Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Zwei Kinder.

Eveline war zur Zeit einer eigentümlichen Mode nach Paris gekommen.

Es war damals, als die Kaiserin Eugenie eben die Krinoline abgelegt und Monsignore Chigi, dem päpstlichen Nuncius, zuliebe den Damen die Weisung gegeben hatte, beim Empfang mit bis zum Halse geschlossenen Kleidern zu erscheinen.

Die bösen Zungen und die verderbten Zeitungsschreiber bemerkten hierzu, daß dies dem erhabenen geistlichen Gaste gar nicht lieb gewesen sei.

Das epochale Datum des Tages, an welchem die Krinoline abgelegt wurde, ist zwar im Kalender nicht rot angeschrieben; aber dennoch erinnern wir uns alle, daß dieses Ereignis in der ganzen Damenwelt eine wahrhaft heilsame Revolution, um nicht zu sagen Restauration hervorbrachte. Auf den öffentlichen Plätzen wurden dunkelfarbige bis zum Hals hinauf geschlossene, unten schmale und faltenlose Kleider gesehen; schwarze Schmuckgegenstände, rosenkranzartige Steinkohlenperlenschnüre mit einem Kreuz kamen in Mode.

Und mit der äußeren Tracht wurde auch das innere Kostüm in Einklang gebracht. Der gute Geschmack ging in die Kirche und hörte Predigten an. Das Damenpublikum lernte mit Eleganz seufzen und blickte mit den schönen Augen ins Gebetbuch.

Die Buße und die Trauer über die Verderbtheit der Welt gab sich auch in Tatsachen von noch intensiverer Wirksamkeit kund.

Die eleganten Damen begannen fromme Spenden zu erhabenen Zwecken zu sammeln, wie zum Beispiel das Handgeld der zur Verteidigung des heiligen Stuhles geworbenen begeisterten Krieger, der Ersatz der Geldbußen, zu welchen rechtgläubige, fromme Journalisten verurteilt wurden, die würdige Versorgung eifriger, durch die Gottlosen von ihren Sitzen vertriebener Prälaten – zu welchen erhabenen Zwecken die berüchtigtesten Schönheiten der Salons und der Bühnen die Liebesgaben nicht allein im Kreise ihrer Bekannten sammelten, sondern auch die Frömmigkeit und Demut so weit trieben, daß sie sich mit den Sammelbüchsen vor die Kirche setzten und von dem die Kirche besuchenden Publikum die Peterspfennige einsammelten.

Herr Kaulman hätte zur Realisierung von Abt Samuels großartigem Projekt keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können.

Und diese Gemütsfärbung der Pariser Modewelt harmonierte vollständig mit Evelinens Stimmung.

Einige Tage nach ihrer Ankunft in Paris starb ihr verkrüppelter Bruder. Irgendein berühmter Arzt hatte an ihm eine Operation vollzogen, durch die er für ewig geheilt wurde.

Eveline betrübte dieser Verlust sehr. Sie fühlte, daß sie jetzt niemanden hatte, für den sie leben könnte.

Sie bewahrte die abgenützten Krücken in ihrem Boudoir auf, wo sie zu beiden Seiten an ihren Toilettetisch gelehnt standen; und jede Woche fuhr sie zweimal zum Friedhof um auf das Grabkreuz frische Kränze zu legen.

Die bußfertige Mode stimmte also ganz zu ihrem Herzen.

Sie sang viel lieber in der Kirche Mozart und Händel, als im Opernhause Verdi.

Ja, einmal entschloß sie sich gar, in ihrem eignen Salon ein frommes Konzert gegen hohe Eintrittspreise zu geben und den Ertrag irgendeinem sehr frommen Zweck zu widmen. Vielleicht handelte es sich um die Ausrüstung eines Zuavenbataillons oder dergleichen. Gewiß weiß ich es nicht. Es wird sich schon herausstellen, warum ich es nicht weiß.

Als sie sich eben den Kopf zerbrach, um das Programm zusammenzustellen, stürzte Arpad, der alte liebe Teilnehmer an ihren Possen, ohne jede Anmeldung und mit der gewohnten lustigen Ungebundenheit zu ihr herein.

Eveline warf sogleich die Feder weg, lief ihm lachend entgegen und umarmte ihn.

»Ah! Sie närrischer Mensch! von wo kommen Sie denn plötzlich daher?«

»Ich gehe meiner Profession nach,« sagte Arpad lachend. »Ich sehe mich um, wo ich mein Zimbal niederlegen und ein Konzert geben könnte.«

»Wie gerufen! Sie hätten zu keiner gelegeneren Zeit kommen können. Aber, wie haben Sie sich denn hergefunden?«

»Das ist doch keine große Kunst, Sie zu finden! Wenn ich Ihren Namen nicht auf dem Theaterzettel finden würde, so müßte ich ihn auf den Anschlagzetteln der Kirche St. Eustache sehen.«

»Also haben Sie mich schon gehört?«

»An beiden Orten, im Theater und in der Kirche. Aber das muß ich sagen, an letzterem Ort ist das Entree sehr teuer. Während ich Sie in der Oper für zwölf Frank bekam, ließ mich die Geld einsammelnde Fürstin nicht unter zwanzig Frank aus der Kirche weg.«

»O, Sie närrischer Mensch! Was ist das für ein Ausdruck, daß Sie mich für zwölf Frank bekommen haben! Ich werde sogleich Sie selbst bekommen! Für wieviel sind Sie zu haben?«

»Es fragt sich, zu welchem Zweck.«

»Aber wie dumm Sie doch sind! Ich werde Sie doch nicht zum Kaffeemahlen engagieren wollen?! Für wieviel spielen Sie einen Abend Klavier?«

»Ihnen für einen Druck von Ihrer schönen Hand, einem andern für fünfhundert Frank.«

»Wie aber, wenn es sich um einen wohltätigen Zweck handelt?«

»Dann weder umsonst noch für Geld!«

»Na, na, was ist das für eine Rede! Sie sind ein zynischer Mensch! Fühlen Sie denn für niemanden Teilnahme? Würden Sie für die Armen nichts tun?«

»Ich habe eine arme Frau, der ich alles zu geben schuldig bin, und das ist meine Mutter. Jeder Groschen, den ich einem andern gebe, ist der auf die ungerechteste Weise ausgeplünderten armen Frau entzogen. Die Welt soll meiner Mutter zurückgeben, was ihr weggenommen wurde, und dann gebe ich der Welt alles, was ich besitze. Bis dahin aber gehört alles meiner Mutter.«

»Na, Sie Soldat Ihrer Frau Mutter, Sie bekommen die fünfhundert Frank, aber Sie müssen dafür irgendeine schöne heilige Symphonie spielen, Liszts Messe oder das Oratorium von Händel.«

»Was? wird vielleicht ein Konzert zur Ausrüstung Päpstlicher Soldaten vorbereitet?«

»Nun ja, ich arrangiere es.«

»Da tue ich nicht mit.«

»Warum nicht?«

»Warum? Weil ich nicht gegen Garibaldi musiziere.«

»O! Sie sind ein unerhört dummer Junge! Er musiziert nicht gegen Garibaldi!«

»Nein, nein!« eiferte der junge Mann, und um seinem Widerstand größern Nachdruck zu geben, riß er hastig seine Weste vorn auf und sagte: »Sehen Sie dies?«

Er hatte ein rotes Hemd an.

Eveline lachte unbändig.

»Ein rotes Hemd! Ich erlebe es noch, daß er sich bei den Garibaldianern anwerben läßt!«

»Das hätte ich auch schon längst getan, wenn meine Mutter nicht wäre!«

»Wie, wenn man Ihnen dann die Hand wegschießt, was beginnen Sie dann?«

»Dann trete ich bei irgendeiner Dame als Hausbettler ein. Irgend jemand würde mich wohl aushalten.«

Da brach Eveline plötzlich in Tränen aus.

Arpad konnte sich nicht denken, was sie betroffen habe.

Er ging näher zu ihr hin, er beschwor sie, tröstete sie, fragte sie, ob er sie mit etwas beleidigt habe; als sie sich endlich ausgeschluchzt hatte, sagte sie: »Mein armes Brüderchen ist gestorben. Hier an meinem Tisch stehen seine Krücken.«

»Das bedaure ich von ganzem Herzen. Ich habe mit dem armen Jungen viel heitere Stunden zugebracht.«

»Nicht wahr, Sie haben ihn auch gern gehabt? Sehen Sie, für mich ist die Welt jetzt tot, seitdem ich nicht mehr das Klappern seiner Krücken auf meinen Treppen höre. Ich weiß nicht, wozu ich noch lebe! Ich möchte so gern für einen Menschen leben, dem nicht anders geholfen ist, als wenn ich ihn pflege. Ich stelle mir einen Maler vor, der das Augenlicht, einen Musiker, der seine rechte Hand verloren hat, einen politischen Helden, der verfolgt wird und das Zimmer nicht verlassen kann und dem ich sein Alles, seine Wohltäterin, Ernährerin, Pflegerin wäre. Gehen Sie zu Garibaldi!«

Und dann lachte auch sie.

»Aber sagen Sie doch einmal, haben Sie mich singen gehört? Nun, was sagen Sie dazu?«

»Wenn Sie für die Teufel so singen könnten, wie Sie es für die Engel können, so wären Sie eine große Künstlerin.«

»Aber was verstehen Sie unter den Teufeln?«

»Sie werden doch wohl aus den Predigten des Pater Anselm wissen, daß das Theater die Synagoge der Teufel ist?«

»Sie Ungezogener, wissen Sie nicht, daß ich beim Theater bin?«

»Ich bitte tausendmal um Vergebung! Ich glaubte, daß Sie tagsüber eine Aebtissin und nur abends auf der Bühne sind. Hören Sie, das wäre gar kein schlechtes Geschäft!«

»Gehen Sie, Sie sind ein närrischer Mensch! Warum halten Sie mich für eine Aebtissin?«

»Sind Sie nicht so gekleidet?«

»Das ist nur die Toilette der Bußfertigkeit. Sie Gottesleugner, Sie treiben Spott mit der Frömmigkeit!«

»Nein, Madame, ich gebe sogar zu, daß es eine große Kasteiung ist, in grauer und schwarzer Seide zu gehen, eine große Buße, mit niedergeschlagenen Augen zu kokettieren, und ein großes Fasten, Seekrebse um zwanzig Frank zu essen. Ich glaube sogar auch, was die fromme Welt von den Pariser Damen erzählt, daß diese jetzt deshalb hohe Kleider tragen, weil sie nach mittelalterlicher Sitte zur Buße sich den Rücken mit dem Flagellum geißeln und die Spuren davon verhüllen.«

»Ah! das ist nicht wahr! Das tun wir nicht!« beteuerte Eveline.

»Ich weiß es nicht. Die Welt sagt es. Das ist ihr Geheimnis.«

»Es ist aber nicht wahr!« eiferte Eveline. »Wir geißeln uns nicht den Rücken. Sehen Sie her!«

Und hiermit sich vor Arpad niederbeugend, hob sie mit unbewußter Leichtfertigkeit ihren gestickten Kragen in die Höhe, damit er sich von der Wahrheit ihrer Worte überzeugen könne.

Arpad errötete und sah nicht hin.

Beide sind noch wahre Kinder!

Arpad nahm dann seinen Hut und sagte scherzhaft zu Eveline: »Nun, singen Sie nur für Herrn Merode einen Trupp Zuaven zusammen, wir Garibaldianer werden dieselben schon wieder auseinander musizieren.«

Hiermit ließ der Windbeutel seine Karte mit seiner Adresse bei Eveline zurück und entfernte sich.

Sie fuhr dann fort, ihr frommes Programm zusammenzustellen.


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