Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19.

Die Ausrüstung der Karawane.

Nicht weit von Mgwana lag eine Faktorei, bestehend aus mehreren großen Warenschuppen, einem großen Kontor und mehreren kleinen Häusern, in denen der Direktor und seine Leute wohnten.

Vor dem Kontor flatterte das Sternenbanner der Vereinigten Staaten, denn die Faktorei gehörte einer amerikanischen Gesellschaft, welche die nach dem Inneren reisenden Karawanen mit amerikanischen Produkten ausrüstete, wofür dann von den Negern Elfenbein und andere wertvolle Erzeugnisse eingehandelt wurden.

Die Araber, denen die Karawanen gehörten – der Handel in ganz Afrika liegt fast nur in den Händen von Arabern – erhandeln gegen bares Geld Wollstoffe, Baumwollenzeug, farbige Perlen, Feuersteingewehre, Pistolen, Aexte, Messer, Pulver, Blei und andere Tauschartikel, welche das Herz eines Negers mit Entzücken erfüllen, und der Araber erhält dafür von ihnen Elfenbein und, wenn er sie unbemerkt verkaufen kann, auch Ebenholz dafür, das heißt Sklaven, Kriegsgefangene der Häuptlinge.

Die Angestellten solcher Faktoreien, welche Karawanen ausrüsten, müssen eine endlose Geduld haben, denn es gibt kein erbärmlicheres Schachervolk, als die Araber.

Wenn man etwa glaubt, ein polnischer Jude kann in der Kunst des Schacherns und Feilschens nicht übertroffen werden, so irrt man sich sehr, denn er ist dem Araber gegenüber ein unschuldiges Kind. Man muß nur sehen, wie so ein ehrwürdiger Scheich mit weißem Bart, weißem Turban und weißer Toga es versteht, die armen Leute zur Verzweiflung zu bringen. Mit unendlichen »Inschallahs«, »beim Barte des Propheten« und anderen Ausrufen schwört er, er kann nicht mehr als soundsoviel für einen Doti, (ein Doti = 4 Meter) Zeug zahlen, sonst wäre er ein ruinierter Mann, ja, es kommt ihm auch gar nicht darauf an, sich auf den Boden zu werfen, zu jammern, zu weinen und sich die Haare auszuraufen, er fängt an, auf den hartherzigen Faringi zu schimpfen, und ist sein Vorrat an Schmähworten erschöpft, so beginnt wieder das Feilschen.

Der Kommis muß dabei immer die kaltblütigstes Ruhe behalten, er darf nicht mehr vom Preise abhandeln lassen, als ihm vom Direktor vorgeschrieben ist, er weiß auch ganz genau, daß der Araber schließlich doch bezahlt, aber zu einem Geschäft, das eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, braucht dieser nun eben einmal einen Tag – unter dem tut er es nicht.

Ist das Geschäft endlich in Ordnung, so geht er ans bezahlen, und abermals versucht der Araber zu handeln, Prozente abzuziehen, auf die gemeinste Art und Weise zu betrügen, er wiegt die Ware umständlich und zeigt, daß sie nicht das richtige Gewicht habe, daß er das Fehlende aber selbst gestohlen hat, sagt er natürlich nicht.

Erleichtert atmet die ganze Faktorei auf, wenn der Handel mit dem Araber fertig ist. Der Spektakel dauert aber noch einige Tage fort, denn jetzt beginnt jener die Pagazis (Lastträger) und Kirangozis (Führer) anzuwerben, und da wird dem Araber nicht kalte Ruhe entgegengesetzt, sondern er trifft auf gleiches Redner- und Schauspieltalent. Doch das geht den Kommis nichts an, sie zahlen ihr Geld und tragen die Posten in die Bücher ein.

Eines Tages aber geriet das ganze Kontor in Aufregung; so etwas war noch nie dagewesen, seitdem von Mgwana Karawanen abgingen. Mister Selby, der Direktor und seine Kommis kamen aus dem Erstaunen gar nicht heraus, diesmal waren sie es, welche die Ruhe fast verloren, während die Käufer das Geschäft mit einer Gleichgültigkeit betrieben, als handele es sich um den Ankauf einer Schachtel Spielzeug und nicht um die Ausrüstung einer ganzen Karawane.

Im Kontor erschienen einige Herren in weißen Tropenanzügen, weiße Korkhelme auf den Köpfen, sehr elegant in ihrer Erscheinung, aber mit fast schwarz gebrannten Gesichtern, als wären sie schon zehnmal quer durch Afrika marschiert, und fragten mit der größten Gelassenheit, was die Ausrüstung einer Karawane koste, aus etwa fünfzig Europäern, ebensovielen Reittieren und Trägern nebst allen Waren bestehend, welche man ungefähr für ein Vierteljahr braucht, um überall Tribut bezahlen und Nahrungsmittel im Ueberfluß kaufen zu können.

Der Kommis starrte erst die Frager verblüfft an, dann überschlug er die Rechnung ungefähr und nannte eine Summe, so groß, daß ein Araber unfehlbar und auf der Stelle vom Schlage gerührt worden wäre.

»All right,« war die kurze Antwort, »in wievielen Tagen kann die Karawane marschfähig dastehen?«

Da aber kam Mister Selby mit gesträubtem Haar hinter seinem Pulte hervorgestürzt und bat die unterhandelnden Herren um Verzeihung, er sähe, er habe es mit keiner Handelskarawane zu tun, sondern mit einem Privatunternehmen, wahrscheinlich mit einer Jagdexpedition. Der immer mit Arabern beschäftigte Kommis habe wie gewöhnlich die doppelte Summe gefordert, aber das Geschäftsprinzip des amerikanischen Hauses dulde es nicht, daß seine Kunden übervorteilt würden, hauptsächlich wenn es Gentlemen wären.

Die Ueberschlagssumme wurde also um die Hälfte reduziert.

Jetzt begann ein Leben und Treiben auf dem großen, eingehegten Hofe der Faktorei, wie es bisher noch nie zu sehen gewesen, und die Hauptsache war, der Direktor und seine Kommis wähnten im Himmel zu sein und mit Engeln zu handeln, mit solcher Ruhe und sogar Liebenswürdigkeit ging alles von statten. Da gab es kein Schimpfen, kein Schelten, höchstens einmal, daß einer der Herren aus Spaß einem Schwarzen mit der Eselspeitsche, einem sehr probaten Mittel gegen die Widerspenstigkeit und Faulheit der Neger, ein paar Schläge über den Rücken zog, sonst war alles Frohsinn und Heiterkeit.

Das Geschäft ging, wie man sagt, am Schnürchen von statten.

Ohne zu feilschen, wurden die Preise der Stoffe, der Perlen, des Messingdrahtes, der Nägel, Gewehre, Messer, Aexte und so weiter vereinbart, es wurde gemessen, gewogen und aufgestapelt, ohne daß je eine Beschuldigung des Betruges gefallen wäre, und noch war kein Tag vergangen, so lagen schon die Ballen, je sechzig Pfund schwer, gepackt, fix und fertig im Hofe, bereit, auf die Rücken der Träger geschnallt zu werden.

Die Kommis waren ganz außer dem Häuschen, und Direktor Selby lachte innerlich vor Entzücken. Was bar bezahlt werden mußte, bekam er in englischen Goldstücken aufgezählt, ohne Abzug von Prozenten, und für andere größere Summen erhielt er Anweisungen auf die Bank von England. Hier brauchten nicht, wie man in Afrika mit Vorliebe tut, für Anweisungen und Wertpapier fünfzehn, zwanzig, ja sogar fünfundzwanzig Prozent abgezogen zu werden, denn die ausgestellten Schecks waren so gut wie bares Geld, ja, besser als dieses, denn sie machten der amerikanischen Firma Reklame.

Die Herren, deren Namen darunter standen, Lord Harrlington, Lord Hastings, Marquis Chaushilm und so weiter hätten vermocht, ganz Mgwana und noch hundert andere solche Städte mit allem, was darin war, auf Kredit zu kaufen.

Die ganze Bevölkerung von Mgwana befand sich auf den Beinen, stand um die Fenz herum und staunte. Die Schwarzen riefen ununterbrochen ihr ›Hi-leh‹ und die Araber ihren ›Inschallah‹, und die Weißen in allen Sprachen Europas ebenfalls Ausdrücke der Verwunderung.

Wohlverpackt lagen die Stoffe je nach Qualität voneinander getrennt, umher, Merikani (amerikanisches Baumwollenzeug) Kaniki (blauer Stoff) Kitambi und wie sie alle heißen; in oben noch offenen Säcken konnte man die Bubus (schwarze Perlen), die Lunghios (blaue), Lakhios (rosafarbene) und so weiter sehen, ja, es waren sogar Säcke vorhanden, welche nur Sami enthielten, rote Perlen, welche im Innern mit Gold aufgewogen werden. Die Faktorei schien ihren ganzen Vorrat an besten Tauschartikeln hergegeben zu haben, um diese Expedition auszurüsten.

Der liebe Leser muß nämlich wissen, daß man, wenn man sich nur einige Meilen von der Küste ins Innere Afrikas begibt, für Geld absolut nichts bekommt, alle Werte werden nur nach Dotizeug, nach Perlen, nach Halsketten aus solchen (Khete genannt) und nach Stahlwaren, und besonders nach Messingdraht berechnet.

Nichts fehlte, was jede andere Karawane, die auf Elfenbein und Sklavenhandel ausgeht, mitnimmt, wozu diese aber Wochen, ja Monate brauchten, das hatten die Engländer innerhalb eines Tages ausgerichtet.

»Time is money,« – Zeit ist Geld – diesen Wahlspruch hatten die Engländer hier wieder einmal angewandt.

Das Wunderbarste aber war die Gesellschaft, die sich zwischen den aufgestapelten Herrlichkeiten bewegte.

Nicht nur Herren waren es, in leichte, leinene Jagdanzüge gekleidet, sondern auch ebensoviele Damen schienen gewillt, an der Expedition teilzunehmen.

Mit vor Staunen offenem Munde betrachteten die Eingeborenen die jugendlichen, graziösen Gestalten, die so gemütlich plaudernd auf- und abgingen, Arm in Arm, als gälte es einen Spaziergang, und nicht einen Marsch in die fast undurchdringlichen Wälder des Hinterlandes.

Die Damen waren in kurze, enganschließende Reitkleider gehüllt, trugen hohe Gamaschen und gelbe, wasserdichte Stiefel an den Füßen, und wie die Herren Tropenhelme, also Anzüge, die sehr gut auf der Jagd verwendet werden konnten.

Nichts war an ihnen, das nicht gediegen und völlig geeignet zu einer Reise ins Innere gewesen wäre.

Um Schulter und Taille schlang sich je ein Gürtel, der mit Patronen gespickt war, an der Seite hingen das starke, acht Zoll lange Bowiemesser und die Revolver in Etuis, und solche Gewehre, welche man im Lederriemen um die Schulter hängen konnte, waren hier noch nie gesehen worden. Es waren repetierende Winchestergewehre, welche sechzehn Schuß, ohne von neuem laden zu müssen, erlaubten.

Aber zwischen den Ballen lehnte noch ein ganzes Waffenarsenal von Flinten und Büchsen, deren ausgezeichnete Konstruktion verriet, daß sie nicht zur Bewaffnung der Führer und Askaris (Begleitsoldaten) dienen sollten – letztere sollten überhaupt nicht mitgenommen werden – sondern zum Gebrauch der Unternehmer selbst bestimmt waren, leichte Vogelflinten, schwere Jagdbüchsen, ja sogar eine stattliche Anzahl von Elefantenbüchsen, welche Sprengkugeln schießen.

Das Gerücht, daß diese Herrschaften auf eigenen Schiffen angekommen waren, hatte sich schnell verbreitet, daß sie aber die Segel selbst, wie Matrosen, bedient hatten, das wollte niemand glauben; bis sich zeigte, daß diese Leute, Herren, wie Damen doch mehr konnten, als jene Kaufleute, welche nur ihre Diener und Lastträger anzustellen wissen.

Die Herren hatten in der Faktorei noch ein zusammenlegbares Boot gekauft, um Flüsse übersetzen zu können, nach einer kurzen Beratung waren aber die Holzwände entfernt wurden, so daß nur das Gerippe stehen blieb. Einige im Segelmachen bewanderte Neger waren angestellt worden, für dieses Gerippe einen Segelbezug zusammenzusetzen, welcher, nachdem er mit Teer bestrichen, wasserdicht war.

Eine halbe Stunde sahen die Herren und Damen der Arbeit der Neger zu, als diese aber gar nicht vorwärtsschreiten wollte, schickten sie die Schwarzen fort, nahmen selbst Nadeln und Segelleinwand zur Hand, und ehe eine Stunde verstrichen war, lag der Segelbezug fix und fertig da, und als er über das Gerippe gezogen wurde, paßte er wie angegossen.

Das war geradezu unglaublich. Daß die Männer so geschickt in derartigen Handarbeiten waren, ging schon noch an, aber die Damen!

Der beste Zimmermann hätte nicht so kräftig die Axt schwingen können, wie diese schlanken Gestalten in den kurzen Reitkleidern und in den zierlichen Stiefelchen; wie spielend fügte sich wieder Rippe an Rippe des auseinandergelegten Bootes zusammen, und zauberhaft schnell entstand unter den zarten, aber doch kräftigen Fingerchen der Segelüberzug. Jeder Segelmacher würde von diesen geschickten Arbeitern und Arbeiterinnen an Gewandtheit übertroffen worden sein.

Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, mit schelmischem Lächeln und roten Lippen, so daß die Zähne wie die Perlen einer Kette zwischen ihnen hervorschimmerten, tauchte munter den Pinsel in den Teertopf, und strich dann die Leinwand an, nicht achtend, daß das schwarze klebrige Pech die Händchen beschmutzte. Neben ihr stand eine Dame und zog einer Freundin den Patronengürtel zurecht, eine andere dicht in der Nähe stemmte sich mit der zarten Schulter an einen Zeugballen, aber ihr Körper schien doch nicht so zart gebaut zu sein, wie man ihrer Gestalt nach vermutete, denn der mächtige Ballen wich sofort und nahm den Platz ein, der ihm gebührte. Wieder eine andere rosige Erscheinung hatte sich eben in einem schauderhaften Arabisch mit einem Neger unterhalten, der ihr grinsend, mit breitgezogenem Munde sich fast in die Ohren beißend, Auskunft über die gestellten Fragen gab. Dann rief sie einen vorübergehenden Herrn an:

»Sir Williams« sagte sie, »haben Sie ein paar Zigarren für mich übrig?«

Mit einer graziösen Handbewegung brachte der Angerufene sein Zigarrenetui zum Vorschein und antwortete:

»Nur Importen, Miß Thomson. Rauchen Sie lieber schwer oder leicht? Dann rate ich Ihnen zu dieser auf der linken Seite, sie kostet zwar einen Vierteldollar das Stück, aber Ihnen gebe ich sie gern.«

»Danke,« lachte das junge Mädchen, griff mit der Hand in das Etui und reichte dem entzückten Neger etwa sechs Stück.

»Inschallah!« riefen die Neger, welche dieser Szene zugeschaut hatten, und machten groteske Freudensprünge, »da gehen wir als Pagazi mit, und wenn wir auch nichts dafür bekommen. Die verschenken ja mehr, als uns ein Araber bezahlt. Hi–le!«

Die Leutchen sollten nicht lange zu warten brauchen, so erging an sie der Ruf, wer der Gesellschaft als Pagazi folgen wolle.

Die Nacht machte dem unruhigen Treiben ein Ende. Am folgenden Morgen beim ersten Strahl der goldenen Sonne sollten die Herren und Damen, welche jetzt süß in ihren weichen Kojen schliefen – wer wußte, wann sie wieder einmal ein solches bequemes Lager als Schlafplatz hatten – wieder mit frischen Kräften auf dem Platze sein.

Mister Selby hatte ihnen versprochen, so viele Pferde aufzutreiben, daß alle Europäer beritten würden, ferner Packesel, und dann sollte die Auswahl der Pagazi, welche zugleich die Stelle der Dolmetscher vertreten, und der Waffenträger beginnen. Es war ausgemacht worden, daß je ein Herr und eine Dame einen Neger bekam, welcher ihnen die Flinten und Munition nachtrug, zwar eine kostspielige Art des Reisens, aber auch eine sehr bequeme und sichere. Das repetierende Winchestergewehr führte übrigens jeder bei sich.

Dieser Morgen war gekommen.

Die Herren und Damen erklärten sich mit den vorgeführten Pferden zufrieden. Dieselben wurden nicht etwa gemietet – das ließ eine Reise in Afrika nicht zu – sondern sofort gekauft unter der Bedingung des Rückkaufs, und der Betrag bar bezahlt. Jeder wählte sich das Tier aus, welches ihm gefiel, und da Mister Selby unschöne überhaupt ganz außer acht gelassen hatte, so verlief die Auswahl ohne jeden Anflug von Neid.

Dann kam das Anwerben der Führer an die Reihe.

Viel Auswahl konnte man unter ihnen nicht treffen, denn diejenigen, welche sich unter den übrigen vordrängten und ihre Tugenden anpriesen, wurden sofort von Mister Selby als tauglich bezeichnet und auch gleich in Dienst genommen. Es waren deren sechs.

Der als erster Führer Angenommene war ein riesiger Neger, dessen Schultern sich ein Herkules nicht hätte zu schämen brauchen.

Er maß fast sieben Fuß, besaß den Kopf und Nacken eines Stieres, und der Körper, der mit einem Lendentuch bekleidet war, schien nur aus Knochen und Muskeln zusammengesetzt zu sein.

»Ich empfehle Ihnen diesen Mann als Hauptführer der Expedition,« sagte Mister Selby zu Lord Harrlington, »er kennt den Weg, den Sie einzuschlagen beabsichtigen, ganz genau, jeder Baum und Strauch ist ihm bekannt.«

»Wie heißt er?« fragte Davids.

»Goliath,« antwortete der Riese mit einem selbstgefälligen Grinsen und einer so sonderbaren Aussprache dieses Namens, daß auch die Umstehenden lachen mußten, wodurch unter den Negern ein allgemeiner Jubel ausbrach. Der Mann wußte jedenfalls nicht, was der Name bedeutete, und wie gut er auf ihn paßte.

»Wir haben ihn so umgetauft,« erklärte Mister Selby, »nehmen Sie aber diesen Mann, so sind Sie auch gezwungen, David, seinen unzertrennlichen Begleiter, zu engagieren. Die beiden gehen immer zusammen, und Sie werden ihre Dienste noch schätzen lernen.«

Dabei deutete er auf eine kleine, ja zwerghafte Gestalt mit geradezu wunderbar zierlichen Gliedmaßen. Was ihr aber an Körperkraft abging, das schien seine Gewandtheit zu ersetzen; er besaß die Gelenkigkeit eines Affen, und was noch mehr für ihn sprach, das war der kluge Blick der kleinen, weit auseinanderstehenden Augen.

Goliath und David, die beiden Männer, die sich gegenseitig an Kraft, Gewandheit und Klugheit ergänzten, beide als Führer von vielen Karawanen reich an Erfahrung, wurden für einen hohen Lohn engagiert, und somit war fast die Arbeit der Europäer getan, denn sie besorgten jetzt die Auswahl der übrigen Führer, der Pagazis und der Esel.

Dieses Anmustern wäre, wenn der Unternehmer ein Araber gewesen, sehr langsam von statten gegangen, aber der kluge David brauchte gar keine Andeutung, daß den Herren die Ersparnis an Zeit lieber, als die an Geld wäre – innerhalb einiger Stunden war alles abgemacht, umsomehr, als die Pagazis förmlich ihr Leben daran setzen, um angeworben zu werden.

Der starke Goliath ließ unbarmherzig die aus Rhinozeroshaut geflochtene Peitsche auf die Rücken derjenigen sausen, welche sich zu sehr hervordrängten und mit der Anpreisung ihrer Tugenden und Vorzüge, sowie ihrer Ehrlichkeit und Treue zu viel Geschrei machten.

Bei Anbruch des dritten Tages stand die Karawane fix und fertig zum Abmarsch bereit. Schon begannen Lord Harrlington und Mister Davids, die gewählten Leiter der Expedition, den Zug zu ordnen, soweit es wenigstens die Schwarzen anbetraf, als noch eine Unterbrechung stattfand.

Ein lautes Geschrei, besonders von Kinderstimmen herrührend, veranlaßte alle, die Köpfe zu wenden, und was sie da sahen, war wirklich geeignet, den kindlichen Negern solche Verwunderungs- und Schreckensrufe zu entlocken.

Von der Richtung des Hafens her kam ein Mann gelaufen, bei dessen Anblick selbst die weiße Gesellschaft kaum ein Lachen unterdrücken konnte – nur der Umstand, daß es ein Europäer, also ein empfindsamer Mensch war, ließ sie dieses zurückhalten.

Die Gestalt, welche gerannt kam, war klein und kugelrund, das heißt nämlich, sie war fast ebenso dick, wie sie groß war. Der Besitzer dieses stattlichen Schmierbauches, der ihn aber durchaus nicht an Schnelligkeit hinderte, schien eben den Laden eines Herrenschneiders verlassen zu haben. Er war mit einem nagelneuen Jagdanzug aus gelbem Leder bekleidet, dessen Hosen, die unten zierlich ausgestanzt waren, nur bis an die Kniee gingen, und so die strammen, fleischigen Waden sichtbar ließen, welche durch lederne Gamaschen noch dicker erschienen. An den Füßen trug er hohe Stiefel, etwa wie sie die Jokeis tragen, und da ungeheure silberne Sporen daran befestigt waren, so mußte sein Pferd auch nicht weit sein, wenn man es auch noch nicht sah. Auf dem Kopfe des Mannes saß ein Strohhut mit einer riesigen Krempe.

Soweit hätte diese Gestalt nur die Lachlust der Eingeborenen erregt, daß sie aber auch Schreckensrufe ausstießen, daran war die Bewaffnung schuld, zu deren Anschaffung jedenfalls ein kleiner Büchsenschmied seinen ganzen Warenvorrat hatte hergeben müssen.

Der kleine Kerl trug in der Hand ein Gewehr, welches fast noch einmal so groß war, als er selbst, über der linken Schulter hing eine Vogelflinte, und über der rechten eine schwere Büchse, deren zollweite Bohrung an die alten Donnerbüchsen der Landsknechte erinnerte, welche beim Abschießen erst auf einen Hakenstock gelegt werden mußten. Aber diese drei Schußwaffen genügten dem Manne noch nicht, an jeder Seite des Gürtels staken noch zwei Revolver, also zusammen vier, außerdem auch eine sehr schönes doppelläufige Pistole, deren mit Steinen verzierter Kolben auf einen orientalischen Waffenschmied als Verfertiger schließen ließ; zwischen diesen Schießwaffen, waren überall, wo noch Raum vorhanden, Dolche und Jagdmesser angebracht, und schließlich baumelte noch ein Schwert in metallener Scheide an der Hüfte.

Schießmaterial für diese Anzahl von Waffen war genügend vorhanden. Zwei Patronenriemen kreuzten sich über der Brust und sie waren über und über mit Patronen angefüllt, und in zwei Beuteln, welche von dem Ledergürtel herabhingen, war jedenfalls noch mehr Munition enthalten.

So kriegerisch der kleine Mann aber auch aussah, in seinen Zügen war nichts davon zu merken, dem dicken, roten Gesicht mit den Pausbacken war die Gutmütigkeit seines Besitzers abzulesen, und die blauen, lustig zwinkernden Aeugelein schienen die Leutseligkeit selbst.

Der seltsame Mensch, der von einem großen Haufen von Eingeborenen umringt wurde, hatte jetzt das Ende des sich ordnenden Zuges erreicht, sprach dort mit einigen Herren und kam dann in raschem Lauf auf Lord Harrlington zu, welcher eben seinen tänzelnden Rappen neben Ellens Pferd pariert hatte. Beide befanden sich aber in der Mitte des Zuges.

»Was für ein merkwürdiges Wesen ist das?« fragte Ellen, den Ankömmling musternd.

»Es ist der Kriegsgott Mars, der unsere Karawane besichtigen will,« lachte Hope.

Der von allen Seiten Angestaunte hatte Lord Harrlington erreicht, zog ein großes, knallrotes Taschentuch hervor, wischte sich damit das fast ebenso rote Gesicht ab, nahm dann den Hut vom Kopfe, schwenkte ihn graziös einige Male durch die Luft und sagte, vor den Damen eine Verbeugung machend, in tiefem Baß:

»Habe ich die Ehre, mit dem berühmten Lord Harrlington und der noch berühmteren Miß Ellen Petersen zu sprechen?«

Diese Frage war in so affektiertem Tone und mit so theatralischer Gebärde gestellt worden, daß sich mehrere aus der Gesellschaft schnell umwenden mußten, um ihr Lächeln nicht sehen zu lassen, und Hope faßte sich plötzlich an die Nase, ein sicheres Zeichen, daß sie auf dem besten Wege sei, in ein Gelächter auszubrechen.

»Mein Name ist Lord Harrlington, und diese Dame ist Miß Petersen, aber mich berühmt zu nennen, ist doch etwas Uebertreibung,« lächelte Harrlington vom Pferde herunter, sich der französischen Sprache bedienend.

»Gott sei Dank,« rief der kleine Mann und vergaß ganz, den Schweiß abzuwischen, der ihm in unaufhaltsamen Strömen von Kinn und Nase tröpfelte, »Gott sei Dank, so komme ich nicht zu spät.«

»Mit wem haben wir das Vergnügen?«

Der Kriegsgott steckte das Taschentuch unter einen Arm – die andere Hand hielt ja die Büchse – schwenkte wieder einige Male den Hut hin und her und machte nach allen Seiten Verbeugungen.

»Adolphe Josèphe Léon Jules Pontence aus Toulon,« stellte er sich vor, »Rentier und Hauptmann der freiwilligen Bürgerwehr derselben Stadt und der benachbarten Dörfer.«

Krachend stampfte der Kolben des zwei Meter langen Gewehres auf den Boden, Monsieur Pontence aus Toulon stützte sich darauf und blickte siegesgewiß im Kreise umher, den Eindruck seiner Worte beobachtend.

Hatte er erwartet, als Hauptmann der freiwilligen Bürgerwehr überall ehrfurchtsvollen Gesichtern zu begegnen, so hatte er sich allerdings getäuscht, denn selbst die Ernsteren konnten jetzt ein Lächeln nicht verbergen, aber es sei hiermit gesagt, daß Monsieur Pontence ein Südfranzose war und ihm als solchem manches abging, was die meisten Menschen besitzen, er aber dafür eine maßlose Eitelkeit, welche sich von Größenwahn nur wenig unterschied, an den Tag legte.

So hielt er denn auch jetzt das spöttische Lächeln seiner Zuhörer für ein erstauntes, freudiges. »Ja, ja,« fuhr er mit seiner Baßstimme fort, »vielleicht hatten auch Sie schon einmal Gelegenheit, von mir zu hören, denn mein Name wird in den Zeitungen von Toulon viel genannt, besonders nach jedem Preisschießen – Doch, meine Herrschaften, ich will mich nicht brüsten – Erlauben Sie mir, daß ich mich Ihrer Expedition anließe?« »Kommen Sie getrost mit,« erklärte Lord Harrlington.

Monsieur Pontence wurde als Mitglied der Karawane aufgenommen, ebenso sein Esel, welcher auf den schönen Namen Petrarca hörte oder vielmehr nicht hörte, was etwa soviel als die ›Steinmauer‹ bedeutet, und auch sein Negerjunge, von dem poetischen Franzosen Hektor getauft.

Kaum hatte sich Monsieur Pontence in den Zug eingereiht, so drängten sich ihm von beiden Seiten Begleiter auf. Alle waren begierig, mit diesem wunderbaren Manne Bekanntschaft zu schließen, ihn über seine Erlebnisse und über die Abenteuer, die er noch zu erleben hoffte, auszufragen. Daß er natürlich nun zur Zielscheibe des Spottes, überhaupt zum Gegenstande allgemeinen Unsinns diente, merkte der biedere Franzose nicht. Er fühlte sich als eine Person höchster Wichtigkeit.

Wer sich um Monsieur Pontence drängte, wird den lieben Leser wohl nicht interessieren, daß aber unter diesen Hope ebensowenig, wie Hannes fehlten, ist ihm sicher erklärlich, und noch hatte der Zug sich nicht in Bewegung gesetzt, so durchlief es schon die Reihe von hinten nach vorn, daß Hope den Namen Pontence in Nonsense umgewandelt hatte, welches englische Wort auf deutsch ›Unsinn‹ heißt, und mit welchem sie ihn auch immer anredete, ohne daß der des Englischen unkundige Franzose darin eine Beleidigung fand.

Monsieur Nonsense war nun so getauft worden und behielt diesen Namen während der ganzen Reise bei – einen besseren hätte man für ihn auch nicht wählen können.

Zwei Personen gesellten sich dem Zuge noch bei, die eine auf einem Maulesel sitzend, die andere zu Pferde, doch konnte man ihre Gesichter nicht sehen, denn während die übrigen die langen und dichten Sonnenschleier noch im Nacken hängen hatten, trugen sie dieselben bereits vor dem Gesicht.

Plötzlich erschütterte eine donnernde Salve die Luft, aus den fünfzig Gewehren der Träger herrührend, dann noch eine zweite und eine dritte – Lord Harrlington hatte das Zeichen zum Abmarsch gegeben, und dieser mußte unbedingt mit einigen Salven gefeiert werden. Das Salutschießen spielt überhaupt bei den Karawanen eine große Rolle, und nur zu oft kommt es leider vor, daß ein Neger dabei mit seinem scharfgeladenen Gewehr Unglück anrichtet.

Ebenso wie eine Karawane in Afrika nicht ohne Waffen marschieren könnte, ebensowenig darf ihr auch die Fahne fehlen. Sie wird vorausgetragen, ohne sie fühlten sich die Pagazis nicht als Mitglieder der Karawane, sie lockt den ermattet Zurückbleibenden zum rascheren Gehen, sie deutet beim Sinken an, daß Rast gehalten wird, sie flattert im Lager vom Zelte des Führers, und sie führt die Krieger im Kampfe an.

Diese Karawane hatte sogar zwei Fahnen, eine englische und eine amerikanische, und wäre Monsieur Nonsense mit seinem Vorschlage durchgedrungen, auch die französischen Farben voraustragen zu lassen, so wären die Neger noch stolzer geworden, als sie es schon waren.

Den drei Salven folgte ein tausendstimmiges Geheul, die Zurückbleibenden schrieen Abschiedsgrüße, und die abmarschierenden Neger antworteten mit gellendem Geschrei, was ihren Stolz ausdrückte, einer solchen Karawane mit fünfzig Weißen und zwei Fahnen anzugehören. Der frische Morgenwind ließ ihre funkelnagelneuen roten Kopf- und Lendentücher flattern, ihre kräftigen Gestalten mit den schweren Ballen auf dem Nacken richteten sich noch strammer auf, und da sich das überstolze Herz Luft machen mußte, so brüllten sie in den unglaublichsten Tönen.

Auf beiden Seiten des langen Zuges der Träger ritten die Herren und Damen, und da sie, von der allgemeinen Fröhlichkeit angesteckt, mitlachten, so war dies ein Grund für die Neger, noch lauter und höher zu brüllen.

Der vorausschreitende Goliath war sich seiner verantwortlichen Stellung als Führer wohlbewußt, er suchte möglichst seine Freudenausbrüche zurückzuhalten, aber dies hatte nur zur Folge, daß alle angesammelte Freudenwut mit einem Male ausbrach.

Plötzlich stürzte der Riese auf den Fahnenträger zu, riß ihm das Sternenbanner aus der Hand, schwang es hoch in die Luft, blickte stolz links und rechts seine schwarzen Kameraden an und begann ein Lied, dessen Chor die gesamten Neger stets wiederholten.

Um nun dem lieben Leser ein Beispiel zu geben, in welcher Blüte die Dichtkunst unter den Bewohnern Afrikas steht, sei hier das Lied wiedergegeben, welches der Riese Goliath der Karawane vorsang:

Goliath: Hoj! Hoj!
Chorus: Hoj! Hoj!
Goliath: Hoj! Hoj!
Chorus: Hoj! Hoj!
Goliath: Hoj! Hoj!
Chorus: Hoj! Hoj!
Goliath: Wo zieht Ihr hin?
Chorus: Nach Abome.
Goliath: Hai! Hai!
Chorus: Hai! Hai!
Goliath: Wer ist Euer Herr?
Chorus: Die weißen Männer!
Goliath: Und wer noch?
Chorus: Die weißen Frauen.
Goliath: Uf! Uf!
Chorus: Uf! Uf!
Goliath: Hiah! Hiah!
Chorus: Hiah! Hiah!

Nun denke sich der liebe Leser dieses Lied immer in einem einzigen Tone, aus hundert heiseren Kehlen gesungen oder vielmehr gebrüllt, so hat er eine Idee von einem sogenannten Karawanenlied, welches den Afrikareisenden jeden Tag erwartet. Aber er hört es gern, denn so lange es erschallt, sind seine Leute marschfähig und bei guter Laune, er selbst fordert immer zum Singen auf.

Als nach sechs Stunden schnellen Marschierens mitten auf einer prachtvollen, grünen Waldlichtung das Horn des Führers zur Rast blies, erschallte dieser melodische Gesang noch immer, nur klangen die Stimmen etwas heiser, aber an Kraft hatten sie noch nicht das geringste verloren.


 << zurück weiter >>