Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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36.

Im Laboratorium.

Mister Elias Kinnaird bewohnte am Ende einer Sackgasse in New-York ein kleines Häuschen, dessen zwei Frontfensterchen in die Gasse selbst blickten, dessen Hinterfensterchen aber auf einen Teil des Hafens ging. Aber nach keiner Seite genoß man eine schone Aussicht, vorn standen zerfallene Häuser, vor deren Türen schmutzige Kinder in der Gasse spielten, und hinten lag eine enge Wasserstraße, in welcher elende, verankerte Kähne schon seit Ewigkeit lagen und wohl noch liegen mußten, bis sie einst in dem trüben Wasser versanken. Aber Mister Elias Kinnaird brauchte auch keine Aussicht, denn man sah ihn niemals am Fenster, man sah ihn überhaupt nicht, mit Ausnahme eines Tages der Woche, auf einige Stunden. Eine Frau vom Hause nebenan besorgte für ihn alles, was er zum Lebensunterhalt brauchte, und der einzige Schornstein des Hauses verriet, daß er Fleisch und Gemüse nicht roh verzehrte, sondern eigenhändig zubereitete. Die einzige Stunde, wo man den kleinen, buckligen Kinnaird mit dem uralten Gesicht das Haus verlassen sehen konnte, war Freitags nachmittags.

Dann ging er nach einem nicht weit entfernten Kräutergewölbe, wo er sich erst mit dünner, krächzender Stimme die Chemikerzeitung erbat, sich aus ihr einige Notizen machte und dann für einige Dollars einkaufte: Schwefel, Salpeter und andere Chemikalien, die er selbst nach Hause schleppte oder, wenn das Paket einmal zu groß wurde, sich von einem Jungen nachtragen ließ.

Elias Kinnaird war Chemiker, und er zeigte schon im Gesicht, daß er viel mit Säuren und explosiven Stoffen zu tun hatte, denn es war nur eine einzige Brandnarbe, wodurch natürlich seinen Zügen jede Schönheit genommen war. Alles waren unnatürliche Runzeln, die Augen kaum zu sehen, der Kopf ganz kahl – kurz, Kinnaird besaß ein geradezu abschreckendes Gesicht, und die kleine, buckelige Gestalt machte völlig den Eindruck einer giftgeschwollenen Kreuzspinne, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, da die arme Kreuzspinne nun doch einmal als giftig verschrieen wird.

Wovon Elias Kinnaird eigentlich lebte, wußte niemand, aber selbst die Leute in dieser elenden Sackgasse waren viel zu pfiffig, um etwa zu glauben, daß in jenem Häuschen Gold gebraut würde. Gold wird nur in der Erde gefunden oder durch Arbeit gewonnen, davon ist der Jankee überzeugt und hört nicht auf Ammenmärchen, daß man Gold auch aus unedlen Metallen erzeugen könne.

Jedenfalls besaß Kinnaird ein kleines Vermögen und verwendete dieses dazu, irgend ein Patent zu erfinden, etwa eine neue Nahrung aus Kartoffelschalen herzustellen, oder Tinte aus Abflußwasser, oder einen delikaten Wein aus Bierneigen zu brauen – alles Sachen, welche in Amerika nicht zu den Unmöglichkeiten zählen – daß aber ein Mann mit einem kleinen Vermögen nur seiner Bequemlichkeit oder der Wissenschaft leben sollte, ohne zu spekulieren, das geht so leicht in keinen Jankeekopf hinein.

Weiter aber ging das Gerücht, daß Kinnaird doch ein ganz smarter Kerl sein müsse, der Haare auf den Zähnen hätte, denn einst kam vor sein Haus eine Equipage gerollt, ein feingekleideter Herr stieg aus, verschwand in dem Häuschen und kam erst nach einigen Stunden wieder heraus. Diese Besuche wiederholten sich noch oft, und des Nachts wurde verschiedene Male mit dem eisernen Klopfer an die Tür des Chemikers gepocht.

Seit jener Zeit wurde die Gasse noch mehr als früher von einem säuerlichen Duft durchzogen, der den Atem versetzte und die kupfernen Gegenstände der Hausfrau schwarz und die eisernen rot machte, und wären silberne vorhanden gewesen, so hätten diese eine schwefelgelbe Farbe angenommen, aber Gott sei Dank war in den Häusern kein Silber zu finden, welches in Gefahr gekommen wäre, und die silbernen Dollarstücke wurden, um sie nicht erst einer solch furchtbaren Gefahr auszusetzen, möglichst schnell in trinkbare Sachen umgesetzt.

So viel stand aber fest, Elias Kinnaird war kein gewöhnlicher Mensch, er war ein pfiffiger Kerl, der wohl wußte, wie Geld zu verdienen war – was in Amerika erst den Menschen über das Tier erhebt – und als gar einer, der in einer Seifenfabrik arbeitete, im Bierhaus seine unumstößliche Meinung dahin aussprach, daß Elias Kinnaird annelistrierte, womit der gelehrte Mann analysieren meinte, da bekam jeder vor Mister Kinnaird ganz gewaltigen Respekt.

Dem Chemiker war es wahrscheinlich ganz gleichgültig, was über ihn gesprochen wurde, ja, er erfuhr nicht einmal davon, daß er innerhalb kurzer Zeit in der Sackgasse ein berühmter Mann geworden war, denn er kam ebensowenig wie früher aus dem Hause, nahm der Frau den Proviantkorb ab, heizte mittags den Kochofen, den ganzen übrigen Tag aber den Destillierkolben und Schmelzofen, in dem er wahrscheinlich höllische Suppen zusammenkochte. Die schädlichen Dämpfe leitete er nach dem Hofe zu ab und genierte dadurch seine Nachbarn nur wenig. –

Eines Nachts, als alle Bewohner der Sackgasse schon, ermüdet von harter Arbeit, schliefen, näherte sich dem letzten Hause ein schneller Schritt, und vor der Tür hielt eine Gestalt, die mehrmals leise den eisernen Klopfer ertönen ließ.

Es dauerte lange, ehe die Tür geöffnet wurde, aber der Unbekannte, ein großer, in einen langen Mantel gehüllter Mann, ließ sich das Warten nicht verdrießen, klopfte auch nicht noch einmal, mußte also ganz sicher sein, daß der Bewohner des Häuschens noch wache, obgleich die beiden Fensterchen nicht erleuchtet waren.

Sein Warten wurde auch von Erfolg gekrönt, denn nach etwa fünf Minuten ertönte in dem Hausflur ein von abgetretenen Pantoffeln herrührendes Schlürfen. Man hörte, wie eine Laterne auf den Boden gesetzt wurde, dann ein Ruck, die Tür sprang auf, und dahinter stand die eingeschrumpfte Gestalt von Elias Kinnaird, der eine große Spritze gleich einer Handkanone schußbereit dem Fremden entgegenhielt.

Doch dieser fürchtete sich vor der seltsamen Waffe nicht, sondern trat schnell in das Haus und zog die Tür hinter sich zu.

»Weiß Gott, Kinnaird,« lachte er leise, »Sie jagen mir immer einen Schreck ein, wenn Sie so plötzlich die Tür aufreißen und mir die Spritze entgegenhalten. Wenn Sie mich nun einmal für einen Einbrecher ansähen, was wäre dann mein los?«

»Dann bekämen Sie eben die ganze Ladung Schwefelsäure ins Gesicht,« kicherte der Alte krächzend.

»Teufel,« sagte der andere erschrocken, »also Schwefelsäure haben Sie in Ihrer Klistierspritze. Das gäbe einen beißenden Empfang! Was machten Sie denn, wenn Sie Ihren Freund mit solch höllischer Mixtur verbrannt hätten?«

»Dann steckte ich Sie einfach in ein Faß mit Natronlauge und würde Sie neutralisieren,« kicherte der Alte weiter.

»Hören Sie auf,« rief der Fremde, sich schüttelnd, »sonst stecken Sie mich noch in einen Destillierkolben und lassen mich zu einem anderen Menschen umkrystallisieren.«

»Das ginge nicht, dazu wäre erst nötig, daß Sie aufgelöst würden. Doch kommen Sie, wir wollen hier nicht stehen bleiben.«

Dann nahm der Alte die Laterne vom Boden auf und humpelte dem Fremden voran durch den Gang, an einer Treppe vorbei.

»Gehen wir heute nicht hinauf?« fragte der Fremde.

»Nein, ich habe unten einen chemischen Prozeß zu beaufsichtigen,« krächzte der Alte, »und hier sind wir auch ungestört.«

»Waren wir das oben nicht immer?« fragte der Fremde mißtrauisch.

»Doch, doch, früher wenigstens. Seit einigen Wochen hat aber die Frau, welche mich versorgt, einen neuen Logierherrn bekommen, dem traue ich nicht. Ich denke, er will spionieren.«

Sie waren unterdes eine Treppe hinuntergestiegen, bei deren schlechter Konstruktion man auf den Gedanken kommen konnte, der Alte wäre, selbst der Erbauer gewesen, da die übrigen Häuser überdies gar kein Kellergeschoß hatten, und traten dann in einen hohen Raum, der sehr plump mit rohen Ziegelsteinen ausgemauert war, und dessen Decke auf Balken ruhte.

Dies war das Laboratorium des Chemikers, und beim Eintritt wähnte man sich in das Arbeitszimmer des Doktor Faust versetzt.

Der ganze Raum war vollgepfropft mit Retorten, Ballons, Glasröhrchen, Destillierkolben und anderen Instrumenten, wie sie in jedem Laboratorium gebraucht werden, auf Regalen längs den Wänden standen sie herum, ein großer Tisch war mit ihnen bedeckt, desgleichen mit Spirituslampen, Schlauchen, Flaschen und Phiolen, auf anderen Regalen wieder standen nur Flaschen und Büchsen, zwar alle ohne Aufschrift, aber sehr sauber gehalten.

Auf einem Nebentisch befand sich ein mächtiger Destillierapparat, und die tönerne Retorte lag über einem Ofen, dessen Holzkohlenfeuer den Inhalt derselben verdampfen ließ.

Der Raum wurde am Tage von zwei Fensterchen erhellt, die dicht über dem Wasser lagen, jetzt aber mit Läden verdeckt waren. Der Raum wurde dürftig von einer Petroleumlampe erleuchtet. Durch die Fenster konnten Röhren gelegt und vor ihnen Glaskästen aufgestellt werden, und ebenso, wie diese Vorrichtung, verriet auch eine gläserne Maske, daß dieser Chemiker viel mit Giften zu tun hatte.

Elias Kinnaird setzte sich auf einen Stuhl vor dem Destillierapparat. Sein Begleiter legte den Mantel und den tief über die Stirn hängenden Schlapphut ab, und nachdem er sich als Mister Eduard Flexan entpuppt hatte, nahm er nicht weit von dem Chemiker Platz, eine große Ledermappe auf den Knieen haltend.

»How is business?« (Wie geht's mit den Geschäften.)

Mit dieser, in Amerika sehr beliebten Frage begann Mister Flexan das Gespräch, wahrscheinlich, wie jeder Jankee, von dem Grundsatze ausgehend, daß, wenn das Geschäft gut geht, der Mensch sich überhaupt wohl befindet.

»Herzlich schlecht,« krächzte der Alte, mit einem Blasebalge das Feuer anfachend.

»Haben Sie schon Erfolge mit Ihren Analysen gehabt?«

Unter Analyse versteht der Chemiker das Zerlegen irgend einer festen, flüssigen oder gasförmigen Substanz in ihre Elemente, in die Urstoffe, welche nicht weiter zu zerlegen sind.

Der Chemiker schüttelte unwillig den brandroten Kopf, und seine schon fast völlig verschwindenden Augen kniffen sich noch mehr zusammen.

»Was sagt der Ingenieur zu Ihren Mißerfolgen? Will er Ihnen die gefundene Substanz nicht abnehmen und sie einem anderen Chemiker zum Analysieren geben?«

»Pah,« rief der Chemiker verächtlich, »Mister Boxter weiß recht gut, daß, wenn Kinnaird dies nicht kann, auch kein anderer Chemiker es vermag.«

»Vielleicht ist es gar nicht die betreffende Substanz?« meinte Flexan.

»Natürlich ist sie es.«

»Woraus schließen Sie dies?«

»Eben daraus, daß sie sich nicht weiter zerlegen läßt.«

»Nun, es könnte noch ein anderes Element geben, das sich durch Säuren oder Feuer nicht zerlegen läßt.«

Der Chemiker öffnete einen kunstvoll geschnitzten Wandschrank, entnahm daraus ein Holzkästchen und diesem wieder eine dünne, gummiähnliche Platte.

»Ich habe sie schon gesehen,« sagte Mister Flexan, einen Blick darauf werfend, »aber mir deuchte, das vorige Mal, als Sie mir die Platte zeigten, wäre sie größer gewesen.«

»Mister Boxter hat die Hälfte mitgenommen.«

»Sehen Sie! Er wird die andere Hälfte einem anderen Chemiker zur Analyse geben.«

»Nein,« antwortete Kinnaird bestimmt, »Ingenieur Boxter ist selbst ein scharfsinniger Chemiker, da er diese Substanz aber nicht analysieren konnte, so wandte er sich nur noch an mich. Die Hälfte, die er mitnahm, will er als Kuriosität für sich behalten.«

Mit wehmütigem Blick betrachtete der Chemiker die dünne Platte.

»Ich habe alles mit ihr angefangen, was ich nur konnte,« sagte er niedergeschlagen. »Tag und Nacht habe ich an ihr gearbeitet, keine Säure, keine Lauge unversucht gelassen, aber alles kann ihr ebensowenig anhaben, wie das stärkste Feuer. Selbst, dem Königswasser gegenüber, welches doch Gold auflöst, herhält sie sich neutral, und stundenlang habe ich sie heißen Dämpfen der Kieselsäure ausgesetzt, bis ich selbst dem Tode nahe war, ohne daß sie im geringsten davon angegriffen worden ist.«

»Haben Sie es schon mit Elektrizität versucht?« rief Flexan dazwischen.

Wieder lachte der Chemiker verächtlich über diese Zwischenfrage des Laien.

»Der stärkste Strom konnte der Substanz nichts anhaben,« entgegnete er. »Aber bei diesem Versuche ist mir doch klar geworden, daß es die Substanz ist, welche das ganze Geheimnis in sich schließt. Passen Sie auf!«

In demselben Wandschrank stand eine elektrische Batterie, von welcher zwei Drähte herabhingen. Der Chemiker nahm die Enden derselben, hielt sie an zwei verschiedene Seiten der Platte und leitete einen schwachen Strom hindurch. Sofort änderte sie die Farbe.

Die erst schwarze Platte wurde mit einem Male silbergrau, kaum aber entfernte er die Drähte, so nahm die Platte wieder die frühere Farbe an.

»Das ist sie,« rief Flexan, »ebenso kann sich auch der »Blitz« verändern. Also daher kommt es, daß der »Blitz« einmal schwarz, dann wieder grau aussieht. Nun weiß ich es: gewöhnlich ist die Färbung des »Blitz« schwarz, wird aber durch die Farbe ein elektrischer Strom geleitet, so sieht er grau aus.« »Es ist so,« stimmte der Chemiker bei, »und zu gleicher Zeit ist diese Substanz auch dasjenige Medium, was durch Reibung mit den Meereswogen Elektrizität erzeugt. Aber aus was besteht sie? Ich weiß es nicht. Ich kann das Geheimnis nicht lösen.«

»Vielleicht kommen wir auch ohne Analyse auf die richtige Spur,« lachte Flexan. »Aber Mister Boxter soll dann natürlich nicht in den Besitz des Resultates kommen, sondern wir wollen eine hübsche Summe durch den Verkauf desselben herausschlagen.«

»Wie wollen Sie das machen?« fragte der Chemiker mit gierig zwinkernden Augen.

»Ich will es Ihnen nachher mitteilen,« entgegnete Flexan und öffnete die Ledermappe, »erst wollen wir die Geschäfte erledigen, derentwegen ich hergekommen bin. Hier,« er händigte dem Chemiker zwei Schreiben ein, »sind zwei Briefe, deren Schrift Sie bis auf den untenstehenden Namenszug zu vernichten haben, wie gewöhnlich, so daß man –«

»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach ihn grinsend der Alte, »daß man auf dem Papier wieder schreiben kann. Natürlich, so etwas versteht der alte Kinnaird ausgezeichnet. Hihi.«

Er betrachtete die Schriftstücke.

»Immer noch von den Mädchen?« sagte er. »Sind Sie damit noch immer nicht fertig? Das dauert ja schrecklich lange diesmal.«

»Ja, es ist auch eine heikle Arbeit, wir gehen sehr, sehr vorsichtig dabei zu Werke, aber nicht lange mehr wird es dauern, so sind unsere Bemühungen mit Erfolg gekrönt. So einen fetten Bissen haben wir lange nicht mehr gehabt, und es tut auch not, denn in unserer Kasse ist bereits manchmal tiefe Ebbe.«

»Wird auch etwas für mich von dem fetten Bissen abfallen?« schmunzelte der Alte.

»Sie bekommen Ihre gewöhnlichen Prozente ausgezahlt.« »Habe aber viel Arbeit damit gehabt mit den Tintenklecksen, Stempelätzungen und so weiter.«

»Und werden Sie dafür nicht ganz ungeheuer hoch bezahlt?« sagte Flexan entrüstet. »Für jeden Brief, dessen Schriftzüge Sie verwischen, verlangen Sie hundert Dollar und für jeden Stempel das doppelte.«

»Dafür riskiere ich auch meinen Kopf, und meine Kunst muß auch bezahlt werden.«

»So, Ihren Kopf? Was soll ich denn da sagen?« rief Flexan. »Von allen habe ich doch jedenfalls die schwerste Arbeit übernommen. Ich befinde mich fast Tag und Nacht auf der Reise, auf dem Schiffe und auf der Eisenbahn, zu Wagen, zu Pferde, zu Fuß. Ich schlafe oft genug im Freien wie ein Indianer, krieche in Wildnissen herum, in Spelunken und so weiter. Keiner von Ihnen allen setzt so wie ich Leben, Freiheit und Gesundheit aufs Spiel, und ich habe auch nicht mehr, als die anderen.«

»Und die Reisespesen?«

»Die muß ich natürlich vergütet bekommen, das ist selbstverständlich.«

»Dabei wird sich wohl ein hübsches Sümmchen ersparen lassen,« kicherte der Alte,

»Jawohl, ersparen,« rief Flexan entrüstet. »Zusetzen muß ich noch oft genug. Wenn ich natürlich so wie Sie, alter Geizhals, leben konnte, der seine Geldhaufen immer vergrößert, dann ginge es wohl, aber ich muß nobel auftreten und manchen Mund mit Gold verschließen, was ich nicht mit auf die Rechnung setzen kann.«

Der Chemiker war unterdessen nicht müßig gewesen.

Er hatte aus verschiedenen Flaschen Flüssigkeiten in eine Phiole gegossen und das Glasgefäß mittels einer Holzzange über eine Spiritusflamme gehalten. Die erst helle Flüssigkeit wurde, als sie sich erwärmte, erst gelb, dann rötlich, und als sie zu kochen anfing, purpurrot, wobei sich zugleich ein Bodensatz ausschied. Der Chemiker filtrierte die klare Flüssigkeit ab und goß wieder eine Säure hinzu, wodurch die rote Färbung völlig verschwand.

Als die Substanz kalt war, nahm er das erste Schreiben und befeuchtete es mit ihr, sorgfältig aber darauf achtend, daß die Unterschrift nicht naß wurde. Dann hing er das nasse Papier, dessen befeuchtete, mit Tinte geschriebenen Schriftlichen immer mehr erblaßten, zum Trocknen auf und machte sich daran, den zweiten Brief ebenso zu behandeln.

»Wie geht es mit Tannert?« fragte der Chemiker, die Buchstaben sorgsam betupfend.

»Sie stecken hier wie ein Fuchs in seiner Höhle und können natürlich keine Ahnung haben, was draußen vorgeht,« versetzte Flexan, »Sie werden staunen, was Tannert, Ihr Liebling, alles, erlebt hat. Er hat geschrieben oder vielmehr seine Berichte regelmäßig eingereicht.«

Nun erzählte er dem erstaunten Chemiker Tannerts Abenteuer in Afrika.

»Also Nick Sharp ist auch wieder aufgetaucht und bemüht sich, diesem geheimnisvollen Meister auf die Spur zu kommen?« kicherte der Alte. »Na, dann lassen Sie sich gratulieren, Mister Flexan! Dieser Sharp ist ein pfiffiger Patron und wird schon auf die Spur des Meisters kommen. Hihi.«

»Seien Sie ohne Sorge!« sagte Flexan gleichmütig, Weiß ich erst einmal, daß wir mit Sharp zu tun haben, so ist alles schon so gut wie gewonnen, das heißt, man zählt ihn schon nicht mehr zu den Lebenden. Dieser Tage erwarte ich die Nachricht von seinem Tode.«

»Kann ich Ihnen mit einem Fläschchen Cyankali unter die Arme greifen? Hihi.«

»Nein, danke,« lachte Flexan. »Bei diesem Burschen ist ein Dolchstich oder eine Revolverkugel besser angebracht, sein Magen könnte schließlich selbst Cyankali vertragen. Aber einige Gifte und Schlafmittelchen muß ich mir nachher mitnehmen. Erinnern Sie mich daran!«

»Nun, Cyankali wird er wohl kaum vertragen können,« meinte der Alte, »ich kenne Sharp gut, dem ist nicht so leicht in den Rücken zu stechen oder zu schießen, wie Sie meinen. Aber so ein kleines Gläschen Branntwein, wie er es liebt, mit einer Spur von Cyankali darin, das wirkt, sage ich Ihnen. Keine Sekunde zappelt er mehr.«

»Will es mir überlegen.«

»Und der Seewolf ist also auch wieder glücklich an der Küste angekommen?«

»Ja, und hat sein Schiff wieder übernommen. Glückt es ihm aber diesmal nicht, den ihm befohlenen Handstreich gegen die Damen auszuführen, so muß er hängen. Es ist alles so sorgfältig vorbereitet worden, daß es ihm gar nicht mißglücken kann.«

»Wie wollen Sie denn die Damen verschwinden lassen?« fragte der Chemiker,

»Ich weiß noch nicht,« entgegnete Flexan, den kleinen auf ihn gerichteten Augen des Fragers ausweichend.

»Müssen Sie ...?«

Der Chemiker machte eine bezeichnende Bewegung nach der Kehle.

»Wahrscheinlich, ja!«

»Na, dann gibt es in Amerika wenigstens keine großen Trauerszenen. Die Damen sind ja alle ledig und ohne Anhang.«

»Darum ist es eben das beste, wenn sie für immer still gemacht werden,« gab Flexan zu. »Es ist ein Glück, daß wir keine nachspürenden Verwandten zu fürchten haben.«

»Aber die englischen Herren?«

»Die müssen wahrscheinlich auch daran glauben.«

»Könnte sich mit denen nicht auch ein Geschäftchen machen? Ich bin jederzeit bereit, auf Briefen nur die Unterschrift stehen zu lassen, alles andere aber, wegzubringen,« schmunzelte der Chemiker.

»Wollen sehen, was sich tun läßt! Verlohnen wird es sich allerdings bei ihnen.«

Der Chemiker hing das zweite Papier auf und nahm das erste von der Glasstange herunter, es war getrocknet. Jetzt brachte er eine kleine Maschine zum Vorschein, an welcher zwei Gummiwalzen durch eine Kurbel zur Bewegung gebracht werden konnten. Der erste Brief wurde zwischen die eng zusammenstehenden, rauhen Walzen gebracht und mehrmals hin- und hergedreht, wodurch das, durch die chemische Flüssigkeit glatt gewordene Papier wieder eine rauhe und faserige Fläche annahm, geradeso, wie es erst gewesen war.

So war ein völlig Weißes, wie neu aussehendes Papier entstanden, welches nichts enthielt als einen Namenszug, der nicht gelitten hatte.

»Was ist es für eine Tinte?« fragte Flexan. »Haben Sie schon geprüft, daß da nicht etwa etwas vorfällt.«

»Nehmen Sie die Tinte Nummer vier,« entgegnete der Chemiker, »es ist dieselbe wie früher. Die Vestalinnen benutzen ja alle nur einunddieselbe Tinte.«

Der Chemiker machte sich daran, auch dem zweiten Briefe sein ursprüngliches Aussehen wiederzugeben.

»Wie steht es mit den Leuten?« fragte er während dieser Beschäftigung. »Sind noch keine Meutereien wieder vorgekommen, wie damals in Australien?«

»Nein, dafür ist gesorgt. Sie werden mehr denn je in Furcht gehalten, mehr denn je ist mit dem Stempel des Meisters gearbeitet worden. Sie können nächstens einige neue herstellen, die alten sind fast abgenutzt.«

»Ist an so vielen ein Exempel statuiert worden?« rief der Kleine erschrocken.

Flexan nickte ernst.

»Auf meiner Reise habe ich allein mit eigener Hand zwei Männer aufgehängt, die ich beim Verrat ertappte, und ihnen den Stempel eingeätzt, oder, wie die Leute glauben, eingebrannt. Die Säure greift den Gummi etwas an, Alter.«

»Neulich hörte ich, in London sei ein Sträfling, der in der Tretmühle arbeitete, mit diesem Zeichen an der Stirn erdrosselt im Bett gefunden worden. Ist das wahr?«

»Allerdings,« entgegnete Flexau, »wir haben ja Harrison dort. Auf zehn Jahre lautet ja sein Kontrakt, sechs hat er nun schon hinter sich.«

»Man sollte kaum glauben, daß jemand freiwillig ins Zuchthaus geht!«

»Warum denn nicht? Kommt er nach zehn Jahren heraus, so ist er ein reicher Mann. Uebrigens führt er im Zuchthaus kein schlechtes Leben, er ist Aufseher, sonst wäre es ihm wohl auch nicht gelungen, so energisch dafür zu sorgen, daß keiner unserer Leute, die ins Zuchthaus kommen, plaudern kann. Wir haben in jedem Zuchthaus und in jeder Strafanstalt solche, welche nur darum ein Verbrechen begangen haben, damit sie als Sträflinge aufgenommen werden und für uns wirken können. Die Nachfrage nach diesen Posten ist eine sehr große. Es lockt kolossal, daß sie nach einigen Jahren reiche Leute sind.«

»Ehe ich nur eine Woche in der Tretmühle arbeitete, nähme ich lieber Gift,« rief der Chemiker mit Nachdruck.

»Sie würden diese Arbeit nicht einmal eine Woche aushalten können,« meinte Flexan nachdenkend, »Es ist eine ganz höllische Beschäftigung. Zehn Minuten muß man treten. Tritt man nicht, so wird man herausgeschleudert, und fünf bis zehn Minuten kann man aussetzen, je nachdem das Strafmaß ist. Abends ist der Körper wie gerädert, früh ganz steif, und gerade früh muß man mit den lahmen Knochen schnell treten, und tut man dies nicht schnell genug, so wird das Trittrad an eine Maschine gespannt, die nachhilft. Dann heißt es entweder treten, oder dein Körper wird zerfetzt. Schrecklich!«

»Wie lange konnten Sie denn die Zwischenpausen ausdehnen?« kicherte der Alte.

»Ich?«

Flexan fuhr erschrocken vom Stuhle auf.

»Wie kommen Sie zu dieser Frage? Ich hatte noch nicht das Vergnügen, in der Tretmühle zu arbeiten.«

»So, ich dachte, weil Sie so damit Bescheid wissen und über alles orientiert sind.«

»Mir ist oft genug davon erzählt worden.«

»Hat Ihr Herr Vater Ihnen erzählt, wie es in der Tretmühle hergeht?« kicherte wieder der Chemiker.

»Mister Kinnaird, hüten Sie Ihre Zunge,« rief Flexan drohend, »denn sonst könnte Ihr Kopf Bekanntschaft mit der Retorte machen, in der es kocht.« »Es Wäre nicht das erste Mal, daß mein Kopf heiße Säure zu kosten bekommen hat,« lachte der Alte. »So – der zweite Brief ist auch fertig. Wie neu geworden, nicht? Nun operieren Sie weiter so geschickt mit ihnen, wie ich es getan habe, und Sie werden Erfolg damit haben. Wollen Sie sonst noch etwas gemacht haben? Ich stehe Ihnen zu Diensten.«

Flexan holte einen Zettel hervor.

»Hier diese Gifte und Schlafmittel,« sagte er. »Haben Sie noch Chloroform da?«

»Habe erst gestern welches fabriziert. Sie könnten es jedoch künftig in einer Apotheke kaufen. Seine Herstellung macht mir immer mehr Schwierigkeiten, als die ganze Geschichte wert ist.«

»Aber ich bekomme es in der Apotheke nicht so stark und so gut, wie von Ihnen,« entgegnete Flexan.

Der Chemiker fühlte sich geschmeichelt. Er füllte mehrere Fläschchen mit den gewünschten Substanzen und bereitete die, welche ihm fehlten, in Gläsern, Retorten und Mörsern erst zu.

»Sagen Sie mal, Mister Kinnaird,« begann Flexan wieder, »können Sie ebensogut, wie Sie analysieren, also einen Stoff in seine Substanzen zerlegen, auch ein Gemenge nach Rezept zusammenbrauen?«

»Wenn's weiter nichts ist!« lachte der Chemiker. »Das ist doch viel leichter als analysieren, das kann jedes Kind.«

»Auch etwas, was Sie nicht analysieren können?«

»Ich kann alles analysieren,« entgegnete der Chemiker stolz.

»So?« fragte Flexan spöttisch. »Etwa auch die Gummiplatte da? Sie haben doch bewiesen, daß Sie das nicht können.«

»Das ist etwas anderes,« sagte der Chemiker ruhig. »Es gibt Stoffe, welche nicht zu zerlegen sind.«

»Würden Sie aber denselben gummiartigen Stoff machen können, wenn Sie das Rezept dazu haben?« »Ah,« rief der Chemiker erstaunt, »jetzt verstehe ich, wohinaus Sie wollen. Ja, das kann ich, denn Kinnaird ist ebenso klug, wie der Mann, der den Stoff gemacht hat. Er kann aber sein Präparat selbst nicht wieder zerlegen.«

»Das ist möglich. Sie getrauen sich also, wenn Sie das Geheimnis dazu haben, die Substanz, Farbe, oder was es ist, mit welcher man Elektrizität erzeugen kann, auch zusammenzumischen?«

»Auf alle Fälle! Nur ist anzunehmen, daß ein Rezept von solcher Wichtigkeit in geheimer Schrift geschrieben ist.«

»Erstens glaube ich das nicht, und dann läßt sich doch jede Geheimschrift, und wenn sie noch so kompliziert ist, entziffern.«

»Wissen Sie, ob ein solches Rezept existiert? Es ist natürlich anzunehmen, daß der Kapitän des »Blitz« es besitzt, aber ebenso leicht möglich ist es, daß er es nicht schriftlich, sondern nur in seinem Kopfe bei sich trägt.«

»Nein, wir haben die Vermutung, daß dieser Hoffmann es schriftlich besitzt und sogar bei sich führt.«

»Hoh, das wäre einmal ein Fang,« rief der Chemiker ganz erregt. »Verschaffen Sie mir das Rezept! Ich bereite die Substanz, und ich garantiere Ihnen, wir schlagen Millionen und Abermillionen Dollar aus der Erfindung.«

»Das glaube ich auch,« lachte Flexan, »und bekommen wollen wir das Rezept schon. Es handelt sich nur darum, ob Sie es zu benutzen verstehen.«

»Ich wiederhole Ihnen nochmals,« rief der Chemiker eifrig, »ich kann alles, was ein anderer Chemiker kann.«

»Hoffmann muß aber ein ganz immens geschickter Chemiker sein, daß er solch eine Substanz, die Ihnen ganz unbekannt ist, überhaupt erzeugen kann.«

»Das mag sein,« entgegnete Kinnaird nachdenkend, »Gewiß, er muß ein scharfsinniger Chemiker sein, aber, wie es in allen Fällen ist, so ist auch hier anzunehmen, daß er die Erfindung zufällig gemacht hat, oder daß sie ihm von jemandem anders mitgeteilt worden ist, der auch nur durch Zufall zu ihr gekommen ist. Pulver und Porzellan sind auch nur so zufällig erfunden worden. Trotzdem aber, kenne ich die Urbestandteile dieser Masse, so will ich Ihnen dieselbe sofort zubereiten, und sei dies noch so schwierig.« »Ich glaube Ihnen, ich zweifle auch durchaus nicht an Ihrer Kunst. Sie haben schon oft genug Beweise davon geliefert.«

»Wer ist nur eigentlich dieser Kapitän Hoffmann? Ein deutscher Ingenieur? Es ist ganz merkwürdig, daß solch ein Mann, der ein gelehrter Chemiker sein muß, zum Vergnügen auf einem Schiffe herumfährt. Ich würde aus einer derartigen Erfindung eine Summe herausschlagen, welche mich zum schwerreichen Mann machte, reicher als die Silberkönige von Amerika zusammengenommen.«

Flexan lächelte geheimnisvoll, als er antwortete:

»Reicher als die Silberkönige von Amerika, sagen Sie? Hören Sie mir zu, ich werde Ihnen erzählen, wer dieser Hoffmann eigentlich ist, ich habe genaue Erkundigungen über ihn eingezogen.«


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