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Ganz Smichow weiß davon. Im Bio Knížeci, wo sich alte Frauen an der Kassa für die Sonntagsvorstellung drängen, im »Lavoarek«, dem kleinen Park bei der Bezirkshauptmannschaft, wo die Kindermädchen zusammenkommen, im Kinskypark, wohin die Soldaten in gemischten Doppelpatrouillen gehen, und im »Hotel Hafen«, jenem abendlich viel frequentierten Labyrinth von Brettern und Balken, von dem man, ohne die Moral zu verletzen, nicht erforschen kann, warum man es »Hotel« nennt, im versteckten Beisel »Belgie« und in jedem Vyčep spricht man davon: in der Bertramka gehen Gespenster um.
Die verruchtesten Details sind zu hören: Der Sohn der Hausmeisterin von der Bertramka, der junge Ket, sei in der Nacht einer Weißen Frau vor dem Hause begegnet, habe sie grob angefahren, worauf sie eine Drohung gegen ihn ausstieß. Die Schafferin der Bertramka, Frau Hořejši, habe für eine in der Bertramka vor einigen Jahren verstorbene Dame in der Kapelle des Kleinseitner Friedhofes eine Messe lesen lassen müssen, um der Toten, die sich allnächtlich in ihrem Sterbezimmer zu schaffen machte, einige Ruhe zu gewähren. Ein Jüngling, der im oberen Gartensalon wohnte, sei in seinen Träumen von Vampiren und ähnlichen ungebetenen Gästen heimgesucht worden, bis er sich dem Spiritismus ergab und mit Hilfe der dabei erworbenen Lehren die quälenden Geister für geraume Zeit zu bannen vermochte.
Allen Respekt vor den Gespenstern: kein besseres Plätzchen könnte ein Sterblicher für so okkulte Zwecke ausfindig machen. Unmöglich ließe sich fünf Minuten von der Straßenbahn, den Ringhofferschen Dampfhämmern und den Fabriken der Mewa ein so entzückendes Rokokotuskulum vermuten. Der Graf Clam wollte es mitnichten, daß die neugierige Bürgerwelt Smichows auch nur einen Blick in jenes zärtliche Heim und dessen amouröse Räume werfe, das er für seine erklärte Freundin, die Sängerin Josefine Duschek, in dem Weinberg Bertramka aufgebaut und mit einem verschwiegenen zweiten Eingang versehen hatte, in Koschiř – dem Portal seiner Klamovka ganz nahe. Wenn es hier Gartenfeste Fragonardschen Stiles gab, drang kein Flüstern und kein Knistern in eine argwöhnische Welt hinaus.
Als es galt, 1787 für den nach Prag gekommenen Compositeur Wolfgang Amadé Mozart ein recht stilles, recht ungestörtes und recht idyllisches Studio ausfindig zu machen, wo man ihn sanft zur Abfassung einer Ouvertüre für seine neue Oper namens »Don Giovanni« zwingen könnte, so war wahrhaftig die Bertramka wie geschaffen dazu. Da hat denn selbiger Kammermusikus in dem kleinen, rot-gold tapezierten Eckzimmerchen mit dem eingelegten Fußboden und an dem Brunnen im Garten geträumt, in sein klingendes Innere hineingehorcht und das Erlauschte mit kleinen schwarzen Punkten notiert. Hernach hat die vielgeliebte Frau Josefine Duschek-Hambacher den hübschen Melodienschöpfer dankbarlich auf das rot-goldene Sofa im Salon gezogen, auf das ihr gräflicher Mäzen oft sie gezogen hatte – aber, zum Teufel, wissen wir denn überhaupt, ob Graf Clam die wunderschöne Pepi hier im Don-Juan-Salon karessiert hat und ob Wolfgang Amadeus solches getan und ob in diesem Salon jetzt Gespenster ihren Spuk treiben? Wie sollen wir das wissen? Die Bertramka ist als Liebesvilla so pst gebaut, daß selbst in diesen doch vierfenstrigen Ecksalon kein indiskreter Blick zu dringen vermag. Von hier oben sieht man nichts als ein grünes Brettertor, den Hofweg, auf dem ein ausrangierter Schubkarren steht und eben eine lahme Katze humpelt, und einen unbewohnbaren Schuppen. Überdies ist noch ein Paravent vor die Fenster geschoben: der großmächtige Kastanienbaum, dessen Laub zwar, wir sind im Spätherbst, »Fiesco« geschoren, dessen Geäst aber derart dicht und breit ist, daß man selbst mit einem Feldstecher von außen nichts erlugen könnte. Längs der ganzen Innenfront ist überdies ein geschlossener Korridor gelegt wie das Schloß auf Papagenos Mund.
Und die Bewohner des Hauses? Die Besitzerin, Frau Sliwenski, die trotz Wohnungsknappheit die Mozartzimmer als ein für irdische Dinge unverwendbares Heiligtum behütet, ihre Freundin, die Pastorswitwe Molnar, deren Gatte einst aus Pilsen nach Prag berufen worden war, um die Leiche von Franz Palacký einzusegnen, und deren Sohn, mit dem ich 1915 im Užoker Paß wirklich gespenstisch-grauenhafte Nächte verbracht hatte – sie zeigen die kostbaren Andenken an den großen Tondichter, sie geben sogar (wenn auch anscheinend nicht gerne) alle Auskünfte über die Gerüchte von Gespenstererscheinungen in ihrer Wohnung, sie weinen, wenn man von dem oder jenem spricht, der hier in der Bertramka starb und vorher oder nachher mit dem Spuk in Zusammenhang gebracht wurde, sie lächeln gar nicht über die Geistererzählungen, aber . . . Aber: sie fügen hinzu, das Gebäude sei leider so vertrackt gebaut, daß dem Munkeln freie Bahn gelassen ist und man nichts recht überprüfen kann und daß eine merkwürdige Akustik jedes Knacken des alten Mobiliars klingen läßt, als ob zumindest ein Steinerner Gast im Hause wäre. Auch auf die silbernen Birken und die Reste der Rokokostatuen im Garten weisen sie hin, die im bewegten Abendnebel leicht Leben zu gewinnen und Menuette zu tanzen scheinen. Und indem sie dem Geistersucher in alten Tassen heißen Tee servieren, bitten sie ihn »nur« um eines: »Um Gottes willen, nur keinen Namen nennen! Man kann doch nicht tote Menschen in die Zeitung geben und von ihnen schreiben, daß sie bei Nacht herumlaufen.« Der Besucher führt den Goldrand der bauchigen Teetasse zum Mund, und obwohl er in seinem Leben schon lockenden und raffinierten Bestechungsversuchen widerstanden hat, sagt er unbedacht zu, die Namen der angeblich ruhelosen Toten zu verschweigen, trotzdem sie alle mit der Mozarttradition in irgendeinem Konnex stehen.
Die Schafferin wird herbeigeholt, die Großsiegelbewahrerin der Gespenstererzählungen. Gleich wird sie dasein, sie muß bloß erst ihre neue Schürze umbinden; also warten wir ein paar Minuten auf die kokette junge Dame! Dann erscheint sie: Frau Anna Hořejši, vierundachtzig Jahre alt, ein verrunzeltes Frauchen, seit einunddreißig Jahren in der Bertramka bedienstet. Allnächtlich hört sie, wie im Mozartsalon Karten gespielt werden. Schritte gehen zum runden Spieltisch, in den Goldschüsselchen klirren Münzen, wieder werden Spielkarten auf den Tisch geschleudert, und dann macht sich jemand mit Schürhaken und Kohlenschaufel am Ofen zu schaffen. Die alte Hořejši hat dafür eine fromme Erklärung: Jemand, der im Hause gewohnt und eben in jenem Salon gestorben ist und den sie gut kannte, hat Abend für Abend gespielt, auch am Sonntag, ja, und einmal sogar, um Gottes willen, am Karfreitag. Frau Hořejši holte sich beim Kleinseitner Friedhofspfarrer Rat, und der hat ihre Ansicht bestätigt: Die arme Seele habe im Grabe keine Ruhe, man müsse für sie eine Messe lesen. Die greise Schafferin bezahlte die Totenmesse, und seit der Zeit ist das gespenstische Kartenspiel seltener geworden. Auch das Stochern im Ofen, das gleichfalls bei Lebzeiten der verstorbenen Person zu deren Gewohnheiten gehört hat, ließ etwas nach.
Frau Hořejši berichtet ferner von der nächtlichen Begegnung, die der Franz, der Hausmeisterssohn, gehabt hat. Der kommt eines Abends spät nach Haus und sieht im Mondlicht eine verschleierte Weiße Dame um das Haus gehen. »Was machen Sie da?« fragt er. Die Fremde hebt einen Finger und spricht: »Ich gehöre her. Aber du gehörst nicht her. Und du wirst in einem Jahre nicht mehr dasein.« Am nächsten Tag hat's der Franz genau erzählt, mit dieser Prophezeiung, nur der Mutter, damit sie sich nicht ängstige, verriet er nicht, was das Gespenst gesagt, und grün wie eine Wiese hat er sich zu Bett gelegt und war lange krank. Einmal schreit er mit einer Gestalt, die ihn erwürgen will; als der Pepi, sein Bruder, der neben ihm liegt und auch Schritte vernommen, jedoch nichts gesehen hat, aufspringt, ist der Geist verschwunden. Am nächsten Tage war der Franz tot . . .
»Das stimmt alles aufs Wort«, nickte die Besitzerin der Bertramka, »aber der Franz hat schwer gefiebert und Halluzinationen gehabt. Und der Pepi war eben auch aufgeregt.«
»Haben Sie einmal einen Geist gesehen, Frau Hořejši?«
Die Schafferin schlägt ein Kreuz. »Niemals. Ich habe sie oft gehört, die Seelen, aber nie gesehen. Der Herr Jesus Christus müßte mich ja strafen, wenn ich etwas lügen wollte. Mit solchen Sachen treibt man keine Scherze.«