Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Der Kampf mit der Unterwelt.

Die Drei-Kommission hatte in der ersten Woche unendlich wenig zu berichten.

Berend kommt mit ihnen des Abends und des Morgens beim Essen im Gasthaus zusammen. Den übrigen Teil des Tages und der Nacht bringt er fortwährend unter der Erde zu. Auf ihre Erkundigungen antwortet er nur, daß alles den besten Fortgang nimmt.

Aber was in dieser Weise Fortschritte macht, das kann man nicht sehen.

Und ein sehr verdächtiger Umstand ist es, daß Berend die Zeit fortwährend nur in seinem eignen Bergwerk zubringt; dorthin hat er alle mitgebrachten Maschinen und chemischen Materialien schaffen lassen; während noch nicht ein einziger Zugang des Aktienbergwerks wieder geöffnet, oder irgendeine Vorkehrung zum Löschen getroffen ist.

Berend aber gibt auf alle Erkundigungen keine Aufklärung. Wohl ist es wahr, daß die Maschinen fortwährend in Tätigkeit sind; und aus dem Bergwerk bringen seitdem alle Karrenschieber Ton und Steine, aber die Sache ist doch nicht recht zu verstehen.

Am achten Tage verlor Herr Spitzhase die Geduld.

»Herr!« sagte er zu Iwan mit Krämerzudringlichkeit, »Sie haben versprochen, den Grubenbrand in zwei Wochen zu loschen. Eine davon ist schon vergangen; ich habe aber die ganze Zeit nicht gesehen, daß etwas geschieht.«

»Das ist natürlich!« antwortete Iwan ruhig.

»Sie behaupten aber doch, daß alles seinen guten Fortgang nimmt.«

»So ist es auch!«

»Ich möchte es sehen!«

»Von hier aus, wo Sie jetzt stehen, werden Sie auf keinen Fall etwas sehen.«

»Also führen Sie mich dorthin, wo ich etwas sehen kann.«

»Möchten Sie wirklich dorthin kommen? Es ist ein sehr schlechter Aufenthalt.«

»Wohin Sie gehen können, dorthin kann ich auch gehen. Meinethalben sei es sogar die Hölle.«

»Es fehlt dort wahrhaftig wenig zur Hölle.«

»Also ich gehe auch dorthin; ich möchte mit dem Teufel Bekanntschaft machen. Vielleicht kann man mit ihm einen Vertrag schließen, daß er von nun an die Kohle von uns bezieht.«

»Aber ich mache Sie auf noch etwas aufmerksam. Wo ich hingehe, dorthin kann niemand mit mir kommen, um zu gaffen; denn der Weg ist gerade nur groß genug für zwei Menschen, und auch die Arbeit nimmt zwei Menschen in Anspruch. Sie müssen daher dort so arbeiten wie ich.«

»Gut, ich schrecke vor keiner Arbeit zurück. Ich bin ein Teufelskerl.«

»Gut, kommen Sie also mit mir!«, sagte Iwan; »und wenn auch die anderen Herren Lust haben, uns bis zur Maschine zu begleiten, so können sie bis dorthin mitkommen.«

Sie ergriffen die Gelegenheit mit Begierde. Hatten sie es doch bisher schon ohnehin vor Neugierde nicht aushalten können.

Iwan ließ allen drei Herren Bergmannstracht anlegen und nahm sie in der Aufzugsmaschine mit sich durch den Schacht hinab.

Jeder erhielt eine Davysche Lampe an den Gürtel gehängt und einen dicken Filzhut.

Iwan führte sie durch die gewundenen Grubengänge bis zur eisernen Tür jener Höhle, in welcher noch vor kurzem der periodische Teich zu erscheinen und zu verschwinden pflegte. Die Mitte dieses Raumes nahm jetzt eine mühlenartige Maschinerie ein, welche durch eine von oben herabgehende Transmission in Bewegung erhalten wurde.

In dieser Mühle wurde etwas gemahlen, dessen Graupe durch einen Schlauch über die Brücke hinabströmte. Die Transmission ging über das Triebrad unter dis Brücke und verschwand da.

Iwan führte seine Gäste durch fortwährend enge Gänge weiter. Noch einmal mußten sie durch einen tiefen Brunnenschacht, und zwar jetzt auf langen Leitern hinabsteigen.

Als sie auf den Grund hinabgelangt waren, nahm sie eine kleine, kaum dritthalb Klafter im Umgang habende Kammer auf, in der zwei Arbeiter Wache hielten, ein alter und ein junger.

»Nun, mein Herr,« sprach Iwan zu Spitzhase, »das hier ist das Toilettezimmer; fangen wir an, uns zu kostümieren.«

»Was? bekommen wir also noch schönere Kleider?«

»Ja, einen Panzer; bei dem Turnier, zu dem wir uns jetzt rüsten, braucht man auch einen Panzer.«

Auf seinen Wink brachten der alte und der junge Arbeiter die Kleidung herbei und begannen sie ihnen anzulegen.

Es waren ungefähr solche Ausrüstungsgegenstände wie die der Feuerwehrmänner – ein weiter, ungeschlachter Rock und Hosen, deren äußerer Stoff Asbest, während der Raum zwischen diesem und dem innern Stoff mit fein pulverisierter Holzkohle ausgefüllt ist. Vorn an den Armen aber umschließen Asbesthandschuhe die Finger luftdicht.

»Wir werden schöne Ritter sein!« scherzte Herr Spitzhase.

»Ich bitte, warten Sie noch auf den Helm.«

Man brachte zwei Glashelme, deren jeder einen Hohlraum von zwölf Halbe und drei Oeffnungen hatte.

Iwan erklärte ihm, wozu diese Dinge gehörten.

»Der Raum, in den wir hinabsteigen, ist voll mit Kohlengas. Daher müssen wir mit einem solchen Apparat hinabgehen, als ob wir unter Wasser tauchen würden. Und da wir zuweilen zwischen Feuer hindurch gehen müssen ...«

»Zwischen Feuer!«

Spitzhase begann zu bereuen, daß er hierher gekommen, aber er schämte sich umzukehren. Ueberdies hat auch der Kaufmann seine Tapferkeit.

»So brauchen wir den Asbestanzug,« fuhr Iwan fort. »Dieser Apparat ist aus der Ausrüstung der Taucher und der Feuerwehrmänner kombiniert. An diesen Glashelm, der mittels Kautschuk luftdicht an den Rockkragen angeschlossen wird, werden zwei Schläuche befestigt, durch deren einen uns die zum Atmen nötige Luft zugeführt wird, während wir durch den andern die verdorbene Luft wieder ausatmen. Die Enden der beiden Schläuche bleiben hier, während wir diese selbst nachschleppen, so wie es die Taucher im Meere tun. Durch den einen treibt man uns die zum Leben nötige Luft zu, durch den andern geht die verdorbene Luft auf den ersten Druck aus unserem Helm hinaus. Wir werden die Luft ein wenig wärmer bekommen, als sie hier oben ist, auch wird sie nach vulkanisiertem Kautschuk riechen, aber wir können nicht ersticken. An diese dritte Oeffnung wird eine elastische Röhre befestigt, die unsere beiden Helme miteinander verbindet. Diese wieder dient dazu, daß wir hören können, was wir einander sagen wollen; denn durch diesen Helm aus dickem Glas dringt kein Laut, und am wenigsten kann der etwas hören, der ebenfalls einen solchen Glashelm auf dem Kopf hat.«

Herr Spitzhase fühlte sich durchaus nicht in angenehmer Lage, als man ihm diesen Helm auf den Kopf schraubte – besonders aber, als man die Schläuche in alle drei Oeffnungen einfügte und er plötzlich bemerkte, daß er jetzt taub sei, indem er kein Wort mehr von dem hört, was die beiden anderen Herren zu ihm sagen. Er war nicht mehr auf dieser Welt.

Nur eines Menschen Stimme hörte er, desjenigen nämlich, dessen Kopf an den seinigen angeschlossen ist.

»Nehmen Sie den Schlauchknäuel auf den Arm,« scholl diese einzige Stimme in seinem Helm, und auch diese von so weit, als ob sie aus einer Entfernung von hundert Schritt oder von einem Turm herabkäme.

Maschinenmäßig ließ er sich den zusammengerollten Schlauch auf den Arm legen.

»Gehen Sie mir nach!« scholl Iwans Stimme, der einen andern Schlauch auf die Schulter nahm und eine bisher verschlossen gehaltene dicke Eichentür öffnete.

Die zurückgebliebenen beiden Herren hörten nichts mehr von dem, was die beiden Behelmten miteinander sprachen. Der eine fragte betroffen, ob, wenn man diese Tür öffnet, nicht die schlechte Luft hereindringen würde.

Der alte Arbeiter beruhigte sie. Das Kohlengas sei viel schwerer als das Sauerstoffgas und noch mehr als das Wasserstoffgas; die schlechte Luft bleibe also unten, wohin die beiden Taucher hinabgehen. Man kann ihnen getrost folgen bis dorthin, wo die letzte Davysche Lampe brennt.

Durch die geöffnete Tür gelangten die beiden in eine geräumige Höhle; man sah es an den Wänden, daß die Natur diese Höhle gebildet hatte.

Zwei voneinander getrennte Wände paßten mit jedem Riß zueinander, und stellenweise waren beide so glatt wie Stahlspiegel. Es waren schräg zersprungene Steinkohlenmassen.

Diese Höhle war mit dicken, harten Holzbrettern überbrückt.

Die überall wirkende Transmission, die sich aus der Höhe da hinabschlängelte, setzte auch hier einen Grendel in Bewegung, und der Schall vom Geklapper desselben tönte unter der Brücke so, als ob die Klappern durch ein tiefes Wasser gingen.

Von dieser Brücke führte ein niederer Gang schräg in die Steinmasse.

Jenseits der Mündung dieses finstern hohlen Ganges brannte die Lampe schon nicht. Dort herrschte bereits das Kohlengas.

Aber auf der Brücke war eine elektrische Maschine aufgestellt deren Licht mit einem Drahtschirm bedeckt war.

Der alte Arbeiter setzte die elektrische Maschine in Tätigkeit und lenkte den Lichtstrahl derselben in die finstere Höhle.

Dies war der Tunnel, welchen Iwan binnen vier Wochen aus seiner Grube zum Nachbarbergwerk hatte durchbrechen lassen.

Er hatte solange niemandem etwas gesagt, bis die Arbeit so weit fertig war, daß gerade nur das Durchbrechen fehlte.

Dies konnte aber nur im Taucheranzug geschehen, und darum dauerte es noch eine Woche.

Die elektrische Beleuchtung erhellte den schmalen Tunnel der Länge nach; wo dieser aber von der anfänglichen Richtung abwich, dort waren hohe Spiegel aus glänzend poliertem Blech aufgestellt, die das Licht weiter leiteten, so daß schließlich nur ein schwacher Dämmerschein übrigblieb, bei dem die beiden Taucher die Gegenstände kaum mehr erkennen konnten.

»Jetzt werden wir gleich ganz im Finstern sein!« sagte Spitzhase zu Iwan.

»Wir bekommen gleich Licht genug,« tröstete ihn Iwan.

Und er führte ihn weiter mit sich fort.

Spitzhase mußte mit ihm gehen, denn sein Kopf war an Iwans Kopf angeschlossen.

Wunderbare siamesische Zwillinge. Wenn die verbindende Röhre abrisse, so müßten beide auf einmal sterben.

»Halt!« rief Iwan; »hier ist die Pumpe, gib den Schlauch her.«

In der Hölle waren sie du und du miteinander. Da mußte kurz gesprochen werden.

Im Halbdunkel wurde eine kleine, dritthalb Schuh hohe Maschine sichtbar, die mit einem Treibrad versehen war, diese war schon am vorangegangenen Tage hierher gebracht worden.

Iwan nahm seinem Gefährten den Kautschukschlauchknäuel ab und befestigte den Schlauch mit der Schraube an die entsprechende Oeffnung der Maschine. Dann setzte er das Rad in Bewegung und dieses fing an sich mit seinen beiden schweren Kugeln schnell zu drehen.

Dann ergriff er das Ende der Röhre, und den Zapfen der Maschine umdrehend, gab er den Knäuel seinem Kameraden zurück mit dem Unterschied, daß, während dieser den Schlauch bisher um den Arm geschlungen hatte, derselbe ihm jetzt von Iwan um den Hals gehängt wurde.

Spitzhase hatte das Gefühl, als ob der Schlauch, welcher bisher kaum zehn Pfund wog, jetzt auf einmal einen halben Zentner schwer geworden wäre. Der Schlauch wurde plötzlich steif.

»Eilen wir vorwärts!« scholl Iwans Stimme durch die Röhre.

»Es fängt an höllisch heiß zu werden!« brummte sein Gefährte zurück.

»Das ist schon ein Teil der ausgelöschten Grube!« sagte Iwan.

An die Füße der beiden Männer waren gläserne Schemel gebunden. Sonst hätten sie fühlen müssen, daß die Asche, durch die sie wateten, noch glühend heiß war.

Der Kautschukschlauch wickelte sich von Spitzhases Schulter langsam ab.

Und inzwischen wurde es immer finsterer.

Endlich umfing sie ganz schwarze Nacht.

»Ich sehe nichts!« scholl Spitzhases Stimme.

»Komm nur getrost mir nach!« antwortete Iwan.

Auf einmal fing es dann wieder an zu dämmern.

Die Helle, die jetzt vor ihnen auftauchte, war rosenfarben.

Es dämmerte unter der Erde.

Spitzhase klagte über Atembeschwerden.

»Jetzt geht es noch an!« tröstete ihn Iwan.

Als sie dann bei einer Wendung des Ganges um die Ecke bogen, breitete sich vor ihnen das ganze Schauspiel der Hölle aus.

Die Hölle selbst!

Ein brennendes Labyrinth, in dessen glühenden Windungen alle Farben des Lichtes miteinander abwechselten.

Um die bläulich grüne Flamme des Grundes erheben sich die scharlachroten Zwischenwände der Gänge, die sich in der Ferne in purpurne Finsternis verlieren, während aus ihren Rissen das blendende Weiß des Sonnenlichtes herausschießt. Zwischen den glühenden Kohlen tanzen die Dämone der unterirdischen Flammen mit grünem Schopf und roter Mähne, und aus dem Zinnoberrot der Grubenwölbung fällt ein goldner Regen herab: ein Platzregen von Funken! Aus den Spalten einer und der andern Seitenwand schießt zischend das befreite Gas hervor, der unterirdischen Feuernacht ein Licht anzündend, und aus einer tiefen Höhle schießt ein Feuerspringbrunnen empor, ringsherum Funken ergießend, und über dem Ganzen zieht eine milchfarbene Wolke, die Wölbung berührend, leise hin und her, und scheint den verwegenen Besuchern der Hölle näher zu kommen.

Spitzhase drückte sich erschrocken an die Wand. Dieser Anblick griff seine Nerven an.

»Laß die Schläuche herab!« rief Iwan.

Die Schläuche wanden sich plötzlich wie eine losgelassene Schlange nach vorwärts.

»Und jetzt mir nach!« sagte Iwan; »den Schlauch halte auf dem Arme.«

Und hiermit zog er ihn mit sich.

Spitzhase war gezwungen, ihm zu folgen.

Denn ihre Köpfe waren aneinander geschlossen.

Selbst wenn er sich mit Gewalt oder zufällig von ihm hätte losreißen können, so würde er damit nur erreicht haben, daß das durch seinen Helm eindringende Kohlengas ihn sogleich getötet hätte.

Maschinenmäßig ließ er sich fortziehen.

Die Hölle und alle ihre Schrecken trieben vor ihm ihr unheimliches Wesen!

Der andre fürchtet sich nicht vor ihnen.

Vielleicht ist er auch kein Mensch, sondern ebenfalls ein Geist, der über die Feengeister Zaubermacht besitzt.

Er geht bis an den Rand des Feuermeeres.

Dort nimmt er den in Ringe zusammengelegten Schlauch von der Schulter, und an der Mündung desselben den Zapfen öffnend, richtet er sie nach dem Schoß der Hölle.

Aus der Mündung des Schlauches scheint ein diamantener Strahl hervorzuschießen, der in die glühende Gehenna hineinschlägt:

»Halte dich fest!« schallt Iwans Stimme.

Und durch die Macht, welche der ausströmende Inhalt des Schlauchs ausübt, entstehen im brennenden Eingeweide der Erde dunkle Dampfwolken, welche die eben noch so blendend hellen Räume mit grauem Schatten erfüllen, und die mit Macht einströmende Dampfmasse begräbt plötzlich die beiden Verwegenen.

Der eine wankt.

»Fürchte nichts!« rief ihm der andre zu; »wir sind hier sicher.«

»Es ist erstickend heiß! Ich verbrenne!« ächzt der andre.

»Fürchte nichts, folge mir!« spricht der erste und zieht den wankenden Gefährten über dampfende Felsen, feuerspeiende Hügel, überallhin, wo er Feuer sieht, den erstickenden, die Hölle überwältigenden Wasserstrahl des Kautschukschlauches spritzend. Das Gas pfeift, der heiße Dampf zischt rings um sie, die bewältigten Flammen springen wieder empor – er erschrickt vor nichts. Nur vorwärts, immer vorwärts. Die unterirdische Wolke wälzt sich über sie hin.

»Wir sind verloren!« ächzt der andre Sterbliche, unter diesen Schrecken auf die Knie fallend.

»Kleinmütiger!« spricht zu ihm der Bekämpfer der Hölle und reicht ihm die Hand. »Kehren wir also zurück.«

Und er richtete ihn auf, so wie der Erlöser den ins Meer versinkenden Petrus aufrichtete.

Hiermit rollte er sich wieder den geschlossenen Schlauch um den Hals und kehrte mit ihm zu der Saugpumpe zurück.

Diese schloß er dann und führte seinen Gefährten wieder in das Ankleidezimmer des Bergwerks.

Spitzhase sank zusammen, als er dort anlangte.

Als man von den Köpfen der beiden Männer die gläsernen Helme herabschraubte, schnappte Spitzhase wie ein Erstickender nach Luft. Iwan blickte mitleidig auf ihn.

Die Arbeiter beeilten sich, beiden Männern einen Trunk erfrischender Limonade zu geben und rieben ihnen die Schläfen mit starkem Weinessig.

Dann entkleideten sie die beiden bis auf die Haut, steckten sie in eine Kufe voll kalten Wassers, hoben sie nach zwei Sekunden wieder heraus und frottierten sie mit rauhen Wolltüchern.

Der gute Spitzhase begann erst dann wieder ins Leben zurückzukehren und seiner fünf Sinne mächtig zu sein.

Als sie wieder ihre gewöhnlichen Kleider anlegten, fragte ihn Iwan: »Nun, mein Herr, wie hat es Ihnen unten gefallen?«

Spitzhase war nicht auf den Kopf gefallen. Er antwortete gut gelaunt: »Ich gebe es nicht für hundert Gulden, daß ich dort gewesen bin, aber ich möchte es nicht für zweimal so viel noch einmal tun.«

»Nun, jetzt wissen Sie schon, was Sie dem Verwaltungsrat zu schreiben haben. – Paul! führe diese Herren nach Hause. Ich bleibe hier, um die Arbeit fortzusetzen.«

* * *

Mit welcher Begeisterung Herr Spitzhase diesen Kampf mit der Unterwelt in den Wiener Blättern beschrieb, dies wiederzugeben wäre nur eine stärkere Einbildungskraft imstande als die meinige.

Iwan wurde als ein Antiprometheus, ein Moses, ein heiliger Florian dargestellt.

Alle diese Hyperbeln und Auxesen waren rhetorische Floskeln, welche dem Alparikurs sehr gute Dienste leisteten.

Daß die Drei-Kommission an diesem Abend ein großes Gelage anstellte, ist sehr natürlich. Der Champagner floß in Strömen. Wieso der Bondataler Wirt zu Champagner gekommen, das könnte vielleicht Herr Rauné erklären.

Durch den Champagner erhitzt und durch die exorbitanten Prahlereien des Herrn Spitzhase aufgeregt, kamen die beiden anderen Herren so ins Feuer, daß sie zuletzt wetteten, sie würden ebenfalls die Reise in die Hölle unternehmen, die Herr Spitzhase mit Iwan gemacht hatte. Gleich den andern Tag sollte es geschehen.

Sie gingen unter der Führung eines Aufsehers in das Bergwerk hinab. Iwan war damals nicht im Bergwerk. Es hieß, daß er irgendwo oben sei.

Beide Herren ließen sich hierdurch nicht zurückhalten.

In der Ankleidekammer lagen eben die Taucheranzüge unbenutzt.

Niemand hatte etwas gegen ihr Vorhaben.

Sie wollten sich zugleich in die Taucheranzüge hüllen.

Nach Belieben!

Sie wollen den Versuch mit den aneinander geschlossenen Köpfen machen.

Wie sie es wünschen.

Man kleidete sie an, legte ihnen die Helme an, und dann führte man sie durch die Eichentüre in die Höhle.

Und dann – fanden sie nirgends die Mündung des Tunnels.

»Wo ist hier der Eingang in den Tunnel?« schrie der eine.

»Wo ist hier der Eingang in den Tunnel?« schrie der andre.

Aber was sie schrien, hörte niemand außer ihnen. Für die übrige Welt waren sie stumme Leute.

Zuletzt, da sie den Tunnel nirgends fanden, kehrten sie um und entkleideten sich wieder.

»Aber wo ist der Tunnel hingekommen?« schrien sie zornig. In ihrem Zorn lag etwas von der Prahlerei eines Duellanten, der, nachdem er die ganze Nacht sich darüber den Kopf zerbrochen, wie er dem Zweikampf entgehen könne, einen Brief erhält, in welchem der Herausgeforderte um Vergebung bittet. Der Feige ist zurückgetreten! ruft er ärgerlich; im Herzen aber freut er sich darüber.

»Was ist aus dem Tunnel geworden?«

In dem Katzenjammer, mit welchem sie am andern Morgen aufstanden, bereuten sie natürlich die Wette, doch das Ehrgefühl gestattete keine Umkehr.

»Er ist mit Sandsäcken verstopft und vermauert!« antwortete ihnen der Aufseher.

»Aber warum ist er vermauert!«

»Das kann ich nicht sagen.«

Die stark getäuschten unternehmenden Geister eilten nach verschiedenen Seiten ab, um Iwan Berend zu suchen. Es fanden ihn endlich alle drei beim Stollen des Aktienbergwerks, wo er eben allerlei Vorkehrungen traf.

»Darf man Sie fragen, warum die Mündung des Tunnels verstopft ist?«

»Zu dienen!« antwortete Iwan; »die bisherigen Löschversuche waren nur Rekognoszierungen, um zu erfahren, was für eine Wirksamkeit das Löschmittel entwickelt. Wir konnten davon nicht mehr als fünfzig, sechzig Eimer auf einmal anwenden; das genügte, um einen und den andern offenen Gang zu löschen. So haben wir uns den Weg zum Zentralherd des Feuers gebahnt; dort ist die Arbeit eines Menschen, der Strahl einer Spritze bereits wirkungslos. Was in einem Augenblick gelöscht wäre, würde sich im andern wieder entzünden und den heißen Dampf, der sich massenhaft entwickelt, könnte man selbst mit dem Rettungsapparat nicht lange aushalten. Jetzt haben wir also die Röhren mit vier Zoll im Durchmesser ganz bis zum Herd des Feuers gelegt. Sowie ich zurückgehe, lassen wir gleich die Hochdruckdampfmaschine in Tätigkeit setzen, die aus dem Becken binnen vier Stunden zehntausend Eimer Flüssigkeit in den brennenden Stollen spritzen wird. Das wird der entscheidende Kampf sein, meine Herren.«

»Zum Teufel!« sagte Herr Spitzhase; »wird dieser Spaß nicht damit enden, daß das sich entwickelnde Gas das ganze Bergwerk auseinandersprengt und uns zu Bewohnern Herkulanums und Pompejis macht?«

»Fürchten Sie nichts! Eben dieser Umstand hat mich jetzt beschäftigt. Die Direktion des Aktienbergwerks hat alle Eingänge der Stollen mit Sandsäcken verstopfen und vermauern lassen. Den Eingang in den Schachtbrunnen aber hat sie mit einer ungeheuren eisernen Tür schließen lassen, über die eine dicke Schicht Ton gelegt ist. Wenn nun in dem brennenden Stollen, auf den das Löschmittel in Masse einzuströmen beginnt, die Gasmenge sich mit solcher Macht entwickelt, daß sie ausbrechen muß, so ist die eiserne Tür des Schachtes das Rettungsventil; sie wird dieses fortstoßen und da hervorbrechen.«

Den Kommissionsmitgliedern klapperten die Zähne bei dieser Erklärung.

Da ist ja ein kleines Erdbeben in Vorbereitung.

Iwan konnte mit den drei Herren nicht weiter sprechen.

Er mußte noch viele Vorkehrungen treffen.

Vorsicht, Behutsamkeit war nötig. Erst gegen mittag kehrte er zum Erbstollen zurück.

Nach der Mittagsglocke gab er das Zeichen, auf welches hin die große Saugpumpe in Tätigkeit gesetzt wurde.

Er selbst blieb von dem Augenblick an bei der Maschine und rührte sich nicht fort, bevor nicht die Arbeit vollendet war.

Die Kommissionsmitglieder blieben, zu ihrer Ehre sei es gesagt, bis ans Ende bei ihm und redeten kein Wort. Außer Iwan durfte da niemand seine Stimme hören lassen.

Nachdem das Zeichen gegeben war, begann unterirdisch ein schwaches Brausen zu ertönen, wie wenn in der Ferne die Flut über die geöffnete Schleuse schießt.

Die Maschine arbeitete erst mit halber Kraft.

Nach einer halben Stunde begann sich in das Geräusch ein tiefes Brausen zu mengen, wie wenn die letzten Glockenschläge in der Luft nachzittern; aber es war kein verhallendes Dröhnen, sondern die Vibrationen wurden immer stärker.

Die Erde war wie im Fieber.

Der Boden zitterte unter den Füßen der Menschen, und diese zitterten mit ihm. Das Fieber teilte sich jedem menschlichen Körper mit.

Nur einer zitterte nicht: der Meister.

Ruhig beobachtete er den Pendel, den Thermometer der Maschine, die merklichen Variationen im Stande des Barometers, den Ozono- und den Elektrometer, und schrieb seine Wahrnehmungen in sein Notizbuch ein.

Nach einer Stunde gab er dem Maschinisten ein Zeichen.

»Stärker!«

Und dann begann dort unten der Kampf der Zyklopen.

In den Tiefen der Erde begann ein dumpfes Dröhnen donnerähnlich zu rollen, das von Zeit zu Zeit von einem Erdstoß unterbrochen wurde.

Nun zitterten alle Gebäude auf der Oberfläche der Erde, die Wipfel der Pappelbäume und das Kreuz auf dem Turme wankten und verkündeten erschüttert die Angst des ganzen Tales.

Unter der Erde tobte, schmetterte, heulte das Heer der emporgeragten Riesen, die mit ihren Schultern, mit ihren Köpfen an der Erde rüttelten; das Brüllen des in die Höhle eingeschlossenen Orkans, das Heulen des an seiner Kette rüttelnden Riesen, das Schmerzgestöhn des Leviathans schienen dort unten miteinander zu wetteifern.

Sprachlos, versteinert blickten die Menschen auf Iwan; ihr starrer Blick fragte ihn: »Was tust du? Hetzest du die Götter der Unterwelt gegen uns?«

Der aber sah mit erhabener Ruhe auf sie herab, als wollte er sagen: »Fürchtet nichts! Ich halte meinen Fuß auf dem Kopf des Leviathan.«

Es sind schon drei Stunden, seit der unterirdische Kampf dauert.

Betäubt wanken die Menschen auf der wankenden Erde und fluchen dem Meister!

»Bist du denn ein Gott, daß du uns ein Erdbeben machst ?«

Iwan achtet ihrer Furcht nicht.

Aufs neue gibt er dem Maschinisten ein Zeichen.

»Mit voller Kraft!«

Die Maschine stürmt mit der ganzen göttlichen Kraft der Menschenmacht auf die Pforten der Hölle ein.

Die unterirdischen Stöße folgen rasch aufeinander und werden immer stärker, das tiefe Brausen steigert sich zu einem betäubenden Dröhnen.

»Es ist aus mit uns!« kreischen im Tal die Frauen und Männer.

Da schrillt ein betäubendes Zischen durch die Luft, als ob ein Vulkan plötzlich den Dampf ausgelassen hätte. Es war ein Donnern auf der Orgelpfeife.

Und aus dem Schacht des Aktienbergwerks steigt mit schrecklicher Schnelligkeit eine weiße Dampfsäule empor, die, sowie sie die kalten Regionen der Luft berührt, oben am klaren Himmel sich zu einer runden Wolke ballt, zu einer Wolke, aus welcher plötzlich der Regen herabzurieseln beginnt. Die untergehende Sonne zaubert einen Regenbogen dazu.

Und hierauf legen sich die unterirdischen Stöße, nur das zum Himmel aufschrillende Zischen gellt in die weite Ferne hin.

Iwan aber sagt umherblickend: »Paul, sammle von dem Regenwasser; ich muß erfahren, was es enthält.«

Hierauf gab er dem Maschinisten ein Zeichen, die Maschine stillstehen zu lassen. Nicht einmal ein Tropfen Schweiß saß ihm nach der anstrengenden Arbeit auf der Stirn.

Von dem angesammelten Regenwasser ließ er ein Quantum in ein Fläschchen füllen und steckte dieses in die Tasche.

»Nun, meine Herren, jetzt können Sie soupieren gehen. Die Arbeit ist vollendet.«

»Ist der Brand gelöscht?« fragte Spitzhase.

»Ganz gewiß!«

»Und die Dampfsäule dort?«

»Wird bis Mitternacht in gleicher Höhe stehen und dann noch lange fortdampfen. Gehen Sie soupieren. Ich habe zu Hause dringend zu tun.«

Wer hatte jetzt Lust zu soupieren! War doch allen die Kehle wie zugeschnürt, und niemand hätte es vermocht, einen Bissen hinunter zu bringen.

Die Dampfsäule drang aus dem Schacht noch immer empor, und jetzt bildete sich eine große Wolke ringsherum, welche die Dünste der Atmosphäre an sich zog und aus der nun der Regen herabströmte und Blitze hervorzuckten. Aber deshalb zog sich doch niemand unter ein Obdach zurück; die Vornehmeren hüllten sich in den Gummimantel, die Landleute in den Szür, und alle staunten die Erscheinung an, die erst abends zehn Uhr zu schwinden begann; die Dampfsäule wurde niederer, das Zischen nahm ab und ward nur von Zeit zu Zeit durch ein lauteres Gellen unterbrochen, und zuweilen durchzuckte ein Blitz die Krone der Dampfsäule; in der runden, weißen Wolke leuchtete es fort, jedoch ohne Donner und zuckende Strahlen. Einmal sank dann der Dampfriese ganz zurück in die Höhle, aus der er emporgestiegen war, um nur von Zeit zu Zeit noch einigemal das weiße lockige Haupt herauszustecken, doch drohte er nicht mehr mit seinem Geschrei. Das Zittern des Bodens hörte auf, das unterirdische Brausen verstummte. Von der fernen Kirche her erscholl ein Chorgesang: »Halleluja! Halleluja!« Das Volk hielt mit Fahnen und Laternen eine nächtliche Prozession.

Die Herren, die nun ins Gasthaus zurückkehrten, fanden dort bereits Iwan, der allein beim Nachtmahl saß.

Der kann jetzt essen.

Es fiel ihm jetzt ein, daß er ein Mensch sei, und er aß Fleisch mit Kartoffeln.

»Ich habe auch schon die chemische Untersuchung beendet,« sagte Iwan mit vollständigem Gleichmut, »und ich kann Ihnen die erfreuliche Nachricht geben, daß ich im Niederschlag 0.75 gebundene Kohlensäure gefunden habe.«

Herr Spitzhase fragte erstaunt: »Aber was nützen uns die 0.75 gebundene Kohlensäure im Niederschlag?«

»Daß wir das Bergwerk morgen an beiden Eingängen öffnen und nach der ersten Ventilation hineingehen können, um zu arbeiten.«

* * *

»Halleluja! Halleluja!«


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