Josef Kastein
Eine Geschichte der Juden
Josef Kastein

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König Schelomo

Schelomo (Salomo), der Friedreiche, dieses Kind der Liebe und des Begehrens aus der Begegnung eines sinnenfreudigen Königs mit einer hingabebereiten, aber zielbewußten Frau, setzt gleich an den Beginn seiner Regierung seine Willenskundgebung zum absoluten Königtum: drei Morde, die die Umgebung säubern, die seinen einzigen Bruder aus dem Wege räumen und die sein Gewissen nicht im geringsten belasten. Er ist eben nur noch orientalischer König einer Großmacht. Die Probleme, die noch für seinen Vater aus der religiösen Verleihung seines Amtes bestanden, sind für ihn nicht mehr vorhanden. Er hat schlechthin ein Erbe angetreten. Sein Ziel ist, es zu sichern und daraus für sich persönlich und für das Reich als sein Machtgebiet und Machtinstrument den größtmöglichen Ertrag zu ziehen. An das Volk, seinen Eigenwillen, 52 seine Interessen, Sorgen und Probleme hat er immer nur so weit gedacht, als es ihm im Rahmen eines pompösen und absolutistischen Königtums möglich war.

Er hat keine Kriege geführt. Das von seinem Vater eroberte Gebiet war nicht mehr zu erweitern. Er sicherte dieses Gebiet nicht durch die Waffe, sondern durch Eheschließungen. Er heiratete Königstöchter aus den Familien der Ammoniter, Moabiter, Aramäer, Kanaaniter, Chititer, ja sogar eine ägyptische Königstochter, die ihm – die einzige Eroberung Schelomos – die Stadt Gaser in die Ehe brachte. Ein antizipierter Habsburger.

Die Sicherung nach außen versuchte er durch eine Sicherung nach innen zu ergänzen. Hier konnte ihm gefährlich werden, was seinem Vater den Rest des Lebens verbittert hatte: der unentwegte Drang der einzelnen Stämme nach einer denkbar großen Wahrung ihrer Unabhängigkeit, ihr bis zur Eifersucht gesteigerter Dünkel auf ihre Eigenart. Auch war dieser enge Stammesverband immer noch Träger einer patriarchalischen Lebensauffassung und so schon begrifflich ein äußerster Gegensatz zur absoluten Monarchie. Mit tiefem Bedacht unternahm es Schelomo, diese Stammesverbände und die Stammesgrenzen zu zerreißen. Er zerlegte das Land in zwölf Verwaltungsdistrikte mit je einem königlichen Vogt an der Spitze. Er erreichte damit zugleich das weitere Ziel, für seine ungewöhnlichen Anforderungen an Steuern und Naturalleistungen eine übersichtliche Organisation zur Hand zu haben. Über den Distriktsvögten stand ein Obervogt, über die Steuern wachte ein Hauptsteuereinnehmer, über das Heer ein Oberbefehlshaber, zum Oberpriester wurde Zadok ernannt, der Begründer einer tausendjährigen erblichen Priestergeneration. Alle diese Ämter und Ernennungen lagen im direkten Verlauf der Tendenz, den nunmehr aufgelösten Stämmen einen neuen Orientierungspunkt zu geben, und zwar im doppelten Sinne: dem Königtum und der Hauptstadt Jerusalem zu. 53

Sollte dieses neue Zentrum die anderen, kleineren in der Mitte und im Norden des Landes gehegten Stammeszentren ablösen, so mußte es auch durch die Eindringlichkeit und Prunkhaftigkeit seines Formates alle anderen übertreffen. Das erreichte er in vollem Umfange. In einer Bauzeit von 13 Jahren richtete er Palastgebäude und Repräsentationshallen her, befestigte Jerusalem, ließ von weit her Wasser durch einen Kanal in die Stadt bringen und regte auch die vermögenden Einwohner zu kostspieligen Prachtbauten an.

Endlich richtete er ein Bauwerk auf, das der Zentralisation den Schlußpunkt und für die Zukunft die überragende Bedeutung gab: einen Tempel auf dem Hügel Morija. Dadurch bekamen die kultischen Ideen einen festen Ort und die Möglichkeit, zu einer traditionbildenden Form zu erstarren. Jetzt konnte auch die Rangunterscheidung zwischen Oberpriester, Priester und Lewiten ihre Ausbildung erfahren. Zu den Herbstfesten begann das Volk, diesen Tempel als Ziel seiner Wallfahrt anzunehmen.

Den ungewöhnlichen Aufwand für die königliche Hofhaltung, für das Heer und die Priesterschaft, die Arbeitsleistung für Palast-, Kanal- und Wegebauten mußte natürlich das Volk tragen. Es stand unter der Last von Steuern, Naturalleistungen und persönlichem Arbeitszwang. Daß die Bevölkerung darüber nicht völlig verarmte, war dem Strom des Reichtums zu verdanken, den Schelomo unter Vorwegnahme modernster Methoden des Handels in sein Land dirigierte. Er machte von der Bedeutung Palästinas als Brücke zwischen Afrika und Asien sinnvollen Gebrauch. Indem er nach dem Süden hin seine verwandtschaftlichen Beziehungen und nach dem Norden hin seine politische Macht ausspielte, verschaffte er seiner Kaufmannschaft das alleinige Vertriebsrecht der ägyptischen Waren, insbesondere für Fahrzeuge und Pferde, und zwang die nördlichen Völkerschaften, von seinen Händlern zu kaufen. Soweit er den Transithandel zwischen den Randstaaten 54 nicht auf diese Weise monopolisierte, regte er ihn durch eine Reihe gut ausgebauter Karawanenstraßen mit Rasthäusern an, indem er zugleich davon durch die Erhebung von Binnenzoll seinen Nutzen zog. Das von seinem Vater übernommene Freundschaftsbündnis mit den Phöniziern machte er ebenfalls merkantil fruchtbar. Er beteiligte sich an den phönizischen See-Expeditionen, die bis nach Tartessus im südlichen Spanien führten, während die Phönizier sich an seinen Expeditionen beteiligten, in denen er Schiffe von den Häfen Ezion-Geber und Elat am Meerbusen von Akaba zu den Küstenstädten Arabiens und Indiens, nach dem nicht mehr feststellbaren Goldland Ophir fahren ließ. Tribute der Vasallenstaaten und Ehrengeschenke fremder Fürsten vermehrten das Einströmen von Reichtümern. In Jerusalem residierte ein königlicher Kaufmann.

Dieser wirtschaftliche Aufschwung erfolgte viel zu schnell, als daß die soziale Entwicklung des Volkes damit hätte Schritt halten können. Wohl profitierte davon die städtische Kultur. Sie wurde über Nacht farbig und luxuriös, genußfreudig und verschwenderisch. Es gab so viel Gold im Lande, daß darüber das Silber fast seinen Wert verlor. Es profitierten selbstverständlicherweise davon die Beamten und die Händler. Aber weiter ging es nicht. Die Gegenstände, aus denen der Handelsgewinn kam, wurden nicht im Lande erzeugt (mit Ausnahme von Balsam und Öl). Die Grundlage der Volkswirtschaft war nach wie vor der Landbau. Auf solcher Wirtschaftsverfassung saß der Handelsstand ohne organische Verbindung. Ohne etwas zu vermitteln und auszugleichen, schied er die Bevölkerung scharf in Klassen, die nach Besitz, Lebensweise und Umkreis der Interessen nichts mit einander zu tun hatten. Das Land zerfiel in eine kleine Hauptstadt und eine große Provinz. In der Provinz stöhnt das Volk unter dem nicht nachlassenden Druck von Steuern, härmt es sich um die Zerreißung der Stammeseinheiten, sieht es mit erheblichem Mißtrauen, daß es 55 dem König Schelomo trotz des Tempelbaues mit der Durchsetzung des einheitlichen nationalen Kultes offenbar doch nicht sehr Ernst ist.

Diesen letzten Schluß zogen sie aus der Großzügigkeit, mit der Schelomo allen seinen Frauen und jedem Fremden nicht nur volle Religionsfreiheit ließ, sondern ihnen auch die Errichtung eigener Kultstätten zugestand. Astarte, Moloch und Kemmosch hatten auf den Anhöhen Bildsäulen und Altäre. Schelomos repräsentatives Königtum liebte die kosmopolitische Gebärde. Gegenüber solcher religiösen oder kultischen Toleranz war der Widerstand erheblich. Es war indessen ein Widerstand, der religiöses Bedenken nur zum Vorwande nahm, denn in Wirklichkeit waren auf dem flachen Lande sowohl Jahvestätten wie auch noch Kultstätten der früheren kanaanitischen Lokalgottheiten zu finden. Der tiefere Grund lag darin, daß insbesondere das Gebiet der Zehn-Stämme sich mit dem judäischen Königtum im allgemeinen und der zwar friedvollen, aber überaus drückenden Herrschaft des Schelomo im besonderen nie endgültig abgefunden hatte.

In Silo, dem früheren Standort der Bundeslade, hatte sich noch ein Lewitentum erhalten, das einen prophetenähnlichen Charakter trug. Es hatte keine eigentlichen Funktionen, aber es hatte Einfluß auf das Volk und machte sich darum mit Vorliebe zum Ausdruck von Volksstimmungen. Gegen das Ende der Regierung Schelomos war es der Prophet Ahia aus Silo, der unter Hinweis auf die übermäßige königliche Toleranz den Separatismus der nichtjudäischen Stämme schürte. Er bediente sich dazu der Person Jerobeams. Der ist Ephraimite, zu Beginn seiner Laufbahn so etwas wie Sklavenaufseher, ein Amt, in dem er sich durch Brutalität so auszeichnet, daß Schelomo ihn zum Fronvogt über Ephraim ernennt. In Ahias Händen wird dieser Emporkömmling ein gefügiges Werkzeug des Aufruhrs. Er muß zwar, da Schelomo Befehl zu seiner Beseitigung gibt, flüchten, aber das Signal zur Unruhe ist damit gegeben. 56

Es gährt im Lande und in den eroberten Provinzen. Schelomos Regiment, zu Anfang energisch, logisch und zielbewußt, hat in den Verlockungen orientalischer Hofhaltung, im Dunst von Bedeutsamkeit und Machtdünkel jede Initiative verloren, die anderem als eben der Existenz als König dient. Die Aramäer wagen ungestraft einen Aufstand. Auch die Edomiter werfen das Joch ab. Sie bekommen Unterstützung von Ägypten, wo nicht mehr Schelomos Schwiegervater herrscht, sondern ein Nachfolger, in dessen Augen die jisraelitische Großmacht nur eine Gefahr darstellt.

Die Drohungen von innen und außen sind zur Katastrophe reif, wie Schelomo im Alter von etwa 60 Jahren stirbt. Mit ihm stirbt auch dieses pompöse Königtum, das keine organische Entwicklung zur Grundlage hatte, sondern nur die übermäßige Ausbeute einer Erbschaft war, die man hätte gestalten müssen, da sie noch nicht reif dafür war, nur genossen zu werden, auch wenn der Genießende mit allen Vorzügen des Geistes und des Körpers – wie Schelomo – ausgestattet war. Die nachschaffende Liebe des Volkes, die Dichtung und Legende hat ihn so gesehen, als habe er in einem Kreise gewirkt, der die schöne, friedliche Welt schlechthin darstellte, und nicht eine Welt, in der Volk wie König, Glaube wie Herrschaft sich erst noch zu bewähren hätten. Die Nachwelt hat seine Möglichkeiten geliebt, nicht seine Wirklichkeiten.

 


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