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Noch sind die Seen in der Stadt gefroren, nur am nördlichsten Teil von Sorte Dams-Sö ist das Eis geschmolzen, weil hier die Abflußwässer der Gasanstalt münden; tausend Möwen nehmen ein Sitzbad in diesem Wasserstreifen, von tausend Menschen ist die Straße darüber betupft. Fahrräder, Motocycles und Kleinautos in lückenloser Kolonne, der Strandvej, der sich stundenlang fortsetzt, von Kopenhagen bis zum Kattegat, ist voll von ihnen. Der Sund: verrammelt von ineinandergeschobenen, übereinandergeschichteten Eisblöcken. Schnee rundet die Kanten. Landungsbrücken, die sich im Sommer den Jachten und Booten entgegenstrecken, sind eingezogen, damit der Winter sie nicht sprenge. Hinter Hellerup aber baute man heuer eine aus Stein und Stahl, sie sollte dem Eise trotzen – ihre imposanten Trümmer sind noch zu sehen. Der Kristall der Luft verbindet mit dem schwedischen Ufer, den Villen Malmös, den Häusern Landskronas, dem flachgeschnörkelten Rand der Lommabucht. Eine Insel, die Ufer steil aufsteigend wie Festungsmauern, schiebt sich zwischen Schweden und die Fahrt: das ist Hvenn, das Uranienborg Tycho Brahes.
Allzu dicht steht das Spalier von Villen, Schlössern, Hotels, Sanatorien, an ihren Seitenwänden vorbei kann der Passant auf die Meerenge schauen oder Bäume atmen. Frappant ähnlich ist diese Landschaft des hohen Nordens dem Bosporus, der Villenkolonie Böjük-dere, wohin im Sommer die Gesandten aus Konstantinopel übersiedeln. Auch hier, am Öresund, sind noble Villeggiaturen. »Hvidöre« heißt die Villa der Kaiserin Dagmar von Rußland, nicht weit davon das Schloß des Grafen Bernstorff und die Residenz des Bankiers Glückstad, beneidenswerte Menschen, denen das Glück treu blieb: Dagmar kann froh sein, daß es ihr nicht wie ihrem Sohn erging, dem letzten Zaren, Bernstorff konnte froh sein, daß er nicht wie sein Beschützer, der Kanzler Struensee, geköpft wurde, und Glückstad konnte froh sein, daß er starb, bevor das Fallissement der Landmandsbank vor dem Strafgericht verhandelt wurde. Zahllosen Königsschlössern begegnet man: Charlottenlund, Skodsborg, Eremitage, Sorgenfri, Frederiksborg, Fredenborg, Kronborg, Borg auf Borg!
In den Fischerdörfern bessern Männer und Frauen Netze aus, die sehr schadhaft sein müssen, wenn man noch während des Winters den Sonntag verwendet, sie zurechtzuknüpfen; hinter und neben den kleinen Häuschen von Taarbäck und Lyngby hängen endlose Flächen gekreuzter Stricke zum Trocknen. Die Villen sind noch versperrt, erst in drei, vier Monaten werden sie ganz Kopenhagen aufnehmen, das dann hier wohnt und morgens aus dem Bett in den Öresund steigt; achtzehn Züge schickt die Küstenbahn im Sommer täglich her.
Die Landstraßen sind makadamisiert oder kilometerweit gepflastert, kein Staub, die Markierung verschwenderisch: je hundert Meter werden von einem Stein gekennzeichnet (anderswo würde er als Grabmal dienen), auf jedem tausendsten Meter erhebt sich (sozusagen) ein Monument, nach je siebeneinhalb Kilometern ein Meilenstein (der eher ein Obelisk ist oder eine Siegessäule). So geht es entlang dem Buchenforst und dem Meer, vorbei an Windmühlen und Landhäusern, bis hinauf nach Helsingör. Dort ist man an der Spitze der Landzunge, neben sich Kronborg in reichem Barock und leuchtender Patina, über sich den flatternden Danebrog und den hellen Himmel, links die Unendlichkeit des Kattegat und rechts die schmälste Stelle des Sundes: In zehn Minuten wäre man mit dem Motorboot in Schweden, man kann in die Fenster von Helsingborg schauen. Paßvorschriften liegen jedoch dazwischen. Gut, daß wenigstens die Kette abgeschafft ist, die nichtdänischen Schiffen die Durchfahrt verwehrte. Ozeandampfer schwimmen jetzt ungehindert in den Hafen von Helsingör und in den von Kopenhagen. Auch Hamlets Papa spukt kaum mehr auf den Mauern, obwohl ihn Engländer und Engländerinnen suchen, ebenso wie Hamlets Grab.
Durch das Innere des Landes kehrt man heim. Anfangs, wenn die Straße etwas ansteigt, taucht zu linker Hand für einen Augenblick noch ein Streifen des Sundes auf oder Schiffsschlote, und der Esromsee täuscht eine geraume Strecke lang das Meer vor; aber er ist ein Binnensee, seine Ufer Binnenlandschaft. Windmühlen tragen Zwiebelkuppeln, die Flügel, mit Segeln bespannt, ächzen in der abendlichen Brise. Rote Fassaden der Häuser, vergoldete Stierköpfe auf den Fleischerläden. Eine greise Bäuerin (in Bauschrock, schwarzes dreieckiges Käppi mit Goldborte auf dem Scheitel, Gebetbuch in der Hand) eilt. Aus einem See steigt ein Renaissanceschloß empor, ein Schwelgen in Ornamenten und figuralem Frontenschmuck, bizarre Giebel und Zinnen und Türme: Frederiksborg, ein Palast auf Lagunen. Inmitten von Wäldern läuft der Weg, olivenfarben die Stämme, braungrün das Moos. Dörfer, kleine Städte. Die Schornsteine gehören den Genossenschaften, zu ihrer Molkerei oder ihrem Schlachthaus. Auf alten Bauernhäusern sind Gedenktafeln: Hier starb der Folkethingsmand Christian Soundsosen; darunter ein Spruch von Grundtvig. Kirchtürme haben quadratischen Grundriß und hohe Treppengiebel. Die Bauernburschen, die an Gasthausmauern »Klink« spielen, können schwer unterscheiden, ob sie Kopf oder Adler werfen. Kühl wird es und feucht, skandinavischer Abend. Signale der Hupen und Radglocken häufen, die Geschwindigkeiten verlangsamen sich, Kopenhagen fährt heim, vom Sonntagsausflug nach Nordseeland, aus der Natur.