebeneinander drei Gegenstände hingen, etwa wie Kokosnüsse aussehend, obgleich der Baum keine Kokospalme war.

Die beiden kannten die afrikanische Flora nur wenig, und so zerbrachen sie sich auch jetzt nicht die Köpfe, was das für Früchte seien.

»Jeder von uns hat drei Kugeln,« fuhr Chaushilm fort, »Sprengkugeln sind jedoch ausgeschlossen, und wer die meisten von den Früchten zerschießt, dem gehört der Hirsch. Ich will Ihnen den ersten Schuß lassen. Sind Sie damit einverstanden?«

Der Franzose war es, er nahm das zwei Meters lange Gewehr vom Rücken, legte den Lauf gegen einen Baumstamm, zielte lange und schoß.

Keine Frucht bewegte sich auch nur.

Sofort riß Chaushilm das Gewehr an die Wange, schoß dreimal schnell hintereinander und alle drei Früchte waren vom Baume verschwunden, sie waren in Atomen zersplittert.

Die drei peitschenähnlichen Knalle des vorzüglichen Gewehrs erzeugten diesmal zwar kein solches Echo wie vorhin, dafür aber erschallte eben von da, wo der Baum mit den Früchten stand, ein entsetzliches Geheul, plötzlich sahen die beiden aus dem Grase unter dem Baume wohl zwanzig schwarze Gestalten aufspringen und mit Brüllen und Heulen auf sie zustürzen.

Der Franzose war gescheiter, als der kaltblütige Engländer, denn während dieser erstaunt die ankommenden Schwarzen betrachtete, rannte er in voller Karriere in den Wald zurück, seinen Kameraden im Stich lassend.

Es war ein Fehler von Chaushilm, daß er zu phlegmatisch war; sein Phlegma wurde für Kaltblütigkeit genommen, er machte sich aus einer Gefahr gar nichts und tat auch gewöhnlich nicht viel, um sie abzuwenden, wenigstens so lange nur sein eigenes Leben in Betracht kam.

So erwartete er auch jetzt erstaunt die brüllenden Schwarzen und grübelte darüber nach, was die Ursache dieses Schreiens wohl sein möchte. Daß sie feindliches gegen ihn im Sinne hatten, daran dachte er noch gar nicht, denn bis jetzt hatte er die Neger in Dahomeh immer als friedliche Menschen kennen gelernt.

Zu spät hub er die Büchse, zu spät griff er nach dem Revolver, ehe er nur zur Besinnung kam, daß ihm diese Neger wirklich ans Leben wollten, lag er schon am Boden, bekam einige Fußtritte und außerdem wurden ihm trotz heftiger Gegenwehr die Waffen entrissen und ihm mit seinem eigenen Gürtel die Hände gebunden.

Chaushilm war unfähig, ein Glied zu rühren; wie ein Alp kniete ein riesiger Neger auf seiner Brust und hinderte ihn am Aufstehen, aber nicht am Sprechen,

»Verfluchte Halunken,« brüllte der Marquis, »wollt ihr mich loslassen! Ihr Banditen, Straßenräuber, Buschneger, Hottentotten.«

Die Neger kümmerten sich nicht um die Flüche und Schimpfworte des Herzogs, sie rissen den Gebundenen empor und schleppten ihn mit roher Gewalt nach dem Baume, auf dem die abgeschossenen Früchte gehangen hatten, und der mit den Zähnen knirschende Marquis mußte es sich ruhig gefallen lassen, daß er ab und zu einen Fußtritt erhielt. Gern hätte er ihn wieder zurückgegeben, aber er hatte seine Füße nicht frei, er wurde getragen.

Ehe er nur richtig zur Besinnung kam, stand er schon unter jenem Baume auf seinen Füßen, aber mit gebunden Händen, vor ihm stand der große Neger und fuchtelte mit beiden Fäusten unter Chaushilms Nase herum und brüllte ihm mit wutverzerrten Mienen etwas zu, was der Engländer natürlich nicht verstand.

Aber er erriet, daß es nichts Gutes war, auch die Umstehenden, jetzt wohl schon dreißig Männer, zeigten grimmige Gesichter, und die aus den Hütten kommenden Eingeborenen, Frauen und Kinder nahmen, jedesmal, wenn die ersten in die Aeste des Baumes und dann auf den Gefangenen gedeutet hatten, denselben Ausdruck des Entsetzens und Abscheues an.

Aus dem entrüsteten Geschrei vernahm Chaushilm nur zwei Worte deutlich, das eine lautete Musungu, das andere Nganga, und so viel wußte Chaushilm schon, daß Musungu Europäer, Fremde bedeutete, Uganga aber Medizin.

»Medizin,« dachte er, »was habe ich mit Medizin zu schaffen?«

Der Neger vor ihm wollte eine Antwort aus ihm herausbringen, so viel war klar, nur schade, daß er die Frage nicht verstand. Dann aber, als der ungestüme Sprecher wiederholt nach den Zweigen deutete, an denen vorhin die Früchte gehangen hatten, und dabei immer das Wort Uganga aussprach, wurde es Chaushilm plötzlich klar, was für eines Vergehens er sich schuldig gemacht hatte.

An dem neben ihm stehenden Baume sah er noch ebensolche Früchte hängen, von hier aus aber konnte er erkennen, daß die vermeintlichen Kokosnüsse Menschenschädel waren, und die drei, welche er abgeschossen hatte, waren wahrscheinlich den Negern etwas Heiliges gewesen, denn alles Heilige bezeichnen diese Eingeborenen mit Medizin, mit Dowa oder Uganga.

Die Sache ließ sich nicht mehr ändern; Chaushilm zuckte mit den Achseln, als aber der Neger nicht nachließ, ihn anzuschreien, da brüllte er ihn ebenfalls recht vernehmlich an.

Die Folge davon war, daß der Neger sofort den Arm zum Schlage ausholte, um dem Musungu eins auf den Kopf zu geben. Ehe aber noch die Faust dessen Gesicht berührte, erhielt er von Chaushilm einen Fußtritt, der ihn der Länge nach ins Gras warf.

Ein furchtbarer Tumult entstand. Alle stürzten auf den Unglücklichen zu, und ehe er wußte, was man mit ihm eigentlich vorhatte, fühlte er plötzlich ein Hanfseil sich um seinen Nacken legen, und während der wieder aufgestandene Neger mit fürchterlichem Schimpfen und Schreien auf ihn zutrat, sich aber sorgfältig außer dem Bereiche der Füße hielt, kletterte schon ein Negerjunge mit dem Ende des Strickes auf den Baum.

Chaushilm hatte noch immer Hoffnung auf seine Freunde gesetzt, welche von dem Franzosen sein Schicksal erfahren mußten, jetzt aber sah er diese Hoffnung schwinden, die Strafe für das Verbrechen, eine Medizin vernichtet zu haben, sollte nicht aufgeschoben, sondern die Exekution sofort an ihm vollzogen werden.

Schon kletterte der Negerjunge auf einen Ast, schlang das Seil um denselben und warf das Ende den Untenstehenden zu, die es sofort ergriffen und daran zu ziehen begannen.

Hilfesuchend ließ der Marquis die stieren Augen im Kreise herumwandern, er blickte überall nur in schadenfrohe oder unwillige Gesichter. Doch nein, dort stand eine Gestalt, die Arme übereinander geschlagen, welche den Unglücklichen mit einem ganz seltsamen Ausdruck betrachtete. Es war ein Weib, die Brust unbedeckt und den Unterkörper nur bis zu den Knien verhüllt. So konnte mau die Arme und die Schultern sehen, welche wie aus Erz gegossen waren, wunderbar ausgebildet, wie zum Körper eines Athleten gehörend, und doch harmonisch schön. In dem bronzefarbenen Gesicht lag ein seltsamer, unerklärlicher Ausdruck, halb Trotz, halb Verlangen, und die wie Kohlen funkelnden Augen waren unverwandt auf die hübschen, etwas weichen Züge des Engländers gerichtet, welche jetzt mit Todesblässe bedeckt waren, wodurch das sonst schon interessante Gesicht noch anziehender gemacht wurde.

Auch Chaushilm hatte dieses Weib gesehen, er erkannte in ihr sofort eine jener Amazonen, und plötzlich glaubte er in jenem Mädchen Yamyhla zu erkennen.

Schon fühlte er, wie die Schlinge seinen Hals würgte, seine Füße verloren den Halt – er wurde von den Negern am Aste emporgezogen.

»Yamyhla,« schrie er mit heiserer Stimme jener Gestalt zu.

Es wäre beinahe sein letztes Wort gewesen, denn schon hing er in der Luft, aber schneller als ein Gedanke sprang da plötzlich die Amazone auf ihn zu, ein Hieb mit einem blitzenden Stahl, und Chaushilm fiel wie ein Kind in des Mädchens kräftigen Arm.

Der Gerettete ward nicht ohnmächtig, er fühlte sich fest an den nackten Busen des Weibes gedrückt, als wolle es ihn schützen; er hörte, wie unter den Umstehenden erst ein unwilliges Murmeln entstand, welches dann in laute Entrüstung überging, und er sah, wie der Neger, der ihn hatte schlagen wollen, mit lebhaften Gestikulationen und Schreien auf das Mädchen zutrat, als wolle er ihm die Beute entreißen.

Da stellte die Amazone plötzlich ihren Schützling auf die Füße, ein kleines Schwert blitzte in ihrer Hand, und mit dem Satze eines Panthers stand sie mit einem Male vor dem Neger, ihn an die Kehle fassend und die Waffe zum Stoße erhebend.

Doch sie stieß nicht zu, sie ließ den Neger entsetzt zurückweichen, dann steckte sie das Schwert in den Gürtel, richtete sich hoch auf, deutete erst stolz auf sich, dann auf den Gefangenen und sprach dazu einige Worte.

Dem unwilligen Geschrei war eine tiefe Stille gefolgt, Chaushilm sah, was für verwunderte Gesichter die Umstehenden zogen, aber plötzlich verklärten sie sich wie vor Freude, und ein vielstimmiges Jubelrufen brach los.

Einige Neger rannten nach dem Dorfe und kamen mit zwei irdenen Krügen mit langen Hälsen zurück, wovon der eine Chaushilm in die Hand gedrückt wurde, während die Amazone den anderen Krug nahm. Sie trat auf Chaushilm zu, welcher, den Krug in der ausgestreckten Hand haltend, ganz fassungslos dastand, sie hob den ihrigen, ein Schlag – und beide Krüge lagen als Scherben im Grase.

Noch einmal gellte ein unendliches Jubelgeschrei dem Herzog in die Ohren, dann hob ihn das Mädchen wie ein Kind auf den Armen in die Höhe, legte ihn so zärtlich, als wäre er wirklich ihr Kind, an ihre Brust, und eilte dann mit hastigen Schritten den Hütten zu.

Chaushilm glaubte zu träumen, jedenfalls hatte er keine Ahnung, was das alles bedeuten sollte.

Das erste, was er tat, als er einigermaßen zu sich kam, war, daß er sich aus den Armen des Mädchen zu befreien suchte, denn ein eigentümliches Schamgefühl beschlich ihn, als er wie ein Kind von dem jungen Weibe fortgetragen wurde.

Allein vergebens stemmte er sich mit beiden Händen gegen die Ebenholzschultern, das Mädchen drückte ihn nur noch fester an die Brust, und zwar mit einer solchen Kraft, daß Chaushilm nachgeben mußte, wollte er sich nicht die Rippen zerquetschen lassen. Schließlich fügte er sich in die komische Situation, stellte das Zappeln und Beinstrampeln ein und saß nun wie ein artiges Kind auf den Armen des Mädchens, welches ihn, umringt von der johlenden Menge, nach dem Dorfe trug und dann mit ihm in eine Hütte trat, sich dabei tief bückend, daß der Kopf ihres Schützlings nicht mit dem Türrahmen in Kollision geriete.

Sorgsam legte sie die Last auf ein mit Bast überflochtenes Bett, und Chaushilm, von der überstandenen Todesangst und den vielfachen Abenteuern erschöpft, blieb ruhig liegen, nur flüchtig das Innere der Hütte musternd.

Sie unterschied sich auch nicht viel von denen, welche er bis jetzt in Augenschein genommen, nur daß an den Wänden mehr Waffen, und alle in sehr gutem Zustande, hingen, und daß die Lanzen, Schwerter, Bogen und Schilde alle mit Verzierungen und Stickereien geschmückt waren. Außer diesem Bett befanden sich noch einige Ochsenschädel im Gemach, vielleicht als Sitze dienend, einige Decken und einiges Küchengeschirr.

Ob hier nun dieses Weib oder auch ein Mann, vielleicht ihr Gatte, wohne, konnte er nicht unterscheiden, denn die Dahomehneger unterscheiden sich nicht durch verschiedene Kleidung im Geschlecht, ein Stück Zeug um Unterkörper oder gar nur um die Lende, ob Mann oder Weib, ist gleichgültig, das ist alles und ihnen völlig genügend.

Die Dahomeh hatte sich ebenfalls aufs Bett gesetzt und leise zu dem Engländer gesprochen, als dieser aber nicht antwortete, ergriff sie plötzlich mit der einen Hand die seinige, mit der anderen die Schulter und rüttelte ihn heftig, so daß Chaushilm veranlaßt wurde, in das Gesicht des Mädchen zu sehen.

Er blickte in ein Paar feurige Augen, die ihn wie glühende Kohlen anfunkelten und vortrefflich zu diesen wilden Zügen paßten. Chaushilm war ein Kenner von Frauenschönheit, und so sah er auch jetzt, daß dieses Mädchen wirklich schön war, aber der Ausdruck, der in dem bronzefarbenen Gesicht lag, war ihm zu leidenschaftlich, ihm graute vor dieser Wildheit.

»Teufel,« dachte er, während die Negerin fortfuhr, leise, aber hastig auf ihn einzusprechen, »was will sie von dir? Will sie dich zum Abendbrot verspeisen oder mit dir wie mit einer Puppe spielen?«

Letzteres schien ihm wahrscheinlicher, denn diesem starken Weibe gegenüber kam er sich wirklich wie eine Puppe vor, und plötzlich schlang die Schwarze ihre Arme um ihn, zog ihn empor und drückte ihn wieder an ihre Brust.

Chaushilm blickte ihr abermals ins Auge und bemerkte darin ein seltsames Funkeln.

War das Weib verrückt? Es begann ihm zu grauen. An Flucht war nicht zu denken, jeder Griff dieses Mädchens belehrte ihn davon, daß sie ihre Finger wie Schraubzangen verwenden konnte. Waffen hatte er nicht, und jene dort an den Wänden hängenden verstand er nicht zu gebrauchen, die Amazone aber war mit ihnen vertraut.

Das Mädchen sprach fortwährend zu ihm, bald flüsternd, langsam, bald hastig, dann wieder freundlich, und streichelte ihm zärtlich die Wangen, dabei seltsame Mundbewegungen machend, gerade, als wollte sie küssen.

Der Marquis schüttelte verneinend den Kopf und zuckte mit den Schultern, um auszudrücken, daß er nichts verstehen könne.

Da nahm des Mädchens Gesicht plötzlich einen sinnenden Ausdruck an, sie sprang auf und eilte hinaus, Chaushilm hörte aber noch, wie von außen etwas Schweres gegen die Tür gelegt wurde.

Sofort sprang auch er auf und versuchte die Tür zu öffnen, aber vergebens, sie spottete seiner Anstrengungen.

»Du lieber Himmel,« seufzte er auf, »jetzt hat das Weib vielleicht einen Felsblock vor die Tür gewälzt, sie scheint ja eine wahre Titanin zu sein. Was will sie nur von mir?«

Er blickte umher, eine Flucht war hier nicht möglich, denn brach er mit Gewalt durch die Lehmwände, so würde man ihn sofort bemerkt haben, und ebenso, wenn er den Ausweg durch das Loch in der Decke, den Rauchabzug, genommen hätte. Es war anzunehmen, daß Neugierige die Hütte umstanden und bewachten.

»Was will sie nur von mir?« dachte Chaushilm wieder. »Mit mir spielen? Oder will sie mich gar heiraten?« Plötzlich blieb der Herzog stehen und schlug sich vor die Stirn.

»Heiliger Gott,« rief er, »Chaushilm, du schlauer Kerl, was bist du doch für ein Esel, natürlich, so ist es, sie ist ja auch nur ein Mädchen und –«

Chaushilm mußte in seinem Selbstgespräch abbrechen, mochte es freundliche oder traurige Gedanken verraten, denn die Tür öffnete sich wieder, und die Dahomeh trat ein, eine alte Negerin an der Hand nach sich schleppend.

Um nicht abermals wie ein Kind auf das Bett gelegt zu werden, setzte sich Chaushilm sofort langsam auf das Lager, neben ihm nahm die Amazone Platz und sprach zu dem alten Weibe, dabei auf den Engländer deutend.

Die Alte nickte eifrig und sagte dann zu Chaushilm in sehr mangelhaftem, aber doch verständlichem Englisch:

»Du bist Kasegoras Mann.«

Chaushilm glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

»Wessen Mann?« fragte er verblüfft.

»Dieser,« antwortete das Weib, auf die Dahomeh deutend, »sie ist eine tapfere Manyara (Amazone) und hat dich vom Tode errettet. Du solltest gehängt werden, weil du die große Medizin entzwei gemacht hast, aber Kasegora hat dich geheiratet.«

Chaushilm konnte vor Schrecken erst gar nichts sagen, aber er hatte schnell seine Fassung wiedergewonnen, so viel sah er ein, sein Leben war nicht mehr in Gefahr, und sein angeborener Humor kam langsam wieder zurück.

»Ich soll diese Frau hier geheiratet haben?« rief er. »Ist mir nicht eingefallen.«

Da sagte die Alte unwillig: »Du kannst eine solche überhaupt nicht heiraten. Sie hat mit dir die Krüge zerschlagen. Ist das nicht so, Fremder?«

Und geheimnisvoll fügte sie hinzu:

»Du kannst froh sein, Kasegora ist reich und mächtig, sie kommt gleich hinter Simbawenni. Freue dich, Musungu, daß sie dich liebt, sonst wärest du schon tot, denn du hast die Medizin schwer beleidigt.«

»Ich will aber nicht ihr Mann sein.«

»Du mußt,« rief das Weib entschieden und sprach dann mit der Dahomeh, welche mit entzücktem Lächeln der Stimme des Engländers gelauscht hatte. Aber bei der Rede der Alten zog sich ihr Gesicht in finstere Falten.

Doch gleich glättete es sich wieder, sie näherte ihr Gesicht dem Manne, legte beide Hände auf dessen Schultern und sagte etwas zu ihm.

Chaushilm blickte unruhig in ihre flammenden Augen.

»Du sollst sie küssen,« rief die Alte.

Der Herzog rührte sich nicht, auch nicht, als die nahen Augen immer drohender zu funkeln begannen.

»Seltsame Situation,« dachte Chaushilm, der Ruhe, Gleichmut, Humor und sein gewöhnliches Pflegma wiedergefunden hatte, »will doch einmal sehen, wie sich so ein schwarzes Mädchen benimmt, wenn sie keine Gegenliebe findet.«

Er beachtete nicht, wie die Dahomeh den Mund wie zum Küssen spitzte. Plötzlich aber zog sie den Kopf zurück, wendete ihr Gesicht der Alten zu und sprach mit ihr.

»Kasegora fragt,« sagte die Alte zu Chaushilm, »ob du weißt, daß sie dich liebt.«

»Ja, das merke ich.«

»Ob du weißt, daß du sie küssen sollst.«

»Ja, aber sie bekommt von mir keinen Kuß.«

Wieder sprach die Alte zu Kasegora und entfernte sich auf eine gebieterische Handbewegung der Amazone aus der Hütte.

Jetzt waren beide allein, und dem armen Herzog wurde es etwas beklommen.

Das Mädchen nahm wieder dieselbe Stellung ein wie vorhin, legte ihm die Hände auf die Schultern, und näherte ihren Mund dem seinen, einen Kuß erwartend,

Chaushilm blieb sitzen ohne sich zu bewegen.

Die Amazone zog sich etwas zurück, schaute den Engländer mit seltsamem Ausdruck der Augen, halb leidenschaftlich, halb zornig an, zog dann langsam einen Dolch aus dem Gürtel und setzte die Spitze dem Marquis auf die Herzgegend, sich dabei wieder zum Kusse vorbeugend.

Es lag in dem bronzenen Gesicht eine so furchtbare Entschlossenheit, daß der Herzog sofort alles Zögern aufgab – ein lauter Knall verriet, daß die Amazone ihren Zweck erreicht hatte.

Mit einem Ruck war der Dolch wieder im Gürtel, hastig schlug das Mädchen beide Arme um den Engländer, und da der Bann nun einmal gebrochen war, so duldete er nicht nur die heißen Küsse der Negerin, sondern erwiderte sie auch.

Zum zweiten Male wollte er nicht mit der Spitze des Dolches gekitzelt werden, und da er schon von Yamyhla her den heißblütigen, entschlossenen Charakter dieser Amazonen kannte, so wagte er nicht mehr, sich den Liebkosungen zu widersetzen.

Je öfter ihn das Mädchen umschlang und ihn an ihren Busen drückte, je öfter ihre vollen Lippen die seinen berührten, umsomehr mußte sich der Marquis gestehen, daß Kasegora, um in seiner Sprache zu reden, ›gar kein so unrechtes Mädel wäre‹, als Schwarze wenigstens nicht. Hätte dieselbe Figur mit den kräftigen Gliedern, den Muskeln und den wilden Zügen, den funkelnden Augen, eine weiße Haut gehabt, so hätte er einen Widerwillen gegen sie empfunden, aber so ...

Chaushilm küßte leidenschaftlich und gedachte schon mit Entzücken an spätere Zeiten, da er im Kreise seiner Kameraden, ja, sogar im Salon eleganten Ladies gegenüber von dieser süßen Schäferstunde erzählen konnte, denn wegen so etwas braucht man sich ja heutzutage nicht mehr zu schämen, man kann es ruhig bekannt geben, ohne seiner Ehre zu schaden, ja, ohne den Anstand zu verletzen.

Wie im Fluge verflossen die Stunden; Kasegora wurde nicht müde, ihren selbstgewählten Gemahl zu küssen, aber bei Chaushilm wurde das Gefühl der Liebe mit der untergehenden Sonne abgelöst – von dem des Hungers.

Leicht gelang es ihm, der Amazone verständlich zu machen, daß, nachdem das Herz gesättigt sei, auch der Magen sein Recht begehre; Kasegora nickte, pochte mit einem Lanzenschaft gegen die Lehmwand, und sofort erschien ein Negerjunge, der sich nach den Befehlen der Amazone erkundigte.

»Kasegora ist kein gewöhnliches Weib,« dachte Chaushilm mit philosophischem Humor; »sie hat Bedienung. Vielleicht nimmt sie gar etwa die Stellung einer Herzogin in Dahomeh ein, und so wäre sie mir also vollkommen ebenbürtig. Hm, hm! Da hätte ich gar keine so schlechte Partie gemacht – schade, daß wir uns vorläufig nur durch Küsse verständigen können.«

Der Junge brachte Hammelfleisch, die Keule eines Hirsches, Yams, jene in Afrika überall vorkommende Kartoffelart, und eine Schüssel mit Durra, stellte alles auf den Boden und verschwand dann wieder.

Kasegora begann sogleich mit der Zubereitung des Abendessens, und nachdem sie ein Holzfeuer angemacht, und einen Kessel darauf gestellt hatte, machte sie sich an das Schälen der Yams. Chaushilm fing einen liebevollen Blick auf, und ob er ihn richtig gedeutet hatte oder nicht, er setzte sich neben seine Gemahlin und begann ebenfalls die weißen Wurzeln abzuschälen.

Zum ersten Male fielen ihm bei dieser Beschäftigung seine Freunde wieder ein.

»Was mögen sie wohl denken, wo ich geblieben bin?« dachte er. »Sicher hat ihnen der Franzose erzählt, daß mich die Neger gefangen haben, und nicht lange wird es dauern, so werden sie hierherkommen, mich suchen, finden und abholen. Wird mich meine Frau aber auch gehen lassen?

Er warf einen Blick auf die Amazone, welche eben das Fleisch zum Braten über das Feuer hing. Es war schon dunkel, der Flammenschein das einzige Licht, und es beleuchtete die Züge Kasegoras mit wundervoller Klarheit. Alles an diesem ernsten, ja drohenden, aber doch schönen Gesicht drückte Wildheit, Leidenschaft und eine nie zu beugende Energie aus.

»Gutwillig gibt dieses Mädchen den nicht her, den es liebt,« seufzte Chaushilm.

Kasegora versuchte wieder ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, nicht achtend, daß er sie gar nicht verstand. Er hörte nur manchmal das Wort, Yamyhla, welches sie, den anderen Lauten gegenüber, ganz besonders schmelzend und lächelnd aussprach. Das Lächeln verschönte ihr Gesicht noch mehr, es gab ihr einen sanfteren, weiblicheren Ausdruck.

Chaushilm nickte lebhaft und wiederholte den Namen Yamyhla, sprach sich aber nicht näher darüber aus, er konnte sich doch nicht verständlich machen, durfte es auch gar nicht.

Dann nannte er, um seine Kenntnis zu zeigen, auch den Namen Simbawenni, und da schleuderte sie plötzlich die Axt, mit der sie eben Holz spaltete, heftig zu Boden, riß den Dolch aus dem Gürtel und trat mit so drohender Gebärde auf den Engländer zu, daß dieser unwillkürlich einige Schritte zurückwich.

Er beeilte sich, solche Gesten zu machen, welche seinen Abscheu gegen Simbawenni ausdrücken sollten, sehr richtig ahnend, daß diese eine Feindin dieses Mädchens sei, und Kasegora änderte auch sofort ihre Miene, zeigte einige Male, wie sehr sie die zukünftige Anführerin der Amazonen, das Mädchen, welches ihre Gebieterin werden sollte, haßte, und sprach dann mehrere Male zärtlich und zugleich demütig das Wort Yamyhla aus. Auf diese Weise unterhielten sie sich, bis das Abendessen fertig war, Kasegora legte dem Geliebten auf einem Holzteller die saftigsten Stücke des Hammel- und Hirschbratens vor, füllte ihn mit Maiskuchen, Durrafladen und Yamswurzeln und nötigte den Engländer zum Zulangen.

Chaushilm war völlig bei guter Laune; kamen seine Freunde nicht schon heute, so doch morgen auf jeden Fall, denn sie wollten ja der Festlichkeit der Amazonen beiwohnen. Er freute sich ganz ungeheuer auf das Wiedersehen der Freunde, besonders, wenn er daran dachte, wie sie bei der Erzählung seines romantischen Abenteuers staunen würden. Er langte wacker mit den Fingern zu und ließ sich das Essen köstlich schmecken.

Sie waren beide noch dabei, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein anderes Mädchen eintrat, eine zweite Amazone des Königs. Sie war kleiner, schlanker und zierlicher gebaut, als Yamyhla und Kasegora, aber dennoch kräftig, und hatte ein bedeutend schöneres Gesicht als diese beiden aufzuweisen, weniger wild, aber die Züge, die Lippen und die Augen ließen auf große Sinnlichkeit schließen.

Kasegora war bei ihrem Eintritt aufgesprungen und starrte das Mädchen an, welches, die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen finster auf den am Boden sitzenden Engländer gerichtet hatte.

Dann begegneten sich die Augen beider Mädchen; stumm standen sie sich beide eine kurze Zeitlang gegenüber, bis die neue Amazone langsam und in bestimmtem Tone etwas zu Kasegora sagte, dabei auf Chaushilm deutend, welcher ruhig an seinem Hammelknochen weiternagte.

Kasegora antwortete auf diese Frage oder den Befehl mit einem verneinenden Kopfschütteln, ihre Augen glühten dabei unheimlich auf, und als die Worte in noch schärferem Tone wiederholt wurden, gab sie eine heftige Antwort. Chaushilms Interesse wurde jetzt so groß, daß er das Benagen des Hammelkotelettes aufgab, denn die neue Dahomeh war verschiedene Male mit Simbawenni angeredet worden. Dies war also die zukünftige Anführerin der Amazonen, der zu Ehren so großartige Festlichkeiten gegeben werden sollten, für die Tausende von Hammeln, Ziegen, Kälber u. s. w, geschlachtet wurden, auf deren Gesundheit morgen abend, hunderttausend Dahomehneger sich bis zur vollkommenen Besinnungslosigkeit im Pembe berauschten. Schön war sie, aber Kasegora war ihm doch lieber.

»So sind die Mädchen alle,« dachte der philosophische Chaushilm und begann wieder am Kotelettknochen zu nagen. »Simbawenni hat gehört, daß Kasegora einen schönen, jungen Mann als Geliebten bekommen, der sogar eine weiße Haut hat, und gleich wird sie eifersüchtig und will ihn haben.«

Aber das Gespräch zwischen beiden Amazonen wurde hitziger.

Simbawenni mußte etwas gesagt haben, was Kasegora beleidigte; diese brauste auf, und als Simbawenni einen Schritt in die Hütte eintrat, da riß Kasegora plötzlich einen Speer von der Wand herab, holte wie zum Wurfe aus und wies gebieterisch nach der Tür. Ihr Blick war furchtbar, er glich dem der gereizten Löwin, welche ihre Jungen beschützt.

Noch einmal sagte Simbawenni etwas in ruhigem, aber energischen Tone, dabei wieder auf Chaushilm deutend, dann wandte sie sich und verließ die Hütte, die Tür hinter sich zuschmetternd.

Lauge stand Kasegora so da, den Speer erhoben, mit funkelnden Augen und wildwogender Brust. Dann schleuderte sie plötzlich mit furchtbarer Kraft den Speer gegen die Tür, so daß die Spitze durch das Holz fuhr und erst der Schaft den Wurf hemmte, und wandte sich zu ihrem Geliebten.

Sie sprach leise und schnell zu ihm, faßte ihn an der Hand, zog ihn empor und deutete nach der Tür, machte die Gebärde des Gehens und zog ihn mit sich fort.

Chaushilm hatte begriffen, er sollte mit ihr fortgehen. Doch er zögerte. Er mußte seine Freunde hier erwarten.

Die Amazone gab sich keine Mühe mehr, ihn zum Fortgehen zu bewegen, sie hing sich Köcher und Pfeile um, gürtete ein kleines, krummes Schwert um die schlanken Hüften und nahm in die linke Hand einen Bündel Speere und die Lanze. Nachdem sie sich noch den hohen, mit Büffelhaut überspannten Schild auf dem Rücken befestigt hatte, wandte sie sich noch einmal an den Engländer, ihn zum Verlassen der Hütte zu bewegen. Als er abermals andeutete, hierbleiben zu wollen, umschlang sie ihn plötzlich, setzte ihn mit einem Ruck auf den Arm und verließ die Hütte, in rasendem Lauf durch die Dorfgasse jagend, dem Platze zu, wo die Pferde angepflockt standen. –


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