Josef Kastein
Eine Geschichte der Juden
Josef Kastein

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Geburt der Monarchie

Schemuël ben Elkanah aus Rama, im Zelttempel von Silo herangebildet und durch dessen Zerstörung ohne festen Wirkungskreis, findet jetzt einen viel weiteren und fruchtbareren, indem er immer wieder von seiner Heimatstadt aus das Land durchzieht, um so zu wirken, wie er die Aufgabe des jisraelitischen Volkes begriff. Er begriff sie streng im Sinne der Theokratie und des Bündnisses, das das Volk vor Zeiten mit dem von ihm erwählten Gott eingegangen war. Alle Gesetze, die von daher datiert waren, und alle Anweisungen, die auf Mosche zurückgeführt wurden, stellt er zur strengsten Befolgung immer wieder in den Vordergrund. Die Kraft seiner Wirkung beruht in der Schlichtheit und zugleich Hartnäckigkeit, mit der er Abwendung von den fremden Kulten und Unterordnung unter Jahve verlangt. Darin ist weit mehr einbegriffen als nur die Vornahme bestimmter Kulthandlungen. Zur Entwicklung eigener kultischer Formen war bislang kaum Zeit und Gelegenheit gegeben. Selbst als Silo noch existierte, war seine Anziehungskraft nicht wesentlich größer gewesen 37 als die anderer lokaler Jahve-Stätten. Nun es zerstört war, konnte es auf den Kult nicht wesentlich ankommen. Es mußte schon einen Richtungspunkt geben, der ohne örtliche Verankerung bestehen konnte. Er ist auch nicht so sehr in der Befolgung der Sittengebote und Rechtssätze begründet, sondern geht geradenwegs auf die Idee hin, daß ein Leben ohne den einmal begriffenen Gott ein Leben ohne gütiges Schicksal sei. Wie er und seinesgleichen dachten, verraten Verse aus dem Gebet, das seiner Mutter Channa zugeschrieben wird:

»Er tötet und belebt,
»senkt zur Gruft, läßt entsteigen,
»Er enterbt und begütert,
»erniedert und hebt auch empor.
»Aufrichtet vom Staub er den Armen,
»den Dürftigen hebt er vom Kot,
»sie zu setzen neben die Edlen,
»eignet ihnen den Ehrenstuhl . . .
»Er
»hält Urteil über die Enden der Erde,
»daß er seinem König gebe den Sieg,
»den Scheitel seines Gesalbten erhebe.«

Solche Gedanken, die nicht aus einer Betätigung, aus Handlungen kommen können, sondern nur aus einem religiösen Ausgeliefertsein, erzeugen, wenn sie Anhängerschaft bekommen, notwendig den Extatiker. Schemuël selbst gehört nicht zu ihnen. Ihm ist der erkennende, durchschauende Blick eigen. Er ist Seher. Aber der Kreis von Lewiten, der sich um ihn sammelt, hat schon die Form eines Ordens, in dem das extatische, religiöse Erlebnis das glühende Element bildet. Sie ziehen in Gruppen im Lande umher und erregen das Volk, durchsetzen es mit Unrast und Glaubensbereitschaft, rufen es gegen die Sieger zum heiligen Kriege auf. Sie werden zu Propagandisten der Einigung unter den Stämmen, die immer noch bereit sind, ihre eigenen Wege zu gehen. Vielleicht ist es nicht 38 das unmittelbare Ergebnis ihrer Tätigkeit, bestimmt aber fällt es in die Zeit ihrer Wirksamkeit, daß der im Süden isolierte Stamm Jehuda, von Feinden bedrängt, Anschluß an die Gemeinschaft sucht. Dieser Stamm hatte in der Isolierung seine eigene Entwicklung erlebt, zwar aus den gleichen Elementen wie die Mitte und der Norden des Landes, aber weniger zivilisiert, schlichter, bäurisch-gläubiger. Sein Auftreten fördert den Gedanken der Einheit sehr wesentlich.

Aber bei der Errichtung dieser Einheit, die mit dem Gedanken an Machtzuwachs und endgültiger Erledigung der Feinde ringsum unlösbar verbunden ist, gehen Volk und Lewiten doch verschiedene Wege. Wenn die Lewiten, Schemuël an ihrer Spitze, von der Einheit sprechen, verstehen sie darunter eine völlige Durchsetzung der Theokratie: ein politisches Reich mit dem unsichtbaren und nicht darstellbaren Oberhaupt und mit seinem Funktionär, dem Richter. Das Volk will die Einheit, aber mit der ständigen Repräsentation, dem König.

Darum allein geht der innere Kampf in dieser Zeit. In ihrem Beginn steht ein neuer Angriff der Philister. Schemuël vermag es, die Energien des Volkes zu beleben, so daß sie in der Schlacht bei Eben ha Eser siegen können. Er nimmt von da an die Stellung eines Richters ein, aber sein wirklicher Einfluß ist auf die Mitte des Landes beschränkt. Weder im Norden noch in Transjordanien hat er Autorität. So weit sein Machtbereich ging, bereiste er das Land und rief abwechselnd für jedes Jahr eine Versammlung der Ältesten der Stämme nach Bethel, Gilgal und Mizpah zusammen, um Gericht zu halten, die gemeinsamen Interessen durchzusprechen und im Sinne der Einheit nach seinen Begriffen zu wirken. Dennoch wird, wie Philister und Ammoniter erneut angreifen, aus dem Wunsch und der Sehnsucht nach einem Könige eine mit aller Energie und Hartnäckigkeit erhobene Forderung des Volkes. Sie kommen zu ihm und verlangen den König. Sie tragen nicht etwa ihm, der sie doch in Wirklichkeit gerettet und geführt hat, eine 39 solche Würde an, denn sie begreifen die grundlegende Verschiedenheit zwischen Richter und König. Aber von ihm, als dem göttlichen Repräsentanten, verlangen sie den irdischen Führer.

Mag man von der Darstellung des Buches »Schemuël« abziehen, was man will, es bleibt immer noch genug übrig, um aufzuzeigen, daß Schemuël der Antimonarchist kat' exochen gewesen ist. Er wehrt sich aus allen Kräften gegen das Begehren des Volkes und gegen den Untergang der Theokratie. Seine Rede, in der er dem Volke die Konsequenzen darstellt, ist das früheste Manifest gegen das Königtum. Er sprach:

»Dies wird die Gerechtsame des Königs sein, der über euch gekönigt wird:
»Eure Söhne wird er nehmen,
»daß er sie für sich zu seinem Gefährt und zu seinen Reisigen versetze,
»daß sie vor seinem Gefährt herlaufen
»und um sich Obere von Tausendschaften und Obere von Fünfzigschaften einsetzen zu können –
»und um sein Pflugland zu pflügen,
»und seine Ernte zu ernten,
»und sein Kriegszeug und sein Fahrzeug zu machen.
»Und eure Töchter wird er nehmen
»zu Salbmischerinnen,
»zu Schlachtköchinnen,
»zu Bäckerinnen.
»Und eure Felder, eure Weingärten, eure Ölbäume, die besten, wird er nehmen und seinen Dienern geben,
»wird eure Saaten und eure Weingärten bezehnten und es seinen Höflingen und seinen Dienern geben,
»und eure Dienstknechte und eure Mägde, eure Rinder, die besten, und eure Esel wird er nehmen und seiner Wirtschaft übermachen,
»euer Kleinvieh wird er bezehnten,
»ihr selber werdet ihm Dienstknechte sein, 40
»an jenem Tag werdet ihr euch von eurem König losschreien wollen, den ihr euch erwählt habt,
»und ER wird euch nicht antworten an jenem Tage.«

Dennoch beharrt das Volk auf seinem Willen. Es ist einem Leben ohne Führerschaft nicht mehr gewachsen. Vor der Erkenntnis dieser Unfähigkeit gibt Schemuël nach. Sein Verstand befiehlt ihm Nachgiebigkeit. Aber in aller Nachgiebigkeit sucht er von der Idee noch zu retten, was zu retten ist. Ein König, wie ihn die anderen Völker auch haben, ist für ihn unbegreiflich. Machtvollkommenheit aus Anmaßung oder Erbschaft ist dem jisraelitischen Geiste noch unverständlich. Auch der König als ständiger Führer kann von ihm nur als mit göttlichem Auftrag belehnt gedacht werden. An die Stelle des jeweiligen tritt der Auftrag auf Lebensdauer. Das ist der einzige prinzipielle Unterschied zwischen Richter und König. Dem König von allem Anfang an diese Stellung und diese Abhängigkeit zuzuweisen, ist jetzt Schemuëls Aufgabe. Er wählt den König aus. Das Volk hat ihn nur anzunehmen. Er vollzieht in der symbolischen Handlung der Salbung die Belehnung mit dem Auftrage. Das Volk hat diese Belehnung nur anzuerkennen. Er wird auch für den Rest seines Lebens ein harter, fanatischer Aufseher, der mit letzter Reserve und Lieblosigkeit darüber wacht, daß der erwählte König in den engsten Grenzen der Abhängigkeit und des Gehorsams von der Institution Gott bleibt.

Als später diese Hemmung und diese Kontrolle aus der Verpflichtung, aus dem Geiste her in Wegfall kamen, war dem Königtum von Gottes Gnaden, dem Regiment mit der imaginärsten Verantwortung, die Bahn geöffnet.

 


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