Josef Kastein
Eine Geschichte der Juden
Josef Kastein

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König Dawid

Die liberale Geschichtschreibung gefällt sich darin, das Regnum des Königs Dawid als eine Blütezeit der jisraelitischen Geschichte darzustellen. Das ist falsch. Nur in einem ganz äußerlichen und für das wahrhafte Schicksal eines Volkes nebensächlichen Sinne ist diese Regierungszeit bedeutsam und 47 produktiv: in der Erhebung des Reiches zu einer Großmachtstellung. Aber kein Vorgang in der Geschichte lehrt, daß einem Volke mit seinen Siegen zugleich eine geistige Entwicklung zufalle. Meistens ist es umgekehrt.

In der Regierungszeit Dawids treten vielmehr die gleichen Spannungsmomente auf wie unter Schaul, nur noch vermehrt um zwei Begleiterscheinungen des Königtums: Palastintrigen und Thronfolgestreitigkeiten. Im Sinne einer organischen Weiterentwicklung hat Dawid nur Keime erzeugt, zum Guten wie zum Bösen.

Der Tod Schauls findet ihn als Führer einer Schar von Freibeutern in Ziklag, als Gast des Philisterkönigs. Er begibt sich auf die Nachricht, daß das Königtum vakant geworden sei, sofort nach Hebron im Gebiet des Stammes Jehuda. Niemand hat ihn gerufen. Aber er präsentiert das heimliche Königtum, das Schemuël ihm verliehen hat, als einen Anspruch. Die Judäer, fast immer in der Isolierung, begreifen vielleicht die Idee, einen König für sich allein zu bekommen, besser als die Legitimation, die Dawid vorweist. Sie entschließen sich, ihn zu ihrem König auszurufen.

Die übrigen jisraelitischen Stämme nehmen von Dawid keine Notiz. Sie sind entschlossen, ihr eigenes Königtum fortzusetzen, und rufen Schauls letzten Sohn, Esbaal, zum König aus. Schon hat also der dynastische Gedanke Wurzel geschlagen. Er siegt über das religiöse Königtum. Realiter ist die Spaltung in zwei Reiche schon vollzogen. Alle folgende Geschichte kann den Riß nur verdecken, aber nicht heilen.

Die Spannung zwischen den beiden Staaten entlädt sich in Bürgerkriegen. Aber die Entscheidung fällt nicht durch die Überlegenheit einer Partei, sondern durch private Intrigen und Feindseligkeiten, in deren Verlauf Esbaal ermordet wird. Der Norden hat keinen König mehr. Dawids Gegnerschaft ist beseitigt. Das nördliche Reich muß ihm automatisch zufallen. Wenn es jetzt seine Vertreter nach Hebron schickt und Dawids 48 Regentschaft anerkennt, so ist das ein Akt der Vernunft und der Politik, kein Akt der Liebe oder der Anerkennung des durch den Propheten verliehenen Königtums.

Nach sieben Jahren Herrschaft über Judäa endlich im Besitz der Alleinherrschaft, wendet Dawid seine Macht allerdings folgerichtig an. Er erkennt und verfolgt den Einheitsgedanken mit aller Konsequenz. Das Gebiet der Jebusiter, bislang ein trennender Riegel zwischen Nord und Süd, wird erobert. Damit ist die geographische Einheit des Herrschaftsgebietes hergestellt. In der bisherigen jebusitischen Hauptstadt Urusalim, die von jetzt an Jerusalem heißt, errichtet Dawid das Zentrum des neuen Reiches, indem er dort seine Residenz aufschlägt, Paläste baut, Mauern zieht und der Bundeslade einen provisorischen Tempel errichtet. Das Zentrum ist klein und mehr eine Prätention als eine Tatsache, aber es stellt den Anfang dar, die Keimzelle. Es hat den König, das Heer, die Beamtenschaft und das nationale Heiligtum in seinen Mauern.

Wie ihm das alleinige Königtum durch die Umstände zugefallen ist, gerät ihm auch die politische Ausdehnung unversehens und durch die Umstände bedingt: er muß sich verteidigen. Er ist eine vom Grunde aus passive, dulderische, genießerische Natur. Wird er aber zu einer Aktion gezwungen, stößt er in der Abwehr über ihren Zweck hinaus vor, bis die drohende Gefahr völlig vernichtet ist. Diesen Sinn hatte seine Flucht vor Schaul und das Ausweichen bis dahin, wo er nicht mehr erreicht werden konnte. Diesen Sinn hat jetzt sein Kampf gegen die Philister. Sie greifen wiederholt und mit allen Mitteln an. Das zwingt Dawid zur Verteidigung und zu einem Gegenstoß, der zur Eroberung wichtiger philistäischer Landschaften führt. Gegenüber diesem gefährlichen Machtzuwachs richten die südwestlichen Nachbarn Ammon und Moab zusammen mit aramäischen und syrischen Fürsten eine Koalition auf, gegen die Dawid sich wieder verteidigen muß. Von neuem führt die Übersteigerung der Abwehr zur aggressiven Aktion. Ammoniter 49 und Moabiter werden judäische Vasallen. Zum dritten Male wiederholt sich der gleiche Vorgang im Nordosten des Landes, wo Dawid in der Abwehr einer aramäischen Koalition seine Tributherrschaft bis über Damaskus hinaus ausdehnen kann. Nur die Unterwerfung der Edomiter im Süden wird rein von der Zweckmäßigkeit diktiert: das überschnell gewachsene Reich braucht eine Küste. Es erkämpft sich jetzt den Zugang zum Roten Meere. Nach Abschluß dieser Eroberung erstreckt sich das Reich von Ägypten bis zum Euphrat. Es ist die größte politische Ausdehnung, die es je besessen hat.

Man kann diesen Eroberungen keine andere als eine rein äußerliche Bedeutung zumessen. Die Ausdehnung des Reiches mag politisch organisch gewesen sein; geistig und sozial war sie es nicht. Die patriarchalischen Lebensverhältnisse waren gerade im Begriff zu verschwinden. Die soziale Gliederung konnte den Rahmen eines solchen Reiches noch nicht ausfüllen. Die Interessen der hohen Politik und die Interessen der Volksmassen gingen durchaus getrennte Wege. Während es in Jerusalem um stehendes Heer, Söldnerfragen, Verwaltung eroberter Provinzen, Freundschaftsvertrag mit Phönizien und innerhalb des Palastes schon jetzt um Fragen der Nachfolgeschaft ging, war das Volk im eigentlichen Sinne jetzt erst im Begriff, vom Lande vollen Besitz zu ergreifen. Und diese Entwicklung ist alles andere als eine rein soziologisch bedingte. Ein in der Dauer der Nomadenzeit, dem Kraftaufwand der Landeroberung und den Schwierigkeiten der ersten Besiedlung lange aufgesparter und zurückgehaltener seelischer Besitz kommt jetzt erst zur Ruhe und zu seiner Entfaltung. Sie beginnen, sich das Land innerlich anzueignen. Darum entwickeln sie zum ersten Male die werbende Kraft, die den stammesfremden und bisher abseitigen Teil der eingesessenen semitischen Bevölkerung zu ihnen herüberzieht, so daß sie ihre Eigenart aufgeben und der jisraelitischen Bevölkerung einen ungewöhnlichen Zuwachs an Menschen verschaffen. Die von Dawid 50 veranlaßte Volkszählung weist einen Bestand von etwa sechs Millionen Menschen auf. Diese Menschen füllen den Staat aber nicht als ein geschlossenes Volk aus. Jeder Stamm rivalisiert nach wie vor mit dem anderen, alle zehn Stämme im Norden aber unbedingt mit dem Stamm Jehuda. Alles, was Dawid tut, um diese Differenzen zu verwischen, stößt auf Widerstand. Gegen diese Volkszählung, die wohl Zwecken der Verwaltung und des Heeresdienstes diente, erhob sich die größte Entrüstung. Die Einsetzung eines Oberpriesters in Jerusalem, mit der Dawid die religiös-kultische Einheit herstellen will, wird ignoriert. Im benjaminitischen Gibeon residiert ein zweiter Oberpriester mit der gleichen Autorität. Sie sind auch stets bereit, das Königtum in ihre Interessenkämpfe einzubeziehen und die privaten Zwistigkeiten, die sich an Dawids Hof ergeben, zu Palastintrigen, Konspirationen und Revolten auszunutzen.

Das führt dazu, daß Absalom sich schon zu Lebzeiten seines Vaters als König ausrufen lassen kann. Wie im Anfang seiner Regierung muß sich Dawid auch gegen das Ende hin seine Stellung durch einen Bürgerkrieg sichern. Aus vielen Wirrnissen, persönlichen Verfehlungen und persönlichen Bemühungen, die ihn als Mensch größer denn als König machen, ernennt er und krönt er selber noch seinen Nachfolger, so wie er selbst schon zu Lebzeiten eines anderen Königs mit dem Amt belehnt wurde.

Aus der Bedrückung durch viele Schicksale hat die rückschauende Phantasie des Volkes später diesen König zu einem Doppelbild von Sänger und Helden gemacht. Der erregte Ablauf seines Schicksals und die Vielfältigkeit seiner Eigenschaften rechtfertigen diese liebevolle Entstellung. In Wirklichkeit war Dawid nur ein »Mensch mit seinem Widerspruch«. Er war tapfer und feige, hartnäckig und schwach, prunkliebend und schlicht, alles das unter einem Kolorit von Lyrik, Sinnlichkeit und Musikalität. Er hat Psalmen gedichtet, die reine 51 Kunstwerke sind. Diese Psalmen – wenn auch längst nicht alle, die ihm zugeschrieben werden – sind das einzig dauernde Vermächtnis, das er seinem Volke hinterlassen hat. Es hat sie noch heute nicht ganz vergessen, und sie tragen heute noch den Sinn von damals: das Bemühen eines Menschen, sein Schicksal im Göttlichen zu verankern. Dawid ist nicht dazu gelangt, den repräsentativen, sichtbaren Ausdruck dafür zu gestalten, nach dem er heimlich Sehnsucht hatte: den Bau eines Tempels. Sein persönliches Geschick zerbricht ihn, ehe er so weit gedeiht. Er hockt in den letzten Jahren in seinem Palast, alt, zerschlagen, blutlos, ohne Tempel, ohne Liebe. Noch in Decken gehüllt friert ihn ständig. Da führt man ihm, dem siebzigjährigen Greis, noch voll Erbarmen und Mitleid ein junges Mädchen, Abischag, zu, damit er wenigstens in seinen letzten Tagen die lebendige, körperliche Wärme nicht entbehren möge.

Er stirbt nach einer Regierungszeit von vierzig Jahren.

 


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