Josef Kastein
Eine Geschichte der Juden
Josef Kastein

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Passive Geschichte

Zur gleichen Zeit, da Babylonien dem Judentum eine neue Aktivität vermittelte, beginnt für das Judentum in den europäischen Ländern, soweit sie sie damals besiedelt hatten, der passive Zeitraum. Passiv bedeutet hier: man zwang die Juden, 324 Geschichte zu erdulden. Eine fremde Macht: die christliche Kirche – nicht die christliche Religion – trat ihnen bei jeder Begegnung in den Weg und versuchte, sie zu bekehren, und wo ihr das nicht gelang, sie zu vernichten, mindestens aber, sie auf die geringste denkbare Stufe der Existenz herabzudrücken.

Die Vorgänge wiederholen sich in größter Eintönigkeit in allen europäischen Ländern und immer mit dem gleichen Ablauf des Geschehens. Zunächst wohnen die Juden und die eingesessenen Völker nebeneinander in allem Frieden und mit den normalen nachbarlichen, beruflichen und geistigen Beziehungen. Sobald die christlichen Missionare erscheinen, ändert sich das Bild. Ihre werbende Tätigkeit ist nicht nur darauf abgestellt, Heiden zu Christen zu bekehren, sondern zugleich, sie mit allen erdenklichen Mitteln von den Juden fernzuhalten und sie in einen Gegensatz dazu zu bringen. Das war nicht immer leicht, denn die vielfache Verknüpfung menschlicher und wirtschaftlicher Interessen war sehr oft stärker als der Gehorsam gegen die neue Religion. Aber was der Glaube nicht bewirkte – genauer: was der Glaube gar nicht bewirken durfte, wenn er sich selbst als »Religion der Liebe« nicht ad absurdum führen wollte – bewirkte die Kirche, das heißt: das Christentum in seiner Ausgestaltung als politische Institution.

Über ihre Entstehung ist schon gesprochen. Wir haben es jetzt für die jüdische Geschichte mit ihrer Auswirkung zu tun. Es wird damit eines der dunkelsten und leidvollsten Kapitel in der Geschichte von Menschen überhaupt berührt. Wenn man die Unzahl der Grausamkeiten, Martern, Verfolgungen, Morde, Schlächtereien, Rechtsbeschränkungen und Quälereien an sich vorüberziehen läßt, die das Judentum seit ewigen Zeiten vom Christentum hat hinnehmen müssen, dann muß man sich sehr ernsthaft die Frage stellen, ob man dafür das Christentum als Religion, als religiöse Idee, überhaupt verantwortlich machen kann. Tut man es, glaubt man den Christen, die da sagten, daß sie im Namen ihres Glaubens, im Namen Jesu handelten, 325 dann muß man die reale Tragfähigkeit der ethischen, der sozialen, der mitmenschlichen Idee im Christentum schlechthin in Abrede stellen. Aber der Respekt des Juden vor jedem Glauben als einem Ausdruck des höchsten inneren Erlebens und der jüdische Wille zum menschlichen Ausgleich eröffnen eine andere Möglichkeit der Beurteilung: der größte Teil der Manifestationen, die sich mit dem Decknamen des Christentums bekleidet haben (und bekleiden), sind – jenseits wahrer Religion – politische Akte und Ergebnisse.

Diese Kirche hat, in Italien wie in Gallien, im fränkischen Reich wie in Spanien, den Kampf gegen das Judentum aufgenommen. Die Brutalität des Kampfes wächst in dem Maße, wie der Kampfplatz von Rom entfernter ist. Man kann ihm – als politischem Kampf – nicht die Berechtigung und Logik absprechen. In dem jungen Papsttum hatte die Idee der Ausschließlichkeit der christlichen Religion ihre Verkörperung erfahren. War die Religion ausschließlich, so mußte auch das Herrschaftsgebiet ausschließlich sein, das heißt: es mußte die ganze Welt umfassen und mußte in dieser ganzen Welt niemanden dulden, der sich nicht der Herrschaft, dem Christentum, unterwarf. Aus diesem imperialistischen Gedanken kommt die enorme Stoßkraft der christlichen Propaganda. Wo das Wort nicht bekehrte, tat es das Schwert. Aber es gab überall eine Gruppe von Menschen, die weder vor dem Wort noch vor dem Schwert kapitulieren wollten: die Juden. Sie waren der lebendige Gegenbeweis gegen das Recht der Kirche, sich die Ausschließlichkeit der Herrschaft anzumaßen. Dieser Gegenbeweis mußte vom Christentum widerlegt und, wo das nicht ging, beseitigt werden.

Die Macht dazu besaß es. In einer Zeit, die den Zusammenbruch des römischen Weltreiches, die Völkerwanderungen, die Entstehung neuer Reiche, die Auflösung aller bisherigen Gewalten und das Ringen um die Bildung neuer Gewalten erlebte, war allein das junge Christentum mit einer einheitlichen, 326 durchgehenden und im wesentlichen gleichbleibenden Idee auf dem Kampfplatz. Mit Ost- und Westrom als christlichen Staaten im Hintergrunde konnte es methodisch und systematisch die politischen Kräfte gegeneinander ausspielen und sich dienstbar machen. Der Exekutor war der Klerus.

Hatten die Juden bisher nur die Botmäßigkeit fremder Könige zu ertragen, so erwuchs ihnen jetzt im Klerus eine neue. Waren die fremden Könige je nach Einsicht, Gesittung und Laune gut oder schlecht zu den Juden, so konnte der Klerus offiziell nur eine feindselige Haltung einnehmen. Von allem Anfang an war das christliche Priestertum mit Macht begabt, ursprünglich aus eigenem Recht her, dann steigend aus der Idee der Nachfolgerschaft Christi. Wenn die Religion die politischen Grenzen eines Landes überschritt, tat die Geistlichkeit den gleichen Schritt, aber sie fühlte sich zu einer übernationalen Organisation gehörig. Die Macht, die ihnen nach und nach über die Menschen, über die Seelen eingeräumt wurde, weil nur durch die Vermittlung des Priesters der Mensch zu seinem Heil gelangen konnte, stärkte diese Organisation rückwirkend wieder, weil alle ihre Mitglieder der ihnen eingeräumten Macht wegen an der Quelle der Macht, eben der Organisation, stark interessiert waren. War schon sonst in national abgerundeten Ländern das Priestertum eine Kaste mit strengem Abschluß, so ergab sich für das Christentum bei jeder Überschreitung der politischen Grenzen eine Geistlichkeit als übernational organisierte Gemeinschaft, eine Kaste, die von der Macht lebte, die sie selbst innerhalb der Kaste erzeugte. Von daher ist zu verstehen, daß in allen Ländern der Klerus einheitlich reagierte. Nur Geldinteressen brachten die einzelnen Vertreter zu einer abweichenden Haltung. Die Könige hingegen, als isolierte, nicht durch Organisation verbundene und gestützte Macht, konnten je nach ihrer politischen oder menschlichen Begabung tun, was sie wollten. Sie durften unter Umständen ihrer besseren menschlichen oder auch nur staatsmännischen Erkenntnis folgen und 327 taten es zuweilen im offenen Kampf gegen den Klerus. Dem Klerus aber hätte eine solche Einstellung der Todesstoß der Organisation und damit seiner Macht bedeutet. Darum ist ihre geistige Reaktion zielstrebiger, hartnäckiger, bösartiger gewesen und für die jahrhundertelange Vertierung und Knechtung der Menschen verantwortlicher.

Die Juden boten sich als Objekte der Macht von allem Anfang an als geeignet dar. Sie waren ungefährlich, weil sie keine effektive Gewalt besaßen. Die Gewalt, die sie nach innen durch ihre Selbstverwaltung besaßen, brach man in Italien und Byzanz schon 398 dadurch, daß man ihnen die eigene Gerichtsbarkeit nahm. Damit lieferte man sie und ihre Lebensverhältnisse dem Zugriff des Staates und der Geistlichkeit aus. Dennoch waren sie gefährlich, denn die Loslösung der neuen Christen von ihren vielfachen Beziehungen zu den Juden geschah nicht spontan genug, um eine stille Gegenpropaganda der Juden unter den Heiden von gestern unmöglich zu machen. So wie das Christentum das Judentum zur Voraussetzung hatte und wie es in seinen Anfängen und für seinen Aufbau überhaupt nur aus jüdischen Formen leben konnte, so war auch noch in dieser Zeit eine Summe von inneren Abhängigkeiten vorhanden, die sehr viele Christen in Anschauung, Bräuchen und Lebensformen zu den Juden hinneigen ließ. Christen wohnten dem Gottesdienst in den Synagogen bei. Sie hielten mit den Juden die Fasttage, den Sabbat, das Neujahr, das Passah- und das Laubhüttenfest. Wenn in Prozessen ein Eid zu leisten war, zog man es vor, ihn in der Synagoge leisten zu lassen, weil er feierlicher und verpflichtender sei als der in der Kirche geleistete Eid. So hatte die Kirche nicht nur gegen die Heiden zu kämpfen, sondern auch gegen die Judaisierenden in ihren eigenen Reihen.

Dieser Kampf ließ sich auf zwei Wegen führen: auf dem der künstlichen Absonderung der Juden von den Christen und auf dem der Bekehrung der Juden. Beide Wege wurden abwechselnd und gleichzeitig beschritten. Eine Unzahl von Beschlüssen 328 auf den verschiedenen Konzilien befaßt sich mit Vorschriften über die Absonderung der Juden von der christlichen Umwelt. Von der Mischehe bis zur gemeinsamen Mahlzeit wird jeder Verkehr unterbunden. Schon im 6. Jahrhundert wird im Frankenreich der Merowinger die Vorschrift ausgeheckt, daß sich die Juden Ostern vier Tage lang nicht auf der Straße sehen lassen dürfen.

Eine solche Verfügung ist sehr aufschlußreich. Wenn die Absonderungsmaßnahmen wirksam werden sollten, brauchten sie für das schlichte Volk eine ausreichende Begründung. Politische und theologische Erwägungen reichten dafür nicht aus. Es mußte an den Instinkt appelliert werden, an den religiösen Fanatismus, an die Bereitwilligkeit der Menschen, sich selbst als Auslese und die anderen als Aussatz zu empfinden. Darum wurde nichts versäumt, was den Juden durch Ausnahmevorschriften in den Augen der neuen Christen verächtlich machen konnte. So lange und so eindringlich hat die Kirche diesen Gedanken in die Gehirne ihrer Gläubigen gehämmert, bis sie in den Ereignissen der Kreuzzüge, des Schwarzen Todes, der Pastorellenzüge und der spanischen Inquisition die blutige Ernte einbringen konnte.

Gewiß: das Judentum, durch seine Eigenart an sich schon zur Absonderung geneigt, hatte sich bei den vielen Kämpfen gegen eine übermächtige Umgebung immer von neuem und in immer anderer Form isoliert. Und doch besteht zwischen dieser freiwilligen Absonderung und dem erzwungenen Abschluß ein Unterschied wie zwischen Notwehr und Verbrechen. Die Absonderung dort ist auf Freiheit der Überzeugung gerichtet und auf das Verlangen, in der Selbständigkeit der eigenen Überzeugung respektiert zu werden; hier dagegen auf Verachtung und Vernichtung des Menschlichen. Erst das Christentum hat in die Absonderung durch systematische Züchtung die verhängnisvolle Note gebracht.

Aber unabhängig davon bestand der Versuch, das 329 Judenproblem durch Bekehrung zu lösen. Das junge Papsttum stand auf dem Standpunkt, man solle den Juden ihre bisherigen Rechte lassen, solle sie nicht bedrücken, sondern nur scharf darauf achten, daß sie keine jüdische Propaganda unter den Christen treiben, und vor allem sollte man ihnen den Besitz christlicher Sklaven untersagen. Im übrigen würden sie schon von selbst zur Vernunft kommen. Die Meinung Gregors I. ging dahin: »Wir gewinnen, wenn auch nicht sie selbst, so doch gewiß ihre Kinder.« Die einzelnen Länder hatten aber ihre eigenen Gedanken über die Bekehrung. Byzanz, das fränkische Reich und später auch Spanien bewiesen den unbedingten Willen, die Juden zu bekehren. Dafür gab es drei Mittel: besondere Prämien und Vergünstigungen für den Übertritt, wirtschaftliche Nachteile für die Widerstrebenden und endlich Gewaltanwendung gegen die durchaus Hartnäckigen.

Für die wirtschaftliche Pression war die Hauptwaffe die Handhabung des Gesetzes über Sklaven. Die Wirtschaft der damaligen Zeit, insbesondere die Land- und Gartenwirtschaft, war durchaus auf der Verwendung gekaufter menschlicher Arbeitskräfte aufgebaut. Man verbot also den Juden bei Verwirkung schwerster Strafen den Besitz christlicher Sklaven. Als die Juden dazu übergingen, heidnische Sklaven zu verwenden, wurde verordnet, daß jeder heidnische Sklave, der zum Christentum übertrat, dadurch frei würde, das heißt: entlassen werden müsse. Es versteht sich, daß viele heidnische Sklaven von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, freie Menschen zu werden. Es geschah auf Kosten der Juden.

Wo auch diese Untergrabung und sehr oft Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz keine Bekehrung zuwege brachten, griff man zur Gewalt; das heißt, man schleppte die Juden in die Kirche und taufte sie. Man stahl ihnen die Kinder und brachte sie zwecks Erziehung im christlichen Geiste in Klöstern oder in christlichen Familien unter.

Diese Vorgänge finden sich einheitlich überall da, wohin das 330 Christentum kam. Wenn wir uns auf die Darstellung der Vorgänge in Spanien beschränken, so geben wir damit das Paradigma und setzen zugleich den Bericht über die zeitliche Folge der Ereignisse fort.

In Spanien besaßen die Juden schon seit dem 1. Jahrhundert Siedlungen, die nach Zahl, wirtschaftlicher Bedeutung und kulturellem Einfluß sehr stark waren. Gerade diese Bedeutsamkeit veranlaßte die spanischen Bischöfe dazu, als erste den Angriff gegen die Juden zu eröffnen. Schon 306, also noch ehe das Christentum im römischen Reich Staatsreligion wurde, beschließen sie auf einem Konzil anläßlich der Beratung über die Heidenbekehrung die scharfe Absonderung der Christen von den Juden, insbesondere das Verbot von Mischehen. Erst durch das Eindringen der Westgoten zu Beginn des 5. Jahrhunderts wird diese Kampfaktion unterbrochen. Die Westgoten waren Arianer, standen also zum orthodoxen Katholizismus in einem dogmatischen Gegensatz. Es ist nicht uninteressant, anzumerken, daß die Arianer (also diejenigen, die an die Wesensähnlichkeit Christi und Gottes und nicht an ihre Wesensgleichheit glauben) gegen Andersgläubige immer tolerant waren. Auch bei dem Ostgoten Theoderich war es so. Erst mit dem Bekenntnis zum Athanasianismus flammt der religiöse Fanatismus auf und entlädt sich gegen alles Andersgläubige.

Nicht anders war es bei den Westgoten in Spanien, als sie sich (unter Reckared I., 586–601) vom Arianismus lossagten. Da explodierte in ihnen der Größenwahn der Macht zugleich mit dem religiösen Fanatismus. Das war möglich, weil hier zum erstenmal Kirche und König zusammenwirkten, die Autorität beider Gewalten identisch war und Beschlüsse der Konzilien folglich zugleich Staatsgesetze waren. Die Gesetzgebung, die sich daraus ergab und die Montesquieu »kindische, bizarre und blödsinnige Elaborate« genannt hat, wollte die Einheit von Staat und Kirche mit jedem verfügbaren Gewaltmittel erzwingen. Da die Juden auch bei schärfster Anwendung der Gesetze nicht 331 Christen werden wollten, wurde ihnen 613 (unter Sisebut) das Ultimatum gestellt: Taufe oder Auswanderung. Ein Teil der Juden, der mit seinem Grundbesitz verwachsen war, trat zum Scheine zum Christentum über. Ein anderer Teil wanderte nach Nordafrika aus. Diejenigen, die nach dem fränkischen Reich auswanderten, gerieten in die Hände des Merowingers Dagobert, der sie vor die gleiche Alternative stellte: die Taufe zu nehmen oder weiterzuwandern. Es scheint, daß sie im Christentum aufgegangen sind.

Der nächste König, Swintila, der sich mehr um die Politik seines Landes als um die Kirche kümmerte, ließ es zu, daß die Scheinchristen wieder zum Judentum zurückkehrten. Das war eine Niederlage der Kirche, und sie nahm grauenhafte Rache dafür, natürlich nicht an dem König, sondern an den Juden. Als sie wieder das freie Regiment erhielt (unter Sisemant), stellte sie auf dem 4. Konzil zu Toledo das Problem dieser Juden zur Diskussion. Das Ergebnis war dieses: es darf fortan kein Jude mit Gewalt getauft werden; ist er aber einmal getauft, wenn auch mit Gewalt, so muß er Christ bleiben.

Um festzustellen, ob solche Täuflinge nicht doch insgeheim sich der Befolgung ihres wirklichen Glaubens schuldig machten, wurden sie den Bischöfen in einem Umfange zur Kontrolle ausgeliefert, der sie zu willenlosen Gegenständen machte. Die Bischöfe quälten und erpreßten sie hemmungslos, und an dem Konzil, das diese unmenschlichen Erpressungen mit dem Kirchenbanne bedrohte, nahmen die größten Erpresser selber teil. Es beginnt schon hier das seelische Martyrium, das später in dem Kampfe der spanischen Inquisition gegen die Marranen, die jüdischen Scheinchristen, übermenschliches Format bekam.

Aber das war erst der Beginn. König Chintilla (636–640) leistet bei seiner Thronbesteigung den Eid, daß er alle gegen die Juden gerichteten Kanons treu befolgen werde. Die 332 zwangsgetauften Juden, neue Vergewaltigungen befürchtend, unterbreiten ihm und den Bischöfen ein Bußschreiben, ein Placitum, in dem sie geloben, gute Christen sein zu wollen und mit Juden nicht einmal mehr verkehren zu wollen.

Das befreite sie nicht. Sie wurden darüber hinaus noch in den Kampf einbezogen, den König Recesswint (649–672) auch gegen die noch nicht getauften Juden eröffnete. Er erklärt vor dem 8. Konzil (653): »Während der allmächtige Gott in unserem Lande alle Irrlehren ausgerottet hat, ist allein diese gotteslästerliche Sekte noch immer unvertilgt, und so muß sie entweder durch die Kraft unserer Frömmigkeit auf den rechten Weg geführt oder aber mit dem Stock der Rache zu Boden geschlagen werden.«

Die Kraft der Frömmigkeit scheint zur Vernichtung der Juden nicht ausgereicht zu haben, denn der nächste Westgote, Erwig (680–687), mußte zum Stock der Rache greifen. In seiner Eröffnungsrede zum 12. Konzil von Toledo beschwört er die Bischöfe: »Ich beschwöre euch, rafft euch doch endlich auf! Reißt mit der Wurzel die jüdische Pest aus!« Es ergeht ein Gesetz, wonach die jüdische Religion für verboten erklärt wird. Den Juden wird befohlen, sich binnen einem Jahre taufen zu lassen. Wenn sie es nicht tun, trifft sie folgende Strafe: hundert Peitschenhiebe, Ausreißen der Kopfhaare, Verweisung aus dem Lande, Einziehung des Vermögens für den König.

Vor dieser Bedrohung fliehen viele Juden nach Nordafrika, wo sie sich den Arabern anschließen. Das Gesetz kam aber nicht zur Durchführung, weil die Statthalter der Provinzen und die Lehensherren gegen diesen wirtschaftlichen Selbstmord opponierten. Als Schlußpunkt der westgotischen Gesetzgebung tritt dagegen im Jahre 694 das Gesetz des 17. Konzils in Kraft: Alle Juden in Spanien sind von jetzt an Leibeigene des Königs. Er kann über sie wie über einen toten Gegenstand verfügen.

Die christliche Politik mußte noch sechs Jahrhunderte warten, bis sie das Ideal des nationalchristlichen Einheitsstaates 333 verwirklichen konnte. Einstweilen mußte sich das Westgotentum vor dem Einbruch des Islam für lange Zeit in die Bedeutungslosigkeit zurückziehen. Die Juden, denen das Los von Sklaven zugedacht war, konnten inzwischen Träger einer Weltkultur werden.

 


 


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