Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Dritter Band.

Ritter Magnet.

Nach der Vorlesung wurden sämtliche Lampen aus dem Saal geschafft, bloß die Kerzen des mittleren Lusters ließ man brennen. Iwan schickte sich an, die elektromagnetische Beleuchtung zu zeigen.

Es gab in der Gesellschaft genug Leute, für die es ein neues und überraschendes Schauspiel war, als plötzlich der glänzende Stern sich entzündete, als ob der Stern der Venus irgend jemandem zuliebe vom Himmel herabgekommen wäre, um mit seiner Strahlenfülle die ganze lange Zimmerflucht derart zu erhellen, daß die Kerzenflammen des Lusters wie bläuliche Irrlichter tanzten und Schatten warfen.

Jedes Gesicht verlor in dieser Beleuchtung seine Farbe. »Siehe da die Menschen aus dem magnetischen Reich!« flüsterte man hier und dort. Iwan selbst, der auf der Estrade stand, sah aus wie ein glanzumflossener Zauberer, mit den Zügen einer Statue und tief beschatteten Augen. Die prachtvollen Nationaltrachten, die antiken Geschmeide der Damen, die Spangen, die Ketten und Schließen waren mit einem fremdartigen Schmelz übergossen und erhöhten den Reiz, welchen die edle Gruppe darbot.

Aber was den Lippen aller ein unwillkürliches »Ah!« entlockte, waren zwei Erscheinungen in dieser, die Sonne übertreffenden Glanzfülle. Die eine war Komtesse Angela. Das neue Licht benahm ihrem Gesicht dessen eignes, stolzes Strahlen. Der irdische, paradiesische, vornehme Reiz verschwand für diese paar Minuten von ihrem Gesicht, und an die Stelle desselben trat die Vision einer himmlischen Erscheinung, das Antlitz einer Verklärten, welche die Erde verlassend am Arm ihres Schutzengels zu den Sternen aufwärts schwebt, und vom Schimmer derselben beleuchtet, strahlt ohne einen Schatten zu werfen, ein Antlitz ohne Spur von irdischer Leidenschaft, Freude, Trauer, ohne jeden Zug von Spott, Trotz, Hochmut! So wunderbar wirkt das magnetische Licht!

Die andere Erscheinung war Gräfin Theudelinde. Sie saß auf einer Erhöhung in einem hohen Fauteuil, über die Gruppe der übrigen hervorragend. Der zauberische Glanz verlieh ihrem Gesicht etwas Feenhaftes. Dieses war ohnehin gewöhnlich blaß, jetzt wurde es glänzend. Ihre edlen Züge waren durchgeistigt. Und, sowie der Glanz die Brillanten ihres prächtigen Diadems berührte, funkelte es über ihrer Stirne, wie von einem Sternenkranz. Sie war erhaben. Fünf Minuten war sie die eroberndste Gestalt unter all den Schönen. Und doch war es schon lange her, seit der Spiegel ihr gesagt: »Schön bist du, du bist schön, schöne Königin!«

Und zu beiden Seiten war der Saal mit einem Spiegelgetäfel bedeckt, in welchem die Gruppen der Gesellschaft verdreifacht erschienen und jedermann sich sehen mußte. Theudelinde sah sich fünf Minuten hindurch als wunderschöne Erscheinung. Sie dachte bei sich: ich sehe aus wie die Königin Mab.

Plötzlich erlosch der Wunderstern, und es herrschte wieder die Finsternis des Kerzenlichts.

Ein bedauerndes »Ah« scholl durch die ganze Gesellschaft. Schade, daß es nicht länger dauerte! Die Leute reiben sich die Augen und erkennen einander wieder. Da gibt es keinen Ariel, keine Fee, keine zum Himmel emporschwebende Verklärte, noch eine von oben herabschwebende Himmelskönigin, noch Helden der Hunnensage mehr, sondern nur rechtschaffene alltägliche Grafen, Gelehrte und festtägliche Gräfinnen; das Gesicht der Komtesse Angela ist wieder erobernd und stolz, Theudelinde wieder starr und verstimmt.

Auch Iwan stieg von der Lesetribüne herab und empfing die Glückwünsche und Bemerkungen der ihm Entgegeneilenden.

Natürlich waren die Ansichten über seine Vorlesung verschieden.

Sein entzücktester Zuhörer war Graf Géza, der, sowie Iwan von seiner Tribüne herabstieg, ihn sofort in Beschlag nahm und mit einem Schwur beteuerte, daß er in jene Polarwelt vordringen werde; er ließ ihn nicht eher los, als bis er ihm sagte, wo man darüber Näheres erfahren könne. Iwan gab ihm die Weisung, daß er in der Bibliothek des Nationalkasinos im IX. Schrank eine ganze Reihe von Büchern finden werde, welche die genauesten Daten enthalten.

Aber Baron Eduard sprach mit ganz skeptischer Auffassung über diesen Gegenstand und bemerkte: »Nicht wahr, Sie haben uns da ein bißchen zum Narren gehalten?«

Eines der ansehnlichsten Mitglieder der Gelehrtengesellschaft drückte mit lächelnder Ironie sein Erstaunen darüber aus, wie viel Poesie sein geehrter Kollege diesem wissenschaftlichen Gegenstande abzugewinnen gewußt, während ein gleichfalls sehr angesehener Dichter sein Bedauern darüber ausdrückte, daß er bei einem so poetischen Gegenstande seiner Phantasie durch trockene wissenschaftliche Daten so sehr Schranken gesetzt habe.

Von ganz anderem Gesichtspunkt faßte der sehr belesene Graf Stefan die Sache auf.

Man muß die Anspielungen verstehen. Das Ganze ist eine Satire auf unsere gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, mit den Farben der Wissenschaft und Poesie geschmückt, damit nur die Sehenden sie erkennen. Ein ähnliches Werk aus der alten Zeit ist die Geschichte des Nikolaus Klimius, welche für die Kinder ein abenteuerliches Märchen ist, während der philosophierende Verstand darin eine bittere Satire gegen die geistlichen und weltlichen Regierungen erkennt. Nicht wahr, ich habe Ihre Absicht erraten?

Iwan dankte untertänig für diese gnädige Bemerkung. Und dann ging er, um der Herrin des Hauses für ihre Freundlichkeit zu danken.

Theudelinde empfing ihn mit lächelndem Gesicht. Auf ihren Fauteuil gestützt, stand Komtesse Angela neben ihr.

Als Komtesse Angela zu ihrer Tante hineilte, begrüßte sie dieselbe mit den Worten: »Tante, du warst großartig, ganz wie die Königin Mab.«

Die Wirkung dieses treffenden Wortes war das Lächeln, welches die Lippen Theudelindens umspielte, als Iwan sich ihr näherte. O, für die fünf Minuten, in welchen sie sich so schön erblickte, wird sie ihm zu ewigem Dank verpflichtet sein.

»Ich danke Ihnen für den Genuß, den Sie uns allen bereitet haben,« sagte sie, Iwan die Hand reichend.

»Ich war Ihnen das schuldig,« erwiderte Iwan; »als Sie mein bescheidenes Haus beehrten, gaben Sie mir einen Diamanten, damit ich ihn vor Ihren Augen verbrenne; zum Dank dafür gebe ich Ihnen jetzt einen Diamanten, der vor Ihren Augen erzeugt wurde.«

Hiermit überreichte er ihr das vom Leitdraht der Voltaischen Säule herabgenommene Stück Kohle.

»Wie ich in meinem Vortrag erwähnte, wird die Kohle im Magnetfeuer zu Diamant und ritzt in diesem Zustande Glas.«

»Ach, versuchen wir das,« sprach Komtesse Angela mit aufflammenden Augen. »Wo ist hier Glas? Ach da an der Spiegelwand. Kommen Sie.«

Das wollte auch Gräfin Theudelinde sehen. Sie stand von ihrem Sitz auf und ging mit den beiden zur Spiegelwand.

»Schreiben Sie einen Buchstaben auf die Spiegelwand,« sagte Komtesse Angela und blickte dann aufmerksam auf Iwan.

Welchen Buchstaben wird er wählen? Wenn er eitel ist, so wählt er den Anfangsbuchstaben seines eignen Namens, I, wenn ein alltäglicher Schmeichler, den Anfangsbuchstaben vom Namen der Herrin des Hauses, T, und wenn ein verblendeter Narr, den Buchstaben A. In jedem Falle kann er sich gefaßt machen, in dem göttlichen Gesicht Angelas ein höhnisches Lächeln zu erblicken.

Iwan nahm die Kohle und ritzte mit der Spitze derselben ein X in die Spiegelfläche.

Damit fängt kein Namen im ganzen christlichkatholischen Kalender an, ausgenommen in Spanien, wo es einmal einen Ximenes gab; aber bei uns tauft man niemanden auf diesen Namen.

Sie staunten den Buchstaben und die Kohle an, und letztere übernahm Gräfin Theudelinde mit der Versicherung, daß sie dieselbe unter ihren Bijouterien aufbewahren werde.

Komtesse Angela stand Iwan in solcher Nähe gegenüber, daß die Falten ihres Kleides ihn berührten.

»Wissen Sie, daß ich das alles glaube, was Sie uns vorgelesen haben? Ich bitte, sagen Sie nicht, daß die ganze Vorlesung nur den Zweck hatte, das Laienpublikum mit phantastischen Exzentrizitäten zum Studium der trockenen Wissenschaft anzulocken, daß das Ganze nur dazu war, daß diese vielen blasierten jungen Leute, morgen in aller Frühe in die Bibliotheken und zu den Professoren rennen, um zu erfahren, was in dieser Beschreibung wahr sei oder nicht, und so, ins Forschen hineingeschmeichelt, zuletzt Lust daran bekommen. Ich glaube alles so, wie Sie es geschildert haben. Aber ich möchte von dieser Wunderwelt noch mehr erfahren. Wie ist es weiter? Was sehen Sie noch? Denn der magnetische Seher muß alles sehen.«

In der Tat konnten einen die Augen der Komtesse Angela mit so magnetischer, Kraft anblicken, daß man unter diesem Einfluß Wunder sehen mußte. Die Strahlen dieser Augen haben schon viele zu Somnambulen gemacht.

»Sie haben davon gesprochen,« fuhr Angela fort, »wie feurig, wie stark dort die Menschen lieben können; aber das sei bei ihnen keine Tugend, das sei die Wirkung des Magnetismus. Ich glaube das. Nun aber hat der Magnetismus zwei Pole, Süd und Nord. Ich habe gelesen, daß die entgegengesetzten Pole einander anziehen und die gleichartigen sich abstoßen. Wenn also im magnetischen Reich Herzen, die einander anziehen, sich auch aufsuchen und sich in einer Liebe verbinden, die unwandelbar ist, so muß es dort auch einen Haß geben, der ebenso unwandelbar ist, wegen dessen die Menschen dort einander meiden, für welchen sie nicht können, und der auch bei uns keine Sünde ist. Nicht wahr?«

Iwan fühlte sich an die Wand gedrängt. Er verstand wohl, was Komtesse Angela fragte, und auch sie ahnte, daß ihre Frage verstanden sei. Wieder mußte die Physik Iwan aus dem Dilemma helfen.

»Es ist wahr, Komtesse, daß, wo es Leben auf der Erde gibt, dort auch Sympathie und Antipathie gleichberechtigt sind. Sie haben den Magnetismus studiert, von den Polen gelesen. Dann haben Sie gewiß auch gefunden, daß der Magnetismus auch einen Aequator hat, eine Linie, die weder Süd noch Nord ist. Das ist der magnetische Aequator, da zieht der Magnet weder an, noch stoßt er ab, da ist Ruhe. Einen solchen Magnetäquator trägt jeder Mensch in seinem Herzen, und wenn auch seine Leidenschaft in Haß und Liebe die größten Sprünge macht, so bleibt diese Linie unveränderlich, und die dort wohnen, wohnen ruhig.«

»Und was für Leute wohnen unter dem Magnetäquator?« fragte Komtesse Angela. »Zum Beispiel die Eltern eines Kindes und Kinder eines Vaters.«

Das Gesicht der Komtesse Angela erglühte, ihre schönen Augen schossen ganze Batterien von Blitzen in Iwans Augen, aber dessen Gesicht blieb ruhig.

»Hiervon werden wir noch mehr miteinander sprechen,« sagte Komtesse Angela und entfernte sich. Iwan verbeugte sich vor der stolzen Schönheit und kehrte zur Gesellschaft der Männer zurück.

Nach der Vorlesung war das Büfett an der Tagesordnung. Das Heer der Lateiner hatte sich von dort schon zurückgezogen. Wenn irgendwo, so verrät der Lateiner am Büfett seine bürgerlichen Sitten. Er ist gewohnt, wenn er essen will, sich an einer sicheren, unverrückbaren Stelle niederzulassen. Kann er die Ellbogen auf den Tisch stemmen, desto besser. An seinem eignen Tisch ist es ihm am liebsten, da sind für ihn sein Messer, seine Gabel, sein Löffel reserviert, die er schon am Griff erkennt. Niemand verlangt da von ihm, daß er den Teller in die eine Hand nehme und sich selbst bediene. Seine Frau legt ihm vor, und natürlich von allem das Beste. Schmeckt es ihm, so nötigt sie ihn noch zu essen. Schmeckt es ihm nicht, so fragt man ihn, was ihm fehlt. War die Speise schuld, so erhält die Köchin einen ernstlichen Verweis. Und will ihm gar nichts schmecken, so fällt ihm der jederzeit aushelfende Universalhausfreund, »ein wenig gebähtes Brot«, ein. O wie prächtig ist das, besonders wenn es ein wenig mit Knoblauch bestrichen ist, so daß nur ein leiser Duft davon auf dem Brot bleibt. – Wie anders ist es, an diesem gräflichen Büfett zu speisen. Hier ist ein Stoß Teller, dort ein Haufen Messer und Gabeln, davon muß man via facti, was man braucht, mit Beschlag belegen, dann zwei, drei Mitbewerbern die Hühneraugen abtreten, über einige Krinolinen stolpern, sich mit den Ellbogen bis zum andern Ende des Tisches einen Weg bohren, wo Gläser zu haben sind, vom Fasanenbraten sich das schlechteste Stück auswählen, damit die Nachfolgenden nicht sagen: Wie ungezogen, er nimmt sich das Bruststück, das doch ein anderer auch gerne essen möchte! Hat man nun einen Fasanschenkel erobert, so muß man sich damit in einen Winkel flüchten, in eine Hand den Teller nehmen, in die andere das Messer, in die dritte, wenn man eine hätte, die Gabel. Wenn nur wenigstens ein Hund da wäre, dem man die Knochen geben könnte, für die man keinen Ablagerungsplatz findet. Dann muß man mit einer zu einer Schaufel gebogenen vierzackigen silbernen Gabel eine Sulz aufzugabeln und die ewig zitternde Masse festzuhalten trachten, und dabei sein Glas nach rechts und links verteidigen, damit es einem nicht vor der Nase weggenommen werde, achtgeben, daß einem nicht der Saft des Kompotts in den Hals, oder in die Taschen geschüttet werde, mit unmöglichen Messern der Widerstand leistenden Kruste einer Gänseleberpastete beikommen, die doch, die Kruste nämlich, das Beste daran ist, zuweilen ein einem im Weg stehendes Essig- und Oelflaschenpaar umstoßen und mit Schauder bemerken, daß die bereits verschluckte Gelatine Schildkröte war! Zuletzt findet man nicht einmal jemanden, bei dem man sich für das Abendessen bedanken kann. Und anstatt des häuslichen Zahnstocherwiederkauens muß man sich da noch vor aller Welt den Mund ausspülen!

Zu Hause ist es besser, oder doch wenigstens in dem Wirtshaus, in welchem man Stammgast ist, befiehlt, tadelt und den Kellner duzt.

Iwan gehört nicht zu den sich Flüchtenden. Er mengte sich unter die Gesellschaft und benahm sich wie einer, der sich zu Hause fühlt.

Die Gruppe der Herren und Junker empfing ihn sehr freundlich, jeder Mann unter 40 Jahren duzte ihn. Man nahm ihn in die Gesellschaft auf. Es kostet ja nichts. Uebermorgen geht er nach Hause, nach Mesopotamien, und niemand weiß mehr etwas von ihm.

Man fing an, ihn über den Gegenstand seiner Vorlesung zu necken. Und da stellte es sich heraus, daß dieser gelehrte Troglodyth ein ganz fideler Geselle sei. Er nimmt den Scherz auf, lacht selbst am gemütlichsten, wenn er einen treffenden Hieb erhielt, gibt ihn aber bei Gelegenheit ebenso gemütlich zurück, ohne jemanden zu verletzen.

Den Angriff auf ihn begann ein Mann in Husarenuniform, Marquis Salista, ein in Ungarn indigenierter Edelmann, den die Herren untereinander Kapitän nannten. Eine breitschulterige Boxergestalt mit gewölbter Brust, mit zurückgeworfenem, kraushaarigen Kopf, rotem, lachendem Gesicht und in die Höhe gedrehtem Schnurrbart. Jetzt hinkte er wie einer, der ein kürzeres Bein hat, und indem er Iwan die Hand schüttelt, stellt er sich ihm vor.

»Marquis Salista, Husarenkapitän. Glaube aber nicht, daß ich etwa deshalb hinke, weil man mir ein Bein weggeschossen hat. Ich gehe krumm, weil mir ein Poet auf den Sporn getreten hat, und mit diesem zugleich mir der ganze Absatz vom Stiefel fiel.«

»Da hat der Poet getan, was zu seinem Metier gehört,« erwiderte Iwan lachend; »du warst ein Hexameter, und er hat einen Jambus aus dir gemacht.«

»Hahaha!« lachte der Kapitän schrill; »das ist ein guter Witz, hört! Ich war ein Hexameter, ein Kavalleriesoldat, folglich sechsfüßig, und bin ein Jambus geworden, eine kurze und eine lange Silbe. Aber jetzt hör' auch von mir einen Witz. Du hast von den Menschen deines magnetischen Reiches gesagt, daß sie blaues Haar haben; dann ist auch der Bart bei ihnen blau, dann aber ist es nicht wahr, daß jeder nur ein Weib hat, denn ein Blaubart muß sieben Weiber bekommen.«

»Oder sieben Körbe,« antwortete Iwan.

»Ha! ich bin erkannt!« rief der Kapitän gutmütig, unter dem ausbrechenden Gelächter der Jugend.

Vom Kapitän war es bekannt, daß er fortwährend eine Partie zu machen suchte, daß es aber bei ihm nie zur Effektuierung des negoziierten Konsortiums kam.

Einen Menschen, der Spaß verträgt und zu vergelten weiß, sieht man in der Gesellschaft gerne.

»Aber es mag ein interessantes Land sein,« fuhr Marquis Salista neckend fort, »jeder Mensch ist eine Leydener Flasche, aus der die Funken sprühen – hat man ein Duell, so braucht man keine Pistolen, man streckt nur die Hand nach dem Gegner aus. – Aber noch viel interessanter mag es sein, daß man, wenn man sich auf der Gasse eine Zigarre anzünden will, zu einer einem eben in den Wurf kommenden Dame sagt: Ich bitte um einen Kuß, damit ich mir daran die Zigarre anzünde.«

Jetzt lachte man auf Iwans Kosten. Iwan war nicht böse darüber, obgleich es sonst die schwache Seite der Gelehrten und Poeten ist, daß sie es nicht ertragen können, wenn man über ihre Einfälle scherzt. Er setzte den Scherz fort.

»O, dort gibt man sich nicht mehr mit Zigarrenrauchen ab. Was sie denn machen? Nun, die Sache verhält sich so, wie bei uns die Gasbeleuchtung. Der Staat läßt Tag und Nacht einen großen Kessel mit Tabak heizen und der Rauch desselben wird, wie bei uns das Gas, mittels Röhren in die Häuser geleitet; in jedes Zimmer mündet eine Röhre, die man nach Belieben öffnen und schließen kann, und die in eine Bernsteinspitze ausläuft; da kann jeder aus dem Staatsnargileh so viel rauchen, als er will.«

»Großartig!« rief Marquis Salista.

»In deinem Reich gefällt mir nur das nicht,« redete Baron Oskar drein, »daß es dort keine Pferde und somit auch keinen Turf gibt.«

»Jawohl, aber dabei ist auch das Gute, daß die Leute kein Beting-House haben.«

Jetzt wandten sich alle ab, um zu lachen. Baron Oskar hatte im Beting-House viel Geld verloren.

»Aber mir gefällt dein ganzer Staat doch nicht,« fuhr der Kapitän fort; »denn was wäre ich dort, wenn man keine Soldaten braucht.«

»Nichts!« bestätigte Iwan, »nicht einmal Se. Heiligkeit der Papst wärst du.«

Hierauf brach unter den Umstehenden ein lautes Gelächter aus, und der Kapitän zeigte sich ein wenig betroffen und errötete; aber dann fing auch er an zu lachen.

»Seht einmal den Sterngucker, was er für ein ernstes Gesicht dazu macht! Und doch möchte ich wetten, daß er es so gut wie ich selber weiß, daß auch ich päpstlicher Zuave war und ebenfalls in die Flucht gejagt wurde; ich lief so, daß ich nicht stehen blieb, als bis ich nach Hause kam. Hahaha!«

Bei diesem Thema nahm auch Abt Samuel das Wort.

»Mich verdrießt es noch mehr, daß Sie aus dem magnetischen Reich den Klerus ganz verbannt haben.«

»Na, dem kann noch abgeholfen werden,« erwiderte Iwan lustig; »wenn sie den Text der Vesper kennen lernen, so bekommen sie vielleicht noch Lust dazu.«

Dieser Hieb fällte den ganzen Wald vor Iwan. Die Geschichte der Vesper von Bondavár kannte jedermann, denn Gräfin Theudelinde besaß richtiges Gefühl genug, um sie den Bekannten lieber selbst mitzuteilen, als zu warten, bis Fremde sie erzählten; aber mit dem Geistlichen hatte noch niemand gewagt, darüber zu scherzen. Jetzt aber, da sie sahen, daß der Geistliche über Iwans Worte selbst dermaßen lachte, daß ihm die Tränen über die Backen rannen, erkannten sie, daß er ein kreuzfideler Bursche sei, mit dem man sich unterhalten kann.

Der ist ja ein Eingeweihter, der kennt ja unseren Jargon; wir lachen, und wer nicht zu uns gehört, weiß nicht, worüber wir lachen. Den muß man schon mit »Tschau!« grüßen. Der Gelehrte ist ein prächtiger Junge! Tun wir ihm einen guten Tag an!

»Ist es wahr, daß du niemals Wein trinkst?« fragte der Kapitän Iwan.

»Des Jahres einmal.«

»Und heuer ist der Jahrestag noch nicht wiedergekehrt?«

»Nein.«

»Nun, dann trinken wir, daß es auf ein Jahr genug ist; wer hält mit uns?«

Ein Teil der Männergesellschaft begab sich wieder in die Salons. Es waren ein paar schöntuende Jünglinge, einige obligate Tänzer. Die Damen pflegten nach dem Tee beim Klavier einige Quadrillen zu tanzen, vielleicht auch einen Csárdás, wenn die Lust dazu sehr groß war. Graf Stefan blieb im Saal, bis er den letzten Gelehrten und Poeten verschwinden sah und ging erst dann nach Hause, wenn die ganze Gesellschaft sich aufzulösen begann – das heißt nicht die ganze Gesellschaft; denn ein Teil derselben pflegte früher zu desertieren und sich in Graf Stefans Wohnung hinauf zu begeben, welcher im Palais der Gräfin Theudelinde den ganzen zweiten Stock bewohnte. Dort unterhielten sich dann die Herren in ihrer Weise.

In einem abgelegenen Zimmer, von wo der Lärm nicht hinabdrang, pflegten sie sich beim Champagner zu erlustigen.

Iwan zeigte sich hier von einer neuen Seite. Er vertrug den Wein. Seine Toaste hatten Kern, seine Anekdoten waren neu und interessant, seine Witze scharf und ungezwungen. Und wie viel er auch trinken mochte, seine Stimmung änderte sich nicht um eines Haares Breite. Er blieb stets sanft.

»Bruder!« sagte Graf Géza zu ihm gegen zwei Uhr mit stammelnder Zunge; »ich und der Kapitän sind übereingekommen, dich, sobald du betrunken bist, nach Hause zu bringen und dich schön niederzulegen. Aber verzeihe mir, lieber Freund, Ritter Magnet, ich weiß jetzt selbst nicht, wie man es anfängt, um die Treppe hinauf zu kollern, ich bin matsch. So nimm du nur deine Flügel, lege auch dem Kapitän seine Flügel an und fliegt ohne mich nach Hause.«

Hiermit legte er sich auf ein Sofa nieder und schlief ein.

Die Gesellschaft lachte über diese Aufrichtigkeit. Iwan lachte mit.

Der Spitzname: »Ritter Magnet« blieb ihm.

»Aber um die Wahrheit zu gestehen,« sagte der Kapitän, »was das Fliegen betrifft, so könnte ich mit meiner Statur selbst im magnetischen Reich mich nicht über den Erdboden erheben.«

»Ich weiß nicht, wie hoch du dein Gewicht schätzest,« sagte Iwan; »aber meines Wissens ist es nur der Skis, von dem man nicht sagen kann ›Volat‹ (er fliegt).«

(Für diejenigen, welche in die Geheimnisse des Kartenspiels nicht eingeweiht sind, fügen wir zur Erklärung hinzu, daß der »Skis« eine gewisse mit Unfehlbarkeit und höchster Gewalt ausgestattete Individualität ist, die in gesticktem Ornat gemalt zu werden pflegt, die über allen Königen steht und allgemeine hierarchische Verehrung genießt; »Volat« aber ist ein gewisses Losungswort, das den Zustand ausdrückt, in welchem das unterdrückte Recht zeitweilig der faktischen Gewalt zu huldigen gezwungen ist.)

»Ah,« rief der Kapitän, »du verstehst auch das? Pflegst du Karten zu spielen, Gelehrter?«

»Alle drei Jahre einmal.«

»Das ist nicht genug.«

Warum es nicht genug sei, konnte er nicht mehr sagen, denn eben kam Graf Stefan herauf und teilte mit, daß die Gesellschaft unten sich bereits zerstreut habe und daß Gräfin Theudelinde sich zur Ruhe begibt; deshalb sei es Zeit auch hier oben der lärmenden Unterhaltung ein Ende zu machen. Das fand jedermann natürlich.

»Aber deshalb ist vom Nachhausegehen keine Rede,« sagte Marquis Salista. »Gebt Tarockkarten her! Bringen wir die zur Arbeit bestimmte Zeit nicht müßig zu.«

»Wer hält mit?«

Der erste ist natürlich der Herr Abt, da macht er seine Studien. Dann folgt gleich Baron Oskar, denn er spielt leidenschaftlich gern. Der dritte ist der Kapitän, denn Spielen ist sein Metier. Wer ist der vierte?

»Na, gelehrter Freund?«

Graf Stefan hielt es nicht für überflüssig, seinem Gast zu bemerken, daß diese Herren um sehr hohe Einsätze spielen.

»Ach, was!«, sprach Marquis Salista, »um einen Kreuzer die Pointe!«

»Ja freilich, bei einem solchen Kreuzerspiel kann man in einer einzigen Partie sieben, achthundert Gulden verlieren. Diese Herren haben aus dem Gesellschaftsspiel ein Hasardspiel gemacht.«

Iwan lächelte.

»Ich spiele jeden Tag ein Hasardspiel mit einem sehr großen Herrn, mit der Natur; jeden Tag setze ich mein ganzes Vermögen um einen verhältnismäßig geringen Gewinn auf eine einzige Karte.«

Und hiermit rückte er seinen Stuhl zu dem grünen Tisch.

Es ist ein schönes Spiel, das diese Herren spielen; auch auf dem Lande spielt man es, nur daß die Leute dort noch nicht darauf gekommen sind, wie man es zum Hasardspiel hinaufschrauben kann. Zum gewöhnlichen Hasardspiel braucht man nichts als Glück und Verwegenheit. Selbst ein Betrunkener kann zufällig gewinnen. Aber bei diesem Spiel ist alles, was man Glück, blinden Zufall, dummes Ungefähr nennt, mit Berechnung, Vorsicht, Ueberlegung und Verwegenheit verbunden. Der Tarockspieler muß nicht bloß seine Karten, sondern auch die Gesichtszüge seines Gegners studieren. Er muß Lavater und Tartüffe in einer Person sein, er muß Verzweiflung zeigen, wenn er sich freut und voller Zuversicht scheinen, wenn er am meisten Angst hat; er muß ein Feldherr sein, der jeden Augenblick einen neuen Schlachtplan entwerfen, und ein Bosco, der aus der ersten ausgespielten Karte den ganzen Stand der Kartenverteilung erraten kann; und großmütig muß er sich für die Zukunft, für das Gemeinwohl opfern können.

Darum bedauerten die Herumstehenden Iwan sehr, als er sich mit diesen drei Großmeistern des Spiels zum Kartentisch setzte. Das ist nichts für einen Menschen, der alle drei Jahre einmal die Karten und alle Jahr einmal die Weinflasche zur Hand nimmt, zumal wenn er gerade an dem Tage spielt, an welchem er Wein getrunken hat.

Es war sieben Uhr des Morgens, als die Herren vom Spieltisch aufstanden.

Als Iwan den Stuhl auf die Seite rückte, sagte Marquis Salista zu ihm: »Na, Kamerad, es ist ein großes Glück für die Welt, daß du nur einmal des Jahres trinkst und alle drei Jahre einmal spielst; denn wenn du das alle Tage tätest, so bliebe in Ialics' Keller kein Wein und in Rothschilds Kasse kein Geld.«

Iwan hatte sämtliche drei Herren vollständig ausgesackt.

»Der kann alles!« seufzte der Abt.

»Aber vor dem Fortgehen trinken wir noch zum Abschied,« sagte der Marquis. »Wo ist der Absynth?«

Hiermit füllte er zwei Champagnergläser mit dem wilden, giftgrün schimmernden Geist, welchen gescheite Leute, denen es leid tut, daß sie so viel Verstand haben, nur aus fingerhutgroßen Gläschen zu schlürfen pflegen.

»Nun, das zum Abschied.«

Graf Stefan schüttelte den Kopf zu diesem Spaß, aber Iwan nahm das ihm dargebotene Glas, stieß mit dem Kapitän an und leerte sein Glas auf einen Zug.

Und hiermit nahm er wie einer, der alles getan, was in seiner Schuldigkeit lag, sehr höflich Abschied vom Grafen Stefan, welcher seinerseits ihn bat, sich da auch fernerhin als gern gesehenen Gast zu betrachten. Dann wartete er noch auf den Abt und entfernte sich mit diesem.

Aber Marquis Salista fand kaum den Weg ins Vorzimmer. Das Glas Absynth war doch eine zu große Dosis! Und im Vorzimmer überraschte er seine Freunde damit, daß er mit aller Gewalt darauf bestand, Iwans mit Persian verbrämte Mütze sei die seine. Zuletzt mußte Iwan mit Salistas goldverschnürter Militärkappe nach Hause gehen.

Sowie sie auf die Treppe gelangten, wollte der Kapitän mit aller Gewalt behaupten, daß er fliegen könne, denn er sei ein Mensch aus dem magnetischen Reich und habe Flügel; Iwan und der Geistliche hatten alle Mühe, ihn in den ersten Stock hinabzutragen. Da fiel es ihm ein, er müsse zur Gräfin Theudelinde und ihr dafür danken, daß sie so gnädig war, seine schwache Vorlesung anzuhören; denn er sei der Gelehrte, der heute hier eine Vorlesung hielt, und er schlage jedem den Schädel ein, der ihm sagt, daß er kein Gelehrter ist. Und er ließ sich nicht eher weiterbringen, als bis irgendein Kammermädchen die Hand zur Tür heraussteckte, damit er sie küsse. Kaum vermochten sie ihn in den Fiaker hineinzuschieben, und als sie ins Hotel kamen, mußte Iwan ihn die Treppe hinaufschleppen, denn da wußte er von der Außenwelt nichts mehr.

Mittags erstattete der Herr Abt dem Grafen Stefan Bericht. Marquis Salista, sagte er, liegt zu Hause in tiefem Schlaf, Iwan aber sitzt am Schreibtisch und schreibt Briefe.

»Er kann verflucht viel vertragen,« sagte Graf Stefan.

»Er ist eine ausgeruhte Kraft,« bemerkte darauf der Abt, umherblickend, ob nicht jemand da sei, der ihn hört – sequioris sexus!

Iwan behielt in der Gesellschaft den Namen: »Ritter Magnet«.

Ritter Magnet war von nun an überall zu sehen; er machte Besuche und ließ sich auch im Kasino zum ordentlichen Mitglied wählen. Er hatte es zwar auch schon vordem besucht, da er durch den Herrn Abt eingeführt war; aber das Kasino hat fünf Weltteile, und seine Bewohner gehören wie die Lepidopteren zu drei Klassen; es sind nämlich Tagschmetterlinge, Abendfalter und Nachtfalter. Bei Tag besuchen die gelehrten Mitglieder die Bibliothek, welche eine der interessantesten und wertvollsten Büchersammlungen ist; abends von sechs bis acht spielen die Septemvire und Advokaten Whist und politisieren; von acht Uhr bis Mitternacht endlich nimmt die hohe Gesellschaft das Feld ein. Daher kommt es, daß zwei Menschen täglich ins Kasino gehen können, ohne einander jemals zu begegnen.

Iwan durchforschte zuerst die Bibliothek, dann teilte er sich den »noctuas« zu.

Er dachte nicht mehr an die Heimreise. Er ging vielmehr in alle Unterhaltungen, und im Theater war er einer derjenigen, die während der Zwischenakte in der Loge der Gräfinnen Bondaváry Besuche zu machen pflegten.

In der zweiten Woche war bei Gräfin Theudelinde Ball. Iwan wurde auch dazu eingeladen und folgte der Einladung.

»Tanzest du?« fragte ihn der Kapitän.

»Ich habe einmal getanzt, es ist schon lange her, bereits fünfzehn Jahre.«

»Für uns paßt es schon besser zuzusehen. Ein gescheiter Mann tanzt nicht mehr, wenn er über fünfunddreißig Jahre alt ist.«

Zu sehen gab es in der Tat genug; die unnachahmliche Anmut und Geschmeidigkeit, welche die Damen der hohen Welt im Tanz entwickeln, ist ein Schauspiel für Götter.

Komtesse Angela war heute besonders schön; sie trug ein rosenfarbenes Kleid mit einem ausgeschnittenen, mit Perlen ausgenähten ungarischen Leib und spitzenbesetzten Aermeln; ihr Haar hatte sie nach Art der Bauernmädchen in zwei mit Bändern durchwundene Zöpfe geflochten, die lange hinabhingen und ihre fürstliche Gestalt noch hinreißender machten.

Aber Menschen werden endlich auch eines Schauspieles für Götter satt. Nach dem Souper hieß es: Lassen wir die Zeit nicht müßig verstreichen, gehen wir Karten spielen.

Iwan spielte jetzt täglich. Er spielte elegant. Er stritt nicht mit seinen Partnern. Er wußte mit Grazie zu verlieren, blieb gleichmütig wenn er gewann, war nicht verdrießlich, wenn er schlechte Karten bekam, und machte keine Fehler. Man hielt ihn für eine sehr gute Akquisition. Für einen Gelehrten ein sehr brauchbarer Mensch!

Nach dem Souper spielten die Alten und die Männer von gesetztem Alter in einem Nebenzimmer, während die Blitzjungen im Salon sich dem Tanze hingaben.

Iwan hatte heute wieder seinen glücklichen Tag.

Plötzlich kommt Graf Edmund mit großer Eile ins Zimmer und sagte Iwan: »Wirf gleich die Karten weg, Angela will mit dir im ungarischen Kotillon eine Tour tanzen.«

»Ich bitte dich, spiele du einstweilen für mich,« erwiderte Iwan, Edmund seine Karten und seine Kasse übergebend. Und hiermit eilte er in den Salon, um mit Komtesse Angela den ungarischen Kotillon zu tanzen.

Ungarischer Kotillon! Wunderbare Zeiten!

Daß wir einen ungarischen Königshof sehen, ein ungarisches Ministerium, ungarische Honvéds, ungarische Silber- und Goldmünzen: darin ist nichts Besonderes, das ist sehr natürlich, das war das Schicksal uns schuldig; aber ein ungarischer Kotillon – gestehen wir es nur – gehört schon zu den Errungenschaften. Wir tanzten den Kotillon nach den Noten des Csárdás.

Also Iwan ging zur Komtesse Angela und verneigte sich vor ihr.

»Sie würden sich um mich gar nicht umsehen, wenn ich nicht nach Ihnen schickte,« lautete ihr freundlicher Vorwurf.

»Vor eine Königin tritt man nur hin, wenn man gerufen wird.«

»Schmeicheln Sie nicht, das können auch andere. Wenn Sie sich bei mir mit Schmeicheleien eingeführt hätten, so würde ich kein Wort mehr an Sie verloren haben, aber Sie haben mit einer Beleidigung begonnen, und das ist mir lieber.«

»Ich erinnere mich nicht, Sie beleidigt zu haben.«

»Weil Sie noch gar nicht aufgehört haben, mich zu beleidigen. Sie wissen das recht gut.«

Die Reihe kam eben an sie, sie mußten in den Tanz eintreten. Man merkte es Iwan nicht an, daß er fünfzehn Jahre nicht getanzt habe, er konnte es auch jetzt noch gut.

Den im Spielzimmer Zurückgebliebenen gab unterdessen Graf Edmund beim Kartenmischen folgende Neuigkeit zum besten.

»Wißt ihr was Neues? Meine Cousine Angela ist in diesen Ritter Magnet vernarrt.«

»Ah! in den Ritter Magnet!« rief der Marquis ungläubig.

»Glaubt ihm nicht,« sprach Graf Stefan drein; »ich kenne unsere schöne Angela. Sie ist voll feiner Malice. Wenn sie bemerkt, daß ein Mann irgendein Steckenpferd hat, so läßt sie ihn es vorreiten, karrokolieren, die hohe Schule durchmachen, wie es Madame Schlesak nicht besser könnte. So macht sie es mit jedem; hat sie das Lieblingsthema eines Menschen herausgefunden, so spricht sie davon mit ernster Miene und großer Teilnahme, und dann lacht sie ihn aus. So ging es auch dem armen Sondershain mit ihr, der ein sehr wackerer Junge ist und nur den einen Fehler hatte, daß er Angela zu stark huldigte, weshalb sie ihn verabscheute. Sie lacht jeden aus, der sich durch sie verleiten läßt, vor ihr sein Steckenpferd zu reiten.«

»Ganz richtig. Aber sie lobt Iwan nicht ins Gesicht, sondern vor mir, und nicht weil er ein Akademiker und Geolog, sondern weil er ein wackerer Mann ist.«

»Auch das ist ein Kunstgriff! Sie weiß gut, daß das Lob, welches man vor einem dritten äußert, die süßeste Lockspeise ist.«

»Nur daß ich es Iwan nicht sage.«

»Damit erweisest du ihm eine große Freundschaft,« schloß Marquis Salista lachend.

Das tanzende Paar kehrte wieder auf den Platz zurück.

»Sie waren schon bereit, von Pest abzureisen? Der Abt hat es mir mitgeteilt,« sagte Angela zu Iwan.

»Seitdem ist ein Fall eingetreten, der mich längere Zeit hier zurückhält.«

»Haben Sie zu Hause Familie?«

»Ich habe niemanden auf der Welt.«

»Warum nicht?«

Das ist eine schwierige Frage.

»Sie haben vielleicht schon gehört, was ich zu Hause bin. Ein Steinkohlengräber. Den hellen Teil des Tages bringe ich unter der Erde zu.«

»Ich verstehe. Das übrige ist leicht zu erklären,« erwiderte Angela. »Die Lage einer Frau, deren Mann ein Bergmann und noch dazu in einer Steinkohlengrube ist, muß schrecklich sein. Es ist ein unerträglicher Gedanke, täglich Abschied zu nehmen vom Gatten, der in die Tiefe hinabsteigt, täglich von ihm zu wissen, daß er begraben ist, mit jedem Atemzug darum flehen zu müssen, daß er wieder auferstehe, zu wissen, daß der Geliebte sich tief unter der Erde befindet, von wo sein Schrei nicht heraufdringt, und zu wissen, daß die Tiefe dieser Erde voll feindseliger Gespenster ist, daß ihn eine tödliche Atmosphäre umgibt, die nur eines Funkens bedarf um zur Hölle zu werden, in welcher der geliebte Mann für ewig verloren ist. Ich begreife, daß kein Frauenherz sich einer solchen Aufregung unterziehen will. Ach! wenn eine Mutter ihrem sich heiter tummelnden Kinde, zurufen muß: Laufe nicht so sehr, sonst fällt deinem Vater unten ein Stein auf den Kopf! Aber warum halten Sie sich so viel in der Kohlengrube auf? (Dieser letztere Satz war von einem ärgerlichen Gesichtsausdruck begleitet.)«

»Weil das mein Element ist, wie dem Soldaten das Schlachtfeld, dem Schiffer das Meer, dem Reisenden die Wüste; und was jene leitet, das leitet auch mich, die Leidenschaft! Ich liebe die unterirdische Finsternis!«

Die Wärme, mit welcher Iwan diese Worte sprach, zündete. »Alle Leidenschaft ist erhebend!« erwiderte Angela; »besonders die schöpferische und die zerstörende Leidenschaft. Ich verstehe das Weib, welches den Mann bis zum Schlachtfeld begleitet; ich begreife auch diejenige, die den Mann in die Schlacht begleitet, obgleich die heutige Art der Kriegführung genug prosaisch und schmutzig und aller Idealität bar ist. Aber den Heroismus des Bergmannes vermag ich mir nicht zu erklären. Ein Mann, der sich mit den toten Steinen unterhält, erinnert mich an den Prinzen Badrul Budur, der halb zu Stein wurde, und welchem seine Gattin einen Sklaven vorzog. Besser gefällt mir der, welcher die Erde auf ihrer endlosen Oberfläche durchforscht. O, die Gattin eines Sir Baker kann ich begreifen, die an der Seite ihres Mannes die Wüsten Südafrikas durchwandert, in der einen Hand das Gewehr, die andere in der Hand des Mannes. Zusammen ertragen sie die versengende Hitze, zusammen stürzen sie sich unter mörderische, wilde Tiere; Hand in Hand treten sie vor den wilden Mohrenkönig, und wo der Arm des Mannes erlahmt, siegen die Augen der Frau. Ich kann mich in die Lage einer Frau versetzen, die allein und verlassen im Mangavewald den Kopf des verwundeten Reisenden im Schoß hält, ihn schwere Nächte hindurch mit geladenem Gewehr bewacht und für seine Wunden heilende Kräuter sucht – die ihre Speisen in der Wüste bereitet, mit dem einzigen Manne, dessen einziges Weib sie ist, von keinem Europäer je besuchte Gegenden bereist und vor zehntausend anderen Frauen mit dem stolzen Bewußtsein erscheint, daß sie im ganzen Lande die einzige ist, die schön ist und den Namen Weib verdient!«

Wieder mußten sie in die Reihe der Tanzenden eintreten und ihr Gespräch unterbrechen.

Als sie auf ihren Platz zurückkehrten, kam Angela auf ihren vorigen Gesprächsgegenstand zurück.

»Was ich Ihnen vorhin sagte, war der Ausbruch einer feigen Eitelkeit. Elende Phantasie! In einem Lande zu reisen, wo das Weib sich nur durch den aufrechten Gang vom Tier unterscheidet, wo diejenige ein Ideal von Schönheit ist, deren Oberlippe so durchlöchert ist, daß man, wenn sie lacht, durch die Lippe die Nase sieht! Lächerlich! hier darauf stolz sein zu wollen, daß man die schönste Frau und dem Manne treu ist – die Schönste unter Ungeheuern, im Reiche der Häßlichen! Nein, nein! Ich wüßte mir Besseres, Kühneres. Ein Weib, Fräulein Christiani, hat es vollbracht, allein die Steppen Asiens zu Pferde zu durchreisen. Nie! wenn ein Weib und ein Mann den Mut hätten, durch den Polinia-Kanal zum warmen Meer vorzudringen, welches Kane entdeckt hat? – wenn ein Weib und ein Mann den Mut hätten, an den Ufern des Nordpolreiches vor Anker zu gehen und dort den Bewohnern des magnetischen Reiches kühn zu sagen: Messet euch mit uns! Wir sind schöner als ihr, stärker als ihr, treuer als ihr und glücklicher als ihr! Das wäre ein Triumph! Eine solche Reise möchte ich unternehmen!

Angelas Augen strahlten bei diesen Worten im Glanz der Aurora borealis!

Iwan entschloß sich zu einer kühnen Aeußerung.

»Komtesse! wenn Sie eine solche Leidenschaft haben, unbekannte Weltteile zu entdecken und die Bewohner derselben zum Wetteifer herauszufordern, wer besser, treuer, liebenswürdiger sei, so kann ich Ihnen ein Land empfehlen, das viel näher ist.«

»Welches ist das?«.

»Ungarn.«

»Ei, sind wir denn nicht da?«

»Sie, Komtesse, sind nicht da, Sie sind nur zu Besuch bei uns und wissen nicht, wer und was wir sind, Komtesse. Sie haben weder in Abessynien noch an den Polen etwas zu suchen; Sie haben eine neue Welt vor sich, wo die Leidenschaft zu schaffen und zu wirken einen großen Spielraum hat.«

Angela breitete ihren Fächer aus und fächelte damit gleichmütig ihren weißen Busen.

»Was kann ich tun? Ich bin nicht unabhängig.«

»Sie sind nicht unabhängig und herrschen dennoch.«

»Ueber wen?«

»Komtesse! es würde Sie nur ein Wort kosten, und das Wiener grüne Palais würde, mit allem, was drin ist, nach Pest kommen. Die Gesellschaft hier unten bedarf einer großen leitenden Gestalt, die in Wien jetzt tatlos vegetiert, und das ist Ihr Großvater, der Sie anbetet. Ein Wort von Ihnen könnte unserer ganzen Existenz eine neue Wendung geben. Auf ein Wort von Ihnen würde Fürst Theobald nach Pest übersiedeln.«

Komtesse Angela schlug zornig ihren Fächer zusammen und sah, beide Hände in den Schoß legend, mit flammenden Blicken auf Iwan.

»Wissen Sie, daß der Gegenstand, welchen Sie jetzt erwähnt haben, mir so verhaßt ist, daß bisher jeder, der es wagte, ihn vor mir zu berühren, sich bei mir verhaßt machte?«

»Ich weiß es, Komtesse.«

»Und was gibt Ihnen den seltenen Mut, daß Sie, dies wissend, den Gegenstand dennoch vor mir erwähnen?«

»Ich will es Ihnen sagen, Komtesse. Zwischen Ihrer Familie und der meinigen besteht eine gewisse alte Verbindung.«

»Ah! das ist mir neu, davon habe ich noch nie etwas gehört.«

»Ich glaube es. Einer Ihrer Ahnen war Kardinal, und zur selben Zeit war einer meiner Vorväter Prediger in Patak. Ich setze Ihnen nicht auseinander, welche Differenz zwischen beiden bestand. Genug an dem, diese Differenz war zuletzt Ursache, daß der Kardinal den Pataker Prediger auf die Galeeren brachte. Der Prediger hätte nur ein Wort auszusprechen gebraucht, welches der Kardinal ihm vorsagte, und er wäre frei geworden; dieses Wort war: abrenuncio (ich widerrufe). Er sprach es nicht aus. Als man dem Prediger das Eisen um den Hals befestigte, denn am Halse hingen die Ketten, mit welchen man die Galeerensklaven an die Bank kettete, bat Ihr Ahnherr, der Kardinal, erst mit Worten des Zornes, dann mit Tränen in den Augen den Prediger, das Wort: abrenuncio auszusprechen. Mein Ahn aber wies ihn zurück und sagte: non abrenuncio. Demselben Zorn stehe ich jetzt gegenüber, und mit denselben Worten rufe ich: non abrenuncio. Das ist der Rapport, in welchem unsere beiderseitigen Familien zueinander stehen. Wollen Sie mich ebenso behandeln wie der Kardinal meinen Ahn?«

Komtesse Angela hielt ihren zusammengelegten Fächer krampfhaft fest und flüsterte, die Augen weit geöffnet und ihre schönen weißen Zähne grausam zusammenpressend: »Schade, daß jene Zeit vorüber ist! Wäre ich an der Stelle meines Ahnherrn, so würde ich Ihnen eiserne Stacheln unter die Nägel treiben.«

Iwan brach auf diese Worte in ein lautes Gelächter aus. Einen Augenblick später lachte auch Komtesse Angela.

Es war eine Kühnheit, ihren flammenden Zorn mit Gelächter zu erwidern; aber es war eine gute Antwort. Die Komtesse selbst fand darin etwas zu lachen.

Dann wandte sie sich trotzig von ihm ab und setzte sich wieder nieder.

Iwan wich nicht von ihr.

So ein Kotillon hat doch immerhin sein Gutes, selbst wenn es ein ungarischer Kotillon ist; man kann einander nicht verlassen, auch wenn man will.

Inzwischen kam ein junger Gentleman, eine der stummen Personen der Spielgesellschaft, zu Iwan und flüsterte ihm etwas zu.

»Edmund läßt dir sagen, du sollst zurückkommen; er hat all dein Geld verspielt, welches du dort gelassen hast.«

»Er hat wohl daran getan,« antwortete Iwan, nahm seine Brieftasche heraus und reichte sie dem jungen Gentleman.

»Ich bitte dich, übergib ihm dies, er soll auch das verlieren.«

Und er blieb.

Angela wandte ihm gar nicht mehr den Kopf zu.

Der Kotillon aber dauerte lange. Graf Géza, der Vortänzer, wollte zeigen, daß man im ungarischen Kotillon alle die Figuren ausführen könne, zu welchen der deutsche Kotillon Gelegenheit bietet, und diese Demonstration nahm zwei Stunden in Anspruch. Iwan blieb bis zu Ende.

Angela aber sprach kein Wort mehr zu ihm.

Wenn die Reihe zu tanzen an sie kam, so lehnte sie sich an seine Schulter, hielt seine Hand gepreßt, und ihr Atem berührte sein Gesicht; wenn sie an ihren Platz zurückkamen, setzte sie sich nieder und wandte ihren Kopf von ihm ab.

Als der Kotillon zu Ende war, kam Graf Edmund herbei und teilte Iwan mit, daß dieser lange Tanz ihn gerade tausend Gulden gekostet habe. Iwan zuckte die Achsel.

Edmund aber sagte zu seiner schönen Cousine: »Wie es scheint, hast du den Ritter Magnet ganz für dich behalten.«

Angela schüttelte ärgerlich die schöne Schulter.

»Dieser Mensch ist mir schon zur Last.«

Von dem Augenblicke an, wo die Worte: »Dieser Mensch ist mir zur Last!« gesprochen wurden, veränderte sich die Physiognomie der Gesellschaft in bezug auf Iwan vollständig. Man betrachtete den Ritter Magnet nicht mehr als fidelen Burschen, sondern als einen zudringlichen Parvenü.

Angela sagte nichts mehr, aber aus dem einen Satz ließ sich alles divinieren.

Es gibt Menschen von niederer Herkunft und geringer Berechtigung, welche die herablassende Huld der Großen mit eitler Selbstgefälligkeit anders auslegen, als sie gemeint ist. Solche Leute muß man bestrafen; kühne Wünsche sind nicht für sie erfunden.

Auch Iwan wurde zu dieser Sorte gezählt.

Ein lächerlicher Mensch, der nicht zu beurteilen vermag, was die hochgeborene Dame, die Patriotin, ihm, dem vaterländischen Gelehrten als Gnade zukommen ließ, und der dies mit jenen Verhältnissen verwechselt, welche ein Weib und einen Mann interessieren, wenn sie einander gleichgestellt sind.

Der muß von hier fortgejagt werden.

Dazu hat die Aeußerung der Komtesse Angela: »Dieser Mensch ist mir zur Last« ein genug deutliches Signal gegeben.

Er wird fortgejagt werden.

Das erste Mittel hierzu ist, daß man den Betreffenden lächerlich macht. Das kann auf vielerlei Arten geschehen. Der Angegriffene bemerkt, daß man seine Schwächen sucht, daß man ihn nicht in Ruhe läßt, daß man ihn fortwährend in Situationen drängt, wo die Kritik unerbittlich ist. Man lacht ihm nicht ins Gesicht, man lobt ihn; aber an der Art des Lobes merkt er, daß man sich über ihn lustig macht. Er kommt darauf, daß in diesem Kreise niemand sein guter Freund ist. Es tritt ihm keiner zu nahe, niemand beleidigt ihn; aber ein gewisser scherzhafter Ton läßt ihn, wenn er Verstand hat, wissen, daß er seinen Hut nehmen und weitergehen soll.

Das geschah auch mit Iwan. Seine neuen Bekannten studierten fleißig den Don Quichotte, und wenn sie unter sich waren, so ließen sie manches Wort über die Ereignisse auf der Insel Barataria fallen.

Aber Iwan nahm dies alles mit einem eigentümlichen Phlegma auf. Er nahm die Situation, in der Scherz sein sollte, ernsthaft hin.

Man ermunterte ihn, in einer Dilettantenvorstellung, welche die Mitglieder der hohen Gesellschaft improvisierten, die Rolle des Königs aus »Ernani« à vista zu singen. Er ging darauf ein. Er sang und produzierte eine prächtige Baßstimme. Er sang nicht korrekt, aber seine Stimme erregte Bewunderung. Angela sang die »Elvira«, Marquis Salista »Ernani«, aber der König blieb Sieger. Der Marquis sagte: »Der Teufel soll mich holen, wenn dieser Mensch nicht schon einmal Komödiant gewesen ist!«

Ein andres Mal lud man ihn zu einer Fuchsjagd ein. Graf Stefans Gut mit einem prächtigen Jagdschloß befand sich einige Stunden von Pest; zu den Frühjahrsjagden pflegte die Elite des halben Landes dort zusammenzukommen. Iwan wurde dazu geladen, und unter den Pferden des Grafen Stefan suchte man für ihn den feurigsten arabischen Hengst aus.

Das wird ein rechter Spaß werden. Ein Bücherwurm, der in den Sattel hinaufkriecht, in den Sattel eines Pferdes, das sehr wählerisch ist in bezug auf die Reiter, die es auf sich duldet.

Aber auch da wollte sich keine Posse entwickeln. Iwan saß auf dem für ihn ausgesuchten Vollblutrenner wie angewachsen.

Als Marquis Salista ihn im Sattel sitzen sah, die Sporen an die Seiten des Pferdes gedrückt, sagte er: »Der Teufel soll mich holen, wenn dieser Mensch nicht schon einmal Husar gewesen ist!«

Wer kann wissen, was jemand in unserer närrischen Zeit gewesen ist!

An der ersten Fuchshetze, die auf Graf Stefans Gut abgehalten wurde, nahm auch Komtesse Angela teil.

Sie saß prächtig zu Pferde. Sie war darauf ganz zu Hause.

Es waren ungefähr zehn Herrenreiter, die zur Hetze aufbrachen. Die Hunde hatten den Fuchs aus dem Gebüsch glücklich aufgejagt, und der Reitertrupp stürzte ihm nach.

Der Fuchs nahm seinen Lauf nach einer Berglehne, die von einer Kluft durchschnitten war, aus deren Grund ein Bergbach hinabstürzte. In diese Kluft flüchtete sich der Fuchs. Wahrscheinlich hoffte er dort in ein leeres Fuchsloch entkommen zu können. Die Reiter schafft er sich dort jedenfalls vom Halse, denn zwischen den Steinen können sie ihn nicht verfolgen, und im schlimmsten Falle springt er auf die andere Seite der Kluft hinauf und entkommt ihnen dort.

Der Fuchs hatte Chancen. Wenn die Hunde ihn aus der Kluft hinaustreiben, so kann er sich auf die rechte Seite flüchten; die Jagdgesellschaft ist auf der linken Seite.

»Vorwärts!« rief kühn Komtesse Angela und setzte ihren Renner peitschend über die Kluft hin.

Es war ein halsbrecherischer Scherz! Wie viele werden ihn ihr nachmachen?

Als die Komtesse auf die steil abfallende andere Seite der Kluft gelangt war, blickte sie zurück, um zu sehen, wer noch mit ihr gekommen sei. Nur Iwan war ihr gefolgt.

Die Hunde verfolgten den Fuchs unten den Bach entlang; die übrige Jagdgesellschaft galoppierte an der linken Seite des Bergeinschnittes aufwärts.

Angela achtete in diesem Augenblick ebensowenig auf die anderen wie die anderen auf sie. Die größte Sorge aller war jetzt nur der Fuchs.

Die Komtesse ritt am Rande des Bergeinschnittes, der nahen schwindelnden Tiefe nicht achtend, und jagte den Fuchs, der ausbrechen wollte, mehrmals in die Kluft zurück bis dieser einmal einen Ausweg fand, plötzlich den linken Abhang hinauf den Reitern entgegenrannte und dann dem Gebüsch zuzueilen anfing, aus welchem er hinausgetrieben worden war.

Alle ihm nach! Das »Talli ho!« erscholl bald in der Ferne, und das Gebüsch verbarg die Reiter vor den Augen der Komtesse.

Nun wandte auch Angela ihr Pferd zurück, und um mit der Gesellschaft früher zusammenzukommen, nahm sie ihren Weg abermals über einen Bergeinschnitt.

Sie kümmerte sich nicht darum, ob jemand sie begleite oder nicht.

Sowie sie jedoch zu dem Einschnitt gelangte, sprang ein Hase vor ihrem Pferde auf, dieses scheute, warf sich zur Seite, und die Komtesse fiel aus dem Sattel.

Im Falle blieb die lange Schleppe ihres Kleides am Sattel hängen und Angela blieb an das scheue Pferd gefesselt. Der Kopf der Ohnmächtigen hing mit aufgelöstem Haar zur Erde hinab. Das erschrockene Pferd rannte gegen den Einschnitt; wenn es seine Reiterin dorthin schleppt, so wird ihr Kopf an den hervorstehenden Baumstrunken zerschmettert.

Iwan erschien auf der Stelle und brachte das Pferd zum Stehen.

Dann befreite er die am Sattel hängengebliebene Reiterin.

Sie war ohnmächtig.

Iwan legte sie auf den weichen Rasen, wo ihr Haupt auf einem moosbewachsenen Baumstrunk ruhte; und da vom Leibchen der Komtesse im Fall drei Malachitknöpfe abgesprungen waren und das Leibchen verräterisch offenstand, so zog Iwan die eigne Nadel aus seinem Halstuch und heftete damit Angelas Brustlatz sorgfältig zusammen.

Als Angela zu sich kam, fand sie sich allein und die beiden Pferde mit ihren Zügeln an einen Baum gebunden. Aus der Ferne, von der untergehenden Sonne beleuchtet, näherte sich ihr ein Mann vom Tale her. Es war Iwan, der für sie in seinem Horn Wasser brachte.

Die Komtesse wartete nicht, daß er ihr aufhelfe; bis er zu ihr gelangte, hatte sie sich bereits erhoben.

Iwan bot ihr einen Trunk an.

»Ich danke Ihnen. Mir ist ganz wohl,« sagte die Komtesse.

Iwan schüttete das Wasser hinter sich aus.

»Es wäre vielleicht doch gut, wenn Sie jetzt in das Schloß zurückkehren würden.«

»Das will ich tun.«

»Es ist nicht weit. Ich weiß einen kurzen Weg durch den Wald. Die Pferde können wir bis dahin zu Fuß nachführen.«

»So wird es gut sein.«

Und sie gingen nebeneinander her, die Pferde am Zügel führend.

Das Gesicht der Komtesse erglühte, als sie, auf ihre Brust blickend, die Nadel erkannte, mit welcher ihr Leibchen zusammengeheftet war.

Sie schwieg.

Als sie in den Wald gelangt waren und im Schatten der Bäume dahinschritten, sagte sie plötzlich zu Iwan: »Kennen Sie die Geschichte der Julia Gonzaga?«

»Nein, Komtesse.«

»Sie war die Herrin von Fondi. Barberousse hatte Fondi in der Nacht überfallen, um Julia Gonzaga zu entführen. Ein edler Ritter kam dem Freibeuter zuvor und befreite die Marquise. Sie rettete sich barfuß, so wie sie von ihrem Lager aufgesprungen war. Wissen Sie, womit sie ihren Retter belohnte?«

»Womit?«

»Sie stieß ihm den ersten Dolch, der ihr in die Hand kam, in die Brust.«

»Die Dame hatte recht,« antwortete Iwan. »Der fremde Mann durfte ihre Füße nicht unverhüllt sehen.«

»Und der Mann?« fragte Angela.

»Hatte das Unglück, zu glücklich gewesen zu sein.«


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