Egon Erwin Kisch
Hetzjagd durch die Zeit
Egon Erwin Kisch

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Erste und letzte Ausfahrt der Flotte

Aus ist's mit dem Leben an der Boje, aus mit dem Hafenleben, addio, ihr Polesanerinnen! An Bord wimmeln weit über tausend Matrosen, sie haben Schwimmwesten (unaufgeblasen) um den Leib geschnallt, arbeiten bei den Signalen, Geschützen, Kesseln und Maschinen, der eine oder der andere schreibt noch Feldpostkarten. Boote stoßen ab mit Dienststücken, Akten, Post und auch mit Privatgepäck, um das es schade wäre, wenn der Dampfer unterginge, Wäsche ist teuer, und Paradeblusen sind heute nicht zu bezahlen; ein Freund vom Hulk oder das Hafenadmiralat nehmen die Habe in Verwahrung bis zu dem Tage, da man zurückkommt, oder bis zu dem Tage, da man sie den Hinterbliebenen in die Heimat schicken kann – je nachdem.

Die beiden Rauchfänge stoßen Qualm aus, und die Brise fegt die Schwaden inklusive Rußkörner über Deck; den Offizieren und der Mannschaft tut das nichts, aber die Seefähnriche reiben sich die schwarzen Punkte aus den Milchgesichtern und schnellen die »Heizerflöhe« von den dottergelben oder weißen Blusen.

Schon ist seeklar gemacht, das Fallreep gehißt, die Boote eingesetzt, die Backspieren eingelegt, die Maschinenprobe beendigt, der Steckkontakt aus der Telefonboje genommen, das Telefonkabel eingerollt, die Kette ausgeschäkelt. Nur noch an einer Pferdeleine, die durch den Bojring geht und deren beide Enden an Bord sind, hängt der Riese.

Der Hornist bläst »Ankerstationen«, alle Mann auf die ihnen bestimmten Plätze. »Los von der Boje!« Der Doppelpart wird losgeworfen. Boje 31, die uns lange genug Festland und Heimat war, schaukelt frei. Noch einmal schmiegt sie sich fest an den Schiffskörper, als wollte sie mit mütterlichem Kuß Abschied nehmen. Wir schreiben den 8. Juli 1918, es ist fünf Uhr p. m.

Von der Signalleine wird der Ypsilontopp eingeholt. Am Achterdeck der »Viribus unitis«, auf dem man einst den ersten Toten des Weltkrieges aus Sarajevo brachte, an der Stelle, wo unter dem Sonnensegel das Zelt des erschossenen Franz Ferdinand und seiner erschossenen Frau stand, ist das Postenquantum angetreten. Der Trompeter auf der »Zriny« schmettert: »Habt acht!«, und unserer erwidert: »Links habt acht!«, drüben salutieren die Offiziere, hüben wir. Einer unserer Seekadetten winkt einem von der »Zriny« zu, gestern abend waren sie mit zwei Signorinen in der Taubengrotte, es war sehr schön, der eine fährt heute ins Gebiet der Tauchboote, Seeminen und Schiffsgeschütze, der andere bleibt zu Haus. Addio, ihr Polesanerinnen! Die Mannschaft stramm, Hand an der Hosennaht, dann wieder »Ruht«, kaum zwei, drei Minuten, schon bläst der nächste Kreuzer den Salut, hierauf der nächste und wieder der nächste, überall stehen die Nachbarn vor den Türen und grüßen uns Auswanderer ins Ungewisse. Es ist die erste Ausfahrt der Dreadnoughtflotte. Wir passieren die Barrikadensperre; die Mitrailleusenbatterie, zur Tauchbootabwehr dienend, wird bemannt. Der Wellenbrecher bleibt hinter uns, wir sind auf offener See, die Heimat ist weit, um Jahre entfernter, um ein Menschenleben entfernter vielleicht als eine Viertelstunde vorher, leb wohl, Mutter, leb wohl, Frau, lebt wohl, Kinder, niemand denkt mehr an Polesanerinnen und Taubengrotte, wir haben den Hafen verlassen. Der Flottenkommandant, Konteradmiral von Horthy, geht auf die Signalbrücke, nicht ohne vorher den Journalisten, der an Bord ist, zur Begleitung aufgefordert zu haben. »Das wird Sie sicher interessieren, Sie können da einen Vergleich machen zwischen der Kommandobrücke einst und jetzt, zwischen ›Tegetthoff‹ und mir . . .«

Gesichert marschieren wir durch die See, ein Torpedozerstörer fährt uns voran, je drei Torpedoboote sichern die Flanken. Wir, das Admiralschiff, bilden die Tete, im Kielwasser folgt uns die »Prinz Eugen« auf vierhundert Schritt, die beiden anderen Dreadnoughts, »Szent István« und »Tegetthoff«, kommen im zweiten Stapel nach. Innerhalb der Schutznetzbarrikaden der Reede von Fasana gehen wir um sechs Uhr abends vor Boje. Meldung: »Bei Bank Pericolosa feindliches Tauchboot gesichtet. Minensucher nehmen die Verfolgung auf.« Um zehn Uhr nachts laufen wir wieder aus, Kurs Süd, fünfzehn Meilen die Stunde. Auf Höhe von Veruda zweites Radiogramm: »Feindliches U-Boot in Fühlung mit Kreuzungsdampfer ›Arsa‹.« Mittels Megaphon wird eines der Begleitschiffe, Torpedoboot 75, auf Preidistanz gerufen, den fünf Sicherungsfahrzeugen das Telegramm weitergeleitet mit der Weisung, bei Begegnung mit »Arsa« von dieser keine Erkennungszeichen abzuverlangen. In den Räumen der Operationskanzlei sitzt der Flaggenstab, Konteradmiral Horthy hat die Kommandobrücke schon verlassen. Um drei Viertel sechs Uhr morgens werfen wir Anker in der Bocche di Tajer, südöstliche Ausbuchtung der Insel Grosso, südlich von Zara, verbringen dort den Sonntag. Von der Signalstation Sale aus werden Chiffrentelegramme an Bord gegeben.

Mittags wird das Badesegel ausgebracht, Matrosen springen von der Nock des Backspiers oder von der Plattform kopfüber ins Meer oder kraxeln die Jakobsleitern und Hanger hinunter, im Nu sieht das Wasser wie ein übervölkerter Exerzierplatz aus. Jeder schwimmt anders, jeder kann andere Künste, jeder ist anders tätowiert, jeder – je nach der Form seines Trikots – anders abgebrannt, verschiedenartig sind die Schwimmhosen, der eine hat einen Fußlappen umgebunden, der andere abgeschnittene Unterhosen, dem dritten tat es leid, diese zu zerschneiden oder auch nur die Bandeln abzutrennen. Übrigens scheint es, als ob alle lange weiße Hosen anhätten, denn da sie stets mit nacktem Oberkörper in der Sonne arbeiten, sind sie bis zur Taille kastanienbraun, unten aber weiß wie Großstädter. Im Badesegel spielt sich eine tolle Wasserpantomime ab.

Nachts hocken die Leute beisammen, singen oder spielen Karten. Manche lesen Bücher aus der Schiffsbibliothek. Von der Kommandobrücke aufs Deck schauend, kann man sich die Landkarte Österreich-Ungarns imaginieren, denn die Matrosen sitzen sozusagen in Ländergruppen beieinander. Als die Marine noch eine reine Schiffahrtsangelegenheit war, als man Schwimmer, Segler, Steuerleute brauchte, bildeten Istrien und Dalmatien gewissermaßen den Ergänzungsbezirk der Flotte, sogar das Heizerpersonal setzte sich aus italienischen Istrianern und kroatischen Dalmatinern von den Handelsschiffen zusammen, und es ist noch nicht lange her, daß die offizielle Marinesprache Österreich-Ungarns Italienisch war. Aber seither ist der Dienst immer mehr und mehr zu einer technischen Angelegenheit geworden, und die Massen von Monteuren, Elektrotechnikern, Maschinenmeistern, Installateuren, Gießern, Metalldrehern und anderen Spezialarbeitern mußte man aus allen Binnenländern holen. Deutsch wurde nun Vermittlungs-, Verständigungs- und Kommandosprache, und nur der alte Steuermeister redet noch im Kauderwelsch von Anno Dallerup, ein Sammelsurium von Triestiner Dialekt, dalmatinischem Fischeridiom, slowenischen Brocken und deutschen Fachausdrücken.

Sonntäglich ist es im Innern des Panzerschiffs, das auf dem Kriegspfad, sogar die Gefechtstürme sind menschenleer. Aber hier hat eine ingeniöse Technik so gigantische Instrumente des Massenmordes geschaffen, daß man – wenn auch jetzt alles unbelebt ist – erschüttert und an der Zeit verzweifelnd die gräßlichen Wunder sieht. Aufs Flaggentuch des Dreadnoughts gehört das Wort von der Notwendigkeit der Schiffahrt und der Unnotwendigkeit des Lebens. Die Bremer Kaufleute, die den Spruch lateinisch auf ihres Zunfthauses Giebel schrieben, verstanden ihn anders, doch für den Dreadnought, den tausendmal fürchterlicheren Klaus Störtebeker von heute, der, durch Panzer und Gesetz geschützt, den Schrecken der Meere bildet, gelten die Worte erbarmungslos zeitgemäß, denn er belebt sich, wenn er fährt, also ist ihm die Schiffahrt notwendig, und er tötet das Leben der anderen, denn es ist ihm überflüssig.

Wie gut gewappnet gegen den eigenen Tod und für den der anderen! Vier glatte Rundtürme ragen grau von der schwimmenden Feste. Nicht einmal besonders hoch, vom Krähennest schaut man frei über sie hinweg, selbst die Kamine sind höher. Aber man kann ernsthaft sagen, daß diese Türme im Innern höher sind als außen, gehen sie doch tief in den Rumpf des Schiffes, sieben Stockwerke. Ganz unten, schon nahe am Schiffsboden, steht der Pivot, auf dem der drehbare Bau zentriert ist, darüber das Geschoß der Geschosse, von der nächsthöheren Kammer werden die Patronen emporgewunden, es folgen Nebenaufzugsraum, Hauptaufzugsraum und Umladestation, und aus den Mansardenfenstern des Giebels lugen drei Zyklopen über Land und Meer: 30,5-cm-Geschütze. Die Kanonenrohre, vierzehn Meter lang, jedes dreiundfünfzigtausend Kilogramm schwer, starren parallel aus der Panzerung und sehen einander ähnlich wie Drillinge. Von der Kommandobrücke lassen sie sich einzeln und gemeinsam lenken, dort wird gezielt, Distanz und Seitenverschiebung hierhertelegrafiert, auf einer Tafel tauchen die Ziffern auf, und der Geschützvormeister hat bloß mechanisch zu visieren und elektrisch abzudrücken. Sechsundzwanzig Sekunden braucht es von Schuß zu Schuß, aus jedem Turm können in der Minute sechs Geschosse abgefeuert werden, jedes von vierhundertfünfzig Kilo Gewicht.

Binnen einer Minute vermag man das sechsstöckige Gebäude um zweihundertsiebzig Grad zu drehen, bei kleinster Geschwindigkeit rotiert es ebensolange um seine Achse wie die Erde um die ihre: vierundzwanzig Stunden.

Nicht nur von oben speit der Panzerpirat Verderben, Seitengewehre stecken in seinem Gürtel, ein Dutzend 15-cm-Kanonen, sechs Reduiten steuerbord, sechs backbord. Auf Deck ist leichte Artillerie aufgefahren: Schnellfeuer-, Landungs-, Ballongeschütze, alle 7-cm-kalibrig (L/50, Skoda), und Maschinengewehre. Aus den vierzehn Munitionskammern führen in jeden Turm fünf Munitionsfahrstühle. In den Lancierraum geht es treppab, die Torpedos, braune Riesenzigarren, sind auf Ständern ausgebreitet, eine steckt sogar schon in der zugehörigen Zigarrenspitze, die marinetechnisch Lancierrohr heißt. Sechsundeinviertel Meter lang und dreiundfünfzig Zentimeter breit ist jede und ein gar schweres Kraut, sechshundert Kilogramm; neunzig Kilogramm Schießbaumwolle sind unter dem stählernen Deckblatt. Hermetisch abgeschlossen, wie ein Caisson drei Meter unter Wasser eben sein muß, wird hier weder gezielt noch abgedrückt. Hoch oben und fern steht der Offizier auf dem Kommandoturm, elektrisch lenkt er das Rohr, und elektrisch feuert er. Vorher wurde hier unten der Mündungsdeckel, die »Schleuße«, abgenommen, die See drang ins Lancierrohr, und der Torpedo im Rohr ist vom Wasser umgeben. Auf einen Knopfdruck strömt komprimierte Luft ein und stößt das Geschoß ins Meer. Die Innenröhre des Lancierapparates geht als Schutzhülle mit hinaus, um es vor einer Ablenkung durch den Wasserdruck der Schiffsseiten zu bewahren. Erst wenn der Torpedo bis zum Schwanzstück, dem Steuerkreuz, außerhalb der Bordwand ist, kann er sich – ein selbständiges Schiff, ein U-Boot ohne Bemannung – mit eigener Steuerkraft und eigener Maschine drei Meter unter dem Meeresspiegel in einer Geschwindigkeit von vierunddreißig Meilen gegen das oft sechstausend Meter entfernte Ziel bewegen. Trifft er das feindliche Schiff (unterhalb Panzerung), schnappt die Greifnase auf den Zünder, wodurch die Sprengladung explodiert. Die Innenröhre ist aber, nachdem sie den Torpedo vor die Tür begleitet hat, wieder heimgekehrt, das Haustor schließt sich, und der nächste braune Gast fährt elektrisch vor . . . Vier Lancierer haben wir mit, je einen auf den Breitseiten, einen am Bug und einen am Heck. In jeden Torpedoraum führen Kupferrohre von den Luftkompressoren, Torpedos und Lancierreservoire (hundertfünfzig Atmosphären) zu füllen; zum und vom Kommandoturm, von einem Lancierraum zum anderen, zu den Pumpen und Hilfsmaschinen und in die Artilleriewerkstätte sind Sprachrohre und laut sprechende Telefone geleitet.

Er kann Schrecken genug verbreiten, der Dreadnought, kann hundertfachen Tod bringen und mit allen seinen Mannen selbst hundertfachen Tod erleiden. Aber das ficht ihn nicht an und seine Gegner nicht: Navigare necesse est, vivere non necesse est!

Abends um neun Uhr liefen wir von Tajer aus, um halb acht Uhr morgens ankern wir bei Slano im Kanal von Calomotta, etwas nördlich von Ragusa. Im Mittelpunkt eines beinahe kreisrunden Teiches liegen wir. Auf dem Ufer ringsum: Gestrüpp, Blöcke, Pinien, Olivenbäume, ein Kirchlein mit Kegelturm, Steinhäuschen ohne Mörtelverputz, so daß sich vom Grau des felsigen Hintergrundes nur die Ziegelröte der Dächer abhebt, und auch sie nur verschwommen, denn der Rauch der Flotte fährt wie ein Wischer über das hellgrün-hellgraue Bild. Die Torpedobootzerstörer »Tatra«, »Balaton«, »Orjen« und »Uszok«, die Torpedoboote 82, 86, 89, 91 und 95 sind a lai vertäut, um Kohle von uns zu nehmen. Sie haben Doppellancierer, deren Torpedos zum Unterschied von den Unterwasserapparaten nicht mit Preßluft, sondern mit Pulverladung abgefeuert werden. Offiziere kommen an Bord und erhalten Dispositionen, heute nacht soll's losgehen.

Das weiß jeder. Operationstische und Tragbahren werden hergerichtet, Instrumente und Verbandzeug verteilt, Munition, Stahlhelme und Gasmasken bereitgestellt, Rettungsboote, Rettungsflöße, Rettungsgürtel und Rettungswesten geklart, Weisungen ausgegeben. Alle sind erregt, aber anders ist es als vor einem Sturm bei der Infanterie. Auf den Schiffen ist der Fatalismus größer, die Lüge vom »Heldentum« auffälliger, der einzelne kann gar nichts machen, es gibt keine Flucht, es gibt überhaupt keinen einzelnen, es gibt nur einen Schiffskörper, viribus unitis. Die Mannschaft schlägt wieder (zum Baden ist es zu kalt) die Spielkarten aufs Deck, Offiziere inspizieren und visitieren, und nur die kleinen Seekadetten bitten Gott und Italien um feindliche Gegenwirkung, sonst kriegten sie ja das Truppenkreuz nicht.

Im Saal des Admiralstabes herrscht große Nervosität, deren Ursachen wir um sieben Uhr abends vom Admiralstabschef erfahren. »Leider muß ich den Herren eine betrübliche Mitteilung machen. Unsere Aktion ist nämlich leider Gottes verraten. Die feindliche Bewachungslinie in der Otrantostraße, die wir behupfen wollten, hat sich nach Süden zurückgezogen bis Santa Maria di Laika und noch weiter. So würde uns zumindest der Rückweg abgeschnitten. Auch fahren die Transportschiffe aus Brindisi, Valona, Tarent heute infolge des Avisos nicht aus. Aus Korfu kommen uns die italienischen Dreadnoughts entgegen, aus dem Golf von Tarent französische und italienische Motorboote. Wir haben es aber auf eine Überraschung abgesehen gehabt, also müssen wir zurück, alles war umsonst, die erste Ausfahrt der österreichischen Kriegsflotte ist gescheitert.« Admiral Horthy, der wie immer seinen Abendspaziergang auf dem Achterdeck macht, hat eine traurige Miene angelegt, wirklich traurig sind die Seekadetten, und einer witzelt elegisch: »Die Argonauten zogen von Pola aus, um das Goldene Vließ zu erlangen – wir bringen nicht einmal das Karl-Truppenkreuz heim.« Um drei Viertel zehn Uhr abends lichten wir Anker und fahren polawärts.

Denen im Kesselhaus ist es gleich, ob es zum Gefecht kommt oder nicht. Sie haben es unvergleichlich schwerer als ihre Kollegen auf den Passagierdampfern, sie stehen unter militärischem Zwang, und fürchterlich eng ist ihre Arbeitsstätte. Für das Leben ist wenig Platz auf dem Schlachtschiff, man braucht allen Raum für den Tod des Feindes: für Geschütze und Torpedos. Nur ein Dutzend Kessel hat die »Viribus«, die müssen den Koloß von zwanzigtausend Tonnen vorwärts treiben, zwanzig Meilen in der Stunde, und acht Turbinen und viele Hilfsmaschinen mit einer Wellenstärke von fünfundzwanzigtausend Pferdekräften in Betrieb erhalten. Heizgase umspülen elfhundert Mannesmannrohre, bis deren Wasserinhalt, selbst zu Gas verflüchtigt, zur Hauptmaschine strömt. Aus achtzehn Kohlenmagazinen fressen die zwölf Ungeheuer, verschlingen stündlich drei Tonnen Kohle. Freilich, Vorrat ist genug da, bei einer Geschwindigkeit von zehn Meilen würde das Kohlenmagazin auf dreitausendachthundertsechzig Meilen reichen, also für eine Fahrt unseres Dreadnoughts bis in die Mitte des Indischen Ozeans.

In Siedehitze ficht hier unten je ein Heizer gegen ein Feuerloch. Der Oberheizer kommandiert, und schon hat der Ofen seinem Gegner einen feurigen Hieb über das verrußte Gesicht geschmiert, aber im gleichen Augenblick ist die Riposte gestochen, mit der beladenen Schaufel in den Leib. Der Sekundantenspeer fährt dazwischen, das Ofentor, und trennt die Gegner für vier Sekunden voneinander. So geht es tagaus, tagein. Hieb und Stich, Hieb und Stich, ein fauchender Assaut von Mensch und Ungetüm in einer Höllenglut, die kein Luftschacht und kein Ventilator und keine Nacktheit und kein Trunk Tee und keine Augenbrille erträglich machen. Die Aschenejektoren, die Lava und Schlacke dieses Vulkans verschlucken und angeekelt in die See speien, lassen keinen Hauch von der Kühle des Meeres, die Schlote von achtzehn Quadratmeter Flächenbreite kein Stückchen Himmel herein in das Chaos von Heißluft, Rußflocken, Wallung, Sud, Dampf, Flammensträhnen, Kohlenstaub, Zittern, Dröhnen, Stürzen, Prasseln und Finsternis, in die Welt schwarzer verzerrter Gestalten mit weißen Augen, gefletschten Zähnen und feucht im heißen Winde flatternden Haarsträhnen. Welch ein Kontrast zwischen diesen ausgemergelten Sklaven und den freien Burschen, die oben in Licht, Sonne und See baden, hoch hinaufklettern dürfen auf den Rahen bis in den Äther, welch ein Kontrast zwischen diesen ausgedörrten Menschenautomaten und – »Fast die ganze Mannschaft meldet sich zum Heizerdienst«, sagt der Maschinenoffizier, »natürlich, keiner will exerzieren!«

Um vier Uhr morgens kommt die Meldung, daß die »Szent István«, die jetzt vor uns fährt, lanciert worden ist; bei der Torpedierung ist eine fünfzig Meter hohe Wassersäule emporgeschossen.

Die ganze Reling und alle Aussichtspunkte werden mit Offizieren und Mannschaft besetzt, die nach Unterseebooten auslugen, die Begleitschiffe schließen sich wie ein Panzer um die »Viribus«, damit es ihr nicht ebenso ergehe wie der »Szent István«, dem größten und modernsten Schlachtschiff der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine. Wie wird es die Havarie überstehen? Seit es Dreadnoughts in der Welt gibt, ist noch keiner torpediert worden, wird er wieder flott werden?

Eine Stunde später kommen wir an dem verwundeten Giganten vorbei. Seine Maschinen arbeiten nicht, der Körper schwankt, daß er zu kentern droht, aber Admiral Horthy lehnt es ab, Hilfe zu bringen, trotz hoffnungsloser Rapporte gibt er den Befehl, daß drüben alle Mann an Bord bleiben müssen, um das Schiff flottzukriegen. Wir dürfen uns nicht aufhalten, erklärt der Flottenkommandant, denn wenn auch wir, das Admiralschiff, einen Schuß abbekämen, so wäre der Siegesjubel in Italien ungeheuer.

Unsere Offiziere schauen mit Feldstechern auf das Wrack, von dem wir uns lösen, ohne ihm beizustehen, und schütteln die Köpfe. »Die ersaufen alle«, murmelt, das Trieder einsteckend und sich von der Bordwand entfernend, der alte Maschinenmaat . . . Am Heck der »Tegetthoff« steht der Artillerieingenieur vor dem Filmapparat und kurbelt die schwankende »Szent István« mit den verzweifelt hin und her rennenden Menschen.

Auf der Höhe von Zara kommt die Nachricht, daß die »Szent István« untergegangen. Erst um sechs Uhr morgens, als sie bereits zu sinken begann, war »Los vom Schiffe« befohlen worden, aber plötzlich kippte der Rumpf so schnell, daß nur wenige von Bord zu springen vermochten, die meisten wurden ins Meer geschleudert und von Torpedos und von der »Tegetthoff« geborgen. Vier Offiziere und etwa hundert Mann werden vermißt, sie sind entweder ertrunken oder unter dem kenternden Schiffsrumpf begraben worden. – Wir wollten sie »behupfen«, sie haben uns »behupft«.

In unserer Offiziersmesse ist man niedergeschmettert. Mit dem heutigen Tage sind die Dreadnoughts erledigt, sagen alle, die blamable Rückfahrt der Flotte, der Ertrinkungstod von hundert Matrosen und vor allem die Vernichtung eines Schiffes von einer halben Milliarde Baukosten beweise die Wertlosigkeit dieser Riesenwaffe. Wieso es möglich ist, daß die Schotten nicht hielten, daß durch einen Schuß der ganze Komplex untersank, ist unfaßbar. Man spricht von Korruption bei Vergebung der Lieferungen, schlechtem Material und dergleichen.

Es ist drei Viertel sieben Uhr abends, als wir an der leeren Boje der »Szent István« im Hafen von Pola vorüberfahren, alle sehen sie an. Um sieben Uhr sind wir wieder auf dem Bojring 31 vertäut. Kurz darauf legen Boote an, der Kommandant, Linienschiffskapitän Seitz, und Stabsoffiziere von der »Szent István« erstatten Bericht über den Schiffbruch.

Am nächsten Tage lesen wir im Marinekasino das amtliche Telegramm der Marinesektion des Kriegsministeriums: »SMS ›Szent István‹ wurde bei einer Nachtfahrt in der Adria torpediert und ist gesunken. Linienschiffsleutnant Maxon del Roewid, Maschinenbetriebsleiter Sernitz und Seekadett Müller sowie etwa achtzig Mannschaftspersonen werden vermißt. Seekadett Serda ist tot. Der Rest der Mannschaft wurde gerettet.« – Die Agenzia Stefani gibt folgende Meldung aus: »Beim Morgengrauen des 10. d. M. griffen bei den Dalmatinischen Inseln zwei kleine italienische Torpedoboote, die vom Korvettenkapitän Luigo Rizzo befehligt wurden, eine österreichisch-ungarische Schiffsabteilung, bestehend aus zwei großen Kreuzern des Typs ›Viribus unitis‹ und durch zehn Torpedojäger beschützt, an. Unsere Einheiten drangen über die Linien der Torpedojäger vor und trafen den vorne fahrenden Kreuzer mit zwei Torpedos. Darauf kehrten unsere Einheiten, die von Torpedojägern verfolgt wurden und einen davon schwer beschädigten, in ihre Basis zurück.« – Das k. k. Korrespondenzbüro fügt dieser italienischen Meldung zu: »Es wurde weder das zweite Schiff der Gruppe getroffen noch ein Begleitfahrzeug beschädigt.«

Die Zahl der Toten ist sicherlich weit größer, als eingestanden wird. Nur zwanzig Leichen wurden geborgen und in Pola bestattet.

So singt Dante (Inferno, IX. 113-117): ». . . bei Pola dort am Meer – Das Welschland schließt und netzt der Grenzen Gaue – Grabhügel sind im Lande ringsumher – Wo auf unebenem Grunde Tote modern.« Auf dem unebenen Grunde von Policarpo modern tote Seeleute. Der eigentliche Marinefriedhof liegt allerdings zu Füßen des Hügels und reicht weit, stundenweit, bis gegen Griechenland und Sizilien, der eigentliche Marinefriedhof ist das Meer.

Oben weint eine alte Frau vor dem Bildnis Christi und küßt den kirchlich geweihten Boden, in dem ihr Sohn nicht ruht. Auf der Marmortafel an der Kapelle liest man Namen der Matrosen, die eine Sturzwelle über Bord gerissen. Sie starben, steht dort, den Heldentod, und Ehre ihrem Andenken, es fehlen die Worte »Friede ihrer Asche« oder »Die Erde werde ihnen leicht«. Es fehlen die Worte »Hier ruht . . .«, die man auf allen übrigen Grabsteinen in allen Sprachen einträchtig nebeneinander findet: »Itt nyugsit« – »Qui riposa« – »Zde odpočivá« – »Here is burried« – »Ovdie pociva« – auch in verschnörkelten türkischen Buchstaben mit Halbmond und Stern und in hebräischen Lettern unter dem Doppeldreieck des Königs David. International und interkonfessionell und friedlich ist dieser Friedhof wie kein anderer. Denn er ist ein Kriegerfriedhof.

Ein erhöhter Granitwürfel von großem Ausmaß steht den Toten des Krieges da, von Zypressen umsäumt. In der Mitte ist Großadmiral Haus pompös bestattet, noch wölben sich hier Blumengewinde und Palmenzweige. Knapp an den altersschwach gestorbenen Flottenkommandanten rücken jetzt Knaben heran – Kadetten und Fähnriche der Fliegerabteilung, zu Brei zerschmettert fielen sie von der Höhe ihrer Jugend. »Geboren 1. Mai 1898« – »Geboren 1899« – »Besitzer der Goldenen Tapferkeitsmedaille« – »Dreimal mit der Silbernen Tapferkeitsmedaille I. Kl. ausgezeichnet« – bedauernswerte Opfer, dafür gabt ihr euer Leben, für all die Medaillen könnt ihr euch keinen Sonntag mehr kaufen, arme Jungen! Sogar fünf Frauen liegen hier, auch sie starben als Opfer der »Pflicht fürs Vaterland«, Munitionsarbeiterinnen, Explosion, wären sie in einer Kohlengrube getötet worden, so gälte das nicht als »Tod fürs Vaterland«, und kein Heldenfriedhof hätte sie aufgenommen.

Massenbeerdigungen, wie sie der Landkrieg nach jeder Schlacht sieht, sind selten. Vielleicht ist heute die erste.

Der Marinepfarrer segnet mit vorgeschriebenen Worten und vorgeschriebenem Gestus die große Erdhöhle, an deren Rand Kränze streng geschlichtet liegen. Kränze, die für einen vom Kommando bewilligten Geldbetrag gemeinsam bestellt wurden. So liegen auch in vier Fünferreihen ausgerichtet und aufgedeckt geschlossene Holzsärge, einer wie der andere. Es sind zwanzig von den hundert Toten der »Szent István«, ihre Namen sind nirgends angegeben. Keine Angehörigen sind da und auch keine Trauer. Der Matrosenzug, den ein Seefähnrich befehligt, besteht nicht aus Leuten der »Szent István«, denn die haben keine Extramonturen mehr, wie sie für einen so repräsentativen Akt vonnöten sind. Die Abordnungen sind sich ihrer Würde bewußt. Vorne steht das Offizierskorps und macht ernste Gesichter, denn sie denken des toten Schiffs, des neuesten, besten und größten, mit solch ungeheueren Kosten erbaut, ein Viertel der ganzen Dreadnoughtflotte untergegangen mitsamt zwölf 30,5-cm-Haubitzen, also mehr, als auf allen Forts von Pola vorhanden sind, und etwa dreißig anderen Geschützen, Lancierern und so weiter, es ist wirklich traurig. Manche denken vielleicht auch des Zylinders, der ihrer harrt; an die Matrosen in der Grube, an die hundert Matrosen am Meeresgrund denkt niemand, vivere non necesse est. Die Bemannung des deutschen Tauchboots, das, mit Tang und Grünspan bedeckt, vorgestern aus Westafrika ankam, ist erschienen; zwei Mann haben sie zur Bewachung des räudigen Kamels und der vier jungen Mufflons zurückgelassen, die zum Gaudium der Polesaner Knaben im Adriapark weiden. Einige einheimische Burschen und Mädchen und viele Kinder haben die Musikband hierherbegleitet und schauen von einem Hügel auf die Zeremonie.

Die Kapelle intoniert einen Choral, dann leiert der Pope ein endloses Totengebet, der Fähnrich kommandiert »Generaldecharge«, Hände klappern auf Patronentaschen, »Hoch an – Feuer!«, die Salve war gut, niemand hat verspätet abgezogen. Der Befehlshaber des untergegangenen Dreadnoughts wirft drei Schollen Erde in das Loch, schlägt die Hacken zusammen und übergibt die Schaufel gehorsamst dem Herrn Flottenkommandanten, dieser höflich dem Herrn Hafenadmiral Cicoli. Von da ab geht's weder gehorsamst noch höflich, sondern streng nach Anciennität, Generale und Admirale, Offiziere und Kadetten reichen einander den Spaten in der Reihenfolge des Militärverordnungsblattes, dann kommen Unteroffiziere, Matrosen und Soldaten. Aus ist die Feier; die ausgerückte Abteilung nimmt längs der Friedhofsmauer Aufstellung. Zug rechts – schaut, habt acht, Doppelreihen links um, marschieren – Zug marsch, die Kapelle spielt den Radetzkymarsch, und die männliche und weibliche Jugend von Pola schließt sich, pfeifend und einander untergefaßt haltend, der lustigen Kolonne an, oben liegen zwanzig Särge, addio, ihr Polesanerinnen. Die Offiziere nehmen Tschako oder Mütze ab, um den Schweiß von den Stirnen zu wischen, bieten sich gegenseitig Zigaretten an und gehen ins Offizierskasino, davon sprechend, daß man heute die Dreadnoughts begraben hat.

 


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