Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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2.

Meuterei.

Die »Recovery« lichtete die Anker. Die sechzehn neugemusterten Matrosen standen an den Winden, um welche die Ankerketten laufen, sorgten dafür, daß diese nicht unklar wurden, das heißt, daß ihre Glieder immer glatt auf der Scheibe lagen und regulierten mittels der Hebel die Schnelligkeit des Emporhebens nach dem Kommando des Kapitäns, welcher auf der Brücke stand und alles leitete.

Auch die Heizer, ebenso viele wie die Matrosen, waren unten im Heizerraum emsig beschäftigt, das bewies die Rauchwolke, welche aus dem Schornsteine emporwirbelte drehte doch der Kapitän sofort, wenn die Anker auch noch nicht an Deck lagen, sondern nur erst eine gewisse Höhe erreicht hatten, den elektrischen Signalaparat, der dem Ingenieur im Maschinenraum befahl, die Schraube mit halber Kraft gehen zu lassen.

Hannes hatte sich geirrt, als er glaubte, ein Postdampfer könne die Fahrt von Canton bis nach Scha-tou in sechs Stunden zurücklegen.

Wohl lautete der Fahrplan so, aber es verhielt sich eher ebenso, wie bei den Schnelldampfern zwischen Deutschland und New-York, welche angeblich diese Fahrt in fünf Tagen zurücklegen können, worunter man jedoch nur die Ozeanfahrt, nicht aber die in der Nordsee versteht. Diese muß zugerechnet werden.

Canton liegt in einer tiefen Bucht, durch die Mündung eines Flusses gebildet, und das Schiff hat erst über hundert Meilen zurückzulegen, ehe es das offene Meer erreicht. Ebenso liegt Scha-tou in einer kleinen Bucht, alles Strecken, die man gewöhnlich nicht mitrechnet.

Die dreihundert Meilen von Canton bis Scha-tou konnte die »Recovery« erst in vierundzwanzig Stunden durchmessen, denn sie war kein Schnellpostdampfer und fuhr nur zwölf Knoten oder Meilen in der Stunde.

Auch Hannes stand an einer Winde und handhabte den Hebel, durch den das Zuströmen des Dampfes und somit die Umdrehungen der Scheibe reguliert werden, erklärte Hope oder jetzt Jim, wie solch eine Maschine zu bedienen sei und leitete sie an, die Kette richtig laufen zu lassen.

In Hope war wieder etwas wie Bangigkeit aufgestiegen, als sie erfuhr, daß sie eine Nacht zwischen diesen rohen Matrosen zubringen sollte.

»Wir bleiben an Deck,« tröstete Hannes. »Es verspricht eine schöne Nacht zu werden. Wir machen uns aus Segeln unter den Booten Hängematten und schlafen darin, sonst schadet es auch nichts, wenn wir uns die Nacht durch munter halten, den versäumten Schlaf holen wir dann morgen nach.«

»Sind denn nur die Matrosen alle so roh?« fragte Hope etwas niedergeschlagen. »Das ist ja ein Fluchen und Schwören hier, wie ich es noch nie gehört habe. Alles ist bei diesen Leuten »blutig«, sogar das Essen, und wenn Gott jeden blind machte, der es wünschte, so könnte kein einziger an Bord mehr sehen. Sieh nur den dort mit dem zerschnittenen Gesicht, wie er flucht und schimpft, weil die Winde nicht ordentlich läuft.« »Ja, es ist ein rohes Korps,« meinte Hannes. »Ein braver Kerl hütet sich, in solch einem Lande, wie China, von Bord zu laufen und auf ein anderes Schiff zu mustern. Merkwürdig ist es übrigens, wie diese Kerle zusammenhalten. War es mir doch schon heute morgen, als der Kapitän sich seine Leute aussuchte, als ob sie alle zusammen unter einer Decke steckten.«

»Nichtwahr, mir kam es auch so vor,« bestätigte Hope. »Entweder liegen sie schon lange an Land und kennen sich daher, oder sie sind vielleicht schon früher Schiffskameraden gewesen. Auch die Heizer stecken soviel die Köpfe zusammen und flüstern untereinander. Vorhin habe ich ganz deutlich gemerkt, wie sie sich von uns unterhalten haben, einer deutete auf uns und wurde von dem anderen sofort in die Seite gestoßen, daß er das Fingerzeigen lassen sollte.«

»Was sagten sie denn?«

»Sie sprachen spanisch oder portugiesisch, ich habe es daher nicht verstehen können.«

»Hm, es ist ein Lumpengesindel, aber der Kapitän, der erste Steuermann und der Bootsmann besitzen mein Vertrauen, das sind ehrliche Kerls, der zweite Steuermann dagegen hat einen falschen Blick, mir kommt es überhaupt vor, als habe er ein böses Gewissen, außerdem beschäftigt er sich so intim mit der Bande.«

»Aber er schnauzt sie doch gerade recht an, er flucht und schimpft über sie, daß einem die Haare zu Berge stehen.«

»Gerade das kommt mir so eigentümlich vor, denn manchmal scheint es mir dann wieder, als ob er sich heimlich mit ihnen unterhalte, und kommt der erste Steuermann oder der Bootsmann in seine Nähe, so fängt er wieder an zu schimpfen.«

»Was soll das aber bedeuten?«

»Ich weiß es nicht. Ruhig! Ein Heizer kommt vorüber, er könnte uns belauschen.«

Als der Heizer, der aus dem Maschinenraum kam und sich nach dem Logis begab, an ihnen vorüber war, blickten sich Hannes und Jim erstaunt an.

»Herrgott, Jim,« flüsterte Hannes, »es ist mir doch gerade, als ob ich dieses Gesicht schon einmal gesehen hätte.«

»Ich glaube dasselbe,« war die Antwort, »aber wo nur? Sahst du, wie er den Kopf abwendete, als er an uns vorüberging? Gerade, als wenn er von uns nicht erkannt sein wollte.«

Sie berieten hin und her, wo sie dieses dunkelrote Gesicht mit den schwarzen Augen und der eingebogenen Nase schon einmal gesehen hätten, konnten aber nicht darauf kommen.

»Nun,« meinte Hannes zuletzt, »wir sind ja nur 24 Stunden an Bord, so lange können wir es schon unter ihnen aushalten. Grün sind sie uns alle nicht gesinnt, das merkte ich schon, als wir an Bord kamen und den Chinesen halfen. Sie hätten lieber gesehen, wenn wir nicht angemustert worden wären, und nur, daß ich dem Renner, der allen Seeleuten verhaßt ist, eine Lektion erteilte, stimmte sie etwas günstiger.«

»Wir haben hier übrigens das größte Recht,« sagte Jim. »Wir haben uns beide als Jankees ausgegeben, ich bin auch wirklich einer, und dieses Schiff fährt unter dem Sternenbanner der Vereinigten Staaten; die anderen sind nur Engländer oder Südländer.« »Darauf kommt es nicht an,« versetzte Hannes. »Vorzug haben wir deshalb nicht zu beanspruchen, höchstens, daß der Kapitän uns als Landsleute freundlicher behandeln wird. Hoffentlich haben wir aber nicht nötig, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, und es müßte schon schlimm kommen, ehe ich das täte. Vorläufig bin ich noch Mann genug, mich von diesen Kerlen nicht schikanieren zu lassen.«

Ein Boot kam an das Schiff, der Lotse betrat die Kommandobrücke, und sofort drehte der Kapitän auf sein Geheiß den elektrischen Apparat; im Maschinenraum klingelte es, und die Schraube begann sich zu drehen – die »Recovery« trat die Reise an, vom Lotsen so lange geleitet, bis die Bucht verlassen und das offene Meer erreicht war.

Die Wachen wurden verteilt, Hannes richtete es so ein, daß Jim auf die seinige kam, trotzdem der zweite Steuermann im Willen hatte, sie zu trennen. Er ging einfach zu dem dieser Verteilung beiwohnenden Kapitän und bat ihn, daß er mit seinem Freunde zusammenbleiben könnte.

Brummend mußte sich der Steuermann dem Geheiß des Kapitäns fügen.

»Ist das nicht sonderbar, daß uns der Steuermann durchaus zu trennen suchte?« flüsterte Hannes dem Leichtmatrosen zu, als beide unter der Back standen und Taue zusammenbanden. »So sehr er sich auch die Mühe gab, es als ganz zufällig erscheinen zu lassen, mir entging seine Absicht doch nicht.«

Es wurde fast Abend, ehe die »Recovery« das offene Meer, die chinesische See, erreichte.

Um acht Uhr wurde die Steuerbordwache, zu welcher Hannes und Jim gehörten, abgelöst, der Steuermann übernahm jetzt das Kommando des Schiffes, und nachdem die Abgelösten das Abendbrot zu sich genommen hatten, legten sie sich entweder in ihre Kojen oder begaben sich aus dem Logis noch einmal an Deck, um im Freien noch eine Pfeife zu rauchen.

Hannes und Jim hatten sich vorn auf die Back gesetzt, plauderten zusammen, sahen zu, wie der Lotse von einem Boote abgeholt wurde, und trafen dann ebenfalls Vorbereitungen zu einem Lager für die Nacht.

Sie hatten weder Matratzen, noch Decken mitgenommen, aber die Nacht war warm, Regen nicht zu befürchten, und so beschlossen sie, wie schon Hannes vorgeschlagen hatte, in Hängematten zu schlafen.

Im Logis hatten sie zwei Segel liegen lassen, diese holten sie sich, knüpften die Enden unter je ein Boot und hatten auf diese Weise ein Bett hergestellt, wie es unter den Seeleuten sehr beliebt ist, denn es ist durch seine Elastizität so weich, als wären Sprungfedern darunter, und da die eine Seite höher gebunden wird, so ist auch ein Kopfkissen entbehrlich. In einer Minute ist so eine Hängematte hergestellt.

Hope wußte nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als sie unter einem Schauer aufwachte.

Es hatte sich ein heftiger Wind erhoben; das Meer begann sich ungestüm zu bewegen, und in der Takelage ward schon das eigentümliche Sausen hörbar, welches den Seemann immer an das Brodeln im Bratofen erinnert.

›Der Teufel bratet sich sein Mahl‹, sagt der Matrose und wickelt sich fester in die dünne Decke, wünschend, daß das Zischen nicht stärker wird, sonst wird er durch den Ruf: ›Alle Mann an Deck‹ sicher zur außergewöhnlichen Arbeit aus der Koje geholt. Aber so sehr er sich auch Mühe gibt, wieder in Schlaf zu fallen, immer muß er dem unheimlichen Zischen zuhören, es läßt ihn seine Augen nicht wieder schließen.

Auch Hope konnte keinen Schlaf mehr finden; wie gebannt hingen ihre Augen an den dunklen Raaen, die nur schwach in der Dunkelheit sichtbar waren, und hörte auf das seltsame Geräusch, welches sie noch gar nicht vernommen hatte, weil die Raaen der ›Vesta‹ eines Segelschiffes, stets nach dem Winde gerichtet wurden, während die auf einem Dampfer gewöhnlich so stehen bleiben, wie sie eben einmal zufällig gewendet werden.

Außerdem war es kälter geworden; der starke Wind hatte die Luft abgekühlt, und schon begannen ab und zu die Kämme der schäumenden Wogen über die Bordwand zu kommen, und die beiden Schläfer in der Hängematte mit einem kalten Sprühregen zu überschütten.

Hannes merkte davon nichts. Er schlief nicht nur sanft weiter, er begleitete sogar das Seufzen in der Takelage mit einem kräftigen Schnarchen, und zwar in zwei Tonarten, einer hohen und einer tiefen, je nachdem er von dem schlingernden Schiff auf die eine oder auf die andere Seite geworfen wurde.

»Wenn ich eine Decke hätte, könnte ich wieder einschlafen, es friert mich zu sehr,« dachte Hope, »aber wie soll ich eine solche hier bekommen?«

Da fiel ihr ein, daß sie am Morgen in der Segelkoje, welche sich hinten im Schiff, ganz in ihrer Nähe befand, einige kleine Stücke Segeltuch gesehen habe. Sie beschloß, zwei davon zu holen, eins für sich, das andere, um Hannes damit zuzudecken, damit er wenigstens, wenn er aufwachte, nicht mit nassem Zeug an Deck zu gehen brauche.

Hope stand also auf und ging nach der Tür, welche zur Segelkoje führte. Sie bedurfte nur noch einiger Schritte, so hatte sie dieselbe erreicht. Sie wunderte sich noch, außer dem ersten Steuermann auf der Kommandobrücke niemanden an Deck zu sehen, die Matrosen waren wahrscheinlich alle, da der Dienst auf einem Dampfer ein sehr sorgloser ist, im Logis und unterhielten sich durch Gespräche oder Kartenspiel.

Das junge Mädchen huschte hinein und tastete im Dunklen sich über die Segel hinweg nach der Stelle, wo sie die Stücke hatten liegen sehen. Aber sie lagen nicht mehr dort, sie waren weggeräumt worden, und Hope, welche kein Feuerzeug bei sich hatte, blieb nichts anderes übrig, als so lange im Dunklen herumzutappen, bis sie die Stücke gefunden hatte, wenn sie nicht ihre Absicht aufgeben wollte.

So kroch sie denn über die aufgetürmten Segel hinweg, zupfte bald hier, bald da an einem Tuche, um zu prüfen, ob es nachgebe, oder ob es ein schweres Segel sei, und näherte sich schon der anderen Ecke der Koje, als sie plötzlich die Tür aufgehen und die Umrisse zweier eintretenden Männer sah.

Hope lag oben auf einem etwas tiefer befindlichen Segel in der äußersten Ecke der Kammer, schon wollte sie ihr Suchen fortsetzen und so ihre Anwesenheit zu erkennen geben, als die geflüsterten Worte eines der beiden Männer bewirkten, daß sie sich plötzlich dicht auf das Segel schmiegte und lauschte.

»Hier sind wir sicher,« hörte Hope leise sagen. »Der erste Steuermann steht auf der Brücke, hat uns nicht hineingehen sehen, und der Bootsmann schnarcht in seiner Koje, wie ein Bär. Ich habe mich soeben davon überzeugt.«

Hope kannte diese Stimme, es war die des zweiten Steuermannes, welcher um zwölf Uhr die Wache über nehmen mußte. Der Bootsmann ist auf jedem Schiffe Freiwächter, das heißt, er leitet nur während des Tages die Arbeiten der Matrosen, in der Nacht schläft er, geht also keine Wache, ebenso wie der Zimmermann.

»Und wo sind die beiden Grünschnäbel?« hörte Hope die andere Stimme flüstern, welche sie nicht kannte. Sie wußte sofort, daß mit den beiden Grünschnäbeln sie und Hannes gemeint waren.

»Die schlafen in Hängematten unter den Booten,« klang es zurück, »habe mir sie erst vor einigen Minuten angesehen. Die beiden Bengel scheinen heißes Blut zu besitzen; es geniert sie gar nicht, daß das Wasser fortwährend über sie hinwegspritzt, sondern sie schnarchen ein Duett zusammen.« »Ihr heißes Blut wird sich schon noch abkühlen,« lachte der andere leise. »Wenn sie erst Bekanntschaft mit dem Meere machen, wird die Hitze wohl nachlassen.«

Hope schmiegte sich noch dichter an die Segel und hielt den Atem an – sie hatte die Drohung verstanden, dieselbe galt ihnen.

»Wollt Ihr die beiden Kerlchen wirklich hinüberschaffen? Es wäre schade um die Jungens!«

»Unbedingt,« flüsterte der Unbekannte, sie beide passen nicht für uns, der große gleich gar nicht, er besitzt zu viel von dem, was man Ehrgefühl und Rechtschaffenheit nennt; sein Verhalten dem Renner gegenüber hat das gezeigt, ebenso, daß er eine erkleckliche Quantität von Energie besitzt. Sie beide müssen, ebenso wie der Kapitän und der erste Steuermann, den Haifischen zum Futter dienen.« »Ihr seid entsetzliche Menschen,« hauchte der Steuermann.

»Euer Gewissen wird schon noch die nötige Weite erhalten, daß Ihr Euch auch nicht mehr viel aus einem Menschenleben macht,« lachte der Unbekannte wieder leise, »dankt Eurem Gott oder dem Teufel, daß Ihr Euch auf unsere Seite geschlagen habt, sonst wäre Euer Schicksal dasselbe.«

»Und seid Ihr auch aller Matrosen und aller Heizer sicher, daß wir nicht noch auf Widerstand stoßen?«

»Aller,« versicherte der Unbekannte. »Sechsundzwanzig Mann, darunter ich, gehören sowieso schon zu unserer Bande, auch die meisten der anderen, welche an Bord des Schiffes anmustern wollten, und die vier Fremden, deren Anmusterung wir nicht vereiteln konnten, haben wir schon für unsere Sache gewonnen, ebenso wie Euch.«

»Können keine Verräter darunter sein?«

»Wer bei uns einmal A sagt, muß auch B sagen, sonst baumelt er. Als sie das Handgeld von mir empfingen, haben sie sich dem Teufel mit Leib und Seele verschrieben. Dasselbe gilt für Euch, Steuermann.«

»Donner, höflich seid Ihr eben nicht! Ich werde einen groben Kapitän bekommen!«

»Seid unbesorgt!« lachte die unbekannte Stimme heiser. »Eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.«

Die Schiffsglocke schlug siebenmal, drei Doppelschläge und einen einfachen – es war halb zwölf Uhr.

»Was habt Ihr für einen Plan ausgesonnen, Kapitän?« hörte Hope den Steuermann fragen.

Ein Kapitän war der, mit dem der Steuermann sprach. Wenn er noch keiner war, dachte Hope, so wollte er ein solcher werden, denn, daß eine Meuterei ausbrechen sollte, wußte sie jetzt ganz bestimmt.

»Wir warten noch bis vier Uhr, wenn der erste Steuermann wieder auf Wache geht,« entgegnete der Unbekannte, »Wie Ihr sagt, kommt zu derselben Zeit immer der Kapitän an Deck, um sich Meldung erstatten zu lassen und in dem Augenblick, da die beiden ihre Kabine verlassen, müssen sie überwältigt werden. Der Bootsmann wird schon vorher im Schlaf unschädlich gemacht, ohne ihn zum Schreien kommen zu lassen. Die beiden Ingenieure überwältigen wir bei Gelegenheit, unten im Heizraume können sie nicht viel anfangen.«

»Und die beiden fremden Matrosen?«

»Sie bekommen einfach einen Schlag auf den Hirnkasten, wenn sie nicht freiwillig über Bord springen.«

»So wollt Ihr also nicht noch versuchen, sie Euren Absichten willfährig zu machen?«

»Nein, sie gefallen mir nicht. Ich kenne solche Charaktere. Diese Dummköpfe würden sich lieber töten lassen oder aber ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen, ehe sie sich zu einem solchen Geschäft hergäben, wie wir es betreiben.«

»Und der Kapitän, der Steuermann, der Bootsmann und die Ingenieure?«

»Von denen gilt dasselbe. Ihr Leben ist verwirkt. Mitleid kenne ich nicht.«

»Aber wir brauchen jemanden, der mit der Maschine umzugehen weiß. Den Heizern, die an Bord sind, traue ich eine solche Fähigkeit nicht zu.«

»Das ist es eben, was mich so ärgert,« grollte der Unbekannte, »deshalb mußte ich mich als Heizer anmustern lassen, damit ich erst einmal mit der Maschine bekannt wurde. Es geht nicht anders, Ihr müßt einstweilen das Kommando an Deck übernehmen, und ich bleibe unten bei der Maschine, bis wir im nächsten Hafen einen richtigen Ingenieur an Bord geschickt bekommen.«

»Wer sorgt für diesen, und wohin fahrt Ihr?«

»Das ist mein Geheimnis und geht niemandem etwas an, als mich allein. Ich habe von dem, dem auch ich gehorchen muß, meine Befehle erhalten, und damit basta.«

»Hallo, Ihr seid kurz angebunden,« lachte der Steuermann, »na, meinetwegen, ich weiß, daß Ihr nicht plaudern dürft, und werde mich schon noch an Euer seltsames Sprechen und Handeln gewöhnen müssen.«

»Ihr werdet Euch dabei nicht schlecht stehen,« versicherte der andere. »Euer Gehalt geht ruhig fort, und wenn das Schiff zu dem gebraucht wird, was ich glaube, so werdet Ihr durch den Anteil am Gewinn Summen erhalten, die Euch bald zum reichen Manne machen werden.«

Die Schiffsglocke gab einen Schlag, ein Zeichen, daß es Zeit war, die Schlafenden zu wecken, welche die Wache übernehmen mußten, Matrosen, Heizer, wie Offiziere.

»Zehn Minuten vor Zwölf,« flüsterte der Unbekannte, »es ist die höchste Zeit, daß wir die Segelkoje verlassen, sonst wird der erste Steuermann argwöhnisch. Hier, Maat faßt das Segel mit an. Wir tragen es nach vorn und decken damit die Luke zum Maschinenraum zu. Fragt dann der Steuermann, warum, so antwortet Ihr, es taute stark, und die Maschinenteile könnten naß werden.«

»Noch eins, ehe wir gehen!« sagte der zweite Steuermann. »Wenn morgen früh um vier Uhr nun gerade ein Schiff in Sicht ist?«

»Das wird nichts ausmachen,« versetzte der Mann, den Hope nicht kannte, »wir nehmen ja alles unter Deck vor, überdies ist es ja um vier Uhr noch dunkel, die Sonne geht erst später auf. Und außerdem, übernehmt, Ihr jetzt die Wache auf der Kommandobrücke, ich werde Euch dann einen Kurs angeben, den Ihr steuern laßt, damit wir aus der Dampferlinie herauskommen. Segelschiffe haben wir nicht zu fürchten.«

»All right, Kapitän, so werde ich also für diese Fahrt Eure Stelle vertreten,« lachte der Steuermann.

»Und bin ich erst Kapitän dieses Schiffes, so sollt Ihr Euch über mich nicht zu beklagen haben.«

Beide faßten ein Segel an, schleiften es hinaus und trugen es nach vorn.

Hope lag noch immer da, die Hand aufs Herz gepreßt und glaubte, es müßte ihr springen. Sie hatte schon immer gefürchtet, sein lautes Klopfen könnte ihre Anwesenheit verraten.

Meuterei! Das war ihr einziger Gedanke.

Der Kapitän, der erste Steuermann, der Bootsmann, die beiden Ingenieure, Hannes und sie selbst sollten also als Opfer fallen, damit sich die Besatzung in den Besitz der »Recovery« setzen konnte; zu welchem Zwecke, das wußte sie allerdings nicht, aber sie hatte seit Antritt der Reise schon so Entsetzliches gehört und gesehen, daß sie das Schlimmste für möglich hielt.

Wie sollte sie nun aber unbemerkt aus der Segekoje kommen und die Bedrohten warnen, daß man die Meuterei noch rechtzeitig unterdrücken konnte? Sie waren ja nur sieben Mann, die Meuterer dagegen einunddreißig.

Ehe es zwölf Uhr schlug und die Steuerbordwache an Deck kam, mußte sie die Kammer unbedingt verlassen haben, sonst wurde sie an Deck vermißt, und schließlich fand man sie hier, an dem Platze, wo eben diese unheimliche Unterredung stattgefunden hatte.

Hope kroch über die Segel hinweg der Türe zu, öffnete sie ganz vorsichtig und spähte durch die schmale Spalte hinaus. In ihr Herz war plötzlich ein wunderbarer Mut eingezogen, bei ihr stand es jetzt, das Leben von sechs Männern zu retten, und unter diesen war auch Hannes, ihr Hannes. An ihr eigenes dachte sie in diesem Augenblick gar nicht.

An Deck war niemand zu sehen. Die Matrosen weckten die Heizer und ihre Kameraden, welche sie ablösen sollten, der zweite Steuermann zog sich in seiner Kabine zum Nachtdienst um, und der erste auf der Brücke hätte sie ruhig sehen können – er gehörte ja selbst zu den Bedrohten.

Schnell schlüpfte sie hinaus, war mit drei Schritten an ihrer Hängematte und lag im nächsten Augenblick darin. Hannes schlief noch immer fest.

»Steuerbordwache an Deck,« hallte es von der Kommandobrücke, gleichzeitig mit den acht Schlägen der Schiffsglocke.

Die Ablösenden erschienen sofort alle, sie konnten gar nicht geschlafen haben. Natürlich, das Gespräch über die schauerliche Tat, welche sie vorhatten, ließ sie nicht schlafen – vielleicht auch nicht ihr Gewissen.

Hope sprang heraus und rüttelte Hannes.

»Zwölf Uhr,« sagte der Matrose, sich die Augen reibend. »Donner und Doria!« rief er dann und sprang mit einem Satze aus der Hängematte. »Ich habe ja Wache am Ruder, Jim, schaffe die Hängematten wieder dahin, wo sie lagen, und während der zwei Stunden, die ich am Steuerrad stehe, kannst du mir etwas Gesellschaft leisten.«

Hope erschrak. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, daß Hannes den Mann am Ruder abzulösen habe. Es war ihr sehr unangenehm, denn teilte sie ihm dort alles mit, was sie gehört, so mußten die anderen ihre Unterhaltung bemerken und konnten vielleicht Argwohn schöpfen. Lieber wäre es ihr gewesen, sie hätte den Matrosen in irgend einem versteckten Winkel sprechen können.

Ehe sie Hannes nur irgend etwas sagen konnte, war dieser schon zum Steuerrad gesprungen, hatte sich den zu steuernden Kurs übergeben lassen und die Speichen dem anderen aus der Hand genommen.

»Der Wind ist bös geworden,« sagte oben auf der Kommandobrücke der erste Steuermann zu dem ihn ablösenden Kollegen. »Lassen Sie noch einen Mann ans Ruder treten, das Ruder schlägt stark, ich merke es an dem Kompaß, und für einen Mann wird es etwas schwer zu halten sein.«

Der zweite Steuermann versprach, diesem Geheiß sofort nachzukommen. Er hatte dem ersten Maat zu gehorchen und mußte alles vermeiden, was bei diesem Argwohn hätte erwecken können. Jim, der Leichtmatrose, konnte seinem Gefährten Gesellschaft leisten. Auf diese Weise waren die einzigen der Mannschaft, welche nicht zu den Eingeweihten gehörten, von den anderen getrennt, sodaß diese nicht zu befürchten brauchten, bei unvorsichtig geführten Gesprächen belauscht zu werden.

»Jim,« rief er dem vorübergehenden Leichtmatrosen zu, während der erste Steuermann eben die Brücke verließ, »gehe als zweiter Mann ans Ruder! Halte aber gut fest, du Knirps, daß dich das Rad nicht umwirft, sonst könntest du Schaden erleiden, und das sollte mir leid tun.«

Jim achtete nicht auf den Spott, der in diesen Worten lag – er wußte ja, was dieser Mann Böses mit ihm vorhatte – er war nur froh, so Gelegenheit zu bekommen, mit Hannes ungehindert sprechen zu können.

»Hannes,« flüsterte Hope, als sie neben ihm am Rad stand, »ich muß dir Furchtbares mitteilen. Die ganze Besatzung besteht aus Meuterern, sie wollen den Kapitän, die Offiziere und uns ermorden, damit sie in den Besitz des Schiffes kommen. Der zweite Steuermann selbst wird sie anführen.«

Hannes vergaß für einen Augenblick ganz, den Kompaß zu beachten, er hielt das Rad fest, unbekümmert, daß die Nadel stark abfiel, und hörte mit offenem Munde die Worte seines Kameraden.

Dann aber raffte er sich zusammen. Das Rad gleichmäßig hin- und herdrehend, so wie es die Schwankung der Nadel erfordert, die Augen starr auf den Kompaß gerichtet, hörte er, ohne ein Wort zu erwidern, die Enthüllungen an.

»Wer war der, mit dem der zweite Steuermann sprach?« fragte er.

»Erst wußte ich es nicht,« entgegnete Hope, »vorhin aber, als die Wache an Deck kam, habe ich den Mann an seiner Stimme wieder erkannt. Es ist derselbe, der heute morgen beim Vorübergehen an uns den Kopf wegwendete.«

»Der Heizer mit den unheimlichen Augen und dem schwarzen Knebelbart also! Wo habe ich den Kerl nur schon einmal zu sehen Gelegenheit gehabt?«

»Laß das jetzt,« flehte Hope, »du bist klüger und erfahrener als ich, gib einen Rat, wie wir den Anschlag dieser Schändlichen verhindern können, oder ich laufe in meiner Verzweiflung zum Kapitän und erzähle ihm alles, obgleich ich weiß, daß es jetzt das Törichtste wäre, aber ich vergehe fast vor Angst.«

»Es wäre auch sehr töricht, Jim. Den Kapitän müssen wir natürlich warnen, ebenso die Offiziere, Ingenieure und den Bootsmann, aber jetzt noch nicht, und wir können es nicht tun, so lange wir am Ruder stehen. Ein Glück ist es, daß sie die Zeit so genau verraten haben, es sind also noch vier Stunden bis dahin, und inzwischen können wir noch viel entgegenarbeiten.«

»Wenn sie aber nun ihren Plan schon eher zur Ausführung bringen?«

»Wenn sie vor zwei Stunden mit der Meuterei beginnen, dann, mein armer Jim, müssen wir um unser Leben kämpfen, und wir wollen es so teuer wie möglich verkaufen. Revolver haben wir glücklicherweise bei uns, die anderen aber jedenfalls auch, denn die Matrosen auf amerikanischen Schiffen sind immer bewaffnet. Sind diese zwei Stunden am Ruder aber verstrichen, so erspähen wir die erste Gelegenheit, in die Kajüte zu kommen, selbst wenn wir dabei bemerkt werden sollten, alarmieren Kapitän und Offiziere und kommen den Meuterern zuvor.«

»Laß mich schon jetzt gehen oder schleiche du fort,« bat Hope. »Bedenke, unser aller Leben ist verloren, wenn sie schon eher beginnen, und wir sind an ihrem Tode schuld!«

»Es geht nicht,« beharrte aber Hannes. »Verläßt einer von uns das Steuerrad und geht in die Kajüte, so ist sofort alles verraten. Gedulde dich, meine Hope, glaube nur, daß es auch mir schwer wird, untätig hier stehen zu müssen.« Das waren zwei lange Stunden am Steuerrad, die längsten, die sie je verlebt hatten. Jede Minute ward zur Stunde; die aller halben Stunden gegebenen Schläge der Schiffsglocke ließen stets eine Ewigkeit auf sich warten. Sie sahen, wie die Matrosen in Gruppen zusammenstanden und fluchten, wie sie zwei und zwei in Winkeln saßen und Unheil ausbrüteten, und wie ab und zu ein Mann auf die Brücke ging und mit dem zweiten Steuermann sprach. Gab dieser schon jetzt das Zeichen, die Meuterei beginnen zu lassen, so war ihr Leben verwirkt.

Aber die Minute läßt sich auch in der schwersten Stunde nicht aufhalten, sie rollt dahin, in die Vergangenheit hinüber, und der Mensch darf sich darob freuen.

So gab auch endlich die Glocke der »Recovery« vier Schläge von sich, auf das Steuerrad kamen zwei dunkle Gestalten gegangen und lösten mit mürrischer Miene unsere beiden jungen Freunde ab.

»Diese zwei Stunden vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht!« flüsterte Hope, als sie neben dem Matrosen dem Vorderteil des Schiffes zuschritt. »Ich bin in ihnen um zwei Jahre gealtert. Was nun, Hannes?«

»Setz' dich hierher, Jim!« sagte Hannes laut und zog den Leichtmatrosen neben sich auf ein Bündel Taue, welche nicht weit vom Eingang zur Kajüte lagen. »Erzähle mir, wie du eigentlich zur See gekommen bist.«

Hope verstand sofort den Wink, sie fing an, eine erfundene Geschichte zu erzählen und lauschte inzwischen aufmerksam den Worten, welche ihr Hannes, der sich ganz dicht an die Bordwand geschmiegt hatte und so gar nicht zu sehen war, zuflüsterte:

»Jemand von uns muß hinunter, den Kapitän wecken und ihm Mitteilung machen, es gibt keinen anderen Zugang zur Kajüte. Ich werde es tun. Singe jetzt ein Liedchen, Jim! Haben sie uns hier sitzen sehen, so müssen sie glauben, wir sind noch zusammen, ich aber schleiche mich hinunter, du singst weiter! Paß auf, jetzt ist's Zeit, niemand ist gerade an Deck zu sehen. Ich hole dich nach, wenn es Zeit ist.«

Hope begann zu singen, während Hannes wie ein Schatten dem Eingange der Kajüte zuglitt und sofort verschwunden war.

Dem jungen Mädchen stockte die Stimme, kaum konnte es die Worte hervorbringen, aber Hannes hatte ihr ja befohlen, leise zu singen, um die übrigen Matrosen nicht argwöhnisch zu machen, und so nahm sie allen ihren Mut zusammen und sang ein fröhliches Schifferliedchen.

»Mein Gott, wie lange bleibt Hannes aus! Wäre ich doch mit ihm gegangen.«

Minute nach Minute verstrich, Hannes kam nicht wieder. Kein Laut von unten drang zu ihr, kein Klopfen an der Tür, kein gesprochener Ton, kein Laut des Schreckens oder der Ueberraschung – alles totenstill.

Hope wurde plötzlich von einer unnennbaren Angst befallen. War Hannes von unten aufgestellten Posten abgefangen worden? Lag er jetzt schon gebunden auf den Planken oder gar schon mit dem Dolche in der Brust da?

Sie konnte es nicht mehr aushalten, sie mußte hinunter, koste es, was es wolle. War doch schon eine Viertelstunde seit dem Verschwinden des Matrosen verstrichen.

Der Leichtmatrose stand auf und wollte schon der Kajütentreppe zuspringen, als er plötzlich den zweiten Steuermann vor sich stehen sah.

»Wo ist dein Maat?« fragte er.

»Welcher?« konnte Hope nur verwirrt stammeln; die Kehle war ihr wie zugeschnürt.

»Dein Landsmann, Dummkopf!« herrschte sie der Steuermann heftig an.

»Ich weiß es nicht.« »Er war doch eben noch bei dir. Wohin ist er gegangen? Sprich, Bursche!«

Großer Gott, der Steuermann hatte Verdacht geschöpft. Vor Hopes Augen begann es zu flimmern, dem sonst immer unverzagten und schlagfertigen Mädchen drohte das Herz stillzustehen, als sie den Mann ansah, wie er argwöhnisch um sich blickte und sie dann scharf ins Auge faßte, sie glaubte, er richte die Schritte schon nach der Kajütentreppe.

»Hannes!« gellte es aus ihrem Munde.

Mit einem fürchterlichen Fluche stürzte sich der Mann auf sie, hob sie empor, dicht an der Bordwand, als wolle er sie ins Meer schleudern, von allen Seiten eilten die Matrosen herbei, einige, die glaubten, das Signal wäre schon gegeben, mit Messern und Revolvern in der Hand; aber plötzlich fühlte Hope den Griff des Steuermannes nachlassen. Der Mann wurde plötzlich rücklings zu Boden gerissen und vor ihr stand Hannes.

Noch hatten die herbeieilenden Matrosen sie nicht erreicht. Hannes packte das Mädchen am Arm, riß es dem Kajüteneingang zu, und beide stürzten mehr, als sie liefen, die steile Treppe hinab.

Oben erhob sich ein wüstes Geschrei, der Steuermann brüllte, die Matrosen heulten, Waffen klirrten; aber unten an der Treppe fand Hope den Kapitän, den ersten Steuermann und die Ingenieure versammelt, alle die Revolver in den Händen – Hannes hatte sie also doch alle geweckt und sie von der drohenden Gefahr in Kenntnis gesetzt, und, was Hope in ihrer Todesangst bezweifelt, sie hatten ihm auch geglaubt.

»Mir nach!« schrie der Kapitän als die Meuterer schon die Treppe herabstürmten und auch von der anderen Seite eilende Schritte hörbar wurden.

In der Kajüte, welche der Kapitän und die Offiziere bewohnten, führte ein zweiter Eingang vom Maschinenraum aus, für die Ingenieure bestimmt, und durch diesen sah man schon einige Gestalten eindringen. Hannes hatte Glück gehabt. Der zweite Ingenieur, welcher Wache hatte, war zufälligerweise gerade in seiner Kabine gewesen. Hannes traf ihn in dem Gange, erzählte ihm alles mit fliegenden Worten, und der Ingenieur hatte sofort den Kapitän und die anderen Offiziere gewarnt. So kam es, daß auch er gerettet wurde, wenn Rettung überhaupt noch möglich war. Nur der Bootsmann fehlte unter ihnen, er schien seinem Schicksal nicht entgehen zu können.

Der Kapitän war nach einer Kammer geeilt, welche sich neben der Kajüte befand, hatte sie aufgeschlossen, und alle sechs Mann drängten sich hinein. Der ganzen Mannschaft war noch vor der Abreise bekannt gemacht worden, was die in dieser Kammer aufgespeicherten Fässer enthielten– Schießpulver, nach Amoy bestimmt, und die Matrosen und Heizer waren instruiert worden, wie sie sich zu benehmen hatten, wenn auf der »Recovery« Feuer ausbrechen sollte. Diese Kammer mußte zuerst unter Wasser gesetzt werden, sonst wären Schiff und Mannschaft verloren, es wäre eine furchtbare Explosion erfolgt.

Alle begriffen sofort, warum der Kapitän gerade hierher flüchtete. Niemand durfte hier auf sie schießen, wollten die Verfolger sich nicht selbst der Gefahr aussetzen, im nächsten Augenblicke als gräßlich zerfetzte Leichname mit den Trümmern der »Recovery« durch die Luft zu fliegen.

Die Schritte der Meuterer hallten durch die Gänge, von allen Seiten kamen sie herbeigeeilt, und ihre Stimmen schallten immer deutlicher an die Ohren der sechs Geflüchteten.

Der Kapitän hatte die Tür hinter sich zugezogen, aber nicht zugeschlossen. Im Scheine des Lichtes, welches durch ein Fensterchen der Tür aus dem erleuchteten Korridor in die Kammer fiel, rollte er ein Faß Pulver vor und sprengte durch einen Fußtritt den Deckel ab.

Im nächsten Augenblicke wurde die Tür aufgerissen, die ganze Mannschaft, bis an die Zähne bewaffnet, allen voran der führende Heizer und der verräterische Steuermann, standen vor der Tür, bereit, sich auf die in der Kammer Befindlichen zu stürzen und sie zu entwaffnen.

»Zurück!« donnerte der Kapitän sie an.

Er hätte nicht zu rufen nötig gehabt; beim ersten Blick in die Kammer taumelten die Vordersten zurück, stürzten sich auf die Hintenstehenden, und alle drängten sich rückwärts.

Da stand der Kapitän, den Revolver in der Hand, den Finger am Drücker, aber den Lauf nicht so, wie die Uebrigen, auf die Anstürmenden gerichtet, sondern auf das vor ihm stehende Faß, dessen körniger, glänzender Inhalt sichtbar war. Ein leiser Druck nur, und ein furchtbarer Donner hätte die Luft erschüttert; eine feurige Garbe wäre zum Himmel aufgestiegen, und Schiff und Mannschaft wären auf ewig verschwunden gewesen.

»So schießt doch, O'Donnall!« sagte der Kapitän kaltblütig zu dem mit bebender Lippe und aschfahlem Gesicht dastehenden Steuermann. »Schießt doch! Warum tut ihr es nicht, elender Verräter!«

Keiner wagte, den Revolver zu heben, ein einziger Schuß in die Pulverkammer wäre für alle verderblich gewesen.

Plötzlich entstand eine Bewegung in der starr dastehenden Gruppe. Alle wendeten sich um und stürzten in wilder Flucht den Gang zurück; aber da krachten hinter ihnen Revolverschüsse, und Schmerzgeheul und das dumpfe Dröhnen niederstürzender Körper bewiesen, daß nicht alle Kugeln ihr Ziel verfehlt hatten. Im Gange lagen einige Gestalten bewegungslos da und wälzten sich in ihrem Blute.

»Vorläufig gerettet!« sagte der Kapitän und ging selbst wieder in die Kammer zurück, aus welcher die sechs Mann während des Feuerns getreten waren, »aber es wird nicht lange dauern, so werden sie andere Mittel probieren, uns aus dieser gesicherten Stellung zu jagen.«

Einige Minuten verstrichen über der Beratung, wie man sich die Meuterer vom Leibe halten könnte. Es war jetzt halb vier Uhr, die Nacht noch vollkommen dunkel.

»Ich bin fest überzeugt,« meinte der Kapitän, »daß die Meuterer draußen auf uns lauern. Ich möchte nicht den Versuch machen, meinen Körper auf dem Gange zu zeigen; sicher würde ich sofort eine Kugel bekommen.«

»Das können wir gleich probieren,« antwortete Hannes, zog seinen Rock aus, setzte die Mütze drauf und hing beides an einen Stock.

Kaum bog er die Jacke etwas zur Tür hinaus, so fielen einige Schüsse, und das Tuch ward an verschiedenen Stellen durchlöchert. Hannes hatte diesen Kniff von John Davids gelernt, der ihn damals in Australien anwendete, als die Buschrähndscher die Engländer im Eisenbahnwagen fangen wollten.

»Brav gemacht, mein Junge!« rief der Kapitän. »Es ist so, wie ich sagte. Wir sitzen hier zwar vorläufig noch sicher, aber wie in einer Mausefalle. Gehen wir hinaus, so schießen sie uns alle wie tolle Hunde nieder.«

Ein seltsames Geräusch unterbrach ihn, es kam vom Fußboden her.

Unten in die Wand der Kammer war ein Loch gebohrt worden durch welches ein Schlauch hereinlief. Man hatte diesen angebracht, damit, wenn auf der »Recovery« Feuer ausbrechen sollte, die Pulverkammer mittels der Pumpe sofort unter Wasser gesetzt werden könnte, und das Pulver somit unschädlich würde.

Jetzt wollten die Meuterer diese Einrichtung benutzen, um den sechs Mann die Möglichkeit zu rauben, ihnen mit Explosion drohen zu können. Der erst glatt liegende Schlauch schwoll jetzt an, und Wasser begann in die Kammer zu strömen.

»Wenns weiter nichts ist,« lachte der Kapitän, »dem wollen wir bald abgeholfen haben.«

Er band den Schlauch dicht vor der Oeffnung zusammen und schob ihn dann zurück. Es drang kein Wasser mehr ein, die Absicht der Meuterer war vereitelt.

»Kapitän Green!« ließ sich da die Stimme des schwarzen Heizers draußen auf dem Korridor vernehmen.

»Was giebt es, ihr Schufte?« rief der Kapitän zurück.

»Um Gottes willen, verlaßt nicht diese Kammer, will man mit euch Verhandlungen anknüpfen!« sagte der erste Steuermann.

»Werde mich schön hüten,« lachte der Kapitän.

»Kapitän Green,« klang es draußen wieder. »Wollt Ihr Bedingungen annehmen, die Euch und Euren Genossen das Leben retten?« »Ich nehme nur die Bedingung an, daß Ihr und die anderen Meuterer Euch in Eisen legen laßt, auf Gnade und Ungnade. Etwas anderes existiert für mich nicht. Dann will ich für Euch ein gutes Wort einlegen,« antwortete der Kapitän.

»Ihr seid Toren, ihr seid doch verloren, in einigen Minuten werden wir euch gefangen haben.«

»Und ihr seid Hunde, die sich gewaltig irren werden. Ehe ich in irgend etwas willige, sprenge ich das Schiff in die Luft.

»Hört erst, was ich euch vorschlage! Kommt heraus, liefert eure Waffen ab, und ihr sollt ein Boot zur Verfügung bekommen, mit dem ihr nach der nicht weit entfernten Küste rudern könnt. Das Schiff bleibt in unserem Besitz. Seid ihr damit einverstanden?«

»Wer bürgt mir dafür, daß Ihr nicht nur Schwindelei treibt?«

»Mein Ehrenwort!«

»Hahaha,« lachte Kapitän Green laut auf, »Schuft verdammter, reize mich nicht zur Wut, sonst sprenge ich schon jetzt die »Recovery« in die Luft. Dein Ehrenwort gilt mir ebensoviel, wie das Quieken einer Ratte.«

»Ihr werdet binnen einer halben Stunde zu bereuen haben, was Ihr mir jetzt gesagt,« klang es noch einmal höhnisch draußen. Dann schwieg die Stimme.

»Wir haben keine Hoffnung mehr,« sagte der Kapitän, sich zu seinen Leidensgefährten wendend und plötzlich sehr ernst werdend. »Unser Schicksal ist der Tod, wir werden mit der »Recovery« zum Himmel auffliegen.«

»Wir machen einen Ausfall,« schlug Hannes vor. »Müssen wir sterben, so wollen wir wenigstens so viele wie möglich mit ins Jenseits nehmen.«

»Alle wollen wir mitnehmen,« fuhr der Kapitän wild auf. »Keiner soll lebendig davonkommen, und das können wir mit dem da erreichen.« Er deutete dabei auf das vor ihm stehende, geöffnete Pulverfäßchen.

Wirklich, das war das beste Mittel, um sich an diesen Verruchten rächen zu können. Keiner war unter ihnen, der vor diesem Vorhaben zurückgebebt wäre. Hope fühlte ihr Herz sich unter diesen Männern erweitern, sie dachte an Simson, wie er sich gegen die Pfeiler des Saales neigte, sie umstürzte und sich selbst unter den Trümmern zerschmettern ließ, aber doch die Genugtuung hatte, das Wehegeheul der erschlagenen Philister zu hören. Diese Tat des Mannes hatte ihr schon als Kind das Herz schneller schlagen lassen; so wäre sie an seiner Stelle auch gestorben, versicherte das kleine Mädchen oft ihren Spielgefährten, und jetzt? Jetzt, sollte die Phantasie des Kindes zur Wirklichkeit werden. Sie kannte keine Angst mehr, sie sah den sie besorgt anblickenden Hannes mit leuchtenden Augen an und nickte beistimmend mit dem Kopfe.

»Noch wollen wir mit der Ausführung unseres Vorhabens warten,« sagte der Kapitän, »noch haben wir ja Zeit. Es könnte doch sein, daß wir durch irgend etwas gerettet würden. Ist auch die Zeit der Wunder vorbei, so geschehen doch immer noch Dinge, die wir Menschen uns nicht träumen lassen.«

Er zog die Uhr.

»Vier Uhr,« murmelte er. »In einer Stunde erst bricht der Tag an. Die Maschine arbeitet fortgesetzt. Wohin mögen die Meuterer wohl fahren?«

Der erste Steuermann hatte einen kleinen Kompaß bei sich, und der erste Blick darauf belehrte sie, daß die »Recovery« jetzt südlich steuerte.

Während sie noch darüber sprachen, daß dadurch das Schiff aus der Dampferlinie heraus in ein sehr wenig befahrenes Wasser käme, in dem höchstens einmal ein Segelschiff kreuzte, erschollen plötzlich über ihren Häuptern starke Axthiebe. Nur einen Augenblick lauschten sie diesem Geräusch, dann rief der Kapitän erbleichend:

»Ich weiß, was diese Schurken vorhaben, sie hauen oben ein Loch in die hölzerne Decke, schieben dann einen schlauch hindurch und setzen auf diese Weise die Kammer unter Wasser. Fließt es auch unten wieder heraus, das Pulver können sie doch durchnässen. Aber beim wahrhaftigen Gott, ehe ich es so weit kommen lasse, führe ich mein Vorhaben aus. Seid Ihr alle damit einverstanden?«

»Wir sind es,« klang es feierlich, wie aus einem Munde.

»Gut, so laßt sie nur Wasser pumpen. Erreicht es das Faß, so fällt der Schuß, und dann ...«

Er unterbrach sich plötzlich. Während seiner Rede hatte er die Decksplanke gemustert, von der schon Splitter herabfielen. Seine Augen streiften dabei die oberen Regale, auf denen Blechbüchsen standen, und plötzlich nahm sein Gesicht einen freudigen Ausdruck an. »Mein Gott,« rief er, »warum habe ich nicht eher daran gedacht? Wir haben ja Raketen hier.«

Schnell waren einige der Büchsen geöffnet, die Pappscheiben herausgeholt, die Zündschnur in Brand gesetzt, zu dem Fensterchen herausgehalten, und eben, als sich der erste Wasserstrahl von oben in die Kammer ergoß, fuhr zischend die erste, zweifarbige Rakete in die Höhe, und immer neue folgten ihr ... Rot, grün – rot, grün, eine nach der anderen sauste zum Himmel empor, schwebte dort einen Augenblick und fiel dann als eine rote und eine grüne Leuchtkugel langsam nieder, das Zeichen, welches alle Schiffe der Welt sofort veranlaßt, ihren Kurs zu ändern – ›Schiff in höchster Not‹.

Der Schlauch, welcher von oben durch das gehauene Loch den Wasserstrahl hereinsandte, blieb nicht in seiner ersten Lage, er wurde fortwährend hin- und herbewegt, sodaß das Wasser duscheartig sich über alle Gegenstände der Kammer ergoß, alles durchnässend. »Jacken aus, Hemden aus,« schrie der Kapitän, »und sie über das Faß gelegt! Das Pulver muß trocken bleiben; es enthält das Werkzeug unserer Rache, bleiben die Raketen ohne Erfolg, was ich selbst fast fürchten muß.«

Hope half dem Kapitän, die Raketen in Brand zu setzen und abzufeuern, die anderen folgten der Aufforderung und deckten das Pulverfaß so gut wie möglich zu.

»Nichts,« rief der Kapitän wieder. »Noch zwei Raketen sind übrig, und kein Schiff ist zu sehen.

»Männer,« sagte er, furchtbar ernst werdend, »die Zeit ist gekommen! Schreibe jeder noch etwas, seinen letzten Willen, wie er sein Leben verloren hat, dann stecke jeder sein Papier in eine dieser leeren Raketenbüchsen, die wasserdicht abschließen, und werfe sie ins Meer, dem Zufall es überlassend, ob jemand von unserem schrecklichen Untergang erfahren soll oder nicht.«

Mitten unter dem Regen, welcher von oben auf sie herabrann, untersuchte der Kapitän das Pulverfaß, wobei sich die anderen um ihn herumstellten, um das Wasser abzuhalten.

»Es ist die höchste Zeit,« sagte Kapitän Green, sich aufrichtend, »in fünf Minuten sind die Jacken durchnäßt und ebenso dann das Pulver, es wäre zu spät. Schreibt euer Testament!«

Er riß einige Blätter Papier aus seinem Notizbuch, verteilte sie und schrieb selbst auf eins ein paar Zeilen, welches er dann zusammenfaltete und in eine Büchse legte, die er verschloß.

Auch Hope hatte ein Blatt ganz voll gekritzelt, wobei ihr Hannes mit tränenden Augen zusah.

»Willst du nichts schreiben, Hannes?« fragte das junge Mädchen mit erstickter Stimme.

»An wen?« fragte er traurig. »Ich weiß niemanden, der sich dafür interessiert, ob Hannes Vogel da ist oder nicht, und die Person, welche Anteil daran nehmen würde, kann nicht mehr über meinen Tod weinen, wie ich nicht über den ihren – sie stirbt mit mir.«

»Mein Hannes,« rief Hope weinend und umschlang den Matrosen mit beiden Armen, »es hat nicht sein sollen, daß wir im Leben uns gehörten, erst der Tod vereinigt uns. Ach, es wäre doch so schön gewesen!«

Der Kapitän drängte, die Büchsen durch das Fenster zu werfen, sein Ruf schreckte die beiden auseinander. Kurz entschlossen schrieb Hannes einige Worte auf das Papier, steckte es in die Blechschachtel und vertraute auch sie dem Meere an.

»So,« sagte er, »vielleicht kennt der Kapitän, welcher sie fischt, meinen Namen, er erinnert sich des lustigen Schiffsjungen oder Leichtmatrosen und weiß nun, daß Hannes Vogel tot ist.«

»Sprecht ein letztes Gebet!« rief der Kapitän und richtete den Revolver auf das Pulverfaß. »Macht es kurz, ich zähle bis drei, dann hat die »Recovery« aufgehört, ein Schiff zu sein.«

Eben stieg die Morgensonne wie ein feuriger Ball am Horizonte auf, als wollte sie dem Schlußakte dieses entsetzlichen Dramas beiwohnen, welches sich während der Nacht abgespielt hatte.

»Eins – zwei – drei ...«

Der Schuß krachte, aber die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt, sie schlug durch die hölzerne Tür.

Im letzten Augenblick, eben als der Kapitän abdrückte, stürzte sich Hope wie eine Wahnsinnige auf den Zielenden und schlug den ausgestreckten Arm in die Höhe.

»Ein Schiff!«

Dieser Ausruf vermischte sich mit dem Krachen des Schusses. Aller Augen richteten sich auf das Fensterchen, und da sah man, noch weit, weit in der Ferne, aber doch schon deutlich erkenntlich, die Masten eines großen Schiffes auftauchen, die über ihm schwebende Rauchwolke verriet, daß es zwar ein Segler, aber doch mit einer Maschine ausgerüstet war. »Eine Kreuzerkorvette,« schrie Kapitän Green, »ein Kriegsschiff. Schnell, Hannes, in meine Kabine geeilt, rechts unten in der Kiste liegen die Flaggen, hole die unsere.«

Hannes flog mehr, als er ging. In der nächsten Minute stand Kapitän Green am Fenster, steckte die Arme hinaus und schwenkte damit das Sternenbanner der Vereinigten Staaten durch die Luft, dem Kriegsschiffe winkend.

Der Schlauch oben ward herausgezogen, das Einfließen des Wassers hörte auf. Am Deck rannten die Leute hin und her, sie sahen, wie das Kriegsschiff direkt auf sie zuhielt und sich ihnen mit einer Schnelligkeit näherte, gegen welche es kein Entrinnen gab, und sahen ferner, wie unten aus dem Fenster die Flagge geschwungen wurde, um Hilfe flehend.

Oben fiel ein Schuß, mit einem Schmerzensschrei sprang Kapitän Green zurück, die Flagge aber noch in der durchschossenen Hand haltend. Doch schon stand Hannes am Fenster und schwenkte das Sternenbanner hin und her, möglichst schnell, um denen, welche oben nach seiner Hand zielten, keine Gelegenheit zu einem sicheren Schuß zu bieten.

Da ging auf dem Kriegsschiffe am hintersten Maste eine Signalflagge hoch – es war der Befehl, daß die »Recovery« halten sollte, und daß jenes Schiff das Recht hatte, diesen Befehl zu geben, das zeigte der Kriegswimpel an, welcher am mittelsten Mäste im Winde flatterte.

Die »Recovery« aber kam dieser Aufforderung nicht nach, sie dampfte weiter, sie hielt auch nicht, als das Kriegsschiff einen Kanonenschuß löste, das Zeichen, daß es jetzt gewillt sei, die Befolgung des Befehles zu erzwingen.

Die »Recovery« dampfte weiter, aber ein Entrinnen war nicht möglich, da das Kriegsschiff, welches bis jetzt seine Nationalität noch nicht gezeigt hatte, mehr Dampf aufmachte, es fuhr jetzt mit voller Kraft und kam ungeheuer schnell heran.

Da endlich gingen hinten an der Flaggenstange seine Farben hoch.

Unausgesetzt schwenkte Hope das Sternenbanner.

»Das Sternenbanner,« schrie Hannes, »ein Amerikaner.«

Ein höhnendes Lachen richtete aller Augen nach oben. Durch das in das Deck gehauene Loch blickten ein Paar grimmiger Augen, die kleine Gesellschaft musternd – es war der Heizer, der Anführer der Meuterer.

»Eure Freude war zu früh,« brüllte er hinab, »fahren wir zum Teufel, so sollt ihr uns wenigstens Gesellschaft leisten.«

Seine Hand, den Revolver auf das Pulverfaß richtend, streckte sich hindurch, und mit dem Schrei des Entsetzens, der allen beim Erkennen der fürchterlichen Absicht, angesichts der Rettung, sich entrang, vermischte sich der Knall des Schusses.

Die Kugel schlug ins Pulverfaß ein, die Umstehenden prallten zurück, stürzten sogar zu Boden, als wäre die Explosion schon erfolgt, aber sie fand nicht statt – das Pulver war schon zu sehr durchnäßt.

Noch hatten sie sich nicht von dem Schrecken erholt, als Hope wieder einen Schrei ausstieß, an das Fenster sprang, Hannes die Flagge aus der Hand riß und diese jetzt hin- und herschwenkte.

Das Kriegsschiff war sehr nahe. Schon konnte man die Matrosen sehen, welche, mit Büchsen und Entersäbeln bewaffnet, in Reih und Glied an der Bordwand standen, und auf der Kommandobrücke lehnte an dem Kompaß der Kapitän, ein junger, schöner Mann in der Uniform der Seeoffiziere der Vereinigten Staaten.

Unausgesetzt schwenkte Hope das Sternenbanner, und, nicht daran denkend, daß die Entfernung noch eine zu große war, um gehört zu werden, rief sie doch immer und immer wieder nach dem Schiffe hinüber, winkte mit der anderen Hand, schnell herbeizukommen und zu helfen. Jetzt hatte sich ihnen das Schiff so weit genähert, daß man alle Personen auf demselben, auch den Kapitän, deutlich erkennen konnte. Was die Meuterer oben taten, wußte man nicht, sie verhielten sich vollständig ruhig.

Da ließ Hope plötzlich die Flagge fallen, drängte den Kopf und die beiden Arme durch das Fensterchen und bog sich so weit als möglich mit dem Oberkörper heraus.

»Macdonald,« jubelte sie auf, »wir sind gerettet! Es ist Macdonald, mein Bruder.«


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