Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Der Goldmacher.

Zwei Wochen, nachdem Iwan sein Inserat in den ausländischen Blättern hatte veröffentlichen lassen, gerade an einem Samstag Morgen kam Peter zu ihm und meldete ihm, daß zwei fremde Herren angekommen seien, welche das Bergwerk besichtigen wollen. Es müssen Ausländer sein, denn sie sprechen französisch miteinander. Peter hatte von seinem Matrosenleben her einige Kenntnisse der französischen Sprache.

»Ich werde gleich zu ihren Diensten sein,« sagte Iwan, der eben eine grünliche Flüssigkeit durch einen spitzen Filzhut träufelte; »kleidet sie einstweilen in die gewöhnliche Bergmannstracht.«

»Es ist schon geschehen; sie warten nur auf Sie.«

»Gut, ich gehe; na, und wie weit bist denn du?« fragte Iwan auf dem Wege.

»Mit der Heirat? Alles in Ordnung. Morgen wird man uns in der Kirche zum drittenmal verkündigen.«

»Und wann werdet ihr getraut?«

»Jetzt ist gerade Advent, da erlaubt der Geistliche keine Hochzeit; aber gleich am ersten Sonntag nach Dreikönig heiraten wir. Mir ist der kleine Verzug ganz recht, denn ich muß mir bis dahin etwas Geld sammeln. Wenn man heiratet, so muß man sich allerlei Geräte und ein wenig Winterschmalz anschaffen.«

»Hast du dir denn von deinem Erwerb bisher nichts erspart?«

»Ja, Herr, ich habe schon einmal hundertundfünfzig Gulden beisammen gehabt. Ich habe mir's vom Munde abgespart, ich habe mir das Rauchen versagt und die Summe kreuzerweise zusammengebracht. Da bringt der Teufel die Rekrutierungskommission her, und ich habe all mein Geld dem Assentierungsfeldscher in die Hand gedrückt, damit er mich für untauglich ausgebe, weil ich schiele. Ich kann nämlich, wenn ich will, minutenlang schielen. Auf diese Art bin ich von der Assentierung befreit worden, da sind meine hundertundfünfzig Gulden daraufgegangen. Auch bei der Trauung muß ich fortwährend schielen, denn der Geistliche traut mich nur, wenn ich untauglich bin. So hat es Gott auf dem Berge Horeb geboten.«

»Gut, Peter, ich werde dir auch mit etwas Geld helfen.«

»Ich danke! Aber ich nehme nicht gern Vorschuß, das ist, wie wenn man mittags das Nachtessen verzehrt.«

Hiermit kamen sie zu der Stelle, wo die beiden fremden Herren auf sie warteten.

»Ach, Felix, du bist es?« rief Iwan, indem er in einem der beiden Herren einen alten Bekannten fand und ihm herzlich die Hand schüttelte. Der alte Bekannte, welchen Iwan Felix nannte, mochte mit ihm in einem Alter sein; die zarte Gesichtsfarbe, der künstlich aufgedrehte schwarze Schnurrbart, der französische Knebelbart, die feurigen dunkelblauen Augen und besonders die Haltung des Kopfes verrieten in dem die elegante Kleidung verhüllenden Bergmannsrock den feinen Weltmann. Als er sprach, war es überraschend, daß er eine fast weibliche Stimme hatte, die so hell klang, wie die Stimmen der Sänger des Vatikans.

Felix eilte, seinem Freunde im schwierigsten Punkte des ersten Zusammentreffens entgegenzukommen.

»Vergib mir, daß ich nicht bei dir abgestiegen bin. Du bist ein Mann der Arbeit, ich ein Mann des Geschäfts. Du hältst dich hier nicht auf, um als Herr zu leben, und ich nicht, um mich zu unterhalten. Außerdem ist das Gasthaus deiner Kolonie sehr anständig. – Hier stelle ich dir meinen Reisegefährten, den Bergingenieur Gustav Rauné vor.«

Iwan fühlte sich sehr verbunden, daß seine Gastfreundschaft nicht in Anspruch genommen wurde. In seinem Hause gab es zwar von früheren Zeiten her Bettzeug genug, auf welchem seit Jahren niemand gelegen hatte, vielleicht hätte sich in den niemals bewohnten Zimmern auch noch mancher heizbare Ofen gefunden; aber seine ganze Lebensweise wäre gestört gewesen, wenn er einige Gäste hätte beherbergen müssen. An eine solche unbequeme Eventualität hatte er auch niemals gedacht.

»Mein Haus,« sagte er mit aller Offenheit, »ist allerdings nicht zum Empfang von Gästen eingerichtet; aber auch das Gasthaus der Kolonie ist mein. Erweiset mir die Ehre, daß ich euch auch dort als meine Gäste betrachten darf.«

»Wir nehmen das Anerbieten an,« sprach Felix leicht, »um so mehr, da wir sozusagen in deinem Interesse, auf deinen Ruf hergekommen sind. Ich habe dieser Tage eine Annonce gelesen, in welcher du einen Grubenaufseher suchst.«

»Ja!« erwiderte Iwan und blickte zweifelnd von einem Herrn auf den andern.

»Na, ich übernehme die Stelle nicht, denn ich verstehe nichts davon,« sprach Felix lachend. »Aber mein Reisegefährte, Herr Rauné, wäre geneigt sich mit dir zu einigen, wenn er dein Unternehmen seinen Fähigkeiten angemessen findet. Herr Rauné ist ein alter Bekannter von mir; er ist ein Zögling des Creuzoter Bergwerks, ein gründlich gebildeter Mann.«

Herr Rauné war ein Mann von wenig Worten, wozu er jetzt um so mehr Grund haben mochte, da die beiden Herren in einer Sprache miteinander konversierten, die er in seinem Leben nicht gehört hatte. Er war von kleiner, schlanker Statur, mit erdfahlem, scharf geschnittenen Gesicht und einem schrecklich langen Knebelbart.

»Ich danke dir für dein freundschaftliches Interesse,« sprach Iwan und wandte sich dann zu Herrn Rauné, dem er im fließendsten Französisch zu wissen machte, daß es ihn freuen werde, ihm alle Einzelnheiten seiner Bergwerkskolonie zeigen zu können.

Hierauf begaben sie sich zusammen in das Bergwerk und blieben bis über Mittag drunten. Zwei Fachmänner bestanden da gegenseitig ihre Maturitätsprüfung, Herr Rauné vor Iwan, und Iwan vor Herrn Rauné. Jeder von beiden überzeugte sich, daß der andere sein Fach gründlich verstehe. Hinsichtlich einzelner Maßregeln wichen die Ansichten der beiden Männer voneinander ab, dann disputierten sie, die Vorteile des älteren und des neueren Systems miteinander vergleichend; beide überzeugten sich aber hierbei, daß sie einander auf diesem Felde nichts Neues sagen konnten.

Herr Rauné bekundete seine Fachkenntnis zumeist dadurch, daß er, bevor er noch die geometrischen Zeichnungen von Iwans Bergwerk gesehen hatte, das Kohlenflötz annähernd zu schätzen und zu sagen vermochte, eine wie große Ausbeute das Bergwerk verspreche, und wie weit das Kohlenlager sich noch über Iwans Grund hinaus erstrecke. Seine Schätzung traf beinahe genau mit Iwans Berechnung zusammen.

Hinsichtlich der Qualität fand er, daß diese Kohle zu den besseren zu zählen sei.

Mittags gingen sie in das Gasthaus speisen, nachdem sie sich zum Waschen und Umkleiden eine kurze Zeit gegönnt hatten. Der Spaziergang in einer Kohlengrube ist keine reinliche Unterhaltung.

Der Nachmittag war für die Besichtigung der Kohlendestillieröfen bestimmt, und abends wurde der Eisenhammer besichtigt.

Nachdem sie aus dem Eisenhammer herausgekommen waren, blieb der Wagen vor Iwans Hause stehen; Felix begleitete ihn in die Wohnung, während Herr Rauné ins Gasthaus hinauf ging.

Iwan führte seinen alten Bekannten in sein Arbeitszimmer, in welchem eine wunderbare Unordnung herrschte, ließ ihn auf einem von einem großen Bücherhaufen befreiten Stuhl Platz nehmen und forderte ihn auf, sich an einer chemischen Wunderlampe eine Zigarre anzuzünden.

»Du warst immer ein eifriger Naturforscher, Iwan, in der Schule warst du der Erste unter uns, während ich mit dir verglichen, nur ein Dilettant war; jetzt sage mir aufrichtig, wieviel reines Einkommen trägt dir diese ganze Unternehmung bei so viel Wissenschaft, Fleiß und physischer Mühe?«

»Jährlich zehntausend Gulden.«

»Mit anderen Worten, das Bergwerk trägt dir nichts. Du bist der Direktor, der Aufseher, der Kassierer, der Bergingenieur, der Sekretär, der Buchhalter und der Spediteur. Du bekommst also nur, schmal genug bemessen, was du den Vertretern dieser Stellen zahlen würdest, wenn du nicht das alles in einer Person wärest. Mit anderen Worten, deine Arbeit, dein Talent, deine Studien, deinen Eifer bezahlt dir dein eignes Bergwerk so, wie der knickerischeste fremde Besitzer dich bezahlen würde; aber als Realität, als ein Hunderttausende repräsentierender Wert, wirft dieses Bergwerk dir nicht einen roten Heller ab.«

»Daran ist weder das Bergwerk schuld noch ich, sondern einzig und allein der Umstand, daß bei der Beschränktheit des Konsums die Produktion keine größere Ausdehnung verträgt.«

»Ich will dich darauf führen, wo der Fehler steckt. In der heutigen Welt streben alle Kräfte nach Konglomeration. In der politischen Welt können die kleinen Staaten nicht mehr bestehen, sie sind genötigt, zu größeren Massen zusammenzuschmelzen, denn eine kleine Staatswirtschaft kann man nicht mehr verwalten. In der Industriewelt können die kleinen Staaten nicht mehr bestehen, weil nach den neueren Anforderungen die kleineren eine ebenso große Regie haben, wie die größeren. Eine Dampfmaschine von hundert Pferdekraft bedarf nur ebensoviel Aufsicht wie eine von vier Pferdekraft, und ein kleines Geschäft braucht ebensoviel Geschäftsbücher wie ein großes; und kleinere Unternehmungen werden, wenn sie auch an und für sich noch so lukrativ sind, wegen des Mangels an Betriebskapital durch die größeren Unternehmungen verdrängt.«

»Dafür aber ist der stille bescheidene Fortbestand der kleinen Unternehmungen wieder weniger gefährdet.«

»O doch! Dein Bergwerk zum Beispiel braucht nichts weiter, als daß eines schönen Tages der Wiener Handelsminister das Gesuch eines englischen Eisenproduzenten und die Einfuhr von Roheisen genehmige, und am anderen Tag kann der benachbarte Hammer seine Kessel kalt stehen lassen; du kannst deine Kohle den Zigeunerschmieden korbweise verkaufen.«

»Auch das habe ich schon einmal überstanden. Unser Roheisen hielt einmal die Konkurrenz des ausländischen aus und wir brauchten das Feuer des Hammerwerks nicht auszulöschen noch unsere Gruben zuzuschütten. Unser Eisen, unsere Kohle errangen sich eine Stelle, von der sie nicht wieder verdrängt werden konnten.«

»Ein Grund mehr zur Verwirklichung der Idee, die mich hierher geführt hat. Denn du wirst doch nicht glauben, daß ich bloß gekommen sei, um Herrn Rauné ins Bondatal zu bringen, damit er sich auf der Reise nicht langweile. Er hätte sich auch allein hergefunden. Ich habe Großes mit dir vor. Ich will dich zu einem reichen Menschen machen, wobei ich natürlich auch für mich einen Nutzen haben will.«

»Nun?«

»Ich weiß nicht mehr, in welchem Anekdotenbuch ich die verschiedenen Ausdrücke der Völker für den Gelderwerb gelesen habe. Der Ungar sucht Geld, der Deutsche verdient, der Franzose gewinnt und der Amerikaner macht Geld. Das sind vollkommen charakteristische Ausdrücke. Als ob man den Ungar sehen würde, wie er sucht, in welchem Strauch er Geld findet; der deutsche schwitzt, arbeitet mit Händen und Füßen, bis er ein Stück Geld als Lohn für seine Mühe verdient; der leichtblütige Franzose spielt und gewinnt, wenn er einen andern antrifft, der etwas zu verlieren hat; während der dickblütige Yankee auf einem Platz sitzt, an den Flügeln kaut und Gold macht. Denn das Gold liegt noch in vielen Millionen unbenützt, die nur darauf warten, daß man sie mache. Wo es liegt? In lebensfähigen, doch noch nicht zu rechtem Leben erweckten Unternehmungen, in verborgenen Schätzen der Erde, zu deren Ausbeutung es an Betriebkapital fehlt, in angehäuften Kapitalien, zu deren Verwendung es an sicheren Unternehmungen fehlt, in neuen Erfindungen, in für Industrie und Handel noch nicht eroberten Gebieten, in der Erweiterung der Kommunikationsmittel, im steigenden Luxus, in den Torheiten der Menschen, in den Errungenschaften der Wissenschaft und hauptsächlich in den Truhen der auf ihrem Geld sitzenden kleinen Kapitalisten. Die Kunst, diese brachliegenden Schätze zu heben, dem stagnierenden Kapital Kanäle zu rascher Zirkulation zu eröffnen, die vielen kleinen Kapitalien zu einem großen zu vereinigen, der Industrie Absatzmärkte, dem Markt Waren zu verschaffen, mittels des Kredits jeden Gulden an drei verschiedenen Plätzen eine Rolle spielen zu lassen, diese Kunst nennt man heute: Geldmachen. Es ist eine schöne Kunst, eine honette Kunst, und es scheint, daß sie ihren Mann nährt.«

Felix steckte nach dieser Abhandlung die Fingerspitzen beider Hände in die Westentasche mit einer Selbstzufriedenheit, welche andeutete, daß er der Ueberzeugung war, sein Freund Iwan werde die Firma Felix Kaulman kennen, die in Wien und Paris Bankgeschäfte macht. Ein Name von gutem Klange, ein ebensogut französischer wie deutscher Name.

Iwan kannte ihn. Felix, sein ehemaliger Schulkamerad, war der Sohn eines Bankiers und hatte sein Geschäft von seinem Vater geerbt. Der Name kam bei vielen neueren Unternehmungen und Negoziationen vor.

»Und wie willst du aus meinem Bergwerk viel Geld machen?«

»Ich habe einen großen Plan.«

»Aber das ganze Bergwerk ist ja nicht groß.«

»Das scheint dir nur so, weil du es nicht von einem so hohen Standpunkt betrachtest wie ich. Du gehst auf Diamanten herum, und während du von der Erde Gold verlangen könntest, bedankst du dich, wenn sie dir Eisen gibt. Dieses Bergwerk wirft dir, wie du sagst, einen Nutzen von 10000 fl. ab. Das sind die Interessen von 200000 fl. Ich bringe also ein Konsortium zusammen, welches deine ganze Kolonie, wie sie geht und steht, um 200000 fl. ankauft.«

»Aber ich trenne mich von meinem Bergwerk um keinen Preis. Ich bin da in meinem Element, wie die Moorgrundel im Schlamm.«

»Du brauchst dich ja auch gar nicht davon zu trennen, durchaus nicht; du sollst erst recht daran gefesselt sein. Selbst wenn du davonlaufen wolltest, würde ich dich nicht lassen. Das Konsortium wird sich vorläufig mit einem Kapital von vier Millionen konstituieren und ein großes Etablissement einrichten, welches einerseits der Konkurrenz der preußischen Kohle den Garaus machen, anderseits die Eisenbahnschienen und das Maschineneisen Englands vom österreichischen Markt verdrängen soll. Du bleibst der Hauptdirektor dieses Etablissements, mit 10000 fl. jährlichen Gehalt und zwei Prozent Tantieme vom Reingewinn; außerdem steht es dir frei, für einen Teil des Ankaufspreises Aktien alpari zu nehmen, und da dieses Unternehmen sicher zwanzig Prozent tragen wird, so wirst du anstatt deines gegenwärtigen Einkommens von 10000 fl. ein Einkommen von 30000 fl. haben, und dein Kapital wird sich um fünfzig Prozent vermehren. Schließlich wirst du sechsmal weniger zu arbeiten haben.«

Iwan hörte das alles ohne Unterbrechung an, dann antwortete er ganz ruhig: »Lieber Felix, wenn ich zu einem Konsortium, welches über vier Millionen verfügt, sagen würde: gib dein Geld her, ich verschaffe dir von einem Industriezweig, der mir nur zehntausend Gulden abgeworfen hat, in Zukunft ein Erträgnis von achtmalhunderttausend Gulden, so wäre ich höchstens ein nichtswürdiger Mensch; wenn ich aber außerdem auch noch mein eignes Geld in Aktien dieser Gesellschaft anlegen würde, so müßte ich mir damit schmeicheln, daß ich ein dummer Kerl bin.«

Felix brach bei diesem Wort in ein lautes Gelächter aus. Das war ja zu scherzhaft gesprochen. Dann legte er sich sein biegsames Spazierstöckchen um den Hals, und seine beiden Hände auf die Enden desselben stützend, sprach er mit dem Bewußtsein seiner Überlegenheit zu Iwan: »Du hast nicht alles gehört, was ich sagen will. Es handelt sich ja nicht bloß um deine Kolonie. Du weißt wohl, daß deine Grube nur eine kleine Abzweigung des riesigen Kohlenlagers des Bondatales ist und sich in immer stärkeren Schichten meilenweit unter Bondavár bis zur benachbarten Talmulde fort erstreckt. Ich will dieses ganze Kohlenlager ankaufen lassen, das jetzt noch um eine Bagatelle zu haben sein wird, und an welchem man Millionen gewinnen kann, auf honette, vernünftige Weise, ohne daß man irgendwem das Geld aus der Tasche stiehlt oder jemanden betrügt. Ich will einen brach liegenden Schatz heben, der da ist und sich uns darbietet; es bedarf nur einer dem Gewicht des Schatzes entsprechenden Kraft.«

»Das ist etwas anderes; jetzt verstehe ich deinen Plan schon. Ich will auch nicht in Abrede stellen, daß er mit Recht großartig genannt werden kann. Doch gerade, weil dein Plan großartig ist, hat er auch riesige Fehler. Es ist wahr, daß der Schatz, welchen das ganze Bondatal in sich birgt, etwas Riesiges ist. Er mag hundert Millionen und noch unberechenbare Summen mehr repräsentieren. Aber dieser Schatz ist unzugänglich, denn die Bondavárer Herrschaft ist nicht verkäuflich.«

»So!«

»Ich will dir sagen, warum. Zunächst deshalb, weil diese Herrschaft dem alten Fürsten Bondaváry gehört, der gegenwärtig einer der reichsten Herren des Landes ist.«

»Ein wie reicher Herr jemand ist, das wissen wir am besten.«

»Gewiß aber ist, daß er einer der stolzesten Herren ist, dem ich nicht den Antrag zu stellen wagen würde, daß er den Stammsitz seiner Familie, den Besitz, nach welchem er sein Prädikat führt, zu einem Steinkohlenbergwerk hergebe.«

»Oho! wir haben schon stolzere Herren zu ähnlichen Entschlüssen gelangen sehen. Der König von Italien ist ein gekrönter Herr und dennoch hat er Savoyen hergegeben, von welchem seine Familie ihren Namen und das Kreuz in ihrem Wappen hat.«

»Hingegen habe ich wieder eine ungarische Familie gesehen, die einst einen so ausgedehnten Besitz hatte, daß sie von der Donau bis zur Theiß fortwährend auf eignem Grund und Boden reisen konnten, und die später ihren ganzen Besitz verlor, verschwendete, jedoch einen einzigen Fleck Erde, einen Pappelwald zu Bánkháza selbst im größten Elend nicht veräußerte, weil sie von diesem ihr Prädikat hatte.«

»Na, da wüßte ich schon eine Abhilfe.«

»Dann gibt es noch einen andern Grund. Wenn der alte Fürst auch geneigt wäre, diesen Besitz zu verkaufen, so könnte er es nicht tun, solange seine Schwester, die Komtesse Bondaváry lebt. Denn ihr Vater hatte dieses Schloß und die Herrschaft seiner Tochter, die jetzt etwa achtundfünfzig Jahre alt ist und noch dreißig Jahre zu leben gedenkt, als Vitalitium hinterlassen. Die aber ist mit ihrem Schloß verwachsen; sie ist meines Wissens noch nie, selbst auf einen einzigen Tag nicht, daraus herausgekommen. Sie haßt die ganze Welt. Keine menschliche Macht auf Erden wird sie dazu bringen, ihr Bondavár was immer für einem weltbeglückenden Konsortium zu überlassen, selbst wenn unter ihrem Schloß die letzte Steinkohle vorhanden wäre und die Welt ohne diese erfrieren würde.«

Felix lachte.

»Ich habe schon schwerer einzunehmende Festungen zur Kapitulation gebracht, und besonders sind Frauenherzen mit keinem Brahmaschloß versperrt.«

»Gut,« erwiderte Iwan. »Setzen wir also voraus, es würde gelingen, den Fürsten und die Komtesse zum Verkauf der Besitzung zu bewegen; selbst dann bringst du dein großartiges Etablissement nicht zustande. Jetzt folgen die technischen Schwierigkeiten; denn was ist das hauptsächlichste Erfordernis bei einem solchen Unternehmen?«

»Ein genügender Vorrat an Geld.«

»Nein, ein genügender Vorrat an Arbeitskräften.«

»Wo Geld ist, da finden sich auch die Menschen ein.«

»Zwischen Menschen und Menschen ist ein großer Unterschied. Das ist ein Artikel, bei welchem die größten Täuschungen möglich sind. Bei uns fehlt es zuvörderst an Arbeitern.«

»Wir lassen sie aus Belgien, aus Frankreich kommen.«

»Nur daß Arbeiter, die aus Belgien oder Frankreich zu uns kommen, dies nicht tun, um bei uns geringeren Lohn zu erhalten, sondern umgekehrt. Bei einer solchen forcierten industriellen Unternehmung ist es also der erste Fehler, daß ihr die Arbeit um einige Prozente höher zu stehen kommt als den bereits früher bestandenen. Meines Erachtens muß jede industrielle Unternehmung sich auf natürlichem Wege entwickeln. Wir müssen unseren Kräften und den Platzverhältnissen gemäß anfangen, wir müssen uns die Arbeiter erziehen, sie an uns locken, sie zusammen einschulen, den Betrieb langsam aber sicher ausdehnen, im kleinen experimentieren und lieber zäh ausdauern als überstürzt anfangen. Das ist meine Regel.«

»Das sind Ansichten aus dem vorigen Jahrhundert. Bei solchen Grundsätzen wäre Amerika nie imstande gewesen, Europa zu überflügeln.«

»Ausländische Arbeiter sind übrigens auch deshalb vom Uebel, weil diejenigen, die zu uns herüberkommen, größtenteils unruhige, an keinen Ort gebundene Leute, Mitglieder geheimer Gesellschaften sind, und sowie sie den Fuß bei uns niedersetzen, unsere Arbeiter, die noch von einem guten Geist beseelt sind, sogleich verderben und den Streik auch bei uns einbürgern.«

»Hat es bei euch niemals einen Streik gegeben?«

»Niemals.«

»Wie verhinderst du ihn?«

»Das ist mein Geheimnis und läßt sich nicht mit wenig Worten mitteilen. Soviel halte ich für gewiß, daß eine erzwungene Fabrikskolonie vor allem mit der Kostspieligkeit der Arbeit zu kämpfen hätte. Das zweite Hindernis wäre der Mangel an einem sachverständigen technischen Leiter.«

»Den bekommen wir im Ausland.«

»Kann sein. Ich als Privater bin überzeugt, daß ich einen bekomme, wenn ich ihn verwenden und bezahlen kann; denn ich gehe der Sache nach, ich suche ihn, ich wähle mir den besten aus, und habe ich den besten, so bezahle ich ihn wie ich es kann und wie er es verdient. Das geht aber nicht so bei Konsortien, die sich zu Zwecken der Spekulation gebildet haben; da spielt vor allem die Protektion eine große Rolle. Mitglieder des Verwaltungsrates sind die Gründer, welche die meisten Aktien besitzen. Die verstehen von dem Betrieb, dessen Verwaltung sie übernommen haben, so viel wie ich vom Seiltanzen. Zumeist imponiert der Präses, der Direktor. Die haben irgendeinen Protégé, der eine Anstellung braucht. Der war vielleicht ein Klempner, folglich muß er eine Eisengießerei leiten können. Im besten Falle lassen sie sich von der Sparsamkeit leiten und wählen von zehn, die sich anbieten, den wohlfeilsten. Das erste Jahr trägt dann das Gepräge der Experimentation an sich. Die Hälfte des verarbeiteten Rohmaterials wird verdorben. Es stellt sich heraus, daß niemand etwas von der Arbeit versteht, die er übernommen hat. Der Rechtskonsulent wird mit Entschädigungsprozessen wegen schlecht erfüllter Verpflichtungen überschüttet. Der Verwaltungsrat kommt darauf, daß an Feiertagen, wenn die Maschinen ruhen, der Verlust viel geringer ist als an den übrigen Tagen, wo gearbeitet wird. Zuletzt bemerkt man, daß das Unternehmen mehr Körper als Kraft besitzt und sich nicht zu bewegen vermag. Es hat viel Gebäude, viel Maschinen und Vorräte an Material, aber nicht genug Betriebskapital. Es wird eine neue Einzahlung ausgeschrieben, aber niemand zahlt ein. Die Aktien werden zu Tausenden auf den Markt geworfen. Es folgt ein Prioritätsanlehen auf die Immobilien der Gesellschaft. Das hält den Ruin einen Augenblick auf. Es findet sich ein Wucherer, der das Prioritätspapier zu 100 fl. mit 60 fl. nimmt. Dann trachtet der Verwaltungsausschuß aus der Patsche herauszukommen, und hat er sich gerettet, so dankt er über Hals und Kopf ab und überläßt den Direktor sich selbst, damit er tue was ihm beliebt. Der verschleudert dann, solange der Vorrat anhält, um Spottpreise, was nur immer verkäuflich ist, damit er seine Arbeiter bezahlen könne und selbst zu leben habe. Endlich geht auch der durch, und das leer gebliebene Etablissement kommt auf die Trommel. Das ist meines Wissens die Geschichte aller forcierten großartigen, industriellen Unternehmungen, die nicht im natürlichen Entwicklungswege den Anforderungen der Zeit und des allgemeinen Bedürfnisses gemäß groß geworden sind.«

Felix lachte viel während Iwans Schilderung.

»Ganz richtig! Es ist genau so! Als ob du's aus einem Buch herausgelesen hättest! Aber gerade um diesem Unglück zu entgehen, will ich für die Leitung des Unternehmens einen Mann gewinnen, der das ganze Geschäft aus dem ff versteht – dich.«

»Das ist die gefährlichste Täuschung. Ich verstehe und kenne die Aufgaben meines beschränkten Unternehmens, aber ich kenne den großen Weltmarkt nicht und wüßte den Anforderungen eines großen Geschäftsbetriebs nicht zu entsprechen. Viele kleine Fabrikanten und Kaufleute sind daran zugrunde gegangen, daß sie sich einbildeten, sich zu Großfabrikanten, Großhändlern erheben zu können; denn es handelt sich hier um zwei entgegengesetzte Talente und Studien. Der Kleinhändler muß nach jedem kleinen Profit haschen, der Großhändler darf den kleinen Vorteil gar nicht wahrnehmen. Der eine darf nur auf Gewisses arbeiten, der andere muß viel riskieren. Der eine muß sich den Lokalverhältnissen anbequemen, der andere muß auf die weite Welt spekulieren, um wenn er von einem Platz verdrängt ist, sich an einem andern einen Markt zu erobern. Dazu fehlt es mir an Studien, an Kenntnissen, an Beruf.«

»Du bist zu bescheiden. Ich werde dich schon vom Gegenteil überzeugen.«

»Nun, setzen wir voraus, daß alles sich so fügt, wie es in deiner Phantasie existiert. Die großartige Fabrikskolonie besteht, ist in Tätigkeit, liefert gute Ware um billigen Preis und in genügender Menge; nun kommt der Hauptübelstand: die topographischen Hindernisse. Das Bondataler Kohlenlager ist zwanzig Meilen von der nächsten Eisenbahnstation entfernt und fünfundzwanzig Meilen vom nächsten schiffbaren Fluß. Auf deiner Reise konntest du sehen, was für Straßen wir haben. Vier Monate des Jahres kann man gar keine Fracht nach einem entfernten Ort schicken; aber selbst in der günstigsten Jahreszeit würde unsere Kohle und unser Eisen schon bis zum nächsten Stapelplatz durch den hohen Fuhrlohn so verteuert, daß wir mit der Kohle oder dem Eisen aus Preußen oder Liverpool nicht konkurrieren könnten.«

»Das weiß ich alles,« sprach Felix, mit dem Korallenknopf seines Spazierstäbchens sich den gekräuselten Schnurrbart streichelnd; »aber dem ist durch eine Flügelbahn aus dem Bondatal bis zum Hauptemporium leicht abgeholfen!«

»Eine Bondataler Eisenbahn!« rief Iwan erstaunt. »Du glaubst doch wohl nicht, daß mit dem Kapital von vier Millionen auch noch eine zwanzig Meilen lange Eisenbahn gebaut werden könne!«

»O durchaus nicht! das wäre wieder die Aufgabe einer anderen Unternehmung.«

»Und du glaubst, daß der Bondataler Fabrikskolonie zuliebe sich Kapitalisten finden werden, die es unternehmen, eine keinen Handelsverkehr in Aussicht stellende Sackbahn zu bauen?«

»Warum denn nicht?« sagte Felix, den Knopf seines Spazierstöckchens auf seinen Mund legend, als ob er seine Rede entzwei teilen wollte; »wenn der Staat die konstitutionelle Zinsengarantie gibt.«

(Damals war der Reichsrat die Konstitution).

Iwan riß die Augen noch weiter auf und legte auf jedes seiner Worte einen besondern Nachdruck.

»Der Staat – soll dieser – Eisenbahn – eine Zinsengarantie – geben. Das wäre ja die unzweifelhafteste Verkürzung des Staats. Das halte ich nicht für möglich!«

Felix antwortete mit Ueberlegung: »Es gibt Schlüssel, welche uns die Türen der Bureaus der hohen Herrn öffnen.«

Mehr gestattete er sich nicht zu sagen, die übrigen Aufklärungen mit dem Korallenknopf seines Spazierstockes gleichsam in seinen Mund zurückpressend.

Iwan zog hierauf die Schublade seines Tisches heraus und nahm daraus ein Stück schwarzes Brot.

»Siehst du dies? Leute, die so schwarzes Brot essen, werden bei den Exzellenz-Herren nicht antichambrieren.«

Felix warf mit cholerischem Lachen den Kopf zurück und drehte sein Spazierstäbchen zwischen den Fingern im Kreise.

»Also n'en parlons plus! Du hast später Zeit dich anzuschließen. Denn was ich mir einmal vorgenommen habe, das führe ich aus. Ich wette mit dir, daß ich die Bondataler Herrschaft dem Fürsten unter den Füßen und der frommen Komtesse unter dem Betschemel wegziehe, daß ich da die großartigste Fabrikskolonie der Monarchie errichte und sie mitten in den Weltmarkt hineinschiebe – so wahr mein Namen Felix Kaulman ist.«

»Nun, viel Glück zu der Expedition, aber ich bleibe zu Hause.«

Die Ankunft des Herrn Rauné unterbrach das Gespräch.

Der Franzose erklärte, daß er seine Aufgabe kenne, Iwans Bedingungen annehme und seine Stelle sogleich anzutreten bereit sei.

Iwan reichte ihm die Hand zum Zeichen des Übereinkommens, übergab ihm nach beiderseitiger Unterfertigung des Vertrags die Handkasse nebst dem Verzeichnis der Arbeiter und bat ihn, heute abend in der Halle des Gasthauses, in dem er seine Wohnung haben werde, die Arbeitslöhne auszuzahlen.

Das Gasthaus war Iwans Wohnung gegenüber.

Die Arbeitergruppen versammelten sich Samstag abends auf dem Platz zwischen den beiden Häusern. Iwan ging zum Fenster, um nachzusehen, in welcher Ordnung die Auszahlungen unter dem neuen Direktor vor sich gehen werden. Auch Felix stellte sich zu ihm hin und begann mittels des an seiner Uhrkette hängenden Miniaturlorgnons die Arbeiter in Augenschein zu nehmen.

»Ah ca!« rief er einmal, mit der Zunge schnalzend, »die kleine cendrillon dort mit dem roten Rock würde sich als Bronzefigur nicht übel ausnehmen. Von der muß ich lernen, wie man auf slowakisch sagt: Liebst du mich?«

»Nimm dich in acht,« erwiderte Iwan, halb scherzhaft, »die hat einen Bräutigam, den die Leute Menschenfresser nennen.«

Die Auszahlung ging in Ordnung vor sich. Peter Saffran brachte aus dem Gasthaus auch Evilas Wochenlohn heraus und wollte ihn ihr übergeben. Evila gab ihm das Geld zurück, und dann gingen sie in guter Laune miteinander heimwärts. Das Mädchen fing an zu singen und legte ihre Hand auf Peters Schulter.

»Saperlot! was für eine Stimme!« rief der Bankier. »Wenn sie in Paris wäre, so würde sie damit die Theresa schlagen!«

Iwan zündete sich eine Zigarre an, setzte sich in eine Ecke und schwieg.


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