Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Kinderspiele.

Als eben die Konzertsaison in der besten Blüte stand, erhielten Belényis amtlich die Nachricht, daß Herr Csanta gestorben sei und ihnen in seinem Testament ihr Haus zurückgegeben habe.

Und wenn selbst Beethoven, Mozart und Haydn Arpad zu einem Quartett erwartet hätten, so hätte er in Paris alles stehen und liegen lassen und wäre fortgeeilt, um den Hof des verlassenen Hauses wiederzusehen.

Selbst Frau Belényi vergaß, sich mit der Summe der Einnahmen und der abgesetzten Entreekarten abzugeben, als es hieß, daß sie nach Hause reisen sollten.

Ob noch die Trauerweide neben dem Brunnen steht? – Wie hoch mag das Wintergrün an den Wänden des Flurs gewachsen sein? – Ob jemand die Obstbäume im Garten gepflegt hat? – Ob noch die Maiblümchen an der Wand stehen? – Ob die Vergißmeinnichtsträucher am Bach nicht zugrunde gegangen sind?

Das waren jetzt die wichtigeren Fragen.

Nicht einen Tag blieben sie länger in Paris. Sie trieben sich beide gegenseitig zur Eile an.

Am andern Tag waren sie schon auf der Eisenbahn. Sie eilten, als ob sie von Gläubigern verfolgt würden.

Sie hielten nirgends Rast, weder bei Tag noch bei Nacht. Es war Nachmittag, als sie in der Stadt X. ankamen.

Der Massakurator, der Herr Magistratsrat, saß bereits bei seinem gewohnten Preferencespiel im Kasino; aber er wurde vom Spieltisch fortgeholt, sie ließen ihm nicht bis zum andern Morgen Zeit, ihnen ihr Haus zu übergeben. Der gute Herr war genötigt, seine Spielschuld zu zahlen, und mußte mit ihnen gehen.

Frau Belényi war auf dem ganzen Weg darüber besorgt gewesen, daß Herr Csanta aus ihrem schönen Gassenzimmer vielleicht ein Kaufmannsgewölbe hatte machen lassen. Wenn nur wenigstens ein kleines Zimmer da wäre, das nicht vermietet ist, damit sie gleich die erste Nacht in ihrem eignen Hause schlafen könne.

Der Magistratsrat gab ihr daher einen großen Trost als er ihr sagte, daß niemand in ihrem Hause wohne. Herr Csanta hatte in die seinem Hause zunächst gelegenen Häuser keine Mieter aufgenommen. Er wollte in Frieden und ohne Nachbarn leben. Es sollte ihm niemand die Nase in seinen Hof stecken, niemand durch seine Kellerfenster schauen. Er hatte nur einen Aufseher gehalten, dessen Aufgabe es war, darauf achtzugeben, daß nicht Diebe in diese Häuser einbrechen. Der Aufseher hatte in einem dieser Häuser ein kleines Zimmer.

Der Herr Magistratsrat führte also Belényis in ihr ihnen zurückgebliebenes Haus und ließ für sie die Zimmer öffnen.

Alle Möbel standen da noch so, wie sie sie verlassen hatten; aber der Staub lag darauf, wer weiß, seit wieviel Jahren.

Arpads erste Sorge wäre es gewesen, in den Garten hinab zu laufen, wenn der Herr Magistratsrat ihn nicht zurückgehalten hätte.

Er hatte noch etwas zu übergeben. Eine große eiserne Kiste, die mit drei Schlössern versperrt war, und in der sich ein großer Schatz befand!

Die Bondavárer Aktien.

»Der Teufel hole seine Bondavárer Aktien!« rief Arpad lachend; »es ist ja schon gleich der Sommer da, jetzt brauchen wir kein Heizmaterial.«

»Die stehen jetzt wirklich schlecht!« sagte der Herr Magistratsrat; »der Kurs dieser Papiere steht jetzt kaum über zehn Gulden. Und wenn es nicht so wäre, so wäre Herr Csanta nicht gestorben.«

Sie mußten die Aktien nun einmal annehmen. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht – auf den Kurs.

Frau Belényi hatte mit dem guten alten Magistratsrat noch über vielerlei zu sprechen; Arpad mengte sich nicht darein, sondern schlüpfte aus dem Zimmer und hinab in den Garten.

Da waren die Obstbäume noch alle beisammen und gerade in voller Blüte; am Zaun stand der Pfirsichbaum in voller roter Blüte, von der es ihm einst unter Todesstrafe verboten war, auch nur ein einziges Blümchen mit verwegener Hand abzureißen; auch das Vergißmeinnicht blaute am Rand des Baches, und die Glöckchen der Maiblümchen klingelten einen ganzen Chor, den nur niemand hörte.

Alles ist da, alles ist seitdem gewachsen. Die Bäume an den einander gegenüber befindlichen Ufern hatten schon ihre Aeste ineinander verschlungen.

Arpads erste Sorge war, den vermauerten Kellerhals zu öffnen. Ist noch die Drahtkette und an der Kette die Holunderholzmühle da?

Sie ist da.

Und die Flöte?

Auch die fand sich vor.

Paßt noch alles ineinander?

Vollkommen.

Es fehlte nichts von der Mühle.

Dann legte er sich in das grüne mit gelben Blümchen untermengte Gras nieder, setzte die Holundermühle aufs Wasser, und das Kinn auf beide Hände gestützt, sah er mit großer Befriedigung zu, wie sich das Rad drehte und die Schaufeln klapperten. Man schlägt ihn nicht mehr dafür.

Endlich kann er sich nach Lust satt spielen.

Ruhm? Das Geschwätz der Zeitungen über sein plötzliches Verschwinden? Das Bedauern vornehmer Damen? Was ist das alles im Vergleich mit dem Geklapper dieser kleinen Mühle?

Und was sagt denn die Flöte?

Ist sie seitdem nicht verdorben, nicht verstummt? Ist sie nicht zersprungen, verwittert?

Gar nichts ist ihr geschehen. Sie war gut aufgehoben. Es war ein trockner, kühler Platz. Es muß nur wieder darauf gespielt werden; sie gibt Töne von sich wie eine Amsel.

Auch deshalb wird er nicht mehr ausgescholten!

Was fehlt noch? Die papiernen Schiffchen. Auch deshalb keift der Nachbar, zankt die Mama nicht mehr.

Arpad zieht ein großes Stück Papier aus der Tasche, ein Andenken an seine Pariser Triumphe, eine Affiche von seinem jüngsten Konzert.

Wo ist jetzt Paris!

Aus dem Zettel macht er sich ein großes Schiff mit Segeln, und damit es auch eine Last habe, legt er eine Pfirsichblüte darauf; man klopft ihm dafür nicht mehr auf die Finger! Er setzt das Schiffchen aufs Wasser, und während es von den über den Wasser tanzenden Wasserjungfern umschwärmt, langsam dahin schwimmt, legt er sich ins Vergißmeinnichtgras und spielt auf seiner kleinen Flöte die Melodie des Volksliedes: »Flieg' mein Vöglein, fliege!«

Und auf die Flötentöne kommt aus dem Garten des gegenüber befindlichen Hauses das andere Kind herbei, ein blondes, fünfzehnjähriges Mädchen. Sie hat ein rundes, rotes, lächelndes Gesichtchen und schöne blaue Augen. Furchtsam wie ein Reh macht sie einige Schritte und lauscht. Bald kommt sie näher, bald bleibt sie wieder stehen. Der Flötenbläser bemerkt sie nicht. Er achtet auf nichts als auf seine Flöte, seine Mühle und sein mit der Blumenlast schwimmendes Schiff.

Das andere Kind ist schon ganz bis ans Ufer gekommen und er bemerkt es noch immer nicht. Dann fängt es an zu lachen, und das Lachen des heitern Kindes klingt wie das Geläute eines Zauberglöckchens.

Arpad erschrickt, er blickt überrascht auf.

»Ah! Sie sind es, Sophiechen? Was Sie für ein schönes Mädchen geworden sind, seit ich Sie nicht gesehen habe! – Ich bitte, treiben Sie mein Schiff zurück.«

Und das andere Kind ließ sich das nicht zweimal sagen. Es sprang zum Wasser hinab, nahm das Kleid, damit es nicht ins Wasser hinabreiche, zwischen die Knie, und nachdem es noch eine Handvoll weißer Blüten zu den roten auf das Schiffchen geworfen, trieb es dasselbe mit einem Ginsterhalm an das andere Ufer zurück.

Und dann fingen sie das Spiel aufs neue an.

Das war eine so schöne Unterhaltung!

Frau Belényi sah vom Hausflur aus in den Garten hinab. Sie störte die Kinder mit keinem Wort, sie ließ sie spielen bis die Sonne unterging, und da es kühl zu werden anfing, eines der beiden, das klüger war (gewiß das Mädchen!) das andere aufmerksam machte, daß das Gras vom Tau naß zu werden beginne und es gut sein werde, nach Hause zu gehen.

Dann hob Arpad die Mühle heraus, hob die Flöte auf und ging zu seiner Mutter hinauf.

Frau Belényi zankte ihn nicht aus, aber sie küßte ihm auch nicht die Stirn wie ehedem.

Sie zeigte ihm, wie sie das Haus in Ordnung gebracht habe, während er unten im Garten war.

Arpad war mit der Anordnung sehr zufrieden.

»Jetzt werden wir immer da wohnen.«

Einmal fing die Mutter an: »Ich hätte wahrhaftig nichts dagegen, wenn du heiraten würdest, mein Sohn, und eine gute Frau ins Haus brächtest.«

»Ich, Mutter?« sprach Arpad lachend und verwundert.

»Nun, freilich du! Du bist schon ein großer Knabe, ich kann doch nicht ewig auf dich achtgeben.«

Arpad lachte noch mehr.

»Also, weil ich ein so großer Knabe geworden bin, daß Sie mich nicht mehr bändigen können, soll ich mir eine andre Frau verschaffen, die besser auf mich achtzugeben weiß?«

»Nun, freilich! Nur so ist es in Ordnung!« bestätigte Frau Belényi ganz ernst.

Als ob es gar nicht anders sein könnte, als daß die Mutter den Sohn, bis er erwachsen ist, selbst unter Aufsicht hält und dann ihn einer andern Frau übergibt, deren Namen Gattin ist, damit jetzt diese auf ihn achtgebe. Als ob ein junger Mensch niemals sich selbst überlassen werden könnte.

»Nun, früher oder später will ich dir auch das zuliebe tun, Mutter. Jetzt haben wir wohl schon ein Haus, ich muß mir aber noch etwas zum Leben zusammenmusizieren, damit ich nicht dann noch in der Welt herumwandern muß, wenn ich schon ein Weib habe. Denn sieh, bei diesem Zigeunerleben ist es immer von Uebel, ob man die Frau zu Hause läßt oder sie mit sich schleppt, wenn man von Petersburg nach Paris vagabundiert.«

»Nun, wir haben ja auch etwas. Ich habe mit dem, was du erworben hast, nicht schlecht gewirtschaftet. Außerdem sind auch diese Aktien da. Nun, lache nicht, du närrischer Junge. Wenn auch eine nur zehn Gulden wert ist, so sind es doch tausend. Wenn wir sie verkaufen, so bekommen wir zehntausend Gulden – in einer kleinen Stadt ein ganzes Kapital. Damit kannst du schon heiraten.«

»O, Mama, du mußt die Sache richtig verstehen. Man kann wohl einmal eine Aktie um zehn Gulden anbringen; wenn ich aber den andern Tag auf denselben Platz komme, um noch eine Aktie zu verkaufen, so treibt man mir den Hut ein und stößt mich hinaus. Wenn ich nun gar damit auftrete, daß ich auf einmal tausend Stück Bondavárer Aktien verkaufen will, so bindet man mich und bringt mich ins Irrenhaus. Lege diese Aktien nur zu deinen andern denkwürdigen Papieren, von welchen dein rechtgläubiges Herz hofft, daß sie einmal so viel Gulden wert sein werden, als darauf gedruckt zu lesen ist.«

»Das ist auch noch möglich. Sind nicht schon viel große Dinge geschehen? Hättest du geglaubt, daß wir je unser Haus zurückbekommen? Es tut mir auch das leid, daß ich die übrigen Papiere zum Verbrennen hingegeben habe. Wer weiß, was für ein Glück wir noch mit diesen Aktien haben können. Wie, wenn sie noch einmal al pari stehen und wir dafür zweimalhunderttausend Gulden bekommen!«

»Na, ich rechne nicht auf ein solches Glück, Mama. Das schlechteste Kompliment, das der liebe Gott einem Menschen machen kann, ist, wenn er ihn ein großes Los gewinnen läßt; als ob er zu ihm sagen würde: Du Esel, anders kann ich dir nicht helfen. Einen Menschen, der Verstand hat, läßt Gott nicht in der Lotterie gewinnen. Zu einem solchen sagt das Glück: Wirst du gleich aufhören, mich so unverschämt anzubetteln! Ist es nicht genug, daß ich dir Talent gegeben habe? Meine Haupttreffer brauche ich für meine dummen Leute! Fürchte nichts, Mama, wir werden schon von unserer Kunst leben. Warten wir nur ein wenig, wir haben ja Zeit: Dem kleinen Mädchen kaufe ich bis dahin eine Puppe mit einem Kopf aus Porzellan zum Spielen. Du mußt schon ein wenig länger auf mich achtgeben.«

Hier konnte sich die Witwe doch nicht enthalten, ihren Sohn zu küssen.

Abends setzte sich Junker Arpad beim Mondschein unter die Trauerweide und blies auf seiner kleinen Flöte ein wehmütiges Lied. Zuweilen hielt er inne, um der sanften, silberhellen Stimme zu lauschen, die jenseits des Baches im Hof des andern Hauses sein Lied mitsang.

Nur daß die Sängerin drüben, wenn sie merkte, daß er aufhörte, sich schämte und gleichfalls innehielt.

Es ist doch schön, ein Kind zu sein!

Bei Gott!


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