Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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11.

Der schwarze Passagier.

»Können Sie mir Auskunft geben, welchen Hafen Seiner Majestät Schiff »Viktoria«, welches vorgestern hier abgefahren ist, zunächst anlaufen wird?«

Diese Frage wurde auf dem deutschen Konsulat zu Melbourne in dem Vorzimmer an den Sekretär gestellt, welcher anfragenden, deutschen Seeleuten über nicht besonders wichtige Angelegenheiten Bescheid erteilte und in wichtigen Sachen dem Vorsprechenden die Zeit angab, wann sie von dem Konsul selbst empfangen werden könnten.

Der Sekretär blickte durch das Schiebefensterchen, welches die Verbindung seines Bureaus mit dem Flur herstellte, und sah einen großen, äußerst mageren Herrn von etwa vierzig Jahren, völlig in Schwarz, aber sehr elegant gekleidet, stehen. Sein Gesichtsausdruck war unangenehm zu nennen, es lag etwas Lauerndes darin, und um den fest zusammengepreßten, bartlosen Mund spielte beständig ein nervöses Jucken.

Der Sekretär stand bei allen, welche seine Ratschläge schon einmal in Anspruch genommen hatten, in nicht gerade gutem Rufe, weil er sich durch eine ganz besondere Grobheit auszeichnete, die er sich durch den Verkehr mit Seeleuten angeeignet hatte. Diesem Manne aber gegenüber, der in dem schwarzen Gehrock, dem hohen Zylinder und der weißen Halsbinde den Eindruck machte, als wäre er entweder ein Missionar oder ein feiner, aristokratischer Herr, setzte er ein freundliches Gesicht auf und bemühte sich einer zuvorkommenden Höflichkeit.

»Der nächste Hafen des Schulschiffes ist Wellington,« entgegnete er auf die Frage des Schwarzrockes; »heute ist Freitag, also am Montag kann ich die Depesche seiner Ankunft erwarten. Wünschen Sie Nachricht zugeschickt zu erhalten?«

»Nein, ich bleibe nicht hier. Wellington sagten Sie?«

»Wellington.«

Der schwarze Herr räusperte sich einige Male.

»Ist es das Wellington in Tasmanien?« fragte er dann wieder.

»In Tasmanien,« entgegnete der Sekretär, etwas erstaunt, »dort kenne ich gar keins. Nein, Wellington auf der Nordinsel von Neuseeland natürlich, die »Viktoria« läuft nur größere Häfen an.«

»So. Wann geht von hier ein schneller Passagierdampfer nach diesem Hafen ab?«

»Jeden Montag früh vier Uhr.«

»Teufel, also könnte ich erst am nächsten Montag fahren!« rief der Fremde ungeduldig. »Gibt es denn keine anderen Fahrverbindungen?«

»Gewiß, es gibt noch viele Dampfer, Frachtschiffe, welche diesen Weg nehmen; täglich fahren welche von hier nach Wellington ab,« entgegnete der Sekretär und schüttelte wie spielend die blecherne Büchse, auf welcher mit großen, weißen Buchstaben geschrieben stand: »Für hilfsbedürftige, deutsche Seeleute« »und ich rate Ihnen, auf einem solchen zu fahren, sie sind alle mit Kabinen für gelegentliche Passagiere ausgestattet. Das Passagierschiff fährt auch nicht schneller als diese Dampfer; in vier Tagen erreichen sie alle Wellington. Liegt Ihnen daran, bald hinzukommen, so nehmen Sie ein solches.«

»Das werde ich auch tun. Wie lange bleibt die »Viktoria« in Wellington liegen?«

»So genau kann ich Ihnen dies nicht angeben, aber mindestens so lange, daß Sie das Schiff noch dort treffen, wenn Sie etwas darauf zu tun haben. Unter sechs Tagen wird es den Hafen nicht wieder verlassen.«

»Können Sie mir ein Schiff nennen, welches nach Wellington fährt?«

»Gewiß, wenigstens deutsche Schiffe. Morgen früh um acht Uhr zum Beispiel fährt der »Mozart« ab, es ist ein gutes Schiff, Kapitän Häuseler.«

»Fährt nicht noch heute abend ein Schiff ab? Es kann auch ein anderes als ein deutsches sein.«

Der Sekretär blinzelte den hartnäckigen Frager erstaunt von der Seite an. Dieser Mann muhte es ja ungeheuer eilig haben. Es war fast schon fünf Uhr, das Bureau sollte bald geschlossen werden, und trotzdem wollte der Mann noch heute abreisen.

»Auch darüber kann ich Ihnen Auskunft geben,« antwortete er und spielte wieder mit der Sammelbüchse; »allerdings geht um sieben Uhr ein deutsches Schiff, der »Albatroß« nach Wellington, aber erstens sind es bis dahin nur noch zwei Stunden Zeit, und dann hat der Dampfer viel Schafwolle an Bord geladen.«

»Was sollte mich diese hindern?«

Der Sekretär unterdrückte ein Lächeln.

»Die Schafwolle hat einen sehr üblen Geruch an sich,« entgegnete er dann, »oder auf gut deutsch gesagt, sie stinkt ganz bestialisch. Wer einmal an Bord eines solchen Käsetrogs war, geht nicht zum zweiten Male darauf.

»Wie heißt der Kapitän?«

»Kapitän Roller.«

»Danke.«

Vergebens rasselte der Sekretär jetzt ganz energisch mit der Sammelbüchse und hielt sie sogar zum Fenster hinaus. – Ohne sich aufhalten zu lassen oder von der Anspielung auf einen Beitrag Notiz zu nehmen, drehte sich der Schwarzrock um und rannte förmlich mit langen Schritten zum Flur hinaus.

Der Sekretär war wütend.

»So ein geiziger Lump,« murmelte er, feuerrot am Kopfe, und warf die Aktenstücke mit einer Heftigkeit in die Regale, als waren sie schuld an seinem Zorn. »Fragt mich der aus, halt mich eine halbe Stunde über meine Bureauzeit hin und läuft dann von der Sammelbüchse weg, als wollte ich ihn mit Schwefelsäure begießen! Und ich habe sie ihm doch wahrhaftig lange genug vor die Nase gehalten! Herrgott, was laufen doch für Kerle in der Welt herum, und dieser will nun gar ein Deutscher sein, ein Rheinländer war's wahrscheinlich.«

Der unwillige Sekretär warf einen Blick nach der Uhr, deren Zeiger zwar noch keine halbe Stunde, aber doch schon fünf Minuten über die Arbeitszeit zeigten – ein für jeden Bureauschreiber unverzeihliches Vergehen – und verließ dann eiligst die dumpfe Aktenstube.

Der Schwarzrock hatte unterdessen den Weg zurückgelegt, der ihn nach einem dicht in der Nähe des Hafens gelegenen Hotel brachte, wo er erst heute morgen abgestiegen war.

Dort ließ er einen Kofferträger holen, bezahlte seine kleine Rechnung, ohne dabei das finstere Gesicht des Kellners zu beachten, der von dem vornehmen Herrn ein reiches Trinkgeld erhofft hatte und nun gar keins empfing, und machte sich mit seinem wenigen Gepäck auf den Weg nach dem Quai, wo nach Angabe des Kellners der »Albatroß« lag.

Er traf den Kapitän Roller, wie er seine Leute die letzten Ballen Schafswolle an Bord nehmen und im Zwischendeck verstauen ließ.

Der Kapitän war sehr erstaunt, noch in der letzten Minute einen Passagier zu bekommen, aber auch wiederum sehr erfreut. Denn einmal floß das für die Ueberfahrt bezahlte Geld, mit Ausnahme dessen für die Verpflegung, in seine Tasche, und dann war der Kapitän auch ein Gesellschaftsmensch, der bei einem guten Glase Wein eine interessante Unterhaltung mit einem feinen gebildeten Manne liebte, und dazu war ihm hier eine Gelegenheit geboten. Bald waren beide um das Fahrgeld einig, der Kapitän machte es vor Freude noch sehr billig, und der Fremde ward als Passagier aufgenommen.

Er hatte sich als Moritz Weißbach vorgestellt, worüber das Wohlwollen des Kapitäns wuchs, denn so hatte er nicht nur einen deutschsprechenden Ausländer, sondern einen wirklichen Deutschen vor sich, ja, er hätte den in Schwarz gekleideten Weißen umarmen mögen, als dieser die erste Vermutung des Kapitäns, Missionar zu sein, Lügen strafte, indem er sich als einen ehemaligen deutschen Offizier ausgab, der jetzt zu seinem Vergnügen in der Welt herumreise.

Pünktlich sieben Uhr lichtete der »Albatroß« die Anker und verließ den freundlichen Hafen von Melbourne, nächst Sydney der wichtigste Hafenplatz Australiens. Während der Abfahrt hatte der gemütliche Kapitän natürlich auf der Kommandobrücke zu tun, also keine Zeit, sich um seinen Passagier zu kümmern, als aber erst der Lotse von Bord gesetzt worden war und die für die Nachtfahrt geeigneten Verhaltungsmaßregeln gegeben waren, da schickte er sich an, mit Herrn Weißbach noch ein Stündchen zu plaudern.

Aber es war vergebens gewesen, daß er den Steward, den Schiffskellner, der für die Bequemlichkeit der Offiziere zu sorgen hat, mit Kaltstellen einer guten Flasche Rheinweins beauftragt hatte, die Kabine des Passagiers war verschlossen, und auf ein leises Anklopfen des Kapitäns wurde ein unwilliges Gemurmel hörbar, wie im Schlafe Gestörte es auszustoßen pflegen.

»Herr Weißbach hat sich sofort wie ein Maulwurf in sein Loch zurückgezogen,« meinte der erste Steuermann, »und sich nicht wieder sehen lassen. Das scheint überhaupt ein sehr merkwürdiger Kauz zu sein. Entweder hat der ein böses Gewissen, oder eine Unruhe wühlt in ihm, das sieht man seinem Gesicht und noch mehr seinen Augen an. Eins aber ist gewiß, an übergroßer Höflichkeit leidet er eben nicht, Dank oder Entschuldigung kennt er gar nicht.«

Der Kapitän zuckte die Achseln und vertröstete sich auf den morgenden Tag. Herr Weißbach war jedenfalls durch die Anstrengungen der vorhergehenden Reise noch sehr erschöpft, und man konnte es ihm daher nicht übelnehmen, wenn er sich für heute der Gesellschaft des die Unterhaltung liebenden Kapitäns entzog.

Kapitän Roller trank diesmal seine Flasche Rheinwein allein aus.

Aber der neue Tag kam, und der schwarze Passagier wurde nicht geselliger. Als der Steward an der Kabine desselben klopfte und ihn zur Teilnahme am Frühstück in der Kajüte aufforderte, rief er in grobem Tone, ohne die Tür zu öffnen, er wünsche alle seine Mahlzeiten in der Kabine einzunehmen, und dem Steward blieb nichts anderes übrig, als das schon aufgetragene Essen von dem Tische des mißgestimmten Kapitäns wegzunehmen und dem Passagier hineinzutragen.

Der Steward hatte aber nicht nötig, in der Kabine den kleinen Tisch zu decken – der Fremde nahm ihm alles durch die halbgeöffnete Tür ab, sich selbst breit davorstellend, als wolle er dem Steward keinen Einblick in die Kabine gönnen.

Natürlich musterte dieser nur um so schärfer das Innere des kleinen Raumes, so weit es ihm die Gestalt des Schwarzrockes erlaubte, konnte aber nichts weiter entdecken, als einen auf dem Tische liegenden, geöffneten Handkoffer, der über und über mit Briefen und sonstigen Papieren vollgepfropft war.

Das war an und für sich nichts Auffälliges, aber der Steward hielt es für seine Pflicht und Schuldigkeit, dem Kapitän alles neue, was er über seinen Passagier wußte, mitzuteilen – sonst wäre er kein richtiger Steward gewesen.

»Er ist ein Choleriker,« meinte der Kapitän, »ein Sonderling, der sich selbst das Leben verbittert, vielleicht hat er auch eine geheime Sorge. Laß ihn in Ruhe und behandle ihn gut!«

»Aber die vielen Papiere?«

»Dummkopf,« fuhr der Kapitän den mit geheimnisvoller Miene und hochemporgezogenen Augenbrauen Dastehenden an, »warum soll denn der Herr keine Briefschaften mit sich führen und diese lesen oder ordnen? Du siehst auch in jedem, der einmal in sein Notizbuch hineinschreibt, einen Spion oder Hochverräter.«

Spion! Das Wort war gefallen.

»Warum bist du nicht gleich darauf gekommen?« dachte Wilhelm, der Steward, als er allein war, und schlug sich gegen die Stirn.

In der nächsten Viertelstunde wußte die ganze Mannschaft, Heizer und Matrosen, daß der schwarze Passagier ein Spion der gefährlichsten Sorte sei.

Was ein Spion eigentlich hier in Australien oder in Neuseeland ausforschen sollte, das konnte niemand sagen, das war auch ganz gleichgültig. Das Wort Spion hat für den Seemann so eine eigentümliche, schauerliche Nebenbedeutung, sein durch ein monotones Leben eingeschärftes Gehirn sucht nach einer Anregung, und ebenso, wie er zufällig gefundene Stückchen Zeitungspapier erst von oben nach unten, dann umgekehrt auf das sorgfältigste studiert und über jeden Satz Bemerkungen macht, mit seinen Kameraden darüber debattiert, so öffnet er auch jeder Neuigkeit willig seine Ohren, und je unglaublicher die Mitteilung ist, destomehr gibt sie ihm Stoff, darüber zu spreche».

Die Vermutung, daß der Schwarzrock ein Spion sei, der ein unheimliches Gewerbe treibe, fand noch Bestätigung, als beim Mittagessen der Steward im Mannschaftslogis erschien und den neugierigen Matrosen mitteilte, der Passagier habe ihm nicht einmal den Eintritt in seine Kabine zum Aufklaren, das heißt zum Reinigen und Aufräumen gestattet.

»Nimm dich in acht, Wilhelm,« meinte Jochen Voß, der älteste der Matrosen, »der Kerl steht mit dem Gottseibeiuns im Bunde! Ein ehrlicher Mensch braucht sich nicht so von aller Welt abzuschließen. Paß nur gut auf, daß er nicht einmal in der Kabine des Kapitäns und in dessen Papieren herumschnüffelt! Spione denken an nichts weiter, als an so etwas.«

Wilhelm beteuerte, daß er auf diesen Menschen ein wachsames Auge haben würde, um, sollte er einen Anschlag auf Schiff, Kapitän und Mannschaft im Sinne haben, zur rechten Zeit einem solchen vorzubeugen. Dann teilte er noch mit, daß der Schwarzrock auch das Mittagessen in seiner Kabine eingenommen habe, ihm das leere Geschirr dann einfach vor die Tür setzend, und entfernte sich dann wieder, um den Offizieren aufzudecken.

Endlich, am Nachmittag des zweiten Tages, verließ der seltsame Passagier zum ersten Male seine Kabine, schloß die Tür von außen sorgsam ab und ging dann an Deck, nachdenkend den Kopf gesenkt, die Arme ineinander geschlungen, auf und ab, das Schiff immer von vorn bis hinten durchmessend.

Den Gruß des auf der Brücke stehenden Kapitäns beachtete er gar nicht, wie seine gesenkten Augen den Mann oben noch gar nicht bemerkt hatten, und die Bemerkung des vorbeigehenden Steuermannes, daß heute ein sehr schöner Tag sei, beantwortete er mit einem unverständlichen Brummen.

Im Brummen und Murmeln konnte der Schwarzrock überhaupt Großes leisten. Fortwährend drang ein knurrender Ton durch die festgeschlossenen Lippen, denn manchmal, wenn dieses für eine Minute aussetzte, blieb der Schwarzrock plötzlich stehen, schüttelte finster den Kopf, das nervöse Zucken um die blutlosen Lippen wurde noch stärker, und mit einem Fluche oder einer Verwünschung, dabei mit dem Fuße stampfend, wandte er sich gewöhnlich kurz um und stierte dann mit gerunzelten Brauen über Bord in das Wasser.

Weder dem Kapitän, noch den Offizieren, noch dem redefertigen und sprachgewandten Steward gelang es, mit diesem schweigsamen Menschen ein Gespräch anzufangen, er wich jedem aus oder antwortete höchstens mit nichtssagenden Redensarten, welche deutlich den Wunsch verrieten, in Ruhe gelassen zu werden. Der dritte Tag, der vorletzte der Reise, verging auf ebensolche Weise, der Fremde hielt sich den ganzen Vormittag in seiner Kabine auf, aß allein darin, und nur des Nachmittags, als er wieder seinen gestrigen Spaziergang aufnahm, geschah es, daß er den Kapitän selbst aussuchte, um sich bei ihm über etwas zu erkundigen.

Er traf denselben am Hinterteil des Schiffes, wo er seine Leute, mit Tauen, Hacken und Texten versehen, an der Bordwand verteilte, als handele es sich um ein Manöver.

»Kapitän,« wandte sich der Schwarzrock an diesen, »wann werden wir in Wellington ankommen?«

»Behalten wir das prachtvolle Wetter, wie wir es bis jetzt immer gehabt haben, so denke ich, morgen gegen Abend,« war die Antwort. »Aber, aber, sehen Sie dort den schwarzen Wolkenrand auftauchen? Der bedeutet nichts Gutes, und das Barometer zeigt auf Sturm. Doch furchten Sie nichts,« fuhr er freundlich lächelnd fort, als er bemerkte, wie das nervöse Zucken im Gesicht des Passagiers ungeheuer zunahm, welches vielleicht durch Angst hervorgerufen wurde, der »Albatroß« ist ein wackeres Schiff, er nimmt es mit jedem Sturm auf. Wäre nicht das erste Mal, daß er einen solchen überstanden. Der »Albatroß« ist eben ein »Sturmvogel«.

Der Fremde antwortete nichts, nur ein Lächeln umspielte zum ersten Male die schmalen Lippen, und dieses drückte Verachtung gegen die Mutmaßung des Kapitäns betreffs seiner Angst aus.

Schon wollte er sich wieder umwenden, um seinen einsamen Spaziergang von neuem aufzunehmen, als ihn der Kapitän daran hinderte.

»Haben Sie schon einmal einem Haifischfang beigewohnt?« fragte er. »Nicht? Das müssen Sie sehen, es ist sehr interessant. Vorhin fiel einem meiner Matrosen der Farbtopf über Bord, und schnapp, war er weg. Nun wollen wir einem jener Burschen, die unser Schiff umschwärmen, ein Stück Speck zu schlucken geben, welches er nicht verdauen kann. Passen Sie auf, jetzt wird der Köder über Bord geworfen.«

Der Schwarzrock wurde doch neugierig. Nicht jedem ist es vergönnt, einem solchen Schauspiel beizuwohnen. Er blieb in einiger Entfernung an der Bordwand stehen und schaute dem Fang eines Haifisches zu, welcher sich in der bekannten Weise vollzog.

Nach einer halben Stunde lag denn auch ein Haifisch an Deck, ein kleineres Tier, welches nach Aussage des Koches wohl noch, sauer gekocht, eine Mahlzeit für die Mannschaft abgeben könnte, das heißt, wenn von den Leuten nicht einstimmig dagegen Einwendung gemacht wurde.

Wie gewöhnlich, so war es auch das erste Geschäft des Koches, den Bauch und auch den Magen des Haifisches aufzuschneiden und ihm den Köder zu entnehmen, wobei ihm der in solchen Sachen bewanderte Jochen Voß eifrig beistand. Während der Koch den Haken aus dem Stück Speck entfernte, dieses in einem Eimer mit Salzwasser oberflächlich abwusch und dann in das Fleischfaß zurückwarf, wühlte Jochen eifrig mit beiden Händen in dem Magen des Tieres herum, um, wenn auch nicht nach verborgenen Schätzen, so doch nach Kuriositäten zu spähen.

»Wahrhaftiger Gott,« rief er plötzlich, »der Kerl hat den Farbentopf verschluckt, ich kann ihn fühlen! Gleich werde ich ihn herausholen.«

Er packte den Gegenstand mit beiden Fäusten und zog kräftig daran, bis er aus einer Unmasse von Fischen und anderen Seetieren den vermeintlichen Topf hervorgeholt hatte.

»Oho,« sagte er dann, »was ist denn das? Unser Topf ist es zwar nicht, aber ein anderer.«

Er spülte den von Gräten umgebenen und von Magensäure schon stark angegriffenen Gegenstand im Eimer ab und brachte dann eine wohlverschlossene Büchse von verzinntem Eisenblech zum Vorschein.

Der Kapitän nahm sie in die Hand und versuchte lange vergeblich, sie zu öffnen, der Deckel war stark eingerostet.

»Es ist eine Raketenbüchse,« meinte er, »ich kenne die Firma, welche diese Sorte liefert.«

»Herrgott,« grinste der Schiffsjunge mit pfiffigem Gesicht, »was müßte das lustig ausgesehen haben, wenn die Raketen im Bauche des Haifisches losgegangen wären.«

Alle mußten über diese Bemerkung des Jungen lachen.

Auch der Schwarzrock war hinzugetreten und sah zu, wie der Kapitän mit dem Messer den Deckel zu öffnen versuchte. Endlich war ihm dies gelungen, er sah und griff gleichgültig hinein. »Ein Seetestament,« sagte er ernst und brachte einen kleinen Zettel zum Vorschein. Auch die umstehenden Matrosen nahmen jetzt feierliche Gesichter an, den Seemann erfaßt immer ein wehmütiges Gefühl, kommt er zufällig in den Besitz eines solchen Papieres, welches den letzten Willen oder auch nur die Kunde, wie und wo einer seiner Kollegen oder ein Passagier auf dem Meere sein Ende gefunden hat, enthält. Der Betreffende hat seinen unvermeidlichen Tod vor Augen gesehen und ist darauf bedacht gewesen, sich seinen eigenen Leichenstein zu setzen, so, wie es die Umstände zuließen.

»Ja, was ist denn das?« rief der Kapitän verwundert und betrachtete den schmalen Streifen in seiner Hand. »Wer das geschrieben hat, muß entweder etwas verrückt oder betrunken oder ein sehr fideler Kerl gewesen sein, daß er noch kurz vor seinem Tode dichtet und Scherze macht. Hört nur!«

Und laut las er die deutsch geschriebenen Worte vor:

»Ich, Hannes Vogel, oder auch Johannes Freiherr von Schwarzburg genannt, bin tot. Dies allen meinen Freunden und Bekannten zur gefälligen Kenntnisnahme.

»Verklungen sind nun seine Lieder,
Und niemals sieht man ihn mehr wieder.
Hip, hip, Hurra!«

Trotz des Ernstes der Situation mußten alle Umstehenden laut lachen, sie hielten dieses Testament für einen Scherz, den jemand in einer etwas angeheiterten Stimmung gemacht habe.

Nur einer stimmte in dieses Lachen nicht mit ein, Jochen Voß, der Matrose.

»Was,« schrie er, »Hannes Vogel ist tot? Lacht nicht, Maate, ich kenne den Jungen, es ist so seine Art und Weise, sich auszudrücken. Er ist mit einem Scherz aus dieser Welt gefahren! Zeigt her, Kapitän, ich kenne seine Schrift, habe unten noch ein Gedicht, das er mir einst abgeschrieben hat.«

Er nahm dem Kapitän das Blatt aus der Hand, und als er die ihm wohlbekannten, starken Schriftzüge sah, stürzten dem sonst so hartherzigen Matrosen plötzlich die hellen Tränen aus den Augen. Er schämte sich ihrer nicht, galten sie doch einem alten Freunde, mit dem er so manches Leid und so manche Freude geteilt hatte.

»Hannes, armer Kerl,« schluchzte er, »so bist du also auch hinüber! Kinder, hißt die Trauerflagge, mein bester Freund, der bravste Junge, der je Erbsen und Salzfleisch geschluckt hat, ist tot. Ach Gott, was war das für eine schöne Zeit, als ich mit ihm zusammen war, er war die gutmütigste Seele! Erst vor ungefähr achtzehn Monaten, als wir in London lagen, haben wir ein ganzes Dutzend von Rotröcken breiweich geklopft, und nun ist alles aus, aber er denkt noch im Tode an mich und benachrichtigt mich und alle seine Freunde.«

Der Matrose, welcher das Papier noch immer in der Hand hielt, drehte sich um nach der Bordwand, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Plötzlich aber fuhr er heftig herum und wollte den vor ihm Stehenden an die Kehle fassen – das Papier war ihm förmlich aus der Hand gerissen worden.

Der Schwarzrock hatte es getan.

Jochen machte keinen Unterschied zwischen den Menschen, es war ihm vollständig gleichgültig, ob der, der ihm das Papier aus der Hand genommen, einen Zylinder und eleganten Rock oder eine schmierige Mütze und eine blaue Bluse trug, und so wäre auch der Passagier nicht dem Schicksale entgangen, von den Fäusten des Matrosen gepackt und für seine Unverschämtheit geohrfeigt zu werden.

Aber der Ausdruck in dem bleichen Gesicht des Fremden, mit dem er auf das Blatt Papier starrte, war ein so schrecklicher, daß Jochen seine Hand nicht zum Schlage erheben konnte.

Seine Augen traten fast aus den Höhlen, so starr hefteten sie sich auf die Schriftzüge, das Gesicht hatte zu zucken aufgehört, aber es war dafür furchtbar verzerrt, wie im Krampf, doch plötzlich wechselte diese sonst an ihm nicht zu bemerkende Unruhe, das Gesicht fing mit einem Male wieder entsetzlich zu zucken an, wie noch nie vorher, nicht nur der Mund, die Augenbrauen, auch die Nase und Ohren zuckten in denselben fürchterlich anzusehenden Bewegungen, ebenso die Hände.

»Er bekommt den Krampf,« rief Kapitän Roller und sprang hilfsbereit hinzu.

Aber in demselben Augenblick verließ den Fremden die Aufregung, das Gesicht bekam wieder denselben finsteren und lauernden Ausdruck, und, die Hände in die Hosentaschen steckend, wandte er sich ab, um in seine Kabine zu gehen.

Jetzt aber war Jochens Unentschlossenheit vorüber, dieser Mann hatte das Papier, das letzte Zeichen seines Freundes, in die Tasche gesteckt, und er mußte es unbedingt wiederhaben.

»Heh, alter Freund,« rief Jochen entrüstet und vertrat dem Fortgehenden den Weg, »was ist's mit dem Papiere? Was fällt Euch überhaupt ein, so ohne weiteres einzustecken, was Euch gar nicht gehört? Heraus mit dem Zettel, sage ich, Mann!«

Der Fremde maß den mit gerötetem Gesichte vor ihm Stehenden von oben bis unten, brachte dann die Hand aus der Tasche und warf ein zusammengeballtes Stück Papier über Bord.

Das war dem Matrosen doch zu viel. Er warf dem auf den Fluten dahintanzenden, weißen Punkte doch einen Blick nach und wandte sich dann hochrot vor Zorn wieder an den Schwarzrock.

»Donner und Hagel!« schrie er wütend. »Wie kommt Ihr dazu, das Papier über Bord zu werfen? Verflucht will ich sein, wenn ich Euch ihm nicht nachschicke. Holt mir es zurück, Ihr verdammter Halunke!«

Er wollte dem Passagier mit beiden Fäusten zu Leibe gehen, aber seine Kollegen fielen ihm in die Arme und hinderten ihn an einer unbesonnenen Handlung.

»Holt es Euch selber,« brummte der Schwarzrock noch und schritt dann ungesäumt seiner Kabine zu.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ er sich schwer auf einen Stuhl fallen und holte dasselbe Zettelchen hervor, welches in der Büchse gefunden worden war – er hatte es also mit einem anderen vertauscht, das er vorhin über Bord warf.

Tief aufstöhnend faltete er es auseinander und las wieder und wieder mit brennenden Augen die wenigen Worte.

»Hannes Vogel, genannt Freiherr Johannes von Schwarzburg,« murmelte er leise, »er ist es, es ist kein Zweifel. Seit fast 15 Jahren nun suche ich unablässig dessen Spur, welcher bis jetzt das letzte und einzige Hindernis, aber auch das größte war, das dem Erreichen meines Zieles entgegenstand. Also ist es doch wahr gewesen; die alte Hexe hat mich nicht betrogen, als sie sagte, das Kind oder vielmehr dessen Pflegemutter sei versehentlich in den Besitz des Geburtsscheines gekommen. Verdammte Unvorsichtigkeit der Frauen! Der Zweifel, die Unruhe, welche mich infolge dieser Vermutung quälten, haben mir die Hälfte meines Lebens gekostet, sie haben mich frühzeitig zum alten Manne gemacht und meine Gesundheit ruiniert. Sonderbar, sonderbar! Seit 15 Jahren nun durchstreife ich ganz Deutschland, ganz Europa und suche unablässig nach dem Verschollenen oder doch nach denen, die ihn aufgenommen haben, und kann weder ihn; noch den Geburtsschein finden; und hier endlich muß ich Nachricht, die erste überhaupt von ihm, im Magen eines Haifisches, vorfinden. Ich fühle förmlich, wie meine Krankheit nachläßt, nachdem ich wenigstens einen Anhaltepunkt bekommen. Also Hannes Vogel nennt er sich, und tot ist er! Ist es auch wirklich wahr? Ja, er schreibt es selbst, er hat seinem unvermeidlichen Tode entgegengesehen. Aber kann es nicht leicht der Fall sein, daß er, nachdem er diesen Zettel schon geschrieben, doch noch gerettet worden ist? Oft schon habe ich von Aehnlichem gelesen und auch erzählen hören. Wehe, wehe, meine Unruhe hört noch nicht auf, noch bin ich nicht am Ende meines Zieles! So lange ich nicht seinen Tod bestimmt weiß, werde ich keine Ruhe kennen, ist mein Lebenszweck nicht erreicht. Also er weiß seinen eigentlichen Namen, hat höchstwahrscheinlich den Geburtsschein selbst in den Händen; aber wie kommt es, daß er nicht Anspruch erhebt? Das gibt zu denken!«

Lange blickte der schwarze Passagier mit dem bleichen Gesichte sinnend vor sich hin.

»Ja, so wird es sein,« fuhr er dann in seinem Selbstgespräch fort, »er glaubt, der Geburtsschein ist nicht sein eigen, sondern zufällig in seinen Besitz gekommen. Er fürchtet sich vielleicht, diese Tatsache anders als unter Freunden bekannt zu geben, aber aus Ironie wird er Freiherr von Schwarzburg genannt. Wer ist das aber, Hannes Vogel, was ist er, wo hat er gelebt? Jedenfalls schien der Matrose, jener Grobian von vorhin, ihn gut zu kennen. Schade, daß ich ihn zornig auf mich gemacht habe!«

»Doch es hilft nichts,« murmelte er nach einer Pause weiter, »ich muß den Mann versöhnen, um ihn ausforschen zu können. War dieser Hannes Vogel, der Freiherr von Schwarzburg, ein Matrose, so ist er jedenfalls auf einem Schiff untergegangen, und bestätigt sich dies auf meine Nachforschung bei den Seemannsämtern, so ist schon viel gewonnen. Dann muß ich da nachsuchen, wo er gewöhnlich an Land gewohnt hat, alle seine Effekten in meinen Besitz bringen, und finde ich den Geburtsschein nicht, so ist es gut, ich nehme an, er ist mit ihm ins Meer versunken; finde ich ihn aber, desto besser, er soll bei mir gut aufgehoben sein. Dann ist es endlich Zeit, hervorzutreten und zu beweisen, daß der Freiherr von Schwarzburg, der jetzige Majoratsherr nicht der Erbe, sondern ein untergeschobenes Kind ist, daß aber der richtige Freiherr Johannes von Schwarzburg nicht mehr existiert. Zu den Zeugen, welche ich bis jetzt schon gesammelt habe, tritt dieses Papierchen als eins der wichtigsten noch hinzu, und vielleicht auch jener Matrose, welchen ich jetzt sprechen werde. Und dann, dann ist der letzte Sprosse des hinterlistigen, erbschleichenden Bruders vernichtet, und das stolze Majorat der Freiherrn von Schwarzburg geht wieder an den zurück, dem es gebührt, an mich!«

»Steward!« rief jetzt der Mann, der sich eben als einen Freiherrn von Schwarzburg bezeichnet hatte, durch die geöffnete Türspalte.

Der Gerufene war höchlichst verwundert, diesmal sogar aufgefordert zu werden, in die Kabine einzutreten und in ihr den Schwarzrock, den Kopf in beide Hände gestützt, am Tisch sitzen zu sehen. Er machte ein Gesicht, wie der Steward es noch nie bei ihm gesehen hatte, gar nicht mehr so finster, sondern ein sehr trauriges, als wühle ein innerer Schmerz in ihm.

Mit langsamer, schleppender, sogar zitternder Stimme beschrieb Herr Weißbach dem Steward das Aussehen eines Matrosen der Mannschaft, und sofort wurde ihm gesagt, daß dieser kein anderer, als Jochen Voß sein könne.

»So bitten Sie ihn, sich zu mir zu bemühen,« bat der Mann, »sagen Sie ihm, mein voriges Betragen täte mir leid, ich wollte ihm die Gründe dazu erklären; die Nachricht von dem Tode des Hannes Vogel hätte mich so erschüttert.«

Kopfschüttelnd verließ der Steward die Kabine, um dem Auftrage nachzukommen.

Jochen Voß war sofort bereit, der Einladung zu folgen. Das war ja etwas ganz Merkwürdiges, also dieser Herr kannte auch seinen Freund und nahm sogar Anteil an dessen Schicksal. Na, dann wollte er ihm sein Betragen verzeihen; Jochen Voß trug auch ein fühlendes Herz in der Brust.

Tiefes Mitleid erfüllte den Matrosen, als er das traurige, sogar verstörte Gesicht des eben noch so stolz blickenden Mannes sah. Weißbach entschuldigte sich vielmals wegen seines vorherigen heftigen Benehmens und gab der Nachricht über den Tod von Hannes Vogel die Schuld. Dann leitete er auf diesen selbst über:

»Sie waren ein Freund von ihm?« fragte er.

»Ja, wir waren die besten Freunde und sind immer zusammengefahren, seit der Zeit, da Hannes das erste Mal das Deck eines Schiffes betrat. Ich fuhr damals schon als Matrose, als er noch Schiffsjunge war. Wir sind jahrelang unzertrennlich gewesen, bis wir vor etwa achtzehn Monaten auseinander kamen. Wir lagen in London, bekamen in einem Bierhause Streit mit englischen Soldaten, verhauten sie tüchtig, und die Folge davon war, daß die Polizei uns verfolgte. Hannes kam davon, ich wurde gefaßt und erhielt vierzehn Tage harte Arbeit. Als ich wieder frei ward, erfuhr ich, daß es Hannes Vogel geglückt war, noch an demselben Tage, da die Prügelei stattfand, also ehe die Sache weiter bekannt wurde, auf einem deutschen Schiffe anzumustern und sich somit der Polizei zu entziehen. Ich ärgerte mich zwar etwas darüber, war aber im Herzen doch froh, daß ihm die Flucht geglückt war, denn Steineklopfen ist für einen Seemann eine verdammt harte Arbeit, mir tut der Buckel noch jetzt weh, denke ich an jene vierzehn Tage.«

»Wie heißt das Schiff, auf welchem er anmusterte?«

»Die ›Kalliope‹.«

»Wissen Sie, wo er sich zuletzt befunden hat?«

»Nein, auf der ›Kalliope‹ aber jedenfalls nicht mehr, denn ich habe dorthin vor einem halben Jahre geschrieben und den Brief vom Konsul zurückerhalten.«

»Wie kommt es eigentlich, daß Hannes Vogel sich Freiherr von Schwarzburg nannte?« fragte der Schwarzrock, und sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an, der aber dem Matrosen nicht auffiel.

»Das war sein Spottname,« lächelte Jochen, »er hatte unter seinen Papieren einen Geburtsschein, der auf diesen Namen lautete. Weiß der Teufel, wie er zu diesem Wisch gekommen ist, er selbst hatte keine Ahnung davon. Nur meinte er, seine Mutter könnte ihn vielleicht in seine Kiste gepackt haben, als er zur See ging, aber versehentlich.«

»Seine Mutter, wer war das?«

»Es war gar nicht seine Mutter, wohl so eine Art von Hebamme oder so etwas, die uneheliche Kinder aufzieht. Hannes hat sich darüber nie Kopfschmerzen gemacht.«

»Wo wohnt diese Frau?«

»Das weiß ich nicht, und selbst Hannes hatte es vergessen,« lachte Jochen. »Er wollte einmal der Frau einen Brief schreiben, das heißt einen saugroben, denn sie hat ihn als Kind ganz scheußlich behandelt, aber da fiel ihm nicht mehr der Name der Straße ein, wo sie wohnte, und so hat er das Schreiben unterlassen.«

»Wie hieß die Stadt?«

»Weiß ich auch nicht. Woher kennen Sie aber Hannes, Herr Weißbach?« begann jetzt der Matrose zu fragen.

»Ich kenne ihn nicht persönlich,« antwortete der Schwarzrock, »aber ich kenne seine Eltern, welche ihr verschollenes Kind suchen. Und nun, da ich endlich auf seine Spur gekommen bin, muß ich die Nachricht von seinem Tode, von eigener Hand geschrieben, erhalten.«

Der Herr vergrub sein Gesicht in den Händen und schluchzte wie ein Kind laut auf.

In des Matrosen Herz stieg es heiß auf, auch ihm rannen die Tränen über die gebräunten Backen.

»War Hannes Ihr Sohn?« fragte er leise.

Ein leichtes Kopfnicken schien es zu bestätigen.

Plötzlich richtete Herr Weißbach den Kopf wieder empor und sagte: »Er war zwar nicht mein Sohn, aber ein naher Verwandter von mir, den ich wie meinen Sohn liebte, und den ich seit Jahren schon suchte. Doch sagen Sie mir, bitte, hat Hannes niemals erzählt oder angedeutet, wie er in den Besitz des Geburtsscheins gekommen ist? Das interessiert mich sehr.«

Der Matrose schöpfte keinen Argwohn.

»Wie ich schon sagte, hatte er selbst keine Ahnung davon. Er zeigte ihn überhaupt nur ungern, denn einmal als er dies getan, wurde er von seinen Kameraden verspottet und bekam von ihnen den Spitznamen ›Freiherr‹. Seit jener Zeit behauptete er immer, wenn einmal das Gespräch auf diesen Geburtsschein kam, er laute nur auf Johannes Schwarzburg.«

»Führte er diesen Schein immer bei sich?«

»Immer, das heißt in seiner Kleiderkiste, wir beide waren die unzertrennlichsten Freunde, was mein war, gehörte auch ihm, und umgekehrt, und so kam es, daß einer auch immer in die Kleiderkiste des anderen ging. Da habe ich denn oft das Papier liegen sehen.«

»Kommt es bei euch Matrosen nicht oft vor, daß ihr euer Zeug irgendwo am Lande zum Aufbewahren gebt?« fragte Herr Weißbach.

»Oho, höchstens schmutzige Hemden und so weiter,« lachte Jochen. »Wenn wir Geld haben, kaufen wir aber lieber neue und ersparen so das Waschen oder das Waschgeld.«

»Papiere nehmt ihr aber stets mit?«

Dem Matrosen kamen diese fortwährenden Fragen, den Geburtsschein betreffend, noch nicht sonderbar vor.

»Ja, stets,« antwortete er, »unsere Papiere haben wir immer bei uns, weil sie uns wichtiger als alles andere sind. Mit Papieren können wir Seeleute mehr anfangen, als mit der größten Summe Geld, sie sichern uns auf jedem Konsulat Unterstützung und freie Reise nach der Heimat. Gehen sie uns verloren, so können wir sie immer wieder unentgeltlich ersetzt bekommen.«

»So ist also auch anzunehmen, daß der arme Hannes alle seine Papiere bei seinem Tode bei sich getragen hat?«

»Auf jeden Fall, wir alle tragen überhaupt unsere Papiere stets bei uns, das heißt, in der Brusttasche, wenn wir an Land gehen. Aber mit Hannes ist es etwas anderes, sein Schiff ist untergegangen und er mit ihm, er ruht jetzt auf dem Meeresgrund.«

»Woraus schließen Sie das? Sein Tod braucht ja nicht gerade auf dem Meere erfolgt zu sein.«

Der Matrose lächelte überlegen.

»Wie kommt denn sonst das Papier in die Raketenbüchse hinein, die von einem Haifisch verschluckt worden ist?« fragte er. »Solche Büchsen gibt es nur an Bord der Schiffe, und Haifische laufen nicht auf dem Lande herum.«

»Sie haben recht,« entgegnete Herr Weißbach, durchaus nicht ärgerlich über den leisen Spott, vielmehr fast erfreut, »aber könnte ich nicht noch Hoffnung haben, daß Hannes, nachdem er schon seine letzten Worte geschrieben, errettet worden ist?«

»Diese Hoffnung ist eine sehr schwache, und gerade bei Hannes. Wir waren schon einmal in einer solchen Lage, daß ich vorschlug, die Nachricht von unserem Tode niederzuschreiben, es war nicht die geringste Hoffnung auf Rettung mehr vorhanden, nichts als Wasser und darin Haifische, die auf uns warteten. Ich tat's auch, aber Hannes, Papier und Bleistift in der Hand haltend, zögerte. Ich erinnere mich noch der Worte, die er damals sprach, trotz des nahen Todes noch immer fröhlich und scherzhaft: Ich schreibe nicht eher, daß ich tot bin, als bis mich ein Haifisch ins Bein beißt, und dann wird der Kerl wohl so freundlich sein und warten, bis ich fertig geschrieben und einen Punkt dahinter gesetzt habe. Wenn Hannes also schreibt, er ist tot, so lebt er auch nicht mehr, der arme Kerl.«

Der Schwarzrock schwieg eine Weile, indem er überlegend vor sich hinblickte.

»Haben Sie eine Adresse, von welcher aus ein an Sie gerichteter Brief Ihnen nachgesandt wird?«

»Allerdings: Heuerbaas Klekam, Hamburg, Große Vorsetzen, Nummer zehn. Warum denn? Wollen Sie mir schreiben?«

»Es könnte sein, daß ich Ihre Aussagen brauche, um den Tod von Hannes Vogel oder vielmehr, um seine eigenen Worte auf dem Papier, welches ich in meinem Schmerz über Bord geworfen habe, und welches seinen nahen Tod verkündete, zu bezeugen. Wären Sie dazu bereit? Es sollte Ihr Schade nicht sein.«

»Natürlich,« rief der Matrose, »jederzeit werde ich mich einfinden, wenn Sie mich brauchen.«

»Das für Ihre Mitteilungen,« sagte Herr Weißbach, griff in seine Westentasche und wollte dem Matrosen ein Geldstück in die Hand drücken.

»Was denken Sie?« rief Jochen, die Hand zurückziehend. »Glauben Sie, ich lasse mir so etwas bezahlen, und noch dazu, wenn es sich um Hannes Vogel handelt?«

Er wollte noch weitersprechen, brach aber plötzlich ab.

Draußen an Deck eilten hastige Schritte hin und her, der Kapitän erteilte laute Befehle, die Winden arbeiteten, Ketten rasselten, alles befand sich in Aufregung.

»Ich werde gebraucht,« sagte Jochen und griff nach der Türklinke, »schon vorhin schien es mir, als wolle ein heftiger Sturm heraufziehen, und während ich hier war, wird er wirklich eingesetzt haben. Hören Sie nur, wie es in der Takelage heult und kracht, da, ein Donnerschlag! Das wird eine böse Nacht für uns. Also nichts für ungut, Herr Weißbach! Was zwischen uns vorgefallen, ist vergessen, wir waren beide unschuldig, und wenn Sie den Jochen einmal brauchen, vielleicht als Zeugen, ich bin immer bereit. Schreiben Sie sich meine Adresse gut auf.«

Nachdem der Matrose die Kabine verlassen, änderten sich Herrn Weißbachs Züge plötzlich wieder, statt der geheuchelten Traurigkeit drückten sie jetzt die wahren Gefühle aus, die in ihm herrschten – Hohn, Freude und Triumph.

»Also tot,« jauchzte er auf, seine Stimme aber dämpfend, »und sein Nichtvorhandensein, sein Fehlen war mein böser Geist. Nun aber ist alles anders geworden, der Tag ist endlich gekommen, da ich hervortreten und den Irrtum aufdecken kann. Freiherr Moritz von Schwarzburg,« sagte er dann zu sich selbst und stand auf, »ich gratuliere. Das alte, reiche Majorat ist wieder dem zugefallen, dem es gebührt, die Erbschleicher sind bis auf den letzten vernichtet. Mein armer Vater, der du von der Schwelle deines eigenen Hauses durch die brüderliche Hand gestoßen worden bist, du kannst mit deinem Sohn zufrieden sein, er hat sein dir auf dem Totenbett gegebenes Versprechen gelost, deine Ehre ist wiederhergestellt – du bist gerächt.«

Die Unruhe draußen wurde immer stärker, die Kommandos und die darauffolgenden Arbeiten immer lauter. Das Schiff hatte seinen vorherigen, ruhigen Lauf verloren; es schwankte hin und her, stampfte auf und ab, und schon schlugen die schäumenden Wogen an das Kabinenfenster des schwarzen Passagiers.

Auch war es fast vollkommen dunkel geworden, dunkler, als es der Zeit nach sein sollte.

Der Schwarzrock schrak zusammen, er wußte selbst nicht warum, es wurde ihm plötzlich unheimlich in der engen Kabine, die Luft wurde ihm schwül. Er hing sich einen langen Mantel um und ging hinaus, um sich zu erkundigen, ob das zu erwartende Unwetter eine Gefahr für den ›Albatroß‹ bedeute.

Aber der Schwarzrock hatte entschieden immer Unglück. Jetzt, da er den Kapitän sprechen wollte, hatte dieser keine Zeit, unnütze Fragen zu beantworten. Er stand auf der Brücke und ließ fortgesetzt Kommandorufe erschallen, welche von seinen Leuten sogleich befolgt wurden.

Die See war aufgeregt, sie ging schon hoch, aber doch nicht so hoch, wie man es bei dem heulenden Sturm hätte erwarten sollen, und dieses eben war es, was den Kapitän seine Leute zu solch schneller Arbeit antreiben ließ. Auf den Kämmen der Wogen brodelte weißer Schaum, das sicherste Zeichen, daß sich bald ihr ruhiges Aussehen verändern, daß sie sich bald in ihrer ganzen, entfesselten Wildheit, bis zur Ungeheuerlichkeit anwachsend, zeigen würden. Da eilte Jochen Voß, in jeder Hand ein Bündel Stricke, an dem Passagier vorüber, der sich wegen der heftig schlingernden Bewegung an die Wanten anklammerte, um nicht von einer Seite des Schiffes nach der anderen geworfen zu werden.

Jochen hatte Seebeine, er ging auf dem schwankenden Deck ebenso sicher umher, wie auf dem Tanzboden.

»Das giebt eine böse Nacht, Herr Weißbach,« sagte er zu dem Passagier, einen Augenblick stehen bleibend. »Gehen Sie lieber in Ihre Kabine, und legen Sie sich in die Koje! In einigen Minuten fängt es an überzudammen, und Sie werden dann ohne Oelzeug so naß wie eine Katze. Passen Sie auf, da kommt schon ein Brecher über,« rief er plötzlich und sprang neben Weißbach, sich wie dieser mit beiden Händen an den Wanten anklammernd.

Die erste große Woge kam in der Ferne angerollt, mit Gischt bedeckt, erst ganz klein aussehend, aber mit Riesenschnelle anwachsend. Plötzlich ward das Schiff auf einer Seite gehoben, als wolle es den Kiel zu oberst kehren, und ehe es seine Lage wieder eingenommen, rollte eine mächtige Sturzsee über Deck einen Kasten mit Hühnern und ein an den Mast gebundenes Schwein mit über Bord nehmend.

Es stand zu erwarten, daß noch mehr solcher sogenannter Brecher überkamen; die See hatte sich plötzlich verändert und warf das Schiff wie eine Nußschale umher. Ehe die zweite Woge das Deck zu überschwemmen drohte, sprang Jochen davon, um den ferneren Kommandos des Kapitäns nachzukommen, nämlich alle Gegenstände an Deck und im Zwischenraum mit doppelten Stricken festzuzurren, das heißt, festzubinden, um so ein Umherschleudern oder gar Ueberbordspülen derselben zu verhindern.

Des schwarzgekleideten Passagiers Gesicht veränderte sich nicht, während er in die tosende See starrte; kein Zeichen von Angst war in seinen Zügen zu lesen. Er hörte nicht das entsetzliche Sausen und Heulen in dem Tauwerk der Takelage, beobachtete nicht, daß die überspritzenden Wellen ihn bis auf die Haut durchnäßten – seine Brust hob und senkte sich tief, mit Entzücken sog er die feuchte, salzige Luft ein, er fühlte sich mit einem Male als ein anderer Mensch, es war ihm so zu Mute wie einem, der nach langer, beschwerlicher Wanderung zwar todmüde, aber sicher das Ziel erreicht hat.

Ein furchtbar schmetternder Ton, fast wie der einer Trompete, traf plötzlich sein Ohr und ließ ihn aus seinen Träumen erwachen. Er kam aus dem Sprachrohr, welches der Kapitän in der Hand hielt.

»Haltet euch fest!« erklang es daraus.

Die Matrosen stoben auseinander und klammerten sich an dem ersten besten an, was sie erreichen konnten, sie kannten die Bedeutung dieses Mahnrufes.

Eine ungeheure Welle kam plötzlich mit rasender Schnelligkeit auf das Schiff zugelaufen, und ehe sie noch jemand bei sich erwartete, ergossen sich schon die Fluten über Deck, alles bis über den Kopf in Wasser einhüllend, selbst den Kapitän hoch oben auf der Brücke.

Als die Augen wieder sehen konnten, erblickten sie das Unheil, welches das wütende Element angerichtet hatte. Menschenleben waren noch nicht zu beklagen, auch die festgebundenen Fässer, Kisten und so weiter standen noch da, aber die Boote waren bis auf das letzte davongetragen worden. Die Boote sind überhaupt immer das erste, was von den Brechern über Bord gespült wird, weil sie in sogenannten Davits an Stricken hoch in der Luft hängen.

Es war jetzt keine Zeit dazu, über deren Verlust nachzudenken. Alle mußten sich krampfhaft festklammern, um durch die nachfolgenden Brecher nicht das Schicksal der Boote teilen zu müssen – an Arbeiten oder auch nur Verlassen des einmal eingenommenen Platzes war nicht zu denken.

Noch war es bis jetzt hell gewesen, man konnte wenigstens die am nächsten liegenden Gegenstände erkennen, plötzlich aber wurde alles von der schwärzesten Finsternis eingehüllt, und das in der Takelage entstehende Heulen war gar nicht mehr irdisch zu nennen; das Schiff legte sich fast ganz auf die Seite, so daß die Mastspitzen die Wellen berührten, das Hinterteil hob sich hoch heraus, daß die Schraube keinen Wasserwiderstand fand und mit furchtbarer Schnelligkeit so lange herumsauste, bis der Gang der Maschine durch den Regulator wieder gemäßigt wurde.

Das Schiff erbebte in allen Fugen, im Heizraum unten mußte es jetzt schrecklich sein, wo das Wasser durch den Schornstein sich in die Feuerung ergoß, das Feuer auszulöschen drohte und die Heizer in einen erstickenden Dampf gehüllt wurden, dabei kaum noch auf den Beinen stehen könnend, und jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt, an die heißen Platten geworfen zu werden und die entsetzlichsten Brandwunden davontragen zu müssen.

»Achtung, die Parthelen lösen sich,« trompetete wieder das Sprachrohr, und den vibrierenden Klängen konnte man den Schrecken anmerken, der auch die Matrosen bei Vernehmen dieses Mahnrufes befiel.

Derselbe bedeutete ein Brechen eines Mastes.

Die Parthelen sind die Taue, welche von der Spitze des Mastes, vom sogenannten Top bis an die Bordwand laufen, nicht zu verwechseln mit den Wanten, und hier befestigt sind, so daß sie mittels einer Vorrichtung gespannt und gelockert werden können, denn auf ihnen beruht allein bei einem nur einigermaßen heftigen Winde die Standhaftigkeit der Masten. Reißen die Parthelen, so stürzt der Mast unbedingt, die schlanke Stange kann sich nicht selber aufrecht halten.

Es brauchte kein weiteres Kommando, die Matrosen wußten, was sie zu tun hatten, um ihr Leben zu retten. Sie tasteten sich der Bordwand entlang nach dem hinteren Teile des Schiffes zu, wo in einem besonderen Räume die Aexte, Sägen und Entermesser aufgehoben wurden, das sogenannte Kappwerkzeug, denn stürzen die Masten, so müssen die Taue sofort gekappt werden, sonst rammen die an diesen nachschleppenden Masten das Schiff leck.

Sie kamen nicht weit, die unglücklichen Matrosen, das Verhängnis war schneller als sie.

Das Heulen in der Takelage verwandelte sich in ein durchdringendes Pfeifen, die Taue rissen, Holzsplitter und ganze Teile von Raaen stürzten herab, das Deck durchschmetternd, die Masten bogen sich, wie schwankende Rohre, ein furchtbarer Knall, und die Parthelen waren, wie zu straff gespannte Saiten, zersprungen.

Gleichzeitig stürzten die beiden Masten, in viele Teile geknickt, nieder, im Falle die hölzerne Bordwand durchschmetternd.

Es war zu spät für die Besatzung, sie hatte weder Aexte, noch Sägen zur Hand, auch war es unmöglich, jetzt noch solche zu holen.

Donnernd rannten die Masten gegen den eisernen Schiffsrumpf, wie Widderböcke bei jedem Stoß eine neue Vertiefung bohrend, bis der mächtige Stamm durch das Eisen hindurch war und das Wasser sich in den Raum ergoß.

Ingenieur, wie Heizer stürzten mit entsetzten Gesichtern an Deck und begegneten ebensolch verzweifelten; es war keine Hoffnung auf Rettung vorhanden. Was hätten die Boote, wenn sie dieselben auch noch besessen hätten, bei diesem ungeheuren Wogengang genützt – beim ersten Herunterlassen wären sie in Atome zersplittert worden!

Auch das Ruder war gebrochen – wie konnte es anders sein? Welle auf Welle stürzte über Deck, alles mit sich fortreißend. Es gab kein Deck mehr, nur ab und zu hob es sich noch aus dem Wasser hervor, und der auf ihm stehenden Menschen wurden immer weniger. Wie die Gegenstände, an die sie sich klammerten, nach und nach von den Stricken rissen und in den Fluten verschwanden, so auch die Menschen.

Nicht einmal einen letzten Händedruck konnten sie wechseln, nicht einmal das letzte Abschiedswort einander zurufen – die tobende See verhinderte und übertönte alles. Wortlos sanken sie ins bodenlose Grab. Noch hob sich ab und zu die Kommandobrücke über das Wasser, aber der Kapitän stand schon lange nicht mehr darauf, dann verschwand auch diese für immer – der Taifun hatte seinen unzähligen Opfern ein neues hinzugefügt.

Der Morgen war angebrochen. Wohl tosten die Wogen noch mit fürchterlicher Gewalt, aber es war nur ein Nachspiel der Nacht; die Sonne strahlte wieder vom blauen Firmament herab, und der Wind war schwach geworden. Einige Stunden noch, und die Wellen hatten sich beruhigt, nichts hätte verraten, daß ein fürchterlicher Taifun über das Meer gebraust. Aber bald mußten die Schiffszeitungen die Berichte bringen, wie viele Opfer von ihm gefordert waren, und bald liefen in den Häfen jeden Tag Schiffe mit zerbrochenen Raaen und Masten ein, der Reparatur bedürftig.

Eine kleine Brigg war mit einigen geknickten Federn davongekommen. Am ersten Mast fehlten zwei Raaen, der Klüverbaum war gebrochen, und so konnte sie nur langsam den Weg fortsetzen. Auch bemerkte man, daß sich vor dem Sturme in der Mitte des Schiffes ein Schornstein erhoben hatte, aber nicht mehr vorhanden war.

Die Matrosen dieser Brigg standen an der Bordwand, Fernrohre in den Händen und suchten unablässig den Horizont ab. Eine tiefe Niedergeschlagenheit drückte sich in den Gesichtern aller aus, sie schienen den Gegenstand, den sie suchten, nicht erblicken zu können.

Da lenkte der Ausruf eines Matrosen die Blicke nach einer bestimmten Stelle der aufgeregten See. Dort [???] an einem schwimmenden Stück Holz, dem Teile einer [???], ein Mensch, beide Arme um dasselbe geschlungen, den Kopf tief herabgebeugt, nur den Mund über dem Wasser.

Wieder ein Opfer des Taifuns! Die Brigg setzte ein Boot aus, und in wenigen Minuten wurde dem Unglücklichen, der nur noch mechanisch seine Glieder gebrauchen konnte, an Deck geholfen. Oben angekommen, brach er bewußtlos zusammen. Mitleidig machten sich die Matrosen mit ihm zu schaffen. Ein Matrose entkleidete ihn, und als er den Rock auszog, fiel daraus eine schwarze Ledertasche.

»Wir wollen doch sehen, wer es ist,« sagte einer und öffnete die Tasche, »jedenfalls ist er ein Passagier. Hannes, trage diese Sachen hinunter in den Heizraum und hänge sie zum Trocknen auf.«

Der an Deck Liegende schlug Plötzlich die Augen auf und blickte mit starrem Auge um sich.

»Hannes, Hannes,« murmelte es. Dann schrie er laut auf:

»Wo ist Hannes?«

»Hier,« lachte der eben Fortgeschickte und kehrte zurück. »Kennen auch Sie den Hannes Vogel?«

Der Gerettete antwortete nichts, aber er richtete sich auf, riß dem Manne die Brieftasche aus der Hand, umklammerte sie krampfhaft und fiel dann wieder bewußtlos zurück.


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