Egon Erwin Kisch
Hetzjagd durch die Zeit
Egon Erwin Kisch

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Mysterien des Hydrographischen Instituts

I. Merkwürdige Gewächse im Institutsgarten

Du wirst, in das Hydrographische Institut der k. u. k. Kriegsmarine tretend, den Garten zuvörderst für nichts anderes halten denn für einen Luxuspark mit nettem Pavillon, mit Blumenrabatten und frisch aufgeworfener Erde, in die man wahrscheinlich eben Wurzeln gepflanzt hat.

Doch hat der Pavillon, den deine Phantasie mit dem Trianon verglich, niemals eine Pompadour beherbergt, niemals galanten Frauen zum Schäferspiel gedient. Er ist auch nicht so diskret. Im Innern ist einer, der genau aufpaßt, daß die Erde keine Sprünge macht, und jede derartige Entgleisung kreidet er unerbittlich an. Ihm, dem Herrn Horizontalseismographen, ist dieses Institut erbaut, sein Katheder ein betonierter Felsen des Monte Zaro, er selbst von eiserner Strenge und ein gewichtiger Herr von tausend Kilo. Daß in der Klasse Ruhe herrscht, darauf hat er zu achten, und wenn in der letzten Bank gemuckst wird, in Reykjavik oder in Buenos Aires, so merkt er die Bewegung unter seinen kardanisch gelegten Füßen, und in sein Klassenbuch, ein berußtes Papier, das mittels einer Uhr ununterbrochen um eine Walze gedreht wird, notiert er mit seinen feinen Aluminiumschreibfedern genau die Richtung, die Art, die Dauer und die Entfernung der mutwilligen Störung.

Aber die Gartenlaube gegenüber, das ist doch eine Gartenlaube? Nein. Hier ist nicht Raum für Picknick und Familienidyll. Minimalthermometer sind darin, die die niedrigste Temperatur des Tages anzeigen und festhalten – mag sich's das Wetter nachher tausendmal überlegen und in hohe Wärmegrade steigen, die Skala kennt keine Amnestie, keinen Rekurs und keinen Milderungsgrund. Das Maximalthermometer nebenan macht es ebenso.

Die zarten, aus den Beeten sprießenden Röhren sind keineswegs exotische Blumen, sondern Thermographen, unter den frischen Erdschollen nicht Hyazinthen- oder Tulpenzwiebeln, sondern Thermometer. Man muß wissen, wie heiß es vier, sechs, acht Meter tief im Innern der Erde ist, wo nicht jeder Windhauch das Quecksilber beeinflußt.

Auf diesen reizenden Steintisch, geschaffen für ein Symposion, ist nie eine Bouteille Wein aufgefahren, nie ein Braten. Die Platte ist dazu bestimmt, Nivellierungsinstrumente aufzunehmen und zu prüfen.

Die grünen Bäume? Grün sind sie wohl, aber Bäume nicht. Es sind Regenmesser. In den Schalen, die für Baumkronen gehalten werden könnten, sammelt sich Regenwasser, und der Schwimmkörper darin zeigt nach der Höhe und der Geschwindigkeit seiner Steigung auf der Tabelle die Intensität. Der Papierkorb dort? Ist kein Papierkorb, ist ein Verdunstungsapparat. Auch der hohe Mast dient nicht zum Anlegen von Flaggengala, seine Antenne, in den Kohärer leitend, hält Gewitter- und Ätherschwingungen graphisch fest.

Ist das das Gärtnerhäuschen? Abermals fehlgeschossen: das erdmagnetische Observatorium. Seine Kellerräume reichen bis in die Höhlen und ausgemauerten Stollen des Zaroberges, aus denen die Venezianer Saldame holten, die feine Kieselerde, um sie zu Glas zu verarbeiten. Für solchen Mumpitz ist keine Zeit mehr. Jetzt werden da unten Deklination, Inklination, Horizontalintensität, die drei Komponenten des Erdmagnetismus, festgestellt, ohne deren Kenntnis die genaueste Spezialkarte und der schönste Kompaß den Marineuren auf hoher See nichts nützen würden.

Glaskugeln schmücken den Rasen, jedoch nicht zur Zier. Es sind Löschbomben, gegen Feuersbrunst in Bereitschaft.

Und das grüne Zeug auf den Beeten? Das ist Gras, wirkliches Gras!

 

II. Bitt schön, wie spät ist's?

Die Frage kann wichtig sein: Man könnte ein Stelldichein versäumen, die letzte Elektrische verpassen, zum Abendbrot zu spät kommen oder – zu früh ins Büro. Zum Glück erteilt jeder Passant, jeder Kellner, jeder Kupeegenosse freundlich Auskunft, und auch Damen dürfen auf der Straße Herren ansprechen, um zu erfahren, wieviel es geschlagen hat. Turmuhren, Transparentuhren an Straßenkreuzungen und Schaufenster der Uhrmacher antworten sogar ungefragt.

Auf dem Dampfer gibt es zwar Türme, doch keine Turmuhren, Uhrmacher, doch keine Schaufenster, und gerade dort ist die Zeit das Allerwichtigste, weil aus dem Vergleich der Uhr mit der durch astronomische Beobachtungen festgestellten Ortszeit die erreichte geographische Länge bestimmt wird, wenn man nicht weiß, wo man ist, kann man auch nicht wissen, wie man weiterfahren soll, das Wasser sieht überall gleich aus, und es ist kein Stationsvorstand da, bei dem man sich nach der nächsten Verbindung erkundigen könnte. Soll der Navigationsoffizier, dessen alte Zwiebel in der Westentasche voraus- oder gar kaputtgeht, vom Kommandoturm in die Offiziersmesse hinunterlaufen, zum Steward: »Bitt schön, wie spät ist's?«

Der Erkenntnis von der Unschicklichkeit derartiger Situation verdankt nicht bloß die Erfindung des Chronometers, sondern auch die Einrichtung von Sternwarten bei der Kriegsmarine ihr Entstehen, und besonders die Chronometerdepots, die Ersatzbataillone von Uhren: die werden hier assentiert, präsentiert, ins Grundbuchblatt eingetragen, müssen Kurse mitmachen und Prüfungen ablegen, zur Marodenvisite vorgeführt werden, erhalten einen Militärpaß mit Beschreibung (Uhren höherer Rangklassen eine Qualifikationsliste) und gehen schließlich auf den Kriegsschauplatz ab, von wo sie erkrankt oder verwundet hierher zurückkehren beziehungsweise nicht mehr zurückkehren. Seemannstod. Noch vierundzwanzig Stunden kann die Uhr auf dem Meeresgrund durch den Schlag ihres Räderwerks das sie umlauernde Ungetier davon abhalten, sie anzufallen, dann verstummt dieser letzte Rest von Taktik.

Zuhöchst im Rang der Uhrenhierarchie sind die beiden astronomischen Pendel von Riefler, und nach ihnen haben sich alle zu richten, Büchsenchronometer, Deckchronometer und kleine Sekundenuhren, Chronographen und Stoppuhren. Die zwei Pendeluhren werden auf dem Observatorium mittels Sonnen- und Sternendurchgängen oder Azimutbeobachtung kontrolliert, an Hand des Passageinstruments, das die Zeit nach dem Durchgang der Sterne durch den hiesigen Mittagskreis (55 min 23 sec n. Gr.) feststellt, oder des Meridiankreises, eines Riesenfernrohrs von sieben Zoll Linsendurchmesser, nur längs des Meridians beweglich und in das der Beobachter liegend schauen muß, weshalb auch ein Sofa unter dem Objektiv steht.

Jede Uhr hat täglich genau zur selben Minute Reveille, alle werden in stereotyper Reihenfolge aufgezogen, und das Zimmer weist immer den gleichen Wärmegrad auf. Das Examen der Büchsenchronometer erfolgt in anderen Räumen, den Prüfungssälen, für jeden Chronometer werden auf einem Kurvenblatt die bei steigender und fallender Temperatur (zwischen 10 Grad und 38 Grad Celsius) erhaltenen Gänge graphisch dargestellt und nach Krümmung und Verlauf der Kurven auf kompliziertem mathematischem Wege die absolute Größe des Ganges, die Größe der Temperaturkorrektion und die Gangsprünge konstatiert, die sich bei Änderung der Luftwärme ergeben.

Die Frage »Bitt schön, wie spät ist's?« ist leicht gefragt, aber vom Fachmann nicht leicht beantwortet.

 

III. Der Barometermacher auf der Zauberinsel

Das erste Stück, bei dem ich im Theater war, war die Zauberposse vom Schiffbruch und Glück des Wiener Barometermachermeisters. Vielleicht brachte ich deshalb die Barometermacher stets mit der Geheimniswelt in Verbindung, vielleicht taucht diese Ideenassoziation von selbst auf, was Raimund veranlaßt hat, einen Vertreter obenbezeichneter Standesgruppe zum Titelhelden seines Stückes zu wählen. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wie eine Barometermacherwerkstätte im allgemeinen und die des fallierten Bartholomäus Quecksilber im besonderen ausgesehen haben mag.

Heute habe ich eine besucht, das Instrumentendepot eine Fabrik mit Drehbänken, Tischlereien, Galvanisierungs- und Magnetisierungsanlagen und Treibriemen, mit Indikatoren und Vergleichsapparaten, mit langgestreckten und hochgefüllten Versanddepots, mit Feinmechanikern, Uhrmachern und Optikern. Allerdings werden hier nicht bloß Barometer erzeugt wie im Unternehmen des Herrn Quecksilber, sondern auch Aneroide, Barographen, Decklogs, Navigationspeilscheiben, Distanzmesser, Distanzrahmen, Prismenbinokels, Stangenfernrohre, Scherenfernrohre, Peilfernrohre, Spiegelgoniographen, Logs, Sextanten, künstliche Horizonte, Schleuderthermometer, Krängungsmesser, Wasserthermometer, Kompasse für Schiffe und Flugzeuge und ähnliche Dinge, auf deren Erzeugung sich unser Bartholomäus hätte werfen sollen, um keiner Feengaben zu bedürfen und statt mit Hilfe eines problematischen Staberls mit Heereslieferungen Gold zu machen. Denn der Bedarf von Heer und Flotte an solchen teueren Instrumenten ist groß, die Marine braucht zu nautischen Zwecken Tausende davon, auch zu meteorologischen, trotzdem im ersten Theaterstück meines Lebens der Held dies bestritten und eindringlich gesungen hat:

Was braucht man Barometer
Auf dieser Welt noch mehr?
Ein jeder macht sich 's Wetter,
So wie's ihm g'fallt daher.

 


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