Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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13.

Im Innern des Vulkans.

Noch eine Stunde hatten die Damen und Herren über Berg und Tal, durch dichte Wälder, gebildet von Kaurifichten, zu marschieren, dann erblickten sie zum ersten Male ihr Ziel ganz dicht vor sich, dessen Nähe sie schon lange vorher an der zunehmenden Temperatur gespürt hatten.

Es galt den Besuch des Tongariros, eines zweitausend Meter hohen, noch tätigen Vulkans auf der Nordinsel von Neuseeland.

Gestern abend waren sie mittels Eisenbahn in Matchaneea angelangt, einem Städtchen, hatten daselbst unter den erbärmlichsten Verhältnissen übernachtet und waren früh beizeiten nach dem etwa zwanzig englische Meilen entfernten Vulkan aufgebrochen, ein Weg, den sie in etwa sechs Stunden zurücklegen konnten.

Sie waren so leicht, wie möglich, gekleidet, um während des Marsches keine Beschwerlichkeiten zu empfinden, führten selbst keine schweren Waffen bei sich und ließen sich einige Zelte und Mundvorräte von Eingeborenen nachtragen. Die Mitnahme von Gewehren hätte keinen Zweck gehabt, Neuseeland ist die an Tieren ärmste Gegend der Welt. Gibt es hier doch nur drei Arten von kleinen Säugetieren, und das einzige Tier, welches eine Jagd gestattet, ist der Kiwi, ein flügelloser, straußenähnlicher Vogel. Reich ist Neuseeland dagegen an Fledermäusen, von denen es ungeheuer große Arten dort gibt.

Der Weg nach dem Vulkan war schön zu nennen; er bot ganz eigentümliche Abwechselungen. Hauptsächlich war der Boden mit Wäldern von Kaurifichten bedeckt, jenen Nadelbäumen, aus welchen die Eingeborenen das Kauriharz, den Hauptausfuhr-Artikel Neuseelands gewinnen, und zwischen den Bäumen erhoben sich riesige Farren. Auf Lichtungen erreichten diese Pflanzen eine solche Höhe, daß die Marschierenden von ihnen vollkommen verdeckt wurden. Neuseeland ist das Land der Farren.

Je mehr man sich dem Vulkane näherte, dessen Anblick die dichten Wälder noch nicht zuließen, desto üppiger wurde die Vegetation, hauptsächlich die der Farren. Sie erreichten oft die Höhe von zwei Metern, so daß sie fast Bäumen glichen. Den Grund zu dieser Fruchtbarkeit des Bodens konnten die Reisenden selbst wahrnehmen. Die Erde fühlte sich förmlich heiß an, und dabei war die Luft mit Wasserdampf gesättigt, also herrschte hier fast jene Temperatur, unter welcher einst vor Tausenden von Jahren, in der sogenannten Urzeit, riesige Farrenwälder die ganze Erde bedeckten, welche durch ein Naturereignis vernichtet wurden, und deren unzersetzbare Bestandteile jetzt die Kohlenflötze bilden. Oft findet man noch Kohlenstücke, in denen man deutlich die Abdrücke von jetzt unbekannten Farrenkräutern von enormen Dimensionen wahrnimmt.

In der Nähe des Vulkans schien die Erde noch dieselben Eigenschaften zu besitzen, wie vor vielen tausend Jahren. Nicht nur die Vegetation erinnerte an jene Zeit, auch die Fauna, das heißt, das Tierreich brachte diesen Eindruck hervor. Die ungeheuren Fledermäuse, welche träge an den Aesten der Fichten hingen, den Kopf nach unten, mit den Fängen sich anklammernd und den ganzen Körper mit den Flügeln verhüllend, waren den einstigen drachenähnlichen Geschöpfen zu vergleichen, denn die Erde war zur Zeit der Farrenkräuter der Tummelplatz von riesigen Amphibien, wie Krokodilen, Salamandern, Fröschen, von denen wir uns nur aus aufgefundenen Knochengerippen eine Vorstellung machen können. –

Die Eidechsen, welche zwischen dem Farn umherhuschten, waren immer noch groß genug, oft über einen Meter lang, und Frösche gab es, deren Maul weit genug war, um einen Vogel verschwinden zu lassen. Schlangen dagegen fehlten völlig. Neuseeland besitzt nicht eine einzige Art dieser Reptilien.

Die Hitze in der Nahe des Vulkans ward lästig, der Schweiß drang aus allen Poren des Körpers, und da die Luft sehr feucht war, so trocknete er nicht ab, sondern rann in Strömen herunter.

»Endlich eine Quelle!« rief ein junges Mädchen. »Mich plagt schon seit einer Stunde ein fürchterlicher Durst. Sir Hendricks,« wendete sie sich an ihren Begleiter, »Sie haben doch wohl einen Becher bei sich. Bitte, leihen Sie mir denselben, damit ich Wasser schöpfen kann.«

Der Angeredete holte sofort ein Etui aus der Tasche und entnahm demselben einen zusammensetzbaren Silberbecher, übergab ihn aber natürlich nicht der Dame, sondern begab sich selbst nach der Quelle, welche zwischen Fichten und Farnkräutern lustig hervorsprudelte.

Er bückte sich und tauchte den Becher in das klare Wasser, ließ aber mit einem Schmerzensschrei das Gerät fallen und lief, die Hand schlenkernd, hin und her, als ob er heftige Schmerzen empfände.

»Was haben Sie denn?« rief das Mädchen ängstlich. »Hat ein Tier Sie gebissen?«

Auch die übrigen hatten sich sofort um Hendricks versammelt, der noch immer mit kläglicher Miene an dem Rande der Quelle auf- und abrannte.

»Halten Sie nur einmal die Hand hinein,« jammerte er jetzt, »und ich wette, daß Sie mir Gesellschaft leisten werden!«

Es klärte sich bald auf, was dem armen Hendricks widerfahren war. Das Wasser der Quelle war sehr heiß, es kochte fast, und natürlich hatte er sich darin die Hand stark verbrannt.

»Aber es dampft ja gar nicht,« meinten einige der Damen. »Die Luft ist so mit Wasserdämpfen gesättigt, daß sie keine mehr aufnimmt,« sagte Harrlington, »anders läßt sich das nicht erklären.«

»Wenn man so gegen die Sonne sieht, kann man sie doch sehr gut bemerken,« rief Charles Williams, »nur nicht im Schatten. Das ist aber wirklich famos hier auf Neuseeland! Nur müßte hier nebenan noch eine Quelle mit Rum fließen, dann könnte man sich sofort einen Grog brauen.«

»Und Fleisch und Eier kochen,« ergänzte Hannes.

Der Matrose fischte mit einem Aste den Becher wieder heraus und füllte ihn abermals vorsichtig mit Wasser, ohne sich dabei zu verbrennen.

Nachdem das Wasser sich abgekühlt hatte, wurde es gekostet, und man fand es etwas nach Schwefel schmeckend – das Becken enthielt eine heiße Schwefelquelle.

Je weiter sie drangen, an desto mehr solcher heißen Gewässer kamen sie, und je mehr diese zunahmen, desto spärlicher wurde die Vegetation, fast nur noch Farnkräuter sah man auf dem harten und immer heißer werdenden Boden, aber diese hatten noch eine enorme Höhe. Schließlich hörten auch diese auf, und der aus den Büschen hervortretende Reisende genoß einen imposanten, schauerlich schönen Anblick, wie noch nie zuvor.

Aus einem hohen Felskegel schlug eine gelbrote Flamme zum Himmel empor, über welcher schwefelgelbe Dampfwolken schwebten, die vom Winde weithin durch die Luft getragen wurden, bis sie endlich in die Farbe des Himmels übergingen. Schon aus dieser großen Entfernung konnte man erkennen, daß der Berg nicht nur Feuer, sondern auch Lava und Steine ausspie. Die Massen fielen alle nach der den Zuschauern gegenüberliegenden Seite, nach dem mächtigen Taupa-See, im Norden vom Tongariro gelegen, teils unterwegs schon erstarrend, teils in den Fluten des Sees erkaltend.

Es waren manche unter den Damen und Herren, welche schon einmal Gelegenheit gehabt hatten, einen tätigen Vulkan zu sehen, aber das Schauspiel, welches die nächste Umgebung des Berges ihnen bot, war allen neu. Der Anblick erfüllte sie halb mit Grausen, halb mit Bewunderung.

Aus allen Spalten, Rissen und Löchern sprudelte es hervor, zischte, kochte und dampfte, denn das hier entspringende Wasser war weit über den Kochpunkt erhitzt, und erst durch die Abkühlung wurde der Dampf in solches wieder verwandelt, sammelte sich am Boden und floß in Bächen ab, aber immer erst um den Berg herumlaufend und dann wahrscheinlich den Weg direkt nach dem tiefer liegenden Taupa-See nehmend.

Nur einigen wenigen Bächen war es gelungen, sich nach Süden einen Weg zu bahnen, und ein solcher war vorhin getroffen worden.

Hier, dicht am Berge, war der Boden völlig mit einer dicken Schwefelkruste bedeckt, daher fehlte auch der Pflanzenwuchs, und die schon vorher wahrnehmbare Hitze war hier sehr stark, belästigte aber noch nicht die Atmungs- und Geruchsorgane.

Die Gesellschaft zerstreute sich etwas und besichtigte die einzelnen Quellen, welche teils seitwärts aus den Felswänden oder aus dem Boden in die Höhe sprangen. Man mußte sich aber vorsehen, nicht zu sehr in ihre Nähe zu kommen, denn leicht konnte eine Drehung des Windes die heißen Dämpfe ablenken und Brandwunden verursachen. Der Dampf umgab die Gesellschaft zwar auch jetzt, aber er war doch schon so abgekühlt, daß er ungefährlich war.

Die Eingeborenen, Maoris, zum Stamme der Polynesier gehörend, schlugen unterdes Zelte auf und richteten die mitgenommenen Vorräte zum Mittagessen her. Man hatte beschlossen, diesen Tag zur Besichtigung des Vulkans und seiner Umgebung zu benutzen, die Nacht im Walde zuzubringen und am folgenden Morgen den Rückweg nach dem Städtchen anzutreten. Die Ausbesserung der ›Vesta‹ und des ›Amor‹ im Dock zu Wellington nahm etwa drei Wochen in Anspruch, und daher konnte auf die vielen Ausflüge genügend Zeit verwendet werden.

An eine Besteigung des Vulkans war natürlich nicht zu denken. Einmal machte der steile Felskegel eine solche sehr beschwerlich, vielleicht sogar unmöglich, und dann wäre sie jedenfalls mit größter Gefahr verknüpft gewesen. Leicht konnten einmal die herabströmenden Lavamassen eine andere Richtung nehmen, und alles, was dieser glühende Strom erreichte, ging in Flammen auf, selbst Steine wurden durch ihn geschmolzen.

Das frugale Mittagessen war vorüber, man legte sich im Schatten der Zelte zur Ruhe nieder, um die heißesten Stunden des Tages zu verträumen. Am Nachmittag sollte ein Spaziergang um den Berg herum gemacht werden.

Hannes war der einzige, welcher keine Ruhe finden konnte.

Gleich nach dem Essen hatte er das Zelt wieder verlassen und war, als er eine Zeitlang vergebens auf Hope gewartet hatte, auf eigene Faust in der Umgebung herumgestreift. Erst nach einer Stunde kam er zurück, sehr aufgeregt, und begab sich sofort nach dem Zelte, in welchem er Sir Williams wußte.

Er rüttelte den Schläfer erst leise, dann stärker, bis Williams die Augen aufschlug und den Störenfried unwillig anblickte. Aber im nächsten Augenblick war er vollständig ermuntert, er erkannte Hannes, seinen Diener, und sofort hatte er seine sonstige Fröhlichkeit wiedererlangt.

»Was gibt es, Hannes?« fragte er.

»Kommen Sie mit mir,« antwortete dieser, »ich habe eine großartige Entdeckung gemacht.«

Hannes war ganz aufgeregt.

»Was denn?«

Auch Charles wurde gespannt.

»Ich habe ein Loch gefunden.« Trotzdem in dem Zelte noch andere Herren lagen, welche durch die drückende Hitze in tiefen Schlaf gefallen waren, brach Williams doch in ein lautes Lachen aus.

»Ein Loch, sagst du? Wo denn, in deinen Hosen oder wo?«

»Unsinn,« rief Hannes, »in der Felsenwand. Ich bin wohl hundert Meter weit hineingegangen. Es führt ganz steil abwärts, und erst, als ich das Tageslicht nicht mehr sehen konnte, bin ich umgekehrt. Aber ich glaube, es geht tief, tief hinein. Wollen wir beide einmal den Gang oder die Höhle näher untersuchen?«

»Das können wir,« sagte Charles und stand auf. »Aber so sehr weit wird der Gang wohl nicht führen, sonst stieße er ja auf die Höhlung des Vulkans und würde ebenfalls Feuer speien.«

»Wer weiß, wie die Zugänge zu dem Krater laufen, vielleicht ganz schräg. Wir müssen den Gang auf jeden Fall untersuchen, schließlich kommen wir auf der anderen Seite der Erde wieder an das Tageslicht.«

»Du hast wohl – Sie haben Wohl Bergbau studiert, daß Sie so genau wissen, wie die Krater des Vulkans laufen?« lachte Charles. »Na, meinetwegen, ich komme mit, viel Gescheites wird Wohl nicht daran sein, habe schon genug Höhlen gesehen.«

»Oho, aber so eine noch nicht. Es ist gerade, als ob man in ein Paradies käme, anfangs nicht, aber nach und nach stößt man auf immer mehr Pflanzen, besonders auf Farren.«

»Ist es denn hell darin?«

»So weit das Tageslicht hineinscheint, ja, später wird es dunkel, wir müssen Fackeln oder Lichter mitnehmen.«

»Kann man es denn vor Hitze darin aushalten?«

»Es geht mit der Hitze, es herrscht eine feuchte Wärme darin, aber sie ist erträglich.«

Charles hatte sich unterdes den Rock angezogen und steckte aus einem Proviantkasten Lichter und Streichhölzer zu sich.

»All right,« sagte er dann, »ich bin fertig, mm zeigen Sie mir Ihre sonderbare Höhle!«

Beide verließen das Zelt.


Eine Stunde später versammelten sich die übrigen, jetzt wohl ausgeruht, vor den Zelten, um einen gemeinschaftlichen Spaziergang rund um den feuerspeienden Berg zu machen. Sofort wurden Williams und sein Diener vermißt, aber man nahm an, daß sie schon vorausgegangen wären, und so hoffte man, bald wieder mit ihnen zusammenzutreffen.

Nach zwei Stunden beschwerlichen Marsches über mit Steinen besäte Plateaus, gelangte man an den Ort, wo die glühende Lava nach dem Norden zu abfloß. Es war ein imposantes Bild, das sich ihnen darbot; wie eine riesige Schlange wand sich die wohl zwanzig Meter breite, schwarze und rauchende Masse in einem selbst bereiteten Bett hin, aber sie konnte auch bei größeren Eruptionen austreten und sich meilenweit erstrecken, das verriet die ganze Gegend, welche wie ausgebrannt erschien. Kein Baum, kein Strauch, nicht der kleinste Grashalm war zu erblicken, nichts als eine öde, schwarze Fläche, welche mit einer Lavakruste bedeckt war.

So weit es die ausströmende Hitze erlaubte, näherte sich die Gesellschaft diesem seltsamen Flusse. Hineingeworfenes Papier, ein Stückchen Holz gingen sofort in Flammen auf, und eine Kupfermünze, welche obenauf schwamm, sah man langsam schmelzen und sich nach und nach mit der Lava vermischen.

Ebenso wäre natürlich auch ein jeder organische Körper spurlos in dem unheimlichen Elemente verschwunden.

»Wo aber mögen nur Sir Williams und Hannes stecken?«

Diese Frage warf einer der Herren auf, als sie den Rückweg antraten. Sie hatten erst vorgehabt, den Berg rings zu umgehen, aber niemandem war es eingefallen, daß der glühende Lavastrom ein unübersteigliches Hindernis bildete. Das reißendste Wasser, meilenbreit, hätten sie eher überwinden können, als diese an sich nur schmale, breiartige Masse, die ein allverzehrendes Feuer in sich barg.

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Weg zurückzumachen und entweder gleich oder am nächsten Tage die andere Seite zu besuchen, aber alle waren mit dem genossenen Anblicke schon zufrieden, die Gegend bot in ihrer Oede und Trostlosigkeit keine Abwechselung, an der sich das Auge hätte ergötzen können.

Es wurde allgemein beschlossen, es mit dieser Partie genug sein zu lassen, lieber wollte man sich noch etwa zwischen den Kaurifichten und den Farrenkräutern ergehen.

»Es ist nicht anzunehmen, daß sie allein, ohne uns davon in Kenntnis gesetzt zu haben, den Lavastrom von der anderen Seite des Berges zu erreichen gesucht haben,« antwortete Harrlington auf den Ausruf des Fragers, »und wenn sie diesen Weg genommen hätten müßten wir sie unbedingt erblickt haben. Sie werden den Aufenthalt in den Zelten dieser mühseligen Reise vorgezogen haben.«

»Das sieht den beiden sonst nicht ähnlich,« meinte Miß Thomson. »Außerdem haben wir ausdrücklich noch hinterlassen, welchen Weg wir einschlagen würden.«

Der Rückmarsch ging sehr schweigsam von statten. Mißstimmung über das Fehlen der beiden hatte sich aller bemächtigt; gerade sie waren die fröhlichsten unter der Gesellschaft, und man vermißte ihre Scherze und ihr Lachen fortwährend.

Eine große Bestürzung trat ein, als man, bei den Zelten angekommen, erfuhr, daß die beiden noch nicht zurück seien.

Die mitgenommenen Maoris, von denen nur einige als Führer gebraucht worden waren, wurden verhört, aber sie konnten keine Auskunft geben. Auch sie hatten während des heißen Mittags im Schatten geschlafen.

Da teilte Hannibal, welcher als Dolmetscher fungierte, seinem Herrn mit, daß die Maoris auch schon seit längerer Zeit die Rückkehr eines der ihrigen erwarteten. Er wäre der einzige gewesen, welcher nicht geschlafen, sondern sich zwischen den Zelten herumgetrieben hätte. Aber als die Gesellschaft fort war, sei er plötzlich wieder im Lager erschienen, habe sich mit Stricken und seinen Waffen versehen und sei dann wieder fortgegangen, oder aber, habe sich davongeschlichen, als wolle er niemanden zum Begleiter haben.

»Weiß jemand, wohin sich der Maori gewendet hat?« ließ Harrlington, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, durch Hannibal fragen.

Lange Zeit meldete sich niemand, aber nachdem die Frage wiederholt gestellt und das Versprechen einer Geldbelohnung erfolgt war, trat ein Maori vor.

»Ich, Herr,« sagte er. »Mir fiel es auf, daß sich Maketu vor seinem zweiten Weggange mit Stricken und Waffen versah, und daß er dann ebenso ungesehen sich fortzuschleichen suchte, wie er vorher angekommen war. Aber meinen scharfen Augen entging seine Bemühung, sich unbemerkbar zu machen, nicht, ich schlich ihm nach, um ihn zu beobachten. Er nahm erst den Weg dort in jenes Kauriwäldchen, hieb sich einige Fichtenzweige ab und lief dann dem Berge zu, ich ihm nach, mich immer versteckt haltend. Vor einem niedrigen Loche in der Steinwand blieb er plötzlich stehen, und ich sah ihn darin verschwinden. Ich wartete fast eine halbe Stunde, faßte dann den Entschluß, selbst in das Loch zu gehen, weil ich neugierig war, zu wissen, was Maketu so lange darin. Aber wie ich nur den Kopf hineinsteckte, fuhr ich erschrocken zurück, eine ungeheure Eidechse, wie ich sie noch nie gesehen habe, wollte eben das Loch verlassen. Es ist nicht gut, Herr, in solche Löcher zu kriechen, und gar noch hier im Tongariro. Unsere Götter, die wir früher verehrten, wohnen einstweilen in denselben, bis sie neue Kraft gesammelt haben, um den jetzigen Gott zu besiegen. Wehe uns dann, wenn sie den Kampf gewinnen! Wir, die wir ihnen abtrünnig geworden sind, werden dann alle im Tongariro gebraten!«

Die Maoris, ein anstelliges, in allen Handwerken geschicktes und schon sehr kultiviertes Volk, sind in letzter Zeit alle zum Christentum bekehrt worden; welche unklaren Begriffe aber in ihrem Kopfe herrschen, das zeigten jetzt die letzten Worte dieses Mannes. Er hätte noch langer von seinen alten Göttern und dem neuen Gotte erzählt, wenn nicht auf Geheiß des Lords Hannibal ihn unterbrochen hätte.

»Hast du Maketu die Höhle wieder verlassen sehen?« mußte er fragen.

»Nein, obgleich ich ziemlich lange gewartet habe.«

»Was mag er darin zu suchen haben?«

»Maketu ist ein schlechter Mensch, er will wahrscheinlich seine Götter aufsuchen und zu ihnen beten.«

»Kannst du dich nach der Höhle zurückfinden?«

Der Maori versicherte es.

Jetzt wandte sich Lord Harrlington zu den übrigen, welche dieser Unterredung beigewohnt hatten.

»Es scheint fast, als ob Sir Williams und Hannes jene Höhle betreten hätten, in welche dann auch dieser Maketu gekrochen ist. Entweder hat letzterer die beiden begleitet und ist von ihnen zurückgeschickt worden, um Stricke und Fackeln zu holen, welche zum Vordringen in die Höhle nötig waren, oder aber, eine schlimmere Vermutung, Maketu ist ihnen in böser Absicht gefolgt. Ich werde mich unverzüglich auf den Weg nach jener Höhle machen, dieser Maori wird mich führen. Wer von den Herren will mich begleiten?«

Kein einziger schloß sich aus; die Herren, wie die Mädchen trafen sofort Vorbereitungen, in die Höhle einzudringen. Sie versahen sich ebenfalls mit Stricken und Zweigen der harzigen Kaurifichte, außerdem noch mit Lichtern und auf den Rat Harrlingtons noch mit einigen Hacken, Schaufeln, Meißeln und Hämmern und folgten dann dem vorausschreitenden Maori.

Schon nach einer Viertelstunde hatte dieser das Ziel, die Höhle, erreicht.

Diese Seite des Berges war nicht so eben, wie die andere; der Boden war nicht nur mit Felsblöcken bedeckt, er war auch von tiefen Rissen und Sprüngen durchzogen, so daß es den Eindruck machte, als wäre einst auch hier die vulkanische Kraft des Tongariro durchgebrochen.

Der führende Maori hielt vor einem kleinen Loch in der Felswand und deutete darauf. Es war so klein, daß es noch niemandem aufgefallen war.

»Hierhinein habe ich Maketu kriechen sehen,« sagte er.

»Wie, das soll eine Höhle sein?« rief Ellen. »Das Loch erlaubt ja kaum, daß ein starker Mensch sich hindurchzwängen kann!«

»Es ist so,« versicherte der Maori, »und ich habe gesehen, als ich den Kopf durchsteckte, daß die Höhle gleich ganz breit und hoch wird, so hoch, daß man sich aufrecht stellen kann.«

Nach kurzer Beratung beschloß man, sie zu betreten, aber da einige draußen bleiben sollten, so traten einzelne freiwillig zurück, zum Beispiel Lord Hastings, welcher bezweifelte, seine breitschultrige Gestalt durch dieses Loch schieben zu können. Gern hätten alle die Wanderung in diese Höhle unternommen, denn sie versprach, Abenteuerliches zu bieten, aber es war unbedingt notwendig, daß einige draußen warteten.

Einer nach dem anderen schlüpfte hinein, und als der letzte das Innere betreten, zählte Lord Harrlington achtzehn Herren und elf Damen. Der Maori war zurückgeblieben; alle Versprechungen hatten nicht vermocht, ihn mitzubekommen, er fürchtete sich vor den bösen Geistern, welche, seiner Meinung nach, derartige vulkanische Höhlen bewohnten. Dagegen hatte der Lord seinen Diener Hannibal mitgenommen, weil dieser bei der Verfolgung von Spuren sehr nützlich sein konnte.

Die Höhle war, wie man in dem durch das Loch einfallenden Tageslicht sehen konnte, allerdings sehr geräumig, ihre Wände waren völlig glatt, aber mit kurzem, grünen, moosähnlichen Pflanzenwuchs bedeckt, ebenso wie der Boden, auf dem eine dicke Schicht richtigen Humusbodens lag, der mit Farrenkräutern überwuchert war. Die Luft war feucht und warm, aber nicht unangenehm.

Ein Ende der Höhle konnte man nicht sehen. Undurchdringliches Dunkel hinderte bald jede Aussicht, und das kam hauptsächlich daher, daß der Boden der Höhle sich jäh senkte, aber ein Gehen noch erlaubte.

Ohne das Licht einer Fackel nötig zu haben, erkannte Hannibal sofort auf dem weichen schwarzen Boden mehrere Fußabdrücke.

»Diese Spur hier,« sagte er, auf einige Abdrücke deutend, »ist die von Hannes, diese von Sir Williams, diese von nackten Füßen herrührend, die des Maori. Letzte ist viel später eingetreten, als die beiden ersteren. Hannes hat den Eingang zur Höhle dreimal passiert, zweimal hinein und einmal heraus, die anderen sind nur hineingegangen. Alle drei befinden sich also noch darin.«

Er sprach mit der ebenfalls mitgenommenen Yamyhl, in den tiefen Gaumenlauten ihrer Heimatssprache und fuhr dann in seiner Erklärung fort:

»Williams und Hannes sind einfach geradeaus geeilt, nicht besonders schnell, aber ohne sich aufzuhalten; der Eingebogene dagegen ist vorsichtig gegangen, meist sogar auf den Zehenspitzen, und immer an den Wänden.«

»Er war nicht in Begleitung unserer beiden Freunde?« fragte Lord Harrlington.

Hannibal schüttelte energisch den grauen Kopf.

»Nein, er ist ihnen gefolgt und hat sich bemüht, möglichst unhörbar und ungesehen vorzudringen. Er ist ihnen nachgeschlichen.«

»Meine Ahnung bestätigt sich,« rief der Lord, »der, Maori hat böses gegen die beiden im Sinne, wahrscheinlich hat er einen Raubanfall vor. Auf, laßt uns eilen, um ihn daran zu hindern! Geben Sie gut acht, daß er nicht an uns vorbeischlüpft; hoffentlich hat die Höhle keine weiteren Ausgänge und teilt sich nicht, so daß wir uns trennen müssen.«

Der Zug ordnete sich; zuerst gingen Hannibal und Yamyhla, zwischen ihnen Harrlington, dem die übrigen folgten, zu zweien oder dreien, so daß die äußersten dicht an den Wänden gingen, denn es kam ihnen sehr darauf an, den Maori nicht entschlüpfen zu lassen.

Die Führer hatten Fackeln angezündet, und deren Licht genügte, um auch die Nachfolgenden den Weg erkennen zu lassen.

Es war wirklich eine sonderbare Höhle, in welcher sie sich bewegten, weniger geradeaus, als vielmehr immer tiefer steigend, als sollte es nach dem Mittelpunkt der Erde gehen.

Die feuchte Wärme nahm immer mehr zu, ohne aber besonders beschwerlich zu fallen, und im gleichen Verhältnis wuchs auch die Dichtigkeit und Größe der Farren, wie man sie draußen unter dem Himmel noch nie gesehen hatte, solche breite, gezackte Blätter, diese fleischigen Stengel, an denen auch noch unten dicht über dem Boden Blätter hervorsproßten. Sie erreichten beinahe Manneshöhe.

Die Herren unterhielten sich darüber, und einige waren der festen Ansicht, daß es Darren wären, welche jetzt als nicht mehr vorhanden gälten, daß es Arten von jenen seien, die einst die Erde überwuchert hätten und dann samt und sonders durch ein Naturereignis vernichtet worden wären. Wer wußte, wie viele Jahrtausende die Farren hier in dieser Höhle schon wuchsen, abstarben, verwesten und dann wieder zu Erde wurden, denn der weiche Boden bestand nur aus den in ihre Urbestandteile zerfallenen Pflanzen.

Man bedauerte lebhaft, zu wenig Kenntnis von Geologie und Botanik zu haben. Welche Fundgrube hätte sonst diese Höhle abgegeben! Wenn wenigstens ein Gelehrter bei der Gesellschaft gewesen wäre, um seinen Erklärungen lauschen zu können.

Ebenso seltsam war das Tierreich vertreten.

Riesengroße Eidechsen von über einem Meter Länge huschten hin und her, man hätte sich vor ihnen fürchten können, wenn sie, statt immer sich schön zu verstecken, die Ankommenden erwartet hätten; ihre Haut schillerte in allen Farben, die Köpfe waren merkwürdig gebildet und die Schwänze so geschuppt, wie die von Krokodilen.

Außerdem schwirrten, vom Licht der Fackeln aufgescheucht, mächtige Fledermäuse durch die Luft, schlugen klatschend gegen die Wände, als wären sie völlig blind, ja, streiften sogar die Wanderer mit den Flügeln und warfen den Herren die Mützen vom Kopf.

Sonst war das Tierreich noch durch Spinnen und andere Insekten vertreten, aber alle zeichneten sich durch eine ganz besondere Größe aus, und es schien fast, als ob alle Pflanzen und Tiere immer größer würden, je weiter man vordrang, obgleich die Wärme immer dieselbe blieb und nicht zunahm.

Plötzlich blieb Hannibal stehen und leuchtete mit der Fackel auf den Boden. Die sich um ihn Sammelnden sahen eine wohl einundeinenhalben Meter lange Eidechse liegen, welche im Genick einen tiefen Stich zeigte – sie war tot.

»Der Maori hat sie getötet,« sagte einer der Herren.

»Nein,« antwortete Hannibal, dessen scharfem Auge nicht das geringste entging. »Der Stich rührt von einem Messer her, wie es die Herren bei sich tragen. Sir Williams wird das Tier getötet haben, oder auch Hannes. Der Betreffende hat dem Tiere das Maul mit dem Messer geöffnet und hineingesehen.« »Es ist Sir Williams gewesen,« rief Harrlington, »er hat eine Eidechse untersuchen wollen, wie ich es auch vorhatte.«

Er beugte sich auf das Tier herab und betrachtete es.

»Sehen Sie hier,« rief er überrascht und deutete auf den Kopf der Eidechse, »das Tier hat keine Augen, an deren Stelle sind nur knorpelige Erhöhungen zu sehen. Die Eidechsen hier sind also nicht nur von außen eingedrungen, sondern sie sind allein auf den Aufenthalt in dieser Höhle angewiesen, sie sind nicht fähig, außerhalb der Höhle zu leben.«

»Sie können auch im Laufe der Zeit erblindet sein, und so ist nach und nach eine Art entstanden, welche gar keine Augen mehr hat. Es ist nicht gesagt, daß sie eine Gattung für sich bilden,« meinte ein anderer Herr.

»Aber ihr ganzes Aussehen ist seltsamer,« stimmte Davids dem Lord bei, »als man es sonst bei Eidechsen findet. Die Zehen zum Beispiel ähneln mehr denen von Alligatoren und ebenso die kleinen Zähne im Maule, aber doch unterscheiden sie sich wieder bedeutend von diesen. Halt, ich hab's! Stellen Sie sich diese Tiere einmal zwanzigfach vergrößert vor, und Sie haben die vorsintflutlichen Rieseneidechsen vor sich, deren Knochengerüste und deren Abdrücke in Kreidefelsen man noch in Museen sehen kann.«

Der unterbrochene Marsch wurde wieder aufgenommen, und auf Harrlingtons Bitte unterhielten sich die Herren und die Mädchen nur noch in flüsterndem Tone, denn er hatte bemerkt, daß die Felswände jedes Geräusch ganz ungeheuer fortpflanzten. Die eigenen Stimmen der Wanderer klangen nicht nur wie Posaunentöne, auch sehr schwache Geräusche, wie das Anschlagen einer Fledermaus, das Rascheln einer Eidechse drangen in ihr Ohr, selbst wenn diese weit entfernt waren. Damit aber gab man dem Maori Gelegenheit, eher von der Ankunft der Fremdlinge Nachricht zu erhalten und sich zu verstecken, und seiner möglichst bald habhaft zu werden, das lag in Lord Harrlingtons Absicht.

Die drei Fußspuren waren noch immer zu sehen.

»Es ist sechs Uhr,« flüsterte Harrlington, nach seinem Chronometer sehend. »Jammerschade, daß wir außer der Uhr kein anderes Instrument mitgenommen haben, sonst könnten wir berechnen, wie tief wir schon unter der Erdoberfläche sind, denn der Weg senkt sich ja unaufhörlich. Ist den Herren und Damen aber nicht eine wunderbare Tatsache aufgefallen, an die wir bis jetzt noch gar nicht gedacht haben?«

»Gewiß,« meinte Davids, »wir müßten schon längst auf die Höhlung des Kraters gestoßen sein.«

Erst jetzt fiel es den übrigen ein, daß dies in der Tat der Fall hätte sein müssen.

»Daß wir uns ihm aber nicht nähern,« fuhr Harrlington fort, »zeigt sich schon daran, daß die Temperatur nicht zunimmt. Wohl ist die Luft noch warm und feucht genug, aber sie bleibt so, wie sie schon vor einer Stunde gewesen ist.«

Die Farren nahmen noch immer an Größe zu; sie stießen fast schon an die drei Meter hohe Decke des Ganges, und ebenso zeigten die allerdings schon spärlicher werdenden Eidechsen eine enorme Länge. Man war berechtigt, sie eher für Krokodile zu halten. Beim Nähern des Lichtes flohen sie aber immer sofort scheu in dunkle Löcher zurück.

Jetzt kam die Gesellschaft an die erste Spaltung des Weges, an zwei Gänge. Der eine, rechts abführend, war bedeutend schmäler und niedriger, als der linke, der die Fortsetzung des Weges zu sein schien.

Man brauchte nicht lange zu überlegen, welchen man einschlagen sollte, die Spuren zeigten an, daß auch die drei Männer den linken gewählt hatten, aber dieser zeigte den Nachteil, daß er sehr steil abfiel, wodurch man öfter in Gefahr kam, zu stürzen. Auch der Pflanzenwuchs hörte nach und nach auf, weil der Boden steiniger wurde, und mit diesem wurden auch die Tiere spärlicher. Zeigte sich aber ein solches, so war es von außerordentlicher Größe. Je weiter, vielmehr je tiefer man drang, destomehr näherte sich ihre Gestalt der jener Ungeheuer, welche einst die Vorwelt bevölkert hatten.

»Wie weit mögen denn nur die beiden gelaufen sein?« flüsterte eine Dame. »Es ist ein großer Leichtsinn von ihnen, so allein hier ins Innere der Erde vorzudringen, ohne an die Zeit zu denken. Ja, hätten sie wenigstens genügende Vorbereitungen getroffen und uns von ihrer Unternehmung benachrichtigt!«

»Ich kann mir ihre Gefühle erklären,« entgegnete Harrlington, »ich glaube, ich würde im gleichen Falle ebenso unbesonnen gehandelt haben. Bedenken Sie, welche Aufregung denjenigen befällt, welcher an dergleichen Untersuchungen Interesse findet, und ein solcher ist Sir Williams. Er hört sicher nicht eher auf, vorzudringen, als bis er das Ende des Ganges erreicht hat, höchstens, daß Hunger oder Durst ihn zur Umkehr zwingen. Ich kenne Sir Williams, der stärkste aller seiner Triebe ist die Wißbegierde, wenn dies auch nur wenigen bekannt ist, und bei Hannes, seinem Diener, ist die Neugierde eine gleich starke Triebfeder, wie die Lust an Abenteuern.«

Harrlington brach plötzlich ab und blieb stehen, er hatte an der Felswand ein seltsames Geräusch wahrgenommen, auf welches auch die anderen bald aufmerksam wurden. Es klang wie das schwache Rauschen eines Wasserfalles.

»Wasser,« murmelte Harrlington. »Hier in einem Gange der Felswand fließt ein unterirdischer Bach. Horch, was ist das?« rief er plötzlich fast laut. »Ist das nicht ein Klopfen, als wenn mit einem Instrument an dem Steine gemeißelt würde?«

Der Bach, welcher hier so geheimnisvoll durch bloßes Rauschen seine Gegenwart kundgab, mußte heißes Wasser enthalten, denn die Felswand war warm, gestattete aber doch, daß man das Ohr an sie legte. Deutlich vernahm man, wie an der Wand gehämmert wurde, aber wo, konnte niemand sagen; vielleicht war die Entfernung noch eine meilenweite.

Hendricks kam auf den Einfall, sein Ohr an die andere Seite der Wand zu legen, und kaum hatte er dies getan, so schrie er vor Ueberraschung laut auf.

»Charles und Hannes!« rief er. »Kommen Sie hierher, Sie können sie ganz deutlich sich unterhalten hören.«

Alle folgten seinem Beispiel, sie legten ihr Ohr an die andere Wand, und wirklich konnten sie die Stimmen der beiden Freunde vernehmen; kein Wort der Unterhaltung ging verloren.

Diese Steinwand hatte eine akustische Eigenschaft; sie wirkte etwa wie ein Sprachrohr, ebenso wie die andere, nur daß das Rauschen des Wassers leisere Geräusche unhörbar machte und nur das starke Klopfen durchdringen ließ.

»Hämmern Sie lieber nicht mehr,« hörten sie deutlich Williams' Stimme sagen. »Wenn die dünne Wand durchbohrt wird, so springt das Wasser heraus, und wer weiß, ob es nicht kochend oder gar über den Siedepunkt erhitzt ist. Im letzten Falle würden wir eines schrecklichen Verbrennungstodes sterben; wie aus einem geplatzten Ventil würde der Dampf hervorstürzen.«

»Ich möchte aber gar zu gern wissen, was dahinter ist,« sagte jetzt Hannes Stimme.

»Wasser, nichts als Wasser,« versicherte Charles, »aber wahrscheinlich durch einen furchtbaren Druck zusammengepreßt, so daß es in unserer Atmosphäre Dampf sein würde.«

Das Pochen hörte auf, ebenso das Gespräch, und die Horchenden vernahmen Fußtritte – die beiden entfernten sich also wieder.

Die Horcher an der Wand schrieen vergeblich direkt gegen dieselbe, ihre Stimmen wurden von jenen nicht vernommen. Diese hätten ebenfalls ihre Ohren gegen die Wand legen müssen, dann wäre eine gegenseitige Verständigung möglich gewesen, aber so lange sie dies nicht einmal aus Zufall taten, wodurch sie die Nachfolgenden gehört hätten, war daran nicht zu denken.

Die Herren lauschten ab und zu, einige Sekunden im Gehen innehaltend, an der Wand, und auf ein Zeichen Davids taten das alle – Williams und Hannes waren eben wieder in einer Unterhaltung begriffen.

»Wir müssen bald an Umkehr denken,« hörte man Williams sagen, »einmal wegen der späten Zeit, und dann wird es jetzt auch immer heißer, es ist ja hier gerade wie in einem Dampfbad. Ich wette, daß nicht weit von hier der heiße Bach in den Gang tritt und darin weiterläuft, sonst könnte ich mir diese plötzlich furchtbar heiße und nasse Luft nicht erklären.«

»Nur noch einige Schritte wollen wir weitergehen,« bat Hannes. »Sehe ich, daß ein Vordringen nicht möglich ist, so kehre ich willig mit um.«

Eine Zeitlang hörten die Lauscher nichts mehr, schon wollten sie ihren Posten aufgeben und weitergehen, als plötzlich ein Ruf von Charles sie wieder an die Wand bannte.

»Zurück!« schrie Charles plötzlich, und nach einer Weile fuhr er fort: »Wir wären beinahe alle beide in das Loch gestürzt. Der Weg wird jetzt zu gefährlich, das Licht leuchtet bei dem Dampf kaum noch drei Schritte weit, und der Weg wird immer zerrissener und zerklüfteter. Wir kehren um!«

»Nur noch über diese Spalte,« hörte man Hannes. »Können wir drüben nicht weiter, so gehen wir zurück.«

»Wie aber wollen wir über dieselbe hinweg? Sie ist so breit, daß der beste Springer nicht über sie wegsetzen kann.«

»Sehr einfach,« hörte man Hannes lachen, »der Gang ist ja hier sehr schmal, man stemmt Hände und Kniee gegen die Wände und rutscht wie ein Schornsteinfeger in der Esse hinüber. Sehen Sie, so wird es gemacht.«

»Um Gottes willen, Hannes!« hörten die Lauscher Williams angstvoll rufen. »Treibe keinen Unsinn, stürzest du hinab, so bist du verloren. Komm zurück!«

Hannes mußte schon im Begriff sein, die Schlucht, vor welcher sich die beiden wahrscheinlich befanden, auf die eben beschriebene Weise zu überschreiten. Der Erklärung ließ er die Tat folgen, er achtete nicht auf die Mahnung Williams', sein heiteres Lachen verriet es.

Noch hallte dieses in den Ohren derer, welche an der Wand lagen, als es plötzlich kurz abbrach, ein lauter Hilfeschrei pflanzte sich diese akustische Mauer entlang fort und erreichte die Lauscher, ebenso gleich darauf ein gellender Ruf aus Williams Munde.

Erschrocken waren die Horcher zusammengefahren. Einem der beiden mußte ein Unglück zugestoßen sein, und die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten.

»Hannes, Hannes!« hörte man Williams rufen. »Lebst du noch? Hannes, wo bist du? Bist du verwundet?«

Nach einer Pause fuhr Williams' Stimme in angstvollem Tone fort:

»Mein Gott, mein Gott, keinen Strick und nichts bei mir. Was soll ich tun? Der Tollkühne ist hinabgestürzt! Wer weiß, wie tief die Spalte ist! Hätte ich wenigstens Fackeln mit, daß ich hinunterleuchten könnte! Ich muß so schnell als möglich zurückeilen und Hilfe herbeiholen.«

Noch mehrere Male rief er den Namen seines Dieners, und die Horchenden malten sich aus, wie er mit angsterfülltem Gesicht über den Rand des Abgrundes sich beugte und in die Tiefe blickte, vergebens nach der Gestalt dessen, den er liebte, spähend. Es war allen bewußt, daß der ewig heitere Matrose dem Baron mehr war, als nur ein Diener. Dann hörte man nichts mehr, als nur hastige, rennende Schritte – Williams lief zurück.

»Ein Glück, daß wir schon unterwegs sind,« sagte Harrlington, »wir werden mit ihm zusammenstoßen. Hoffentlich ist es uns möglich, Hannes mit Hilfe unserer Stricke lebendig wieder herauszuholen.«

»Nur schnell, schnell,« drängte die ebenfalls bei der Gesellschaft befindliche Hope Staunton und rannte den übrigen voran, als bedeute jede Minute Verzögerung Hannes' Tod.

Man eilte so schnell wie möglich den noch immer abschüssigen Weg hinunter, ohne jetzt viel auf die Merkwürdigkeiten der Pflanzen- und Tierwelt zu achten.

Eine Viertelstunde verging, ohne daß man auf Williams stieß.

Er war doch nicht etwa einen anderen Weg gegangen? Schon zeigten sich an den Seiten des Ganges Löcher, welche an Größe stetig zunahmen, so daß sie vielleicht in gangbare Wege ausarteten. Hatte Williams aus Versehen einen solchen eingeschlagen, so konnte man nicht mit ihm zusammentreffen.

Aber das war schließlich auch gleichgültig! Trotz des steinigen Bodens war es dem vorauseilenden Hannibal noch immer ein leichtes, die hinterlassenen Spuren aufzufinden, und diese mußten ja unbedingt nach jener Stelle führen, wo Hannes abgestürzt war.

Es war ein Glück, daß Hannibal immer auf etwas geachtet hatte, woran die anderen fast gar nicht mehr dachten, nämlich auf die Fußabdrücke des nachfolgenden Maori. Die Herren und Damen waren so mit dem Schicksale der beiden Freunde beschäftigt gewesen, daß sie des Eingeborenen, der sich denselben nachgeschlichen, ganz vergessen hatten, aber ein Ausruf Hannibals brachte ihn in ihre Erinnerung zurück.

Plötzlich blieb der Neger stehen.

»Der Maori ist zurückgekommen,« sagte er leise, »er ist sehr schnell gerannt, hier die weiteren Spuren. Aber hier hören sie auf, diese Steinplatte nahm keinen Abdruck an. Warum habe ich sie aber nicht vorher schon bemerkt?«

Niemand wußte, was der Schwarze, der sich im Scheine der Holzfackel mit pfiffigem Gesicht im Kreisel umsah, meinte. Hannibal liebte es, bei allen Gelegenheiten, wo man seiner bedurfte, sich den Anstrich der Überlegenheit zu geben.

»Was ist es, Hannibal?« fragte sein Herr. »Sprich! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Ha,« rief der Schwarze und klatschte sich auf die Schenkel, »bis hierher ist der Maori gelaufen, aber nicht weiter. Also sitzt er dort in jenem Loche versteckt.«

Dabei deutete Hannibal auf ein dicht über dem Erdboden befindliches Loch in der Steinwand, etwa nur einen halben Meter hoch und breit.

»So rufe ihn,« befahl Lord Harrlington, »und kommt er nicht, so hole ihn heraus!«

»Rufen will ich wohl,« entgegnete Hannibal mit schlauem Lächeln, »aber da hineinkriechen? Nein, dann sticht er mich mit seiner Lanze in den Kopf.«

Die Herren besprachen sich schnell. Alle nahmen an, daß der Maori kein gutes Gewissen habe, warum hätte er sich sonst vor der Gesellschaft versteckt? Was hatte er übrigens den beiden nachzuschleichen und dann plötzlich umzukehren?

Er mußte unbedingt herauskommen.

Schon raffte Yamyhla ihre Gewänder zusammen, wie immer bereit, schonungslos als erste mit ihrer Kraft und Geschicklichkeit helfend einzuspringen, aber Lord Harrlington ließ es nicht zu, daß ein Weib ein gefährliches Unternehmen beginne, so lange noch Männer vorhanden waren.

Erst ließ er durch Hannibal den Maori auffordern, die Höhle zu verlassen, als aber nach mehrmaligem Rufen des Namens Maketu dieser nicht erschien, bückte er sich kurz entschlossen und kroch selbst in das Loch. Die anderen sollten so lange auf ihn warten, bis er herauskäme. Wenn das Loch sich weit in die Wand hinein erstreckte, sagte er, so würde er sofort wieder zurückkommen, und dann müsse einstweilen jemand als Posten davor stehen bleiben, bis man auf dem Rückwege wieder vorbeikäme. Hope war über diese Verzögerung schon ganz unglücklich.

Lord Harrlington verschwand in der Oeffnung.

Tief konnte sie nicht sein, denn kaum war er so weit drin, daß sein Körper nicht mehr zu sehen war, so erscholl in der Höhle ein lautes Geschrei, von dem Maori ausgestoßen, und im nächsten Augenblick erschienen auch des Lords Füße wieder.

Er kam nicht allein, er hatte den widerstrebenden Eingeborenen an einem Fuße gepackt und zog ihn einfach aus dem Loche heraus. Gegen des Lords eisernen Griff half alles Sträuben und Einstemmen gegen die Wände nichts.

Trotzdem der Maori alle seine Waffen, einen Spieß, einen Dolch, Bogen und Pfeile in seiner Hand hielt, hatte er doch nicht gewagt, von ihnen Gebrauch zu machen, denn er wußte recht gut, daß draußen Helfer standen, bereit, ihrem Gefährten beizuspringen.

»Was hast du hier in der Höhle zu suchen?« fragte Hannibal den Eingeborenen auf Lord Harrlingtons Geheiß, seiner Stimme einen drohenden Ton gebend.

Der Maori blieb die Antwort schuldig. Angstvoll wendete er seine Augen von einem Gesicht zum andern; seine Züge drückten unsagbare Furcht aus, seine Glieder zitterten, aber er öffnete den Mund nicht zu einer Antwort.

Es war gar kein Zweifel, zufällig war der Eingeborene nicht hierhergekommen, sein Besuch der Höhle stand mit dem der beiden Freunde im Zusammenhang.

»Ich gehe allein,« rief Hope, vor Ungeduld fast weinend. »So nehmen Sie den Schwarzen doch mit und vergeuden Sie die Zeit nicht mit nutzlosen Fragen! Dadurch wird Hannes auch nicht gerettet.«

Das Mädchen hatte recht. Der Maori wurde, nachdem man ihn seiner Waffen beraubt hatte, von einigen Herren in die Mitte genommen und mußte so mitmarschieren, als er aber bei der ersten Gelegenheit einen Fluchtversuch machte, wurden ihm die Arme mit Stricken straff an die Seiten geschnürt, so daß er dadurch im Laufen sehr gehindert wurde und also leicht einzuholen gewesen wäre.

Jedenfalls hatte der Mann ein böses Gewissen. Die Maoris waren keine beschränkten Wilden mehr, die sich vor einem Europäer, wie vor einem Gespenst, fürchten.

»Williams ist noch immer nicht da,« murmelte Harrlington. »Sonderbar, wie weit man mittels dieser akustischen Wand Geräusche vernehmen kann.«

Legte man das Ohr an die Wand, was die Herren ab und zu taten, so konnte man das Geräusch der eiligen Schritte Williams hören, und zwar viel deutlicher als zuerst. Er kam ihnen also schnell näher, aber niemand wußte, wie weit er sich noch von ihnen befand.

Die Luft wurde jetzt immer wärmer, ein heißer Dunst umgab sie, der die Fackeln nur matt leuchten ließ, und das Geräusch des Baches an der Seite wurde immer stärker, ein Zeichen, daß die Wand, welche zwischen ihm und dem Gange lag, immer dünner wurde.

Schließlich kam man an eine Stelle, wo man förmlich glaubte, das Wasser müsse jeden Augenblick durchbrechen, so deutlich klang das Geräusch. Die Wand konnte höchstens einen Zentimeter stark sein. Als ein Herr dieselbe betrachtete, sah er eine Stelle, an welcher kurz vorher mit einem stählernen Instrument gemeißelt worden war, denn die Fläche, von welcher kleine Steinstückchen abgesprengt worden waren, war noch ganz glänzend.

»Hier war es, wo Hannes vorhin gemeißelt hat, was ihm Williams verbot,« sagte Harrlington, »also müssen wir ihn bald treffen.«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, so tauchte in dem heißen Nebel, der den Gang jetzt ausfüllte, ein schwaches Lichtchen auf. Es vergrößerte sich schnell, es beleuchtete ein wohlbekanntes Gesicht, ein Freudenschrei wurde hörbar, und vor ihnen stand Williams, in der Hand ein großes Wachslicht haltend.

»Gott sei Dank, Sie erscheinen wie helfende Engel,« rief er, und für einen Augenblick wurde sein Gesicht, in welchem sich eben noch Angst und Unruhe abgespiegelt hatte, vor Freude verklärt, »und Sie haben auch Stricke mit? So ist noch Hoffnung, Hannes zu retten. Er ist in eine Schlucht gestürzt, aber sie kann nicht tief gewesen sein, denn ich habe seinen Körper sofort aufschlagen hören.«

»Dann ist er tot,« rief Hope entsetzt.

»Wir wollen das beste hoffen, liebe Miß,« tröstete Charles. »Hannes kann einen ordentlichen Puff vertragen. Ich glaube er ist durch den Fall nur bewußtlos geworden, aber allerdings wären, ehe ich Hilfe herbeigeholt hätte, Stunden vergangen, und bei der dort herrschenden fürchterlichen Hitze, ist wohl anzunehmen, daß wir ihn nicht mehr lebend angetroffen hätten.«

»Dann fort!« rief Hope und war schon den anderen um einige Schritte weit voraus. »Wie weit ist es denn noch von hier, Sir Williams?«

»In einer Viertelstunde sind wir dort,« entgegnete der Gefragte, dem Mädchen nacheilend.

»Aber Sie sind schon viel länger unterwegs, wie wir gehört haben.«

»Der Abstieg geht auch viel schneller. Was sagten Sie da? Sie hätten uns gehört?«

Dem aufhorchenden Williams wurde mitgeteilt, wie man seine Gespräche mit Hannes an der Wand belauscht hatte, und der Baronet wunderte sich natürlich höchlichst über diese akustische Eigenschaft der Felswände. Schade, daß jetzt keine Zeit war, genauere Untersuchungen darüber anzustellen.

Wirklich war noch keine Viertelstunde vergangen, als sie, nachdem sie schon mehrere Male kleine Risse übersprungen hatten, an eine breite Schlucht kamen. Die Wände traten hier sehr eng zusammen, und die Temperatur darin war schier unerträglich. Man wähnte, sich in einem Dampfbad zu befinden, so war die Luft mit heißem Wasserdampf gefüllt. Noch ehe sie den Rand dieser Schlucht erreicht hatten, blieb Hannibal stehen und sagte, die Fackel tief auf den Boden senkend:

»Hier hören die Spuren des Eingeborenen auf, er ist hinter diesen Felsblock gekrochen und hat dort auf den Knieen gelegen.

»Warum? Kannst du dies auch erkennen?« fragte Lord Harrlington, das Benehmen des Maori dabei beobachtend.

»Das muß der Maori selbst sagen,« entgegnete Hannibal, »ich kann hier nichts weiter sehen, als daß er hinter diesem Felsblock auf den Knieen gelegen und sich mit einem Fuß gegen die Wand gestemmt hat.«

Harrlington unterließ es vorläufig, den Eingeborenen darüber auszuforschen, der große Unruhe, ja Angst zeigte, als er sah, wie Hannibal den Ort untersuchte, wo er vorhin gelegen hatte. Auch er war ja im Aufsuchen von Fährten nicht unerfahren, aber, da die Maoris kein Jägervolk sind, nicht so geübt, wie Hannibal, der darin Meister war, er wußte vielleicht nicht einmal, daß seine Handlung aus den Spuren bestimmt werden konnte.

Die Gesellschaft stand dicht vor dem Rande der Schlucht.

Als Williams mehrmals Hannes' Namen hinabrief, erklang unten ein dumpfes Röcheln – Hannes lebte also, er war zum Bewußtsein zurückgekehrt, wahrscheinlich aber stark verletzt.

Die über den Abgrund gehaltene Fackel genügte nicht, die Tiefe zu erleuchten, als man aber eine neue an ein Seil band und schnell hinunterließ, da erblickte man in einer Tiefe von sechs Metern einen Felsenvorsprung, und auf diesem lag Hannes, lang ausgestreckt, das Gesicht auf der Erde.

Dieser Fels war der einzige Vorsprung, welcher über dem Abgrund zu sehen war; wäre Hannes nicht zufällig auf ihn gefallen, so wäre er ins Bodenlose gestürzt. So vorsichtig die Fackel auch angebunden worden war, das Feuer erreichte das Seil doch, sie löste sich ab, und minutenlang konnte man sehen, wie sie tiefer und tiefer sank, bis die Flamme nur noch einem glühenden Punkte glich und endlich ganz erlosch.

Harrlington ließ sich ein Seil unter die Arme binden, nahm ein anderes in die Hand und wurde so nach dem Felsvorsprung hinuntergelassen. Nach kurzer Zeit lag Hannes oben.

Noch war Harrlington nicht wieder hinausbefördert worden, als Charles, welcher den bei Bewußtsein befindlichen, röchelnden Matrosen mit der Fackel beleuchtete, einen lauten Schrei der Überraschung ausstieß.

Sprachlos deutete er auf den Hals des Unglücklichen, der auf dem Gesicht lag – hinten aus dessen Halse ragte das befiederte Ende eines langen Pfeiles heraus, das andere war, wie man sah, als man den Röchelnden, umdrehte, abgebrochen.

Aller Blicke wandten sich nach dem Maori. Wer anders konnte den Pfeil abgesandt haben, als dieser Eingeborene! Er machte auch keine Bemühungen, sich unschuldig zu stellen. Er war auf die Kniee gesunken, legte das Gesicht auf die Erde und murmelte unverständliche Worte, wahrscheinlich um Schonung seines Lebens bittend.

Charles selbst hatte keine Ahnung, daß der Sturz von Hannes, der dies lebensgefährliche Klettern über die Schlucht als eine Kleinigkeit aufgefaßt hatte, durch diesen Pfeil herbeigeführt worden war. Er hatte niemanden hinter sich vermutet, den Pfeil weder fliegen sehen, noch ihn durch die Luft zischen hören.

Weinend warf sich Hope über den, den sie liebte, aber sie wurde von einer kräftigen, aber doch rücksichtsvollen Hand beiseite gedrängt. John Davids war es, der sich jetzt über den Verwundeten beugte und sich erst mit der Halswunde beschäftigte.

»Es ist nichts,« sagte er, nachdem er den Pfeil behutsam herausgezogen hatte, wobei Hannes schmerzlich zusammenzuckte, »die Luftröhre ist unverletzt, desgleichen auch die Speiseröhre, der Pfeil hat wahrscheinlich nicht einmal eine Sehne durchschnitten, denn es scheint nicht zu schmerzen, wie ich den Kopf auch hin- und herbewege. Die Wunde wird kaum eine Narbe hinterlassen.

Jetzt untersuchte er den Körper des Matrosen.

»Es ist nichts gebrochen,« fuhr er fort, »soweit ich bis jetzt erkennen kann; das Nähere werden wir erfahren, sobald er aufsteht, was bald zu erwarten ist. Sehen Sie, nur der Pfeil hat ihm Schmerzen verursacht, daher das Röcheln, jetzt, da er entfernt ist, läßt der Schmerz nach; er schlägt sogar die Augen auf und blickt um sich. Die durch den harten Fall herbeigeführte Bewußtlosigkeit hatte ihn unfähig gemacht, sich selbst von dem Pfeilschaft zu befreien.«

Wer war glücklicher als Hope! Sie beachtete nicht die Umstehenden, sie merkte nicht, mit welchem Erstaunen, in welches sich sogar Entrüstung mischte, die Damen das Mädchen betrachteten, welches sich auf den Verwundeten neigte und wieder und wieder die bleichen Lippen küßte, die schon so oft die ihren berührt hatten.

Als der unterdes ebenfalls heraufgezogene Harrlington von dem seltsamen Falle erfahren hatte, nahm er sofort den zitternden Maori ins Gebet, erhielt aber auf alle seine Anfragen, warum er den Pfeil auf Hannes abgeschossen habe, warum gerade, als derselbe über den Abgrund schwebte, da doch durch den Sturz des Opfers in die Tiefe ihm die Beute, auf die es jedenfalls abgesehen war, verloren ging, nur ein um Gnade jammerndes Winseln zur Antwort.

»Du willst nicht antworten, Bursche!« fuhr Harrlington jetzt heftig auf. »Warte, mit dir feigem Meuchelmörder will ich kurzen Prozeß machen.«

Ehe es sich der Eingeborene versah, fühlte er sich von zwei nervigen Händen in die Hüften gepackt, und er schwebte frei in der Luft über dem Abgrund.

Jetzt stieß er ein lautes Geschrei aus, vermischt mit vielen Worten, deren Bedeutung Hannibal wohl verstand.

»Er will alles erzählen,« sagte der Diener des Lords, »er ist von jemandem zu der Tat gedungen worden.«

Jetzt war der Maori geständig, er wollte lieber alles verraten und der Strafe entgegensehen, als hier dem unmittelbaren Tode ins Auge blicken.

Mit Hilfe von Hannibal erfuhr man von ihm, daß er in Wellington von einem Chinesen aufgefordert worden sei, sich an der Expedition der Gesellschaft zu beteiligen und bei einer sich ihm bietenden Gelegenheit den ihm genau bezeichneten Hannes Vogel zu töten; ein Goldstück habe er schon dafür erhalten, das zweite sollte er bekommen, wenn der Tod des Matrosen durch die Aussagen der Zurückkehrenden bestätigt würde. Mekatu hatte sich nach Matchaneea begeben, und es war ihm dort wirklich gelungen, sich von der Gesellschaft anwerben zu lassen.

Er war dem Matrosen immer nachgeschlichen, ohne eine günstige Gelegenheit zu erspähen, ihn aus der Welt zu schaffen, als dieser aber erst allein, dann noch einmal mit Sir Williams die Höhle betrat, hielt der Schurke die Zeit für gekommen, sich das andere Goldstück zu verdienen.

Maketu verschob den Pfeilschuß immer wieder; das Geschoß erschien doch nicht wirkungsvoll genug, den kräftigen Mann auf der Stelle zu töten, und außerdem konnte ihm der Begleiter, der mit einem Revolver bewaffnet war, sehr gefährlich werden.

Als Hannes über der Spalte schwebte, schoß der Maori den Pfeil gegen ihn ab und durchbohrte ihm den Hals, ohne daß dies von Williams gemerkt wurde. Der Mörder sah den Matrosen stürzen und eilte dann selbst zurück, um sich in Sicherheit zu bringen.

Die Umstehenden hatten gespannt den Worten des verdolmetschenden Hannibal gelauscht. Ein von tiefem Seufzen begleiteter Ausruf des Verwundeten ließ plötzlich aller Köpfe nach ihm wenden.

»Also zwei Goldstücke bin ich doch noch wert,« stöhnte Hannes, »das macht mir wenigstens Freude.«

»Na, mit dem steht es nicht schlimm,« meinte Harrlington trocken, und es bewahrheitete sich bald.

Unter John Davids' geschickter Hand wurde dem Matrosen ein Verband um den Hals gelegt, und als sich die Herren eben berieten, wie man den zum Gehen anscheinend Unfähigen transportieren sollte, richtete sich dieser mit Hilfe Hopes plötzlich auf und erklärte, den Weg ganz gut allein zurücklegen zu können, wenn einer der Herren etwas Whisky bei sich führe.

Es stand also nicht so schlimm mit ihm, wie man fürchtete. Auf beiden Seiten unterstützt, marschierte Hannes mit der Gesellschaft den aufsteigenden und beschwerlichen Weg allein zurück.

Der Maori wurde sorgsam gebunden mitgenommen. Er hatte schon ausgesagt, wer ihn zu der Tat geworben, beschrieb das Aussehen des Mannes, so gut man dies bei einem Chinesen kann, welche sich, wie es dem Europäer wenigstens dünkt, wie eine Katze der anderen ähneln, und behauptete auch, ihn wiederfinden zu können.

Gelang es ihnen, den betreffenden Chinesen mit Hilfe des Maori aufzufinden, so sollte dieser frei sein, beruhte aber des Eingeborenen Aussage auf Lüge, so war ihm angedroht worden, ihm eine ordentliche Lektion in Gestalt von Peitschenhieben zu erteilen.

Jedenfalls verbarg die beabsichtigte Ermordung des Matrosen ein Rätsel.


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