Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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27.

Der weisse Neger.

Nur einige Tage waren verstrichen, seit die Karawane der Herren und Damen von Mgwana aufgebrochen war, als in den Hafen ein großes, schwarzes Vollschiff einlief – der »Blitz«.

Fast sofort, nachdem Hoffmann den Hafenvorschriften genügt, das heißt, sein Schiff angemeldet und das Ankergeld bezahlt hatte, jenes Geld, für welches der Hafen von der Behörde in Ordnung gehalten und verwaltet wird, erschien bei ihm an Bord einer der Heizer des ›Amor‹, welcher den Kapitän zu sprechen wünschte. Der Mann wußte ja, daß Hoffmann ein Freund der englischen Herren war, und, in einer Angelegenheit Rat wünschend, wandte er sich an ihn.

Während die Unterredung im Arbeitszimmer des Kapitäns stattfand, standen der Bootsmann und Georg, die Briefordonnanz, am Fallreep und stellten Betrachtungen über die Neger an, welche in schmalen, aber sehr langen Ruderboten im Hafen hin- und herfuhren, vor den Schiffen hielten und Früchte, Durra und Erzeugnisse der einheimischen Industrie den Mannschaften anboten. Unter letzteren spielen hauptsächlich Goldwaren eine Hauptrolle denn die Westküste von Nordafrika ist ziemlich reich diesem Edelmetalle, wie ja auch der Name »Goldküste« besagt, und die Neger sind geschickt in der Verarbeitung dieses Metalles.

Daß aber die dort wohnenden Schwarzen sich auch schon die Vorteile der Zivilisation zu nutze gemacht haben und auszubeuten suchen, das verriet das Gespräch, welches zwischen dem Bootsmann und dem schlauen Georg stattfand, welch letzerer nicht mit blinden Äugen in der Welt herumfuhr, sondern vielmehr alles mit recht scharfem Blicke und klarem Verstande anzusehen gewohnt war.

Eben hatte ein Neger, der ihnen dicke Goldringe mit eigentümlichen Eingravierungen zu verkaufen gesucht hatte, den »Blitz« verlassen. Einige der Mannschaft wären vielleicht nicht abgeneigt gewesen, die schönen und dabei billigen Fingerringe zu kaufen, darunter auch der Bootsmann, aber Georg hatte sofort, als er die Ware des Negers gesehen, diesen von Bord gejagt.

»Die Ringe waren aber doch wirklich aus echtem Gold,« sagte der Bootsmann erstaunt, »und noch dazu sehr schön gearbeitet! Warum sollten unsere Leute nicht ein paar solche Dinge kaufen? Es ist doch ganz hübsch, wenn man aus fremden Ländern Andenken mitbringt. In unserer Heimat müssen wir für solche ausländische Sachen wenigstens das Doppelte bezahlen.«

»Da seid Ihr gewaltig im Irrtum, Bootsmann,« lachte Georg, »wenn Ihr glaubt, diese Ringe seien von den Negern geschmiedet. Wißt Ihr, woher diese Schmucksachen kommen? Meistenteils aus England, aber die Neger verkaufen sie als einheimische.«

»Es ist nicht möglich!« rief der Bootsmann erstaunt. »Und doch ist es so,« versicherte Georg, »ich weiß es genau. Es gibt in England Fabriken, welche sich nur mit Anfertigung von Sachen beschäftigen, die dann in den fremden Hafenstädten als Erzeugnisse der Eingeborenen verkauft werden, nicht nur Industriegegenstände, sondern sogar Waffen, Pfeile, Bogen und Lanzen. Ich wette, daß manches Stück, welches ein Reisender für schweres Geld im Auslande erworben hat, und das jetzt in irgend einem Museum hängt, in demselben Land, ja vielleicht in derselben Straße gefertigt ist, in der sich das Museum befindet. Ich war einmal auf einem Schiffe, auf dem sich ein solcher Agent befand, der derartige Geschäfte machte. Er fuhr auch hierher und brachte den Negern ganze Kisten voll Ringe. Das Gold ist schlecht, die Gravierungen sind Fabrikarbeit, und wenn man sie kauft, so glaubt man doch, die Neger haben die selben mit der Hand eingeschnitten, und daher bezahlt man viel mehr, als der Ring eigentlich wert ist.«

»Aber die Neger hier sollen doch gute Goldarbeiter sein?«

»Gewiß, aber wir Matrosen bekommen solche Sachen gar nicht zu sehen. Die Häuptlinge, Sultane und wie die Kerle alle heißen, behalten sie für sich, verschenken oder verkaufen sie auch, aber nicht an uns, solche Schmucksachen können nur Reiche kaufen. Da kommt schon wieder ein Schwarzer angefahren,« unterbrach Georg seine Erklärung, »was mag der denn wieder wollen?! Ware hat er nicht im Boot. Laßt ihn nicht an Bord, Bootsmann, er will doch nur betteln oder stehlen.«

Ein Boot, in dem sich nur ein einziger Neger befand, wurde an den »Blitz« gerudert, indem der Mann geschickt das Wasser mit einem Schaufelruder hinter das Fahrzeug drückte, und ans Fallreep gebunden. Der Ankömmling kletterte dieses hinauf.

»Nichts da,« rief ihm der Bootsmann entgegen! und machte eine zurückweisende Handbewegung, »wir, wollen euch Gesindel nicht an Bord haben.«

Der Neger nahm keine Notiz davon, sondern war mit einem Sprunge über der Bordwand und stand an Deck. Er war zwar nicht groß und auch nicht breitschultrig, sondern eher schmächtig und zierlich gebaut, aber der Körper, nur von einem Lendentuch bedeckt, zeigte eine so ausgebildete Muskulatur, wie man sie an der artigen Gestalten gar nicht zu sehen gewohnt war. Bei der kleinsten Bewegung spielten die Muskeln und schwollen zu einer unglaublichen Größe an. Der Mann mußte entweder sehr schwere Arbeit verrichten, oder er war vielleicht ein Gymnastiker, anders konnte man sich diese Vereinigung von Zierlichkeit und Kraft, beide in einem Körper verbunden, nicht erklären. Seine Hautfarbe war schwarz, das Haar war wollig, aber nicht so hart wie das anderer Neger, und auch sein Gesichtsausdruck war kein abstoßender.

»Massa Hoffmann an Bord?« fragte er in mangelhaftem Englisch.

»Zurück in deinen Kahn,« rief der Bootsmann ärgerlich, aber doch erstaunt die wie aus Erz gegossene, schlanke Gestalt von oben bis unten musternd, als erwäge er, wie ein Handgriff an dieser schwarzen Gestalt wohl aufgenommen werden würde.

In diesem Augenblick kam der Heizer aus Hoffmanns Kajüte, und der Schwarze, welcher von dem Bootsmann schon gepackt werden sollte, schlüpfte plötzlich wie ein Aal unter den Händen desselben durch, an dem Heizer vorüber und war mit einem Sprunge aus der Kajütentreppe verschwunden.

Als sich der Bootsmann von seiner Entrüstung erholt hatte, wollte er nacheilen, da aber erschien schon Hoffmann auf der Treppe.

»Es ist gut, Bootsmann,« rief er dem Aufgebrachten zu. »Ruft den Heizer des ›Amor‹ noch einmal zurück!

»Ihr braucht in dieser Angelegenheit nichts mehr zu tun,« sagte Hoffmann zu dem Zurückgekehrten, »ich habe mir die Sache anders überlegt. Bleibt an Bord und kümmert Euch nicht mehr um die Sache Snatchers.«

Hoffmann ging wieder hinunter.

»Was soll denn das bedeuten?« fragte der Bootsmann den Heizer. »Habt Ihr denn Snatcher schon wieder?«

Der Heizer zuckte die Achseln. »Ich verstehe das auch nicht,« meinte er. »Eben sagte mir noch der Kapitän Hoffmann, ich solle ihn in einer halben Stunde abholen, wir wollten beide zusammen nach dem Konsulat gehen und Anzeige machen, und jetzt denkt er mit einem Male ganz anders, er ist plötzlich über Snatcher beruhigt. Daraus werde ein anderer klug.«

»Sollte der Schwarze damit etwas zu tun haben?« meinte der Bootsmann.

»Wer weiß? Der Kapitän muß ihn kennen, sonst würde er doch den nackten Kerl nicht in seiner Arbeitsstube dulden, und der Neger muß seines Auftrages sehr sicher sein, daß er sogleich zum Kapitän hineinläuft.«

Am Maste ertönte ein Klingeln, welches Georg zum Kapitän rief. Als er wieder auf Deck kam, gab er dem Koch verschiedene Aufträge und wandte sich dann wieder zum Bootsmann.

»Merkwürdig,« sagte er, »der Nigger sitzt unten ganz bequem beim Kapitän im Lehnstuhl und raucht, Zigarren, und jetzt muß ich dem Koch den Auftrag geben, das Beste herzurichten, was es an Bord gibt und, sagte der Kapitän lachend, genug, daß es für drei Personen reicht.«

Noch einige Male wurde Georg gerufen, nachdem die Platten und Schüsseln mit den schnell bereiteten Gerichten von ihm unten aufgetragen worden waren.

»Potz Element,« rief er zum Bootsmann, »das ist ja ganz kurios, jetzt muß ich auch noch Wein für den Nigger servieren! Aber, Bootsmann, Ihr solltet einmal unten zusehen können, so etwas habt Ihr Euer Leben lang noch nicht gesehen. Der Kapitän sitzt und lacht nur immer, und der Nigger greift in die Schüsseln hinein, als hätte er wenigstens vier Wochen nichts gegessen. Als ich jetzt unten war, schluckte er ein halbes Huhn mit einem Male hinunter, Messer und Gabel benutzt er gar nicht, und die fettigen Finger wischt er sich immer im Haar ab. Das ist ja ein sonderbarer Gast, möchte nur wissen, was hinter dem steckt. Ein nackter Neger, raucht des Kapitäns feinste Zigarren, trinkt den besten Wein und schluckt dann den Braten und das Geflügel nur immer so hinunter.«

»Sprechen sie denn nichts zusammen?« fragte der Bootsmann neugierig.

»Freilich sprechen sie zusammen, den Neger habe ich wenigstens immer schwatzen hören, sobald ich aber eintrete, hört er auf und fängt mit verdoppeltem Eifer an zu kauen.«

Wenn aber Georg auch den Neger hätte sprechen hören, er würde selbst dem Bootsmann, seinem besten Freunde, nichts wiedererzählt haben, dazu war er seinem Kapitän viel zu treu.

Der sonderbare Schwarze mußte wirklich einen ganz furchtbaren Hunger haben; Appetit war es schon gar nicht mehr zu nennen, mit solcher Hast räumte er die aufgetragenen Platten ab. Hoffmann sah zu und mußte oft lachen, wenn der Neger immer wieder eine geleerte Schüssel zur Seite schob und eine neue heranzog, wobei es ihm gar nicht auf die Reihenfolge der Speisen ankam, sondern er aß eben, wie die Gerichte der Reihe nach kamen: erst Braten, dann einen Teller voll Brot, dann Geflügel, dann leerte er wieder eine Schüssel mit Gemüse und griff hierauf zu einer anderen Fleischsorte. Der Kapitän hörte aber zugleich auch zu, denn während des Kauens stieß der Neger Worte hervor, welche Hoffmann sehr interessieren mußten. Der Neger sprach jetzt nicht mehr ein so mangelhaftes Englisch wie vorhin, als er an Bord kam, sondern ein sehr gutes.

»So haben Sie also den Weg von 350 Meilen in zwei Tagen zurückgelegt?« fragte Hoffmann. »Wenn ich Sie nicht kennte, würde ich dies einfach für eine Unmöglichkeit halten! Da müssen Sie aber Tag und Nacht geritten sein. Haben Sie in dieser Zeit gar nicht geschlafen?«

»Doch,« erwiderte der Neger und stürzte ein großes Glas Wein hinunter, »einmal habe ich geschlafen, etwa drei Stunden, an einen Baumstamm gelehnt, und zwar, als mein Pferd zum Reiten untauglich wurde. Das Tier konnte die Anstrengung nicht mehr aushalten, es taugte nichts, und so bin ich dann zu Fuß weitergerannt. Zuletzt habe ich mir ein Boot gestohlen und bin einige Stunden auf dem Flusse gefahren, das Boot liegt noch draußen.«

»Warum haben Sie sich aber nicht einen ordentlichen Anzug verschafft? Sie trafen doch sicherlich unterwegs auf Besitzungen, wo Europäer wohnen!«

»Habe ich auch einmal versucht, aber der nackte Mann wurde so ausgefragt, daß er gleich die Geduld verlor und weitergaloppierte.

»Mein Pferd brach in der Nähe eines Negerkraals zusammen, ich schlich in der Nacht in eine Hütte, stahl dieses Lendentuch hier, färbte mich mit dem Safte einer Pflanze, die ich kannte, vom Kopf bis zu den Füßen schwarz, das Haar ebenso, schlief etwas und rannte dann weiter. Wenn ich als Weißer durch bewohnte Gegenden gelaufen wäre, so hätte das natürlich großes Aufsehen erregt, und so war die Umwandlung nötig.«

»Konnten Sie sich nicht wieder ein Pferd verschaffen?« fragte der Kapitän lächelnd den kauenden Mann. »Da Sie es nicht so genau mit dem Eigentum anderer nehmen, so konnten Sie ja auch ein solches von der Weide nehmen.«

»Der Weg führte durch Wälder und Dschungeln, und in diesen kommt ein Fußgänger schneller fort als ein Reiter,« war die Antwort.

Hoffmann stellte seine Fragen ein, bis der Mann vor ihm gesättigt war, denn da schließlich selbst der furchtbarste Heißhunger gestillt werden kann, so hörte auch der Fremde nach und nach auf, die vor ihm stehenden Schüsseln aufzuräumen; seine Kauwerkzeuge arbeiteten langsamer, und schließlich lehnte er sich mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung in den Lehnstuhl zurück, brannte sich eine Zigarre an und blickte, die Hände über dem angefüllten Magen gefaltet, mit wahrhaft glücklichem Gesichtsausdruck den bläulichen Rauchwölkchen nach.

»Da ich annehmen kann, Mister Sharp,« begann Hoffmann wieder, »daß Sie nun eher zum Sprechen, disponiert sind als vorher mit leerem Magen, so ersuche ich Sie um Aufklärung alles dessen, was Sie bis jetzt, sei es im Interesse von Lord Harrlington, oder in Ihrem eigenen getan haben. Ich habe Ihnen meine Hilfe versprochen, und soviel in meinen Kräften steht, werde ich Sie unterstützen. Aber natürlich ist es nötig, daß ich auch in Ihre Pläne Einblick erhalte, denn Sie wissen, Mister Sharp, ich bin nicht der Mann, der sich als willenloses Werkzeug gebrauchen läßt.«

Mister Sharp, der diesmal die Verkleidung oder – da von Kleidern nicht viel zu sehen war – das Aussehen eines Negers angenommen hatte und einen solchen bei nur oberflächlicher Betrachtung auch wirklich sehr gut vorstellte, blickte lange sinnend vor sich hin, nahm die Zigarre aus dem Munde und lehnte sich noch bequemer in den Stuhl zurück.

»Wir haben uns das letzte Mal in China gesehen,« sagte er dann, »als ich Ihnen mitteilte, daß ich von Lord Harrlington verabschiedet worden wäre, wenigstens der Form nach. Ist es nicht so?«

Hoffmann bejahte.

»Wissen Sie, womit ich mich bis jetzt beschäftigt habe?« fragte Nick Sharp weiter.

»Lord Harrlington erzählte mir, Sie wären willens, sich eben jener Verbrecherbande anzuschließen, durch welche die englischen Herren wie die amerikanischen Damen fortwährend belästigt werden; aller Wahrscheinlichkeit nach bemüht sich diese, die Damen in ihre Gewalt zu bekommen.«

»Sonst nichts weiter?«

Hoffmann lächelte.

»Lord Harrlington sagte mir auch noch so nebenbei, « fuhr er fort, »das heißt, ohne Sie im geringsten anklagen zu wollen, daß Sie von der Ihnen gegebenen Vollmacht, in seinem Namen Summen zu erheben, in etwas großem Maßstabe Gebrauch gemacht haben. Sie sollen einen Scheck über dreißigtausend Dollar ausgeschrieben haben.«

»Habe ich auch, und Lord Harrlington ist darüber von mir benachrichtigt worden,« entgegnete der Detektiv gleichgültig, »diese Benachrichtigung ist ihm wahrscheinlich aber erst zugegangen, nachdem er Ihnen dies erzählt hat. Gut aber, daß Sie das zuerst erwähnen, denn von da fängt meine Lebensperiode als Seeräuber an, wenn ich auch wenig Gelegenheit gehabt habe, in Praxis aufzutreten – danke, Kapitän, ich trinke keinen Wein mehr, Kognak befördert die Verdauung besser. Ich wußte, daß der Mann, welcher Seewolf genannt wird, in großer Verlegenheit war, weil er sein Schiff verloren hatte und auch keine Aussicht besaß, wieder ein solches zu bekommen. Der Kapitän ohne Schiff lag mit seiner Mannschaft in Yokohama und wartete vergebens darauf, von seinem Herrn, dem sogenannten Meister, wieder ein Schiffchen geschenkt zu kommen. Meine damalige Meinung war nun schon, daß dieser Meister nicht so schnell im Schenken sei, und als ich später mit dem Seewolf intimer wurde, erfuhr ich wirklich, der Meister hätte ihm ziemlich deutlich gesagt, daß er, habe er durch Ungeschicklichkeit sein Schiff verloren, sich selbst ein solches wieder anschaffen solle. Ich war in dem Besitz des Stempels des Meisters, ferner auch in dem einiger seiner Briefe, und so war es mir also leicht, einen solchen zu fälschen.«

»Wie kamen Sie zu dem Stempel des Meisters?« fragte Hoffmann erstaunt.

Sharp erzählte kurz, wie er in Indien denselben kopiert und sich darnach ein Petschaft angefertigt habe.

»Damals in Yokohama wurde die ganze Mannschaft eines Schiffes gehenkt, welches auf Seeräuberei betroffen worden war. Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben?«

»Ja, es ist mir bekannt.«

»Wissen Sie auch, daß einer aus dem Gefängnisse entsprang und nicht wieder gefangen wurde?«

»Ja, wenn ich nicht irre, hieß jener Mann Ned Carpenter.«

»Richtig! Doch erlassen Sie mir, zu erzählen, wie alles kam, ich müßte zu weit ausholen – kurz und gut, jener entflohene Ned Carpenter war gar nicht der richtige Mann, der war schon längst tot, sondern ich bin der Mann gewesen, ich habe mich ins Gefängnis sperren lassen, und so bin ich es auch gewesen, der daraus entfloh – alles, um den Seewolf und die ganze Sippschaft zu täuschen.«

Sharp beachtete nicht das verwunderte, fragende Gesicht des Kapitäns, sondern fuhr fort:

»Als Ned Carpenter brachte ich dem Seewolf einen Brief des Meisters, den ich also mir selbst geschrieben hatte, worin dem Seewolf mitgeteilt wurde, daß er mir folgen sollte, denn ich könnte ihm wieder ein Schiff verschaffen. Wer war froher als der Seewolf und seine Leute! Noch in derselben Nacht nahmen sie unter meiner Führung ein Schiff, welches in Yokohama ohne Mannschaft lag, sie glaubten zwar, es wäre nur zufällig ohne Bewachung, und sie staunten über meine Kühnheit, wie ich so ohne weiteres aus einem großen Hafen ein Schiff mit voller Ausrüstung entführte, aber – das alles war eine Vorspiegelung, ich hatte vorher das Schiff für die dreißigtausend Dollar gekauft. Mein doppeltes Ziel hatte ich jedoch erreicht, der Seewolf besaß wieder ein Schiff, und ich stand bei ihm wegen meiner Schlauheit und Verwegenheit in großem Ansehen, seine Mannschaft betete mich wie einen Gott oder auch wie den Teufel an, und so konnte ich manches von ihm erfahren, was ich zu wissen wünschte, umsomehr, als mich der Seewolf für eine dem Meister sehr nahestehende Person hielt. Wie wäre ich sonst zu solch einem wichtigen Auftrage gekommen? Haben Sie nun noch irgend eine Frage zu stellen, Mister Hoffmann? Da alle meine Handlungen wohl überlegt waren, da ich immer nach einem Plane arbeite, so kann es leicht vorkommen, daß ich etwas mir als ganz selbstverständlich Erscheinendes überspringe, was aber für Sie ein Rätsel bleibt.«

»Ja, manches ist mir allerdings vollständig rätselhaft,« entgegnete Hoffmann. »Der Meister hat doch sicher erfahren, daß der Seewolf durch Sie zu einem Schiffe gekommen ist, und ferner, daß Sie letzterem einen Brief gebracht haben, welcher Sie als Bevollmächtigten erklärte. Sollte der Meister ein so kurzes Gedächtnis besitzen, um nicht zu wissen, daß er Ihnen gar keinen Brief geschrieben, denselben Ihnen auch gar nicht ausgehändigt hat? Es wäre doch merkwürdig, wenn der Meister von diesem Betrüge nichts erfahren haben sollte!«

»Richtig, das muß ich Ihnen erst noch erklären. Ich bin nämlich zu der Ansicht gekommen, daß die Person des Meisters gar nicht existiert, daß es vielmehr eine ganze Menge von Leuten gibt, welche alle unter dem Namen des Meisters arbeiten und sich seines Siegels, des Galgens mit der Umschrift, bedienen. Die Briefe weisen nämlich verschiedene Handschriften auf, nicht gerade die, welche eine einzelne Person nach und nach empfängt, sondern solcher verschiedenen, geschäftlichen Inhalts, die also an verschiedene, für den Meister arbeitenden Männer ergehen.«

»Dies ist aber noch kein Beweis,« unterbrach ihn Hoffmann, »daß der Meister selbst nicht existiert. Es könnte ja sein, daß er eine Art Kontor besitzt, in welchem mehrere Männer arbeiten, von denen jeder eine besondere Branche zu besorgen hat. Verstehen Sie, wie ich das meine?«

»Wohl, aber es ist dies nicht so. Nein, es liegt dem Ganzen zwar ein gewisses System zu Grunde, aber so ausgebildet, wie Sie annehmen, ist es durchaus nicht. Ich behaupte nochmals, einen Meister gibt es nicht, das heißt, also eine einzige Person, welche alles dirigiert, sondern es sind verschiedene Menschen, durch welche die Banden geleitet werden, und sie stehen untereinander wohl in Fühlung, aber sie handeln nach eigenem Ermessen, und oft ohne daß einer von dem Plane des anderen etwas weiß. Ich habe mich, ehe ich selbst in die Bande eintrat, einige Male von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt, ich handelte dabei so, daß ich in keine Gefahr kam. Ich fälschte nämlich Befehle, welche den Interessen des Meisters ganz zuwiderlaufen mußten, aber sie wurden doch ausgeführt, ohne daß der Betreffende Unannehmlichkeiten hatte, und später, nachdem ich selbst als Verbrecher beim Seewolf Aufnahme gefunden, dirigierte ich das ganze Schiff durch Befehle, welche ich dem Seewolf in die Hände zu spielen wußte. Natürlich machte ich es so, daß sie nicht in direktem Widerspruch mit denen standen, welche der Seewolf ab und zu noch außerdem empfing. So viel weiß ich jetzt bestimmt, daß der Meister nicht eine einzige Person ist, sondern daß unter diesem Namen verschiedene Männer arbeiten, welche nicht voneinander abhängig sind, und von denen der eine oft nicht einmal die Pläne des anderen kennt, vielleicht nicht einmal die Aufträge, die er austeilt. Es ist eben eine schlecht organisierte Gesellschaft, die ihr Unwesen treibt.«

Der Ingenieur schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ich finde dies alles sehr merkwürdig und unglaublich. Wenn wirklich, wie Sie sagen, eine ganze Gesellschaft existiert, welche diese Verbrecherbande leitet, so ist doch anzunehmen, daß es eine ganz raffinierte Schwindlerbande ist, die nicht so plump operiert.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Hoffmann,« unterbrach ihn der Detektiv, »ich habe doch nicht gesagt, daß sie sich plump benimmt. Nein, im Gegenteil, sie operiert äußerst geschickt; wie wäre es denn sonst möglich, daß sie diese Hunderte und Tausende von Menschen, welche sie beschäftigt – und ich versichere Ihnen, es gibt darunter sehr pfiffige Köpfe – daß alle diese der festen Meinung sind, es gäbe nur einen Meister, der allmächtig ist, vor dem sie nicht nur Respekt, sondern auch eine grenzenlose Angst besitzen, weil er jeden Verrat fast im voraus wittert und mit dem Tode bestraft, gleichgültig, ob der Verräter im Zuchthaus, auf dem Meere oder in der Wildnis ist. Nein, nein, der Plan, nach dem sie arbeiten, ist äußerst geschickt angelegt, aber doch nicht geschickt genug – als daß ich – verzeihen Sie mein Eigenlob – als daß ich nicht sein Gewebe erkenne. Ich habe für so etwas aber ganz eigentümlich scharfe Augen. So zum Beispiel kommt das, daß es niemandem auffällt, daß diese Briefe von verschiedener Hand geschrieben werden, einfach daher, daß erstens einmal die eine Person nur immer Briefe in derselben Handschrift bekommt und ferner, daß die Briefe bei Todesstrafe sofort immer verbrannt werden müssen. Uebrigens sind nicht alle Briefe mit der Hand geschrieben, sondern mit Hilfe einer Schreibmaschine, wahrscheinlich von Leuten, welche einen Verrat durch ihre Handschrift befürchten, denn diese kommen besonders an solche Verbrecher, welche einst bessere Zeiten gesehen haben und eine gewisse Erfahrung haben. Beim Seewolf braucht so etwas nicht befürchtet zu werden, er kann die Handschrift eines Kindes nicht von der eines Advokaten unterscheiden.«

»Aus was für Leuten mag sich die an der Spitze stehende Gesellschaft zusammensetzen? Haben Sie davon schon eine Ahnung?«

»Nein, aber mein Verstand sagt mir, daß es reiche, angesehene, intelligente Leute sind, die ihre Fähigkeiten in unrechter Weise anwenden.«

»Und wie ist es möglich, daß Sie Briefe fälschen können, ohne daß dieser Betrug bemerkt wird?«

»Das kommt jedenfalls von der Art ihrer Einrichtung. Die Leute sind alle für sich. Jeder hat vielleicht auch eine besondere Bande, die für ihn arbeitet, aber es ist auch gestattet, daß einer die Bande des anderen benutzt, wenn er sie gerade gebraucht, und es ist ihm das erlaubt, wenn seine Befehle denen des ersteren nicht gerade zuwiderlaufen und störend auf dessen Pläne einwirken.«

Der Ingenieur blickte lange sinnend durch das Fenster, welches ihm die Aussicht auf Mgwana bot.

»Sie mögen recht haben,« sagte er dann, »daß der Meister in Person gar nicht existiert. Haben Sie schon eine Ahnung, wer diese Leute sind?«

»Nein, das zu erfahren, soll meine jetzige Aufgabe sein, und ich werde nicht eher ruhen, als bis ich sie kenne. Bis jetzt habe ich mich über die Werkzeuge orientiert, über welche sie befehlen, das heißt, über die Leute, welche in ihrem Dienste stehen, ebenso über die ihnen zu Gebote stehenden Mittel, und ich bin da wirklich auf großartige Resultate gestoßen. Aber soviel ich auch über die Person des Meisters zu erfahren suchte, ich hörte nichts weiter als Mutmaßungen oder auch Gerüchte, welche mit Ammenmärchen Ähnlichkeit haben. Ich brauche wohl jene Vorstellungen nicht erst wiederzugeben, die man sich über den Meister gebildet hat; es sind eben Ungeheuerlichkeiten, wie sie leicht in dem beschränkten, phantasiereichen und abergläubischen Kopfe eines Menschen entstehen können. Vor allen Dingen habe ich mich also dieses Snatcher versichert, denn es ist zehn gegen eins zu wetten, daß der Mann doch noch dem sorglosen Harrlington aus den Händen gezogen wird, weil der Mann jedenfalls einer Person, welche mit zu jener Gesellschaft gehört, gefährlich werden kann. Ich habe ihn vorläufig an einen sicheren Ort gebracht und werde Lord Harrlington davon benachrichtigen. Dieser Snatcher gab mir den ersten Anhaltepunkt, im wem ich eine der als Meister bezeichneten Personen zu suchen habe; durch den Seewolf habe ich dies bestätigt gefunden.«

Der Detektiv sah nachdenkend den Rauchwölkchen seiner Zigarre nach. »Und dann?« fragte der Kapitän. »Wie gedenken Sie weiter vorzugehen, und inwiefern kann ich Ihnen dabei nützlich sein? Sie dürfen auf mich zählen!«

»Lassen Sie mich erst kurz berichten, was ich seit jener Zeit getrieben habe, da ich unter die Flagge des Seewolfes trat. Es ist nicht viel davon zu sagen. Unsere Aufgabe bestand nur darin, ganze Banden von Verbrechern von einem Hafen nach dem anderen zu bringen, verfolgte Personen zu verstecken, kurz und gut, Kleinigkeiten – mit den Vestalinnen hatten wir nichts zu tun, bis vor einigen Wochen, als wir den Befehl erhielten, in ein Hafenstädtchen, nicht weit von hier, zu segeln, dann den roten Löwen aufzusuchen, von dem ich Ihnen schon vorhin erzählte, und diesen dahin zu bringen, daß er die Mädchen fängt und an den Meister verkauft. Um dieses zu verhindern, bin ich in solcher Eile hierhergelaufen, erfahre aber nun von Ihnen, daß eine Hilfe von Ihrer Seite unnötig ist, weil die Damen und Herren schon unter mächtigerem Schutze stehen, als Sie gewähren könnten, unter dem Schutze der Amazonen. Gut, ich sehe ein, daß ein Abmarsch Ihrer Mannschaft unnütz wäre.«

Dann führte der Detektiv weiter aus, wie er von Tannert erkannt worden war, sagte aber, daß dies nichts weiter zu bedeuten habe, denn einmal würde der rote Löwe weder den Seewolf, noch Tannert lebendig aus den Händen lassen, und übrigens hätte er auch gar nicht mehr die Absicht, unter den Verbrechern zu bleiben.

»Meine Bemühungen sollen nun darauf gerichtet sein,« fuhr er fort, »jene Gesellschaft ans Tageslicht zu bringen, welche in geheimer Weise alle diese Verbrecher beherrscht, und dazu werde ich mich eines Mittels bedienen, welches vielleicht nicht sofort Ihre Beistimmung finden wird, dessen Vorteil Sie aber bald einsehen werden.«

»Und was ist das?«

»Lassen Sie mich etwas weiter ausholen! Die Verbrecherbande, der ich bis jetzt angehörte, hat als Hauptaufgabe die Gefangennehmung der Vestalinnen bekommen, alles übrige betreibt sie nur so nebenbei, hauptsächlich solche Geschäfte, welche direkt Geld einbringen. Nun frage ich Sie, Herr Hoffmann: warum sollen wohl die Damen gefangen werden?«

»Diese Verbrecher scheinen sich überhaupt viel mit Mädchenhandel abzugeben,« entgegnete der Gefragte. »Warum sollten sie da nicht einmal nach weißer Ware trachten? Europäerinnen werden genug an asiatische Fürsten verhandelt; um schöne Mädchen in ihre Harems zu bekommen, zahlen diese jeden geforderten Preis.«

»Ich glaube doch, Sie sind auf einer falschen Fährte, wenn es auch möglich ist, daß die Damen wirklich als Sklavinnen verhandelt werden sollen. Wir müssen ins Auge fassen, daß die an der Spitze der Bande stehenden Leute sicher solche aus sogenannten besseren Kreisen sind, und daß sie sich nicht solche unglaubliche Mühe geben würden, wenn sie durch den Verkauf der Mädchen nur Geld herausschlagen wollten. Meinen Sie nicht?«

»Wohl, Sie haben recht, aber was anderes sollen sie bezwecken?« fragte Hoffmann nachdenkend.

»Alle Verbrechen entspringen, wenn man den Wahnsinn als Grund ausschließt, aus zweierlei Ursachen: aus Liebe und Sucht nach dem, was man nicht hat, sei es Geld, Ruhm oder sonst etwas, beleidigte Ehre und das Rachegefühl, das daraus entspringt, sind auch darunter zu rechnen. In den meisten Fällen werden die Verbrechen jetziger Zeit aus Geldgier vollführt, Rechnen wir also nun einmal mit der Liebe und mit der Geldgier. Könnte es nicht der Fall sein, daß die Mädchen gar nicht verkauft werden sollen, sondern daß die betreffenden Männer sie für sich selbst behalten wollen?«

»Das ist eine Annahme!« warf Hoffmann ein.

»Ja, weiter nichts, aber es scheint mir fast, als ob ich bei dieser Annahme nicht so sehr weit an dem Ziele vorbeigeschossen hätte, denn einige Aussagen vom Seewolf, wie besonders auch von Snatcher, lassen mich vermuten, daß diejenigen, welche die Mädchen beständig verfolgen, diesen sehr nahestehen.«

»In der Tat,« rief Hoffmann überrascht, »dann bringt dies allerdings Licht in die Sache!«

»Ferner müssen wir noch damit rechnen,« fuhr Sharp fort, »daß jene Leute die Mädchen nicht nur einfach als lebende Ware behandeln; sie wissen jedenfalls recht gut, vielleicht besser als wir, wie es mit ihren Familienverhältnissen steht. Nun sagen Sie einmal, Herr, Hoffmann, was geschieht denn mit dem Vermögen aller dieser reichen Damen, wenn ihr Schiff einmal untergeht und sie alle spurlos verschwinden?«

»Die Damen werden vor ihrer Abreise wohl Testamente hinterlassen haben, wenn sie keine rechtmäßigen Erben besitzen.«

»Die haben sie nicht,« entgegnete Sharp bestimmt. »Die Damen stehen mutterseelenallein in der Welt, sonst würden sie wohl ein so verrücktes Unternehmen überhaupt nicht begonnen haben. Nur zwei Ausnahmen gibt es: die eine ist Miß Staunton, welche einen Bruder hat, und die andere Miß Petersen, welche einen Stiefvater besitzt, der aber keinen Anspruch auf ihr Vermögen machen kann, sondern nur auf einen kleinen Pflichtteil.«

»Sie sind recht genau über die Verhältnisse der Damen orientiert,« lächelte Hoffmann.

»Gewiß, ich kann Ihnen sogar mitteilen, daß Miß Petersen ihren Stiefvater nicht im geringsten bedacht, sondern ein fremdes Kind, das sie liebt, als Erbin eingesetzt hat.«

»Ich weiß nicht, wohinaus Sie wollen,« sagte Hoffmann etwas ungeduldig.

»Nun, ich will verdammt sein, wenn es weniger auf die Damen selbst abgesehen ist, als vielmehr auf ihr stattliches Vermögen,« rief der Detektiv bestimmt. Kapitän Hoffmann blickte überrascht auf, er hatte verstanden.

»Ah so« sagte er gedehnt, »das wäre allerdings möglich!«

»Das ist nicht nur möglich, sondern es ist so, ich wette meinen Kopf darum. Die Mädchen werden nur als Zugabe mitgenommen, aber ich täusche mich wohl nicht, wenn ich glaube, daß diese sauberen Herren die schönsten für sich behalten wollen und die anderen einfach verschwinden lassen werden.«

»Verschwinden?«

»Nun ja, entweder sie kommen in die Sklaverei, oder sie werden auch ganz stumm gemacht, und letzteres glaube ich eher, denn eine Flucht aus der Sklaverei ist sehr leicht möglich und für diese energischen Mädchen eine Spielerei. Nein, unschädlich sollen sie gemacht werden, aber nicht getötet.«

»Wie das?«

»Es ist ein Ort bestimmt worden, wohin sie gebracht werden sollen, und von dem es wahrscheinlich keine Rückkehr gibt – nehmen jene Männer wenigstens an.«

»Wo ist dieser?«

»Ich werde Ihnen denselben aufschreiben und bitte Sie, sich darüber nicht so sehr aufgeregt zu zeigen.«

Sharp nahm Bleistift und Papier vom Arbeitstische und begann zu schreiben.

»Ist der Name so sehr schwer auszusprechen, daß Sie ihn aufschreiben müssen?« fragte der Kapitän lächelnd.

»Es ist gar kein Name, der Ort besitzt überhaupt keinen solchen. Ich kann nur seine geographische Lage in Zahlen wiedergeben, welche ich mir gemerkt habe. Hier sind sie.«

Er reichte dem Kapitän den Papierstreifen, und obgleich Sharp ihn vorher auf eine Ueberraschung vorbereitet hatte, sprang Hoffmann doch beim Lesen der Zahlen, welche die geographische Lage eines Ortes ausdrückten, vor Staunen vom Stuhle auf. »Ist es möglich,« rief er, »also dorthin sollen sie gebracht werden? Das ist allerdings wunderbar!«

»Dieses Wunder kommt uns sehr zu statten,« antwortete der Detektiv, »denn darauf gründet sich mein Plan, durch dessen Ausführung ich die ganze Sippschaft kennen lernen werde.«

»Erklären Sie mir diesen Plan! Jetzt sehe ich ein, wie nützlich ich Ihnen sein kann, und ich stelle mich Ihnen vollkommen zur Verfügung, sobald ich die Zweckmäßigkeit Ihres Vorschlages einsehe.«

»Nun, wie gedenken Sie wohl am leichtesten die an der Spitze Stehenden zu entlarven?«

»Sprechen Sie sich aus!« entgegnete Hoffmann, der die Art und Weise des Detektiven kannte, gern Fragen zu stellen und die Antwort als nicht richtig zu erklären.

»Was meinen Sie, ob wohl diese Herren in die Öffentlichkeit träten, wenn sie ihren Zweck erreicht hätten, das heißt, wenn die Damen plötzlich Schiffbruch litten, die ›Vesta‹ mit Mann und Maus unterginge und der Tod jener beglaubigt würde?«

»Sicher, wenn diese Leute wirklich die Absicht haben, in den Besitz des Vermögens der Damen zu kommen! Aber wie sollten sie das erreichen? Ich wüßte nicht, wie sie das anfangen wollten.«

Der Detektiv brach in ein herzliches Lachen aus.

»Verzeihen Sie, Herr Hoffmann,« sagte er, »aber, sehen Sie, wenn ich so ein offenes, ehrliches Gesicht vor mir sehe, das mit naivem Munde mir so etwas sagt, dann wandelt mich immer ein Lachen an. Denn sehen Sie, ich, der ich immer mit Verbrechern zu tun habe, habe fast ein ebensolches Gemüt bekommen, wie so ein Schuft. Sie verstehen wohl, wie ich es meine. Um in den Besitz eines Vermögens zu kommen, gibt es hundert Mittel, eins immer raffinierter als das andere, und daß diese Leute so fein arbeiten, wie nur irgend einer, daran ist doch gar kein Zweifel. Sie haben eine ungeheuer große Auswahl davon und noch dazu eine langjährige Praxis.«

»Ich gebe zu, daß ich in solchen Sachen unbewandert bin,« sagte der Ingenieur, und es schien fast, als schäme er sich vor dem Detektiven, »meine Kenntnis des Verbrechertums beschränkt sich fast auf das, was ich den Zeitungen entnehme, und die meisten Geschichten hielt ich eher für Uebertreibung. Erst Sie haben mir die Augen geöffnet.«

»Gut also, die Leute würden jedenfalls mit gefälschten Testamenten hervortreten und die Erbschaft in Empfang nehmen.«

»Wir wollen nicht wünschen, daß das Schicksal der Damen so etwas möglich macht.«

»Hm, mein Plan ist aber dem doch etwas ähnlich. Was meinen Sie nun ferner, Mister Hoffmann, was diese Leute wohl mit den Damen beginnen würden, wenn sie dieselben wirklich in ihre Gewalt bekämen?«

»Sie würden sie entweder verkaufen oder selbst behalten.«

»Letzteres glaube ich auch. Und wie wäre es, wenn wir diese Leute einmal auf die Probe stellten, was sie mit den Damen anfangen würden? Nun, Herr Hoffmann, was meinen Sie dazu?«

Der Kapitän blickte den Sprecher, der listig mit den Augen blinzelte, erstaunt an.

»Was für eine Absicht haben Sie?« fragte er dann.

Der Detekiv rückte seinen Stuhl näher an den des Kapitäns und begann leise und eindringlich zu sprechen. Hoffmanns Gesichtszüge wechselten fortwährend den Ausdruck, bald zeigten sie Ueberraschung, bald Unwillen, bald Sorge; das Erstaunen war aber immer vorherrschend.

Endlich schwieg der Detekiv wieder und blickte sein Gegenüber gespannt an.

»Nun, sind Sie einverstanden?« fragte er.

Hoffmann war so erregt, daß er aufstand und im großen Zimmer auf- und abzugehen begann.

»Nein,« sagte er, »dieses Spiel ist zu gewagt. Ich will nicht behaupten, daß der Erfolg unmöglich wäre, aber bedenken Sie die Damen! Es sind dies keine gewöhnlichen, ungebildeten Personen, sondern gefühlvolle Menschen, und diese würden die Lage, in welche Sie sie bringen wollen, sehr schmerzlich empfinden.«

»Bah, so viel für ihre Gefühle.« Der Detektiv schnippte mit den Fingern. »Die Damen haben bis jetzt gezeigt, daß sie sehr wenig Gefühl besitzen,«

»So? Ich dächte, sie hätten gerade bewiesen, daß sie sehr gefühlvolle Naturen sind. Hätten sie sich sonst der Sklavinnen so angenommen? Sind sie nicht stets eingetreten, wenn sie ein Recht bedroht sahen?«

»Halt,« rief der Detektiv, »wir sprechen von zwei verschiedenen Dingen. Ich meinte, sie haben bis jetzt nicht gezeigt, daß sie besonders empfindsam für Unglück sind, was man heutzutage als solches bezeichnet. Sie schlafen im Freien, trinken aus der Hand, essen von Blättern, wohnen in Erdlöchern, marschieren wochenlang zu Fuß; ob es schneit oder regnet, oder ob sie durch Flüsse müssen, ist ihnen ganz egal. Nun, zum Teufel, wenn sie dabei nicht gejammert, sondern nur gescherzt und gelacht haben, dann werden sie auch so etwas ertragen können!«

»Das ist etwas anderes.«

»So darf ich nicht auf Ihre Hilfe rechnen? Das ist mir sehr unangenehm, denn dann werde ich allein handeln, und es ist sehr die Frage, ob die Damen nicht besser daran sind, wenn Sie mir helfen.«

Der Kapitän hatte sich bei diesen Worten gerade am weitesten entfernt von dem Sprecher befunden, jetzt blieb er plötzlich stehen, drehte sich um und sah den Detektiven forschend an.

»Es ist Ihr fester Entschluß, diesen Plan zur Ausführung zu bringen?«

»Ja. Anders ist es nicht möglich, die Gesellschaft zu fassen.«

»Bleiben Sie hier? Ja? Gut, so bitte ich Sie, bis morgen auf meine Entscheidung zu warten, ob ich Ihnen helfe oder nicht. Aber haben Sie auch an die englischen Herren gedacht? Diese müssen auf jeden Fall benachrichtigt werden –«

»Auf keinen Fall,« unterbrach ihn der Detektiv und sprang auf, »das würde den Anschlag vollkommen unnütz machen. Alle Achtung sonst vor diesen Herren, sie haben während ihrer Weltreise mein Vertrauen erworben, aber so gewiß wie zweimal zwei vier ist, dürfen sie mit keinem Warte von diesem Unternehmen erfahren.«

»Warum denn nicht? Sie nehmen an den Damen ebensoviel und vielleicht noch mehr Anteil als wir.«

»Eben darum! Sie würden alles zu schanden machen. Es gibt unter ihnen doch einige, welche ihre Zunge nicht im Zaum halten können, und wenn sie auch schwiegen, schon das Andeuten, daß man ein Geheimnis besitzt, gleicht fast dem Verrate desselben. Glauben Sie mir, Herr Hoffmann, ich bin ein Menschenkenner – sie würden nicht schweigen, es ist eine Unmöglichkeit, daß so viele Menschen ein Geheimnis besitzen.«

»Sie haben recht, ich sehe es ein. Was aber sollen wir den Herren sagen?«

»Ueberlassen Sie das mir! Ich werde Mittel finden, sie zu beruhigen.«

»Wenn sie aber die Verfolgung der Damen nicht aufgeben wollen?«

»Sie werden es müssen. Doch nun, Herr Hoffmann, noch eine Frage: Haben Sie irgendwo ein Geheimnis, welches zu erfahren für andere von großer Wichtigkeit wäre, von solcher Wichtigkeit, daß der Betreffende keine Anstrengung, keine Geldkosten, und wenn es Millionen wären, scheut, um in den Besitz dieses Geheimnisses zu kommen?«

»Ich?« sagte der Kapitän erstaunt. »Nein, ich habe – doch ja,« unterbrach er sich, die Hand auf die Stirn legend, »das könnte allerdings sein.«

»Haben Sie schon gemerkt, daß jemand sich bemüht, dieses Geheimnis zu erfahren?«

»Georg hat mir erzählt, daß der Inder, der ihn in Bombay gefangen hielt, seltsame Fragen an ihn stellte, die den »Blitz« betrafen. Sonst nichts weiter.«

Der Detektiv nickte vor sich hin.

»Wie kommen Sie zu dieser Frage?« fragte Hoffmann.

»Sie wissen doch, daß es bekannt geworden ist, wo der »Blitz« erbaut wurde!« sagte Sharp.

»Ich weiß, die Zeitungen erzählten es. Dabei ist aber nichts weiter. Ich habe nicht für nötig gehalten, die Spuren meiner Werft vollständig zu vernichten.«

»Wissen Sie auch, daß eine Person den Meeresgrund, wo sich die schwimmende Werft befunden, von Tauchern hat untersuchen lassen?« »Auch das ist mir zu Ohren gekommen.«

»Wissen Sie auch, daß die gefundenen, leeren Farbentöpfe und so weiter zerschlagen, daß der Inhalt herausgekratzt worden ist und daß man diesen ganz genau untersucht hat, um die Bestandteile dieser Farbe zu erfahren?«

»Ich weiß alles,« lächelte der Ingenieur, »aber ich weiß auch, daß man nichts Außergewöhnliches gefunden hat. Was veranlaßt Sie, so geheimnisvoll zu fragen?«

»Ich kalkuliere, daß dieselbe Person, welche alles dies ins Werk setzte, sich nicht damit zufrieden gibt, nichts gefunden zu haben, sondern daß sie weiterforschen wird.«

»Wie sollte sie das tun?«

»Leicht möglich, daß sich der Betreffende an ebendieselbe Gesellschaft wendet, welche die Damen verfolgt, in der Hoffnung, diese könnte ihr das Rätsel lösen.«

Hoffmann schaute den Detektiven forschend an.

»Ist dies nur eine Vermutung, oder haben Sie so etwas aus sicherer Quelle vernommen?«

»Die Fragen des Inders ließen zuerst die Vermutung in mir aufsteigen; eine Unterredung des Seewolfs mit einer geheimnisvollen Person, die mit zu dem Bunde des Meisters gehört, bestätigte diese.

»Sehen Sie sich vor, Kapitän Hoffmann. Dieser Meister, wer er auch sein mag, scheut vor nichts zurück, wenn er gut dafür bezahlt wird.«

Die letzten Worte hatte der Detektiv mit erhobener Stimme gesprochen, aber sie machten auf den Ingenieur keinen Eindruck, er blieb mit verschränkten Armen vor Sharp stehen und blickte denselben lächelnd an.

»Ich habe nicht zu fürchten, daß mir mein Geheimnis geraubt wird,« sagte er, »denn wenn Sie behaupten, daß dadurch schon ein solches halb verraten ist, daß man gesteht, eins zu besitzen, so trifft dies bei mir nicht zu.«

»Haben Sie dieses Geheimnis schriftlich fixiert? Da ist es doch immer noch möglich, daß es Ihnen abgenommen wird.« »Verzeihen Sie mir, wenn ich mich zu Ihnen darüber nicht im geringsten aussprechen kann.«

»Haben Sie es vielleicht hier?«

Sharp tippte mit einem Finger leicht gegen die Brust des Ingenieurs, und es war fast, als ob der große, herkulische Mann einen Faustschlag gegen die Brust erhalten hätte, so schnell trat er einen Schritt zurück, und auch sein Antlitz erbleichte.

»Wie kommen Sie auf eine solche Vermutung?« fragte er ganz bestürzt.

»Nun, wenn man ein Geheimnis nicht schriftlich besitzt, so trägt man es gewöhnlich im Herzen,« sagte der Detektiv leichthin. Hoffmanns Gesicht flammte plötzlich purpurrot auf, dann drehte er sich kurz um und nahm mit großen Schritten wieder die Wanderung im Zimmer auf.

»Seien Sie offen!« sagte er dann, vor Sharp stehen bleibend. »Wissen Sie etwas?«

»Ja, jetzt! Bis vor einer Minute wußte ich nichts davon, aber Ihre plötzliche Fassungslosigkeit verriet mir, daß Sie wirklich etwas besitzen, auf das Sie großen Wert legen. Sie tragen ihr Geheimnis nicht, wie ich vorhin fügte, im Herzen, sondern auf dem Herzen, und, Kapitän Hoffmann, seien Sie vorsichtig, ich sage Ihnen nochmals, die Person, welcher der Raub dieses Geheimnisses aufgetragen worden ist, bebt vor nichts zurück, in den Besitz desselben zu kommen. Es ist ja so einfach, einem Menschen etwas abzunehmen, was er bei sich trägt, besonders, wenn sein Leben dabei nicht in Betracht kommt. Also nochmals, Herr Hoffmann, seien Sie vorsichtig! Noch weiß niemand etwas davon, aber es ist leicht möglich, daß andere dasselbe ahnen, wie ich.

»Und nun,« fuhr Sharp nach diesen in ernsthaftem Tone gesprochenen Worten in seiner gewöhnlich heiteren Weise fort, »nun gestatten Sie mir, wieder einen Europäer aus mir zu machen.« »Mein Kleiderschrank steht Ihnen zur Verfügung,« sagte der Ingenieur.

»Danke,« lachte der Detektiv, »ich werde den von Georg gebrauchen müssen, denn bin ich auch im stande, mein Gesicht nach Belieben zu ändern, den Körper zu kürzen oder gar länger zu machen, das ist selbst für Nick Sharp zu viel.«


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