Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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26.

Monsieur Pontence.

Unter denen, welche im Lager zurückgeblieben waren, befanden sich auch Hannes und Hope. Ersterer war ein Feind vom Reiten, nur in der äußersten Not bestieg er »so ein schlingerndes und stampfendes Fahrzeug«, womit er ein Pferd meinte, »welches mit dem Klüverbaum hin- und herwackelt und mit dem Heck wedelt.« Und da Hannes zurückblieb, so verließ auch Hope das Lager nicht, denn trotzdem sie während der ganzen Karawanenreise zusammen gewesen waren, hatten sie sich doch immer noch etwas zu erzählen.

Beide saßen jetzt auf einem Baumstamm, Hope strickte, aber nicht etwa einen Strumpf, sondern nach allen Regeln der Kunst an einem engmaschigen Netz, mit dem sie diese Nacht den nebenanströmenden Fluß auf wohlschmeckende Fische untersuchen wollte, Hannes hatte eine ebenso nützliche Beschäftigung vor, er hatte vor sich auf dem Baumstamm seinen ganzen Reichtum von angerauchten Kalipfeifen, die er während einiger Jahre sorgfältig gesammelt hatte, ausgebreitet und kratzte die treuen Begleiter seiner Seereisen mit einem Messer aus.

»Möchte nur wissen,« sagte Hannes und blickte zur Seite, wo zwischen zwei Bäumen Monsieur Poutence hantierte, »was dieser Franzose eigentlich macht. Will er mit dem Dinge da Fische fangen? Dann müssen es aber mächtig große sein, die nicht durch dieses Netz schlüpfen können.«

Nämlich Monsieur Pontence war ebenfalls im Begriff, eine Art von Netz herzustellen. Er hatte zwischen den zwei Bäumen eine Menge Stricke gespannt und versuchte nun, senkrechte Stricke hindurchzuflechten, wodurch ein Netz entstand, aber mit so großen Maschen, daß er bequem seinen dicken Kopf hindurchstecken konnte. Doch da er in derartigen Tauarbeiten ganz unerfahren war, so bekamen in der Verbindungsstelle die Stricke keinen Halt, keine Schleife hielt, und hätte er Knoten gemacht, so hinderten ihn diese, den nachfolgenden zu schürzen. Außerdem versah er sich immer im Durchstecken und mußte von neuem beginnen, kurz und gut, er kam nicht weiter. »Ich glaube, er wollte ein Spinnennetz machen,« lachte Hope leise. »Das müßte ausgezeichnet aussehen, wenn sich das dicke Kerlchen dann hineinsetzt und an den Maschen hin- und herkriecht.«

»Aehnlichkeit mit einer Kreuzspinne hat er sowieso,« meinte Hannes, »er würde sich wirklich sehr gut dazu eignen.«

Der Franzose hatte bemerkt, daß ihn die beiden beobachteten, und blickte nun auch seinerseits manchmal hinüber. Er sah, daß Hope gleichfalls an einem Netz arbeitete, und daß ihr Hannes ab und zu Anweisung gab, wie sie den Bindfaden und die hölzerne Nadel zu führen habe. Er selbst kam mit seinem Flechtwerk durchaus nicht zu stande, es wurde immer jämmerlicher. Jene aber mußten mit so etwas Bescheid wissen, die konnten ihm sicher helfen.

Monsieur Pontence kannte Hope recht gut, sie hielt sich immer viel in seiner Nähe auf, aber schließlich kam es ihm doch vor, als ob das junge Mädchen ihn nur zur Zielscheibe des Spottes mache. Seit jener Zeit hatte er Hope soviel wie möglich gemieden, er redete sich zwar aus, daß mit ihm, dem Hauptmann der Bürgerwehr, überhaupt Spott getrieben werden könne, dazu hatte er eine viel zu hohe Meinung von sich, aber es war etwas an dem jungen Mädchen, das ihn fernhielt, ohne daß er wußte, daß es einfach die geistige Ueberlegenheit war, die sie ihm gegenüber oft zeigte.

Mit Hannes hatte der Franzose gar keinen Umgang. Er hielt ihn für einen Seemann und für den Diener von Sir Williams, und dies bestätigte sich, je mehr er ihn für diesen Herrn Dienstleistungen verrichten sah.

Hope konnte er nicht gut bitten, ihm zu helfen, er hatte überhaupt vor diesen reichen, stolzen Amerikanerinnen einen großen Respekt, aber da war ja Hannes, wie er ihn immer rufen hörte.

»Jean,« rief der kleine Franzose also hinüber, »komm einmal her, aber schnell!« Die beiden unterhielten sich ruhig weiter.

»Jean, hörst du nicht? Komm einmal zu mir, du sollst mir etwas helfen.«

»Hannes, der meint dich,« sagte Hope zu ihrem Gefährten, »er sieht ja dabei hierher.«

»Mich?« rief Hannes erstaunt, der ziemlich gut Französisch verstand und sprach. »Ich denke, er ruft seinen Diener, den Negerjungen. Ist der Kerl verrückt?«

»Hölle und Teufel!« schrie der Franzose jetzt, über seine Mißerfolge sowieso schon wütend, und stampfte mit dem Fuße auf. »Komm her, Bursche, wenn ich dich rufe!«

»Alle Wetter,« sagte Hannes und stand auf, »da muß ich aber schnell machen, daß ich hinkomme, sonst frißt er mich mit Haut und Haaren auf.«

Langsam, die Hände in der Hosentasche, die Kalkpfeife im Munde, schlenderte er auf den Franzosen zu.

»Jean,« sagte dieser, »du kannst doch Netze flechten! Zeig' mir einmal, wie man die Querstricke an den Dingern befestigt.«

Hannes antwortete nichts, sondern blieb ruhig stehen, und dieses Schweigen veranlaßte den Franzosen, seinen Blick von dem Netz weg nach dem Gerufenen zu wenden. Er blickte in ein gar grimmiges Gesicht und in ein Paar zornige Augen, so schrecklich anzusehen, daß er erschrocken einen Schritt zurücktrat.

»Sagen Sie einmal, Monsieur Nonsense oder Pontence,« begann Hannes ganz ruhig, »Sie sind wohl heute morgen mit dem verkehrten Beine aufgestanden, oder haben Sie kalte Füße, heh? Was fällt Ihnen denn eigentlich ein, Sie dummer Pinsel Sie, heh?«

Hannes sah sich um. Niemand war in der Nähe.

»Wissen Sie, wer ich eigentlich bin?« fuhr er dann donnernd fort, die Pfeife aus dem Munde nehmend. »Ich bin Johannes, Freiherr von, auf und zu Schwarzburg, Kaiserlich, Königlicher Geheim-Sekretär Seiner Hoheit des Fürsten von Greiz-Schleiz-Lobenstein, und Sie haben mich einfach Excellenz zu nennen. Und wissen Sie, was Sie sind? Sie sind in meinen Augen ein Pinsel, und haben Sie das verstanden und haben noch ein Fünkchen von Ehre im Leibe, so wissen Sie, was Sie als Kavalier zu tun haben.«

Wie versteinert, mit offenem Munde hatte der Franzose zugehört. Am liebsten hätte er vor Schreck im den Boden sinken mögen. Als sich aber Hannes jetzt kurz auf den Hacken umdrehte, um zurückzugehen, da kam plötzlich Leben in die bewegungslose Gestalt.

Um Gottes willen, das gab wieder ein Duell! Die letzten Worte deuteten es an.

Hannes wurde leise am Aermel gezupft.

»Entschuldigen Sie, Exzellenz,« stammelte der erschrockene Franzose, »wie konnte ich wissen, daß ich es mit einer so hohen Persönlichkeit zu tun habe! Bitte tausendmal um Entschuldigung, bin Ihr alleruntertänigster Diener.«

»Wie kommen Sie denn eigentlich dazu, mich wie einen Lakaien anzuschnauzen?« sagte Hannes, noch immer Entrüstung heuchelnd.

»Ich dachte, ich glaubte – ich dachte, weil Sie ...«

»Weil ich dem Sir Williams manchmal den Rock ausgebürstet habe?« fiel Hannes ein. »Wir sind beide intime Freunde und haben zusammen Blut getrunken. Na, Monsieur Pontence,« und Hannes nahm eine gönnerhafte Miene an, »lassen Sie es gut sein, ich bin vielleicht auch zu heftig gewesen. Nennen Sie mich ruhig Hannes, ich reise nämlich inkognito, weil ich sonst ein großes Gefolge mit herumschleppen müßte, aber Jean dürfen Sie nicht sagen, das bitte ich mir aus, so ruft man bei uns im Hotel die Kellner. Und nun zeigen Sie einmal her, was Sie da für Unsinn zurechtgeschustert haben. Hope, komm einmal her und hilf mir!«

Das junge Mädchen war unterdessen hinter den Baumstamm gekrochen und hatte sich nach Herzenslust ausgelacht. Jetzt kam es heran, sich zum Ernste zwingend, und half Hannes, der mit geschickter Hand an dem Netze arbeitete.

Ja, jetzt konnte der Franzose begreifen, woher es kam, daß die vornehme Amerikanerin so intim mit dem jungen Mann verkehrte! Das hätte er doch gleich merken sollen, daß derselbe kein Diener war. Von jetzt ab wollte er aber nähere Bekanntschaft mit dem Manne machen, der solche Titel aufzuweisen hatte, und ihn mit der ausgesuchtesten Höflichkeit behandeln.

»Was wollen Sie denn mit diesem Netze beginnen?« fragte ihn Hannes.

»Ich will damit Krokodile fangen, Exzellenz – Pardon – Monsieur Annes,« antwortete der Franzose höflich.

»Krokodile? Donnerwetter, Sie haben aber immer große Rosinen im Kopfe. Wie stellen Sie sich das nun ungefähr vor?«

»O, das ist sehr einfach! Sehen Sie, Monsieur Annes, so, das Krokodil fährt hier mit dem Kopfe durch, schwabb, und es kann nicht wieder zurück. – Au!«

Monsieur Pontence war mit seinem dicken Schädel durch eine Masche gefahren, und da Hope in diesem Augenblicke die beiden Stricke unten festzog, so legten sich diese hinter die Ohren des Franzosen und hinderten ihn am Zurückziehen des Kopfes.

Er mußte eine Weile zappeln, ehe er wieder befreit wurde.

»Sie haben aber merkwürdiges Unglück,« lachte Hope. »Sie graben eine Grube für Zebras und fallen selbst hinein, machen ein Netz für Krokodile und fangen sich selbst darin.«

»So,« sagte Hannes und zog den letzten Knoten zu, »das Netz ist fertig. Heute abend können Sie Krokodile fangen, das heißt, wenn die Tiere wollen. Was fangen Sie denn mit ihnen an?«

»Ich lasse mir aus der Haut Satteldecken für die Zebras fertigen, welche ich fangen werde; das muß wunderhübsch aussehen, nicht?«

»Gewiß, wenn Sie erst welche haben. Kommen Sie jetzt mit? Wir beide gehen etwas auf die Jagd.«

»Soll mir eine große Ehre sein, Sie begleiten zu dürfen,« antwortete der Franzose und lief in sein Zelt, um sich die Büchse über die Schulter zu hängen.

Alle drei verließen das Zeltlager und begaben sich in den Wald, um noch vor dem Mittag ein Wild zu schießen.

Sie waren bereits eine Weile gegangen, ohne etwas entdeckt zu haben, weil das Wild aus der Nähe des Lagers bereits vertrieben war, als der Franzose das erste vierbeinige Tier erblickte.

»Da,« flüsterte er und deutete voraus, »ein wilder Esel!«

»Wahrhaftiger Gott,« sagte Hannes, »ein wilder Esel, der erste, den ich hier in Sicht bekomme.«

Die Entfernung war noch zu groß, um schießen zu können.

»Sind die Tiere sehr scheu?« fragte Hope.

»Ja, wir müssen uns vorsichtig anpürschen. Sie, Monsieur Pontence, kriechen von Backbord heran, und wir beide von Steuerbord. Sollte er uns dennoch wittern, so suchen wir uns ihn gegenseitig zuzutreiben. Aber bitte, Monsieur Pontence, verschonen Sie uns mit Ihren Kugeln. Blei kann mein Magen schlecht verdauen.«

Monsieur Pontence hatte sich schon auf Hände und Kniee geworfen und kroch nach links ab, während Hannes und Hope den Weg nach rechts einschlugen. Schnell konnten sie sich durch das hohe Gras dem Tiere nähern, ohne von ihm gesehen zu werden. Als sie in Schußweite gekommen waren, richteten sie sich hinter einem Baume auf, um erst den wilden Esel einmal in Freiheit zu betrachten.

Er weidete ganz ruhig das Gras ab, völlig sorglos, ohne auch nur einmal den Kopf zu heben, bewegte die Ohren und schlug sich mit dem Quastenschwanze die Fliegen weg.

»Ich dachte, die wilden Esel sähen ganz anders aus,« meinte Hope, »aber er ähnelt doch fast ganz unseren Eseln.«

»Ich habe noch keine gesehen, sondern nur davon erzählen gehört,« entgegnete Hannes. »Wenn wir ihn erst haben, machen wir uns Salamiwurst.«

Das Eselsfleisch wird besonders in Italien viel zur Bereitung von Salamiwurst verwendet.

»Dort kommt schon der Franzose angeschlichen,« flüsterte Hope. »Schnell, Hannes, er legt schon an, und wie er jetzt steht, schießt er uns gerade an.«

»Er wird doch den Esel nicht mit Sprengkugeln schießen wollen,« sagte Hannes, warf sich aber doch schnell hinter einen Baum.

Da krachte schon ein Schuß, der Esel stieß ein langes, mißtönendes Schmerzgeheul aus und stürzte zu Boden, und gleichzeitig eilten Hannes und Hope darauf zu, von der anderen Seite kam langsam der glückliche Schütze.

»Ein Kapitalschuß, heh, was, Monsieur Annes?« rief der Franzose schon von weitem.

»Sie haben den Esel wieder schön in Stücke geschossen,« meinte Hannes, plötzlich aber fuhr er erstaunt fort: »Ja, was ist denn das? Der Esel hat ja einen Zaum um.«

In diesem Augenblick stürzte hinter einem Baume ein kleiner Negerjunge hervor in roter Hose und blauer Jacke, warf sich vor dem Esel auf die Kniee und umschlang dessen blutigen Hals.

»Petrarca,« schluchzte er und küßte den Esel aufs Maul, »du armes, armes Tierchen, o, o, du tot sein. O ciel, Hektor Schläge bekommen, mein Petrarca tot sein. Komm mach' aufstehen.«

Monsieur Pontence stand in sprachloser Verwunderung vor der Leiche. »Ja, ja, Monsieur Nonsense,« nahm Hannes das Wort, das ihn anwandelnde Lachen zurückdrängend, »da hilft nun kein Weinen, wie Williams sagt. Sie haben eben Ihren eigenen Esel in die Luft gesprengt.«

Endlich machte sich des Franzosen Verwirrung dadurch Luft, daß er den Jungen als den Unglücksanstifter bezeichnete.

»Du verwünschter, schwarzer Schlingel du,« fuhr er den weinenden Jungen an, »was hast du hier mit dem Esel zu tun?«

»Hier fettes Gras sein,« meinte Hektor, »und, Petrarca liebt Fett.«

»Da soll doch gleich ...«

»Lassen Sie es gut sein!« sagte Hannes und zog den Franzosen fort, der große Lust zeigte, den Jungen zu schlagen. »Wissen Sie was, wir stellen heute abend Schlingen, ich verstehe mich auf solche Sachen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht ein paar Zebras fangen. Dann haben Sie gleich Ersatz für Ihren Esel.«

»So, meinen Sie, daß man das Zebra auch als Lasttier verwenden kann?« fragte der Franzose, der das Unglück sofort vergessen hatte, sobald er auf sein Lieblingsthema gebracht wurde.

»Lügst du, so lüge ich auch,« dachte Hannes und erzählte dem Franzosen, wie die Indianer in Südamerika – wo es gar keine Zebras gibt – solche Tiere fingen und zum Lasttragen verwendeten, zur Verwunderung des Franzosen und zum Ergötzen Hopes.

»Nun haben wir so lange von Zebras gesprochen, bis sie kommen,« unterbrach sie plötzlich den Erzähler. »Dort steht ein ganzes Rudel.«

Man erblickte in der Ferne wirklich eine stattliche Anzahl dieser prachtvollen Tiere, deren gelbes Fell mit den schwarzen Querstreifen dem des Panthers ähnelt.

»Nun verteilen wir uns wieder so wie vorhin,« meinte Hannes, »und nicht wahr, Monsieur Nonsense, Sie schießen diesmal nicht mit Sprengkugeln?«

»Nein, nein,« rief der Franzose, der beim Anblick der langersehnten Tiere ganz Feuer und Flamme wurde, »wenn ich keins fangen kann, dann schone ich wenigstens das Fell. Mon dieu, wenn ich so ein Reitpferd hätte!«

Sie krochen in verschiedenen Richtungen davon.

Hope und Hannes lagen schon längst in Schußweite bei den Tieren, als sie den Franzosen noch weit entfernt, wie einen großen, gelben Frosch durch das Gras kriechen sahen. Er benahm sich dabei so ungeschickt, daß zu befürchten war, die Zebras würden ihn bald entdecken und die Flucht ergreifen.

»Er verscheucht uns noch die Tiere,« sagte Hannes und machte die Büchse schußbereit, »Wir warten nicht auf ihn.«

Es war eigentlich schade, solch ein schönes Geschöpf zu schießen, wenn man nicht gerade seines Fleisches bedarf, aber die Jagdlust ist eine mächtige Leidenschaft, welche nicht leicht zu bändigen ist.

»Laß mich schießen,« bat Hope, »ich habe noch kein größeres Tier als eine Antilope erlegt!«

Hannes ließ die schon erhobene Büchse sinken.

Hope zielte lange und schoß; der stattlichste Hengst stürzte wie vom Blitz getroffen nieder.

»Das war einmal ein Schuß, prachtvoll, nicht gezuckt hat er mehr,« jubelte Hannes und eilte mit Hope nach dem erlegten Tiere, wo sie mit dem ebenfalls herbeieilenden Franzosen zusammentrafen.

»Nun, was meinen Sie, Mister Nonsense,« fragte Hope stolz, »ist das nicht schöner, als wenn man mit Sprengkugeln den ganzen Körper zerrissen hätte?«

»Er blutet ja gar nicht,« meinte Pontence verwundert.

»Die Kugel ist durch den Hals gegangen,« sagte Hannes, das Zebra untersuchend, »und hat wahrscheinlich die Wirbelknochen zerschmettert.« »Mister Pontence,« lachte Hope, »Sie wollen ja gern auf einem Zebra reiten. Nun, setzen Sie sich einmal darauf, und versuchen Sie, ob es weich ist.«

Das Tier lag nicht auf der Seite, sondern mit zusammengeknickten Beinen auf dem Bauche, den Hals weit vorstreckend. Halb mit Gewalt zwangen Hannes und Hope den Franzosen, sich rittlings auf den Rücken zu setzen, weil sie nämlich gerade die zurückkehrenden Hatzreiter ankommen sahen und diesen die komische Situation des Franzosen zeigen wollten. Monsieur Pontence ließ sich nicht lange nötigen, er streckte die dicken Beinchen über den Rücken des Zebras und ließ sich darauf nieder.

In diesem Augenblick trat die vom Pferde abgesessene Ellen an das Zebra.

»Das ist ein Nackenschuß,« rief sie plötzlich erschrocken, »herunter mit Ihnen!«

Die Warnung kam zu spät; das Zebra sprang plötzlich mit einem Satze auf die Füße, und ehe die Umstehenden nur einen Entschluß fassen konnten, jagte es schon mit Windeseile davon, den Franzosen auf dem Rücken, der sich fest mit angezogenen Beinen anklammerte und die Hände in die Mähne krallte, so den lächerlichen Eindruck eines großen Affen machend, wenn seine Lage nicht so furchtbar ernst gewesen wäre.

Spottet in Amerika ein Pferd aller Anstrengungen der Jäger oder Pferdehirten, es mit Lasso oder Bola zu fangen, weil es sie nie nahe genug herankommen läßt, so gibt es noch ein Mittel, um es zu fangen. Der beste Schütze schleicht sich an das Pferd heran und versucht, ihm einen Schuß beizubringen. Die Kugel muß am Hals einen Wirbel streifen. Glückt es, so wird das Tier augenblicklich gelähmt, die Kugel schnell herausgeschnitten, und das Pferd trägt weiter keinen Schaden davon als am Halse eine Narbe. Das ist der Nackenschuß, und Ellen hatte an der Stellung des liegenden Zebras sofort bemerkt, daß hier ein solcher vorlag.

Nur Hannes und Hope hatten Gewehre bei sich, auch des Franzosen Elefantenbüchse lag am Boden, ehe aber jemand daran dachte, von ihr Gebrauch zumachen, war das Zebra schon längst außer Schußweite, den Franzosen noch immer auf dem Rücken.

»Er hat Revolver bei sich,« sagte Harrlington, »er wird doch das Tier niederschießen.«

»Nehmen wir lieber an, er tut es nicht,« rief Ellen und saß schon wieder auf dem Pferde, gab ihm die Sporen und jagte davon, dem Zebra nach.

Wer meinte, daß sein Pferd von dem langen Ritt noch nicht zu erschöpft sei, folgte ihr.

Denselben Weg, der schon zweimal gemacht worden, ging es abermals zurück; wieder brauste die ganze Kavalkade dahin, und wieder führte Ellens Pferd den Zug. Harrlingtons Pony blieb zurück, es hatte seine ganze Kraft erschöpft.

Wie Schatten flogen die Bäume an Ellen vorüber; sie durfte ihr Tier diesmal nicht schonen, sie gab ihm den einen Sporn, daß das Blut aus der Seite floß, denn es galt, das Zebra so schnell wie möglich einzuholen. Ihr Pferd war müde, es hielt nicht mehr lange aus, das Zebra dagegen hatte sich vorher ausgeruht und wurde überdies durch die ungewohnte Last des Reiters zur doppelten Anstrengung angetrieben. Wäre Ellen wenigstens in Schußweite gewesen, sie hätte mit dem Revolver schießen können, aber statt kleiner zu werden, vergrößerte sich die Entfernung.

Doch sie hielt in der Verfolgung nicht ein. Sie wollte dem Zebra wenigstens auf der Spur bleiben, vielleicht daß sich der Franzose doch noch ermannte und ihm eine Revolverkugel durch den Kopf schoß, wenn er seine Waffen nicht schon unterwegs verloren hatte.

Bis jetzt saß er noch immer zusammengekauert da, sich krampfhaft anklammernd. Daß er sich nicht fallen ließ, konnte ihm Ellen nicht verdenken, denn ein Sprung hier zwischen den Bäumen hätte seinen Tod bedeutet, er wäre unfehlbar zerschmettert worden. Da, was war das? Jagte da nicht fast neben dem Zebra ein schwarzer Schatten her, fast wie ein Mensch anzusehen? Doch nein, es war nicht möglich, so schnell konnte kein Mensch laufen.

Plötzlich verschwand der Schatten wieder, das Zebra jagte eben über eine Lichtung, da machte es plötzlich einen furchtbaren Sprung in die Höhe, der unfreiwillige Reiter wurde in großem Bogen herabgeschleudert, und das Tier selbst stürzte zusammen.

Ellen galoppierte hinzu, und als sie nach einigen Minuten die Stelle erreichte, fand sie Monsieur Pontence, dem sie die erste Aufmerksamkeit schenkte, im Grase sitzen und mit verwundertem Gesicht um sich schauen.

»Haben Sie etwas gebrochen?« rief ihm Ellen zu.

»Mon dieu, nein, ich glaube nicht,« antwortete er, stand auf und reckte die Glieder, »hat mich die Kanaille also doch abgeworfen! Verfluchte Blamage.«

Ellen ließ den merkwürdigen Menschen weiter räsonieren und wandte sich nach dem Zebra. Diesmal lag das Tier auf der Seite, und wie erstaunt war Ellen, als sie aus dem Herzen des Tieres den befiederten Schaft eines Pfeiles hervorragen sah.

Der Schuß hatte das Tier augenblicklich getötet.

Ellen zog den Pfeil heraus und besah ihn. Er stammte aus dem Köcher eines Eingeborenen. Wo die Federn begannen, hielt ein kleiner, kupferner Ring das gespaltene Ende zusammen. Derselbe zeigte eine Anzahl kleiner Vertiefungen in seltsamer Zusammenstellung.

»Haben Sie jemanden gesehen, der den Pfeil abgeschossen hat?« fragte sie den Franzosen.

»Welchen Pfeil?«

»Den hier, der das Zebra getötet und Sie gerettet hat.«

»Das Tier ist geschossen worden?« rief der Franzose verwundert. »Ich habe es doch nicht knallen hören.«

»Natürlich, Pfeil und Bogen knallen nicht,« entgegnete Ellen unwillig. »Haben Sie auch niemanden neben sich herlaufen sehen?«

»Niemanden, höchstens meinen Schatten.«

Ellen fragte nichts mehr, sondern steckte den Pfeil in den Gürtel und wartete, bis die übrigen nachkamen. Sie erklärte kurz, auf welch seltsame Weise das Tier geschossen worden sei, wie sie ganz deutlich neben dem Zebra einen Menschen mit ungeheurer Schnelligkeit habe laufen sehen, und trat dann mit ihren Freundinnen den Rücktritt an. Die Neger mußten das Tier nach dem Lager besorgen, und einer von ihnen trat dem Franzosen sein Pferd ab.

Da zeigte es sich, daß Monsieur Pontence im Sattel recht unsicher war, und schließlich, als der Zug zu galoppiere begann, glaubte er wahrscheinlich, sich wieder auf dem Zebra zu befinden, denn er ließ die Zügel fahren und klammerte sich an der Mähne des Pferdes fest. Ein Glück war es, daß dieses seinen Kameraden einfach folgte; aber der Franzose mußte noch manches Spottwort über seine Reitkunst geduldig hinunterschlucken.

Schon hatte man das Lager fast erreicht, als wieder eine Unterbrechung des Rittes stattfand.

»Monsieur Pontence,« wandte sich Ellen plötzlich an den Franzosen, »hatten Sie heute morgen nicht Ihre Zebrafalle wieder zudecken lassen?«

»Allerdings, Gnädigste, nach meiner eigenen Angabe.«

»Nun, sie ist schon wieder eingebrochen.«

Als man sich nach der Grube begab, fand man zum größten Erstaunen, daß sich wirklich ein Zebra darin gefangen hatte.

»Herr Gott,« rief Charles, »haben Sie aber ein Glück? Da können Sie ja noch heute abend das Zebra zureiten.«

Der Franzose antwortete nichts, sondern sah nachdenklich in die Grube, in welcher eine prächtige Stute stand und ängstlich mit den Hufen scharrte. »Schnell Stricke herbei,« rief Ellen den Negern zu, »damit wir das Tier herausholen können!«

Die nach dem Lager geschickten Neger brachten Stricke, und das erste war, daß dem Tiere eine Schlinge ums Maul gelegt und zugezogen wurde, denn die Zebras sind sehr bissig.

Nach langen Versuchen gelang es auch, zwei Schlingen unter den Leib zu bringen; die Enden wurden um einen gerade über der Grube befindlichen Ast geworfen, und den Anstrengungen aller gelang es endlich, das Tier heraufzuziehen. Ein Bein nach dem anderen wurde angebunden, die Stricke angezogen, und nach Verlauf einer Stunde lag das schöne Tier gebunden und geknebelt am Boden.

»So,« sagte Ellen zu Monsieur Pontence ironisch, »es gehört Ihnen. Wann wollen Sie es zureiten? Heute abend noch, oder erst morgen früh?«

Der Franzose kratzte sich bedenklich hinter den Ohren.

»Mademoiselle,« sagte er endlich, »ich bin Ihnen großen Dank schuldig, denn Sie sind heute hinter mir hergeritten. So gern ich auch ein Zebra als Reitpferd haben möchte, ich verehre Ihnen dieses hiermit, und wenn Sie es haben gut zureiten lassen, so erlauben Sie mir wohl auch einmal, es ein Stündchen zu benutzen.«

»Danke schön,« entgegnete Ellen lächelnd, »ich nehme das Geschenk an. Morgen abend sollen Sie es probieren können.«

Sie ordnete an, daß über Nacht einige Neger als Wache bei dem gefesselten Zebra blieben, um Raubtiere abzuhalten, und begab sich nach dem Lager, wo sie mit den Vestalinnen in einem Zelte eine lange Beratung abhielt.

»Will sie wirklich das Zebra zureiten lassen?« fragte einer der Herren Harrlington.

»Nein, sie will es selbst zureiten.«

»Donnerwetter, das glaube ich kaum, dazu gehört viel!«

»Miß Petersen wird es wohl verstehen, sie hat sich schon von Mister Davids einen Herrensattel geben lassen.«

»Wo ist denn Ihr Netz?« fragte am anderen Ende des Lagers Hope den Franzosen.

»Ja, wo ist es! He, ihr Kanaillen,« wandte er sich an die umstehenden Neger, »wo ist mein Netz?«

Hope erklärte den Negern, was der Franzose wollte, und lachte dann laut auf.

»Die Neger haben es wieder aufgemacht und die Stricke dazu verwandt, Ihr Zebra aus der Grube zu holen und zu fesseln.«

»Hölle und Teufel!« fluchte der Franzose.

»Fluchen Sie nicht, bedenken Sie lieber, wie merkwürdig das ist! Mit dem Krokodilnetz haben Sie ein Zebra gefangen,« scherzte das mutwillige Mädchen. –

Am anderen Morgen waren die Herren verwundert, fast gar keine Dame im Lager zu sehen, und die wenigen, welche zurückgeblieben, erklärten, Ellen wolle das Zebra zureiten, wo, erfuhr aber niemand.

So viel war gewiß, das Zebra war schon am frühesten Morgen verschwunden, und Ellen hatte einen Herrensattel mitgenommen.

»Wo mag sie nur sein?« wurde die Frage aufgeworfen.

»Jedenfalls an einem verborgenen Platz,« war die Antwort.

»Aber warum so heimlich? Es wäre doch recht schön, wenn wir der Bändigung des Tieres zusehen könnten.«

»Wenn Miß Petersen das Zebra zureitet,« erklärte Charles, »so wird sie sich nicht im Damenkostüm befinden, sonst hätte sie keinen Herrensattel mitgenommen, und unseren profanen Augen gestattet sie keinen anderen Anblick.«

Den ganzen Tag ließ sich keine der Damen sehen, und auf alle Fragen hatten die Zurückgebliebenen nur ein Lächeln als Antwort. Gegen Abend erblickte man in der Ferne eine stattliche Kavalkade von Reitern, unter ihnen auch die Damen, und an der Spitze ritt Ellen auf dem Zebra, welches sehr demütig war und willig dem Zügel gehorchte.

Die Reiterschar betrug weit über hundert Mann, jene schwarzen Gestalten aber, die da rittlings aus den Pferden saßen und ihre Lanzenspitzen in der Sonne funkeln ließen, waren keine Männer, sondern Weiber – Amazonen von Dahomeh, und neben Ellen ritt Yamyhla.

Diese hatte Ellen auf einer Lichtung des Waldes getroffen, wo sie das Zebra zuritt. Sie war in Begleitung von hundert wohlbewaffneten Amazonen, um der Karawane nach Tabua das Geleit zu geben, wenn die Boten die Nachricht brachten, daß Kasegora und Chaushilm sich dort befanden.

Der erste, welcher den Zug empfing, war der Franzose, der sein Zebra bewunderte. Wie gesagt, es war ziemlich demütig, aber sein wilder, heimtückischer Blick verriet doch, daß es nur zu gern seine Reiterin abgeschleudert hätte, doch es wagte keinen Versuch. Da es mit Staub und Schmutz bedeckt war, so muhte es sich oft gewälzt haben, aber wenn Ellen ihre Hand auf den Hals des Tieres legte, so zitterte es vom Kopf bis zum Schwanz, ein Zeichen, wie übel ihm diese mitgespielt hatte, auch die blutbefleckten Weichen zeigten das.

»Haben Sie Lust, einmal ein Stündchen auf ihm spazieren zu reiten?« fragte Ellen den Franzosen lächelnd.

»Es wird wohl nicht still halten, wenn ich mich darauf setze,« entgegnete der Franzose nachdenklich.

»Das glaube ich auch,« lachte Ellen.

Die Amazonen wurden im Lager von den Herren und zurückgebliebenen Damen herzlich begrüßt.

Noch ehe Ellen abgestiegen war, erhielt sie schon von einem Mädchen eine schlimme Nachricht. Miß Sargent hatte bereits heute morgen das Lager allein verlassen, um zu jagen, und war bis jetzt noch nicht wieder zurückgekehrt. »Womit war sie bewaffnet?« fragte Ellen.

»Mit der Doppelbüchse und dem Winchestergewehr.«

»Warum das?«

»Sie wollte mit letzterem Vögel schießen. Wir, die Herren und die Neger, haben schon heute nachmittag verschiedene Male nach ihr gesucht, sie aber nicht gefunden.«

Ellen rief rasch die Vestalinnen zusammen und hielt, eine Beratung ab, was hier zu machen sei. Da Miß Sargent eine mutige, entschlossene Dame war, welche es vielleicht sogar übelgenommen hätte, wenn man nach ihr suchte, weil sie bei einer Jagdpartie einen Tag oder eine Nacht ausblieb, so wurde beschlossen, erst am Morgen nach ihr zu forschen, falls sie bis dahin noch nicht zurückgekehrt sein sollte. Yamyhla versprach ihre Beihilfe.

Die Zahl der Personen im Lager war jetzt plötzlich verdoppelt worden, aber die Amazonen kannten den Luxus von Zelten nicht; sie kampierten einfach im Freien, und nur die vielen Lagerfeuer verrieten, wie sehr die Karawane sich vermehrt hatte. Ueberall flackerten die Feuer auf, dunkle Gestalten lagen darum und beobachteten die Fleischstücke, welche über den Flammen brieten, daneben standen, an Bäume gebunden, die Pferde.

Im Zelte Ellens befand sich Yamyhla und der gleichfalls mitgekommene Ngaraiso.

»Wir wollen noch zwei Tage hier warten,« sagte erstere. »Sind bis dahin die Boten aus Tabua noch nicht zurückgekehrt, so reisen wir ihnen entgegen, und ist deine Freundin morgen früh nicht wieder hier, so benutzen wir den morgenden Tag, um sie aufzusuchen. Uns ist es nicht schwer, die Vermißte wiederzufinden.«

Ellen erzählte die jüngst passierten Abenteuer und sprach auch von dem seltsamen Pfeilschuß, durch welchen der Franzose von seinem Reittier befreit wurde.

»Ob der dunkle Schatten, welchen ich neben dem Zebra herlaufen zu sehen meinte, wirklich ein Mensch war, kann ich nicht behaupten,« schloß Ellen. »Hältst du es für möglich, Yamyhla, daß ein solcher mit einem laufenden Zebra gleichen Schritt halten kann?«

»Warum nicht? Wir Amazonen jagen die Antilope zu Fuß und nur mit dem Speer,« sagte Ymayhla einfach, »wir stechen das eingeholte Tier nieder. Doch sag', hast du den Pfeil aufgehoben?«

Ellen zeigte ihr denselben, den Yamyhla kaum in die Hand genommen hatte, als sie schon erstaunt rief:

»Der Pfeil einer Amazone, die Peilspitze wird nur bei uns so eingefügt.«

Dann betrachtete sie aufmerksam den kupfernen Ring.

»Wahrhaftig,« rief sie dann wieder, »es ist das Zeichen von Kasegora, sie und keine andere hat ihn abgeschossen. Eine Stunde ist das Zebra gelaufen? Gut, so kann sie selbst nicht so weit sein, wir werden sie suchen.«


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