Egon Erwin Kisch
Hetzjagd durch die Zeit
Egon Erwin Kisch

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Besuch beim Prager Schinken

Schlendert man, von einer schweinebevölkerten Hazienda kommend, durch die Straßen von Buenos Aires, so grüßt auf einer Firmentafel: »Jamones de Praga«. In Yorkshire, wo es gelungen ist, die berühmten Schweine zu züchten, deren überflüssiger Teil, der Kopf, auf Kosten des Leibes ganz verkümmert ist, achtet man den Bischof Teweles vielleicht nur deshalb, weil er von Zeit zu Zeit seinen Gästen »Prague Hams« vorsetzt, die er sich pietätvoll aus seiner einstigen Heimat schicken läßt. Selbst in Mainz gibt es ein Prager Schinkenstübel, was die französische Besatzung überraschte, da in Frankreich der westfälische Schinken »Jambon de Mayence« heißt und sie nicht begriff, daß in seiner Vaterstadt der Rivale Anziehungskraft besitzen könne.

Dem Prager in der Fremde macht man zuerst das Kompliment, daß seine Heimat guten Schinken hervorbringe; für so viel Liebe, für so viel Nutzen und für so viel landsmannschaftliche Treue ist man in Prag durchaus nicht dankbar. Zwar ist dort »Schinken« kein Schimpfwort wie der Name des Tieres, das ihn spendet, doch kümmert man sich wenig um ihn. Man ißt das, aber man spricht nicht davon; er war eben, nehmt alles nur in allem, ein Schweinepopo. Ein Berliner Importeur Prager Schinkens (er ist nie in Prag gewesen und seine Schinken ebensowenig) ersuchte vor kurzem einen Freund, er möge ihm aus Prag Propagandamaterial mitbringen, Ansichtskarten, Bücher, Embleme, die auf diesen bekanntesten Ausfuhrartikel Bezug haben. Er dachte wahrscheinlich, die Form der Schinkenkeule sei die Umrahmung des Prager Stadtwappens, die Landesfarben der mageren und der fetten Schinkenseite zu Ehren rot und weiß, die Türme und Schlote keulenförmig erbaut und rosa angestrichen, das Zentrum der Stadt heiße Schinkenplatz, die Schutzleute regeln den Verkehr mit dem Schinkenbein in der Hand, die Heimatkunst werfe Hunderte wissenschaftlicher und belletristischer Werke über den Schinken auf den Markt und die Maler schaffen nur Schinkenstillleben. Das Schinkenmuseum, dachte er, stehe als Kathedrale da, die Trichinen würden in einem Konzentrationslager festgehalten, die Universität habe eine schinkologische Lehrkanzel, wenn nicht gar Fakultät, die Zeitungen eine große Rubrik, in der der tägliche Auftrieb von Schweinen samt Gewichten und Preisen börsenmäßig verzeichnet werde, Jubiläen, Biographien, freudige Familienereignisse hervorstechender Schlächter und berühmter Muttersäue, marktwichtige Todesfälle, Spezialberichte aus den Räucherkammern, Statistiken über den Export und so weiter. Die Coupletsänger stellte er sich mit nichts anderem beschäftigt vor als . . .

Aber weshalb sollen alle seine Vermutungen aufgezählt werden? Genug daran, daß dem nicht so ist. Nicht ein Wörtchen kann man in Prag über den autochthonen Schinken auftreiben. Der Zettelkatalog der Universitätsbibliothek und die Archive der Zeitungen enthalten keinerlei Material, im »Slovník naučny« existiert überhaupt kein Schlagwort »šunka« (im deutschen Konversationslexikon wird unter »Schinken« der Prager Schinken wenigstens lobend hervorgehoben), und sub »vepř« steht auch nichts darüber. Nur in seinem Heim läßt sich der Schinken – den die Prager Deutschen mit beschimpfendem Femininum »die Schinke« benennen – finden, in der Selchwarenfabrik.

Zuerst erfährt man dort, was dazugehört, ein Schinkenerzeuger zu werden: man muß Chmel heißen. Wer diesen Namen führt, ob er nun bisher Geschäftsreisender, Bankbeamter, Schneider oder Katechet war, dem stellt man sofort Kapital für die Errichtung einer Selchwarenfirma zur Verfügung. Dagegen ist auch am ältesten und tüchtigsten Metzgergehilfen Chmel und Malz verloren, er kann sich niemals etablieren, wenn er nicht in männlicher Deszendenz dem Geschlechte der Chmeliden entstammt. Der englische Schinken ist salzig, der westfälische schmeckt roh und faserig, der Prager aber ist saftig und zart. Wieso? Die großen Fleischkönige wie Swift oder Armour aus Chicago kamen nach Prag, das zu erkunden, sie engagierten die Meister weg – es gelang ihnen doch nicht, in Chicago Prager Schinken herzustellen. »Es waren eben keine Chmels!«

Ein Mythos schlingt sich um die Prager Schinkenfabrikation: Man erzählt in der Branche des Auslandes, die Schweine söffen vor dem Schlachten Pilsner Bier, der Sole, in der die Schinken lagern, und dem Heizmaterial seien geheime Essenzen beigemischt, für die Räucherung werde besonderes Obst verwendet und der Schinken in einer Umhüllung aus Brot gebacken. Nichts davon ist wahr, versichern die Eingeweihten. »Man muß bloß Chmel heißen, das übrige besorgt der lokale Bazillus!« Und was ist der lokale Bazillus? »Der ist nicht entdeckt.«

Nirgends im Herstellungsprozeß ist seine Spur zu finden. Im gekühlten Souterrain hängen Hunderte von Schweinen tot. Gestern noch hatten sie wollustgrunzend aus dem Trog gefressen, der diesmal besonders gut gefüllt war, damit in der Prager Schlachtbank ihr Gewicht größer sei, und behaglich im Schmutze wühlend, ahnten sie nicht, heute tot und sauber zu sein. Sie sind bereits abgebrüht worden, und ihre rosaglänzende Farbe erfüllt den Keller mit Helligkeit. Fleischergehilfen hacken mit sicherem Hieb »in den Wirbel zwischen Speckseite und Schinken« – eine anatomisch exaktere Bezeichnung kennen sie nicht – das Hinterteil ab, lösen das Schwänzchen und die Zehen los, schneiden die Hinterbacken auseinander und machen einen die Keule rundenden Ausschnitt. Diese Urschinken werden mit Salz bestreut und müssen nun ablagern; dann wirft man sie in riesige Bottiche mit Salzbrühe, den »lák«, wo sie fünf bis acht Wochen zur Pökelung bleiben. Die Wärmeverteilung ist die wichtigste Prozedur, nach Gefühl und Erfahrung wird reguliert, man arbeitet in verschiedenen Phasen des Pökelungsprozesses mit Temperaturen von 0 bis 48 Grad Celsius. Wenn die präsumtiven Schinken gar sind, vom Salz bis zum Knochen durchzogen (ein an der Färbung erkennbarer Zustand), kommen sie hinauf in die Werkstätten, um in fließendem Wasser mit Reisbürsten gewaschen zu werden. Ein Gehilfe steht am Wasserbecken und sticht mit hölzernem Dolch jedem heranrutschenden Schinken zweimal tief in den Leib und führt die Spitze des Holzstiletts zur Nase – er riecht, ob das durchbohrte Stück nicht minderwertig ist oder gar angefault. Für die gesunden Schinken sind die Räucherkammern bereit: Auf Haken, in dichten Reihen eingerammt, wie in einer Garderobe, hängen sie. Darunter glühen Scheite von Buchenholz, kreuzweis geschichtet, und kreuzweis lecken die Flammen gegen die Reversseiten der Schweine; aber sie erreichen sie nicht. Nur der heiße Rauch küßt sie. (In Westfalen setzt man den Schinken bloß trockenem Rauch von glimmenden Sägespänen aus.) Das Räucherungswerk ist nach zwölf Stunden vollendet, die für den Lokoverkauf bestimmten Schinken kocht man in Kesseln, den zum Export gelangenden (jährlich etwa eine halbe Million) brennt man auf Gasöfen Firmenstempel und Schutzmarke ein, näht sie in Säcke, wenn sie innerhalb der Tschechoslowakei oder nach Wien verschickt werden, verpackt sie in Körbe, wenn sie nach Frankreich, in die Türkei, nach Ägypten oder Griechenland wandern, und in Kisten, wenn ihr Bestimmungsort in Deutschland liegt. Über den Ozean, nach Tokio und Adelaide, fährt der Schinken in Blechdosen: In der Konservenabteilung kann man sehen, wie man ihm den Knochen aus dem Körper zieht und diesen in den blechernen Panzer preßt, darin hermetisch verlötet, kocht und vignettiert. »Jambon de Prague, cuit dans son propre jus« oder »Prague hams cooked in their own juice«.

Das ist alles, lieber Herr Importeur, was ich über den Prager Schinken in Erfahrung zu bringen vermochte, und hoffe ich, daß Ihnen damit gedient ist.

 


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